Michael Knoke: Das Flüstern der Mollusken
Novelle mit einem Nachwort von Jörg Kleudgen. Goblin Press 2011.
Ich bin vermutlich die Letzte hier im Forum, die diesen Autor entdeckt hat – was aber nicht an dessen Werken liegt, sondern daran, dass ich nach Fanny Morweiser quasi aus der postmodernen deutschsprachigen Phantastik ausgestiegen war, also irgendwann in den 80ern. Alles weitere kenne ich seit letztem Herbst nur aus diesem Forum.
Für diese Challenge hatte ich eigentlich Knokes Der kataleptische Traum auf der Liste, aber obwohl die Bücher beide toll geschrieben sind, hat mich die Stimmung doch in diesem Buch festgehalten, und ich habe es gestern in einem Rutsch (aber schön langsam und genießend) durchgelesen.
Absolut tragisch, dass der Autor so früh verstarb, und mir absolut unverständlich, dass er damit wohl vergeblich bei größeren Verlagen unterzukommen versuchte. Für mich das perfekte Buch: eine Geschichte, die einerseits sehr gradlinig und klassisch erzählt wird (Protagonist kommt an einen Ort und wird dort in den Bann einer übernatürlichen Macht gezogen), andererseits extrem individualistisch ist. Knoke hatte wirklich ein bewundernswertes Talent, einen melancholischen Erzähler ohne nöliges Selbstmitleid zu schaffen, und er ist für mich tatsächlich der einzige Autor, der es schafft, wirklich lovecraft’sch zu schreiben.
Obwohl ich chthuluide Kunst, Filme und andere Verarbeitungen liebe, bin ich bei Prosa echt konservativ. Ähnlich ging es mir bei einem anderen meiner Lieblingsbücher, Dmitri Gluchowskis Metro 2033: Ich brauche nicht von allem eine Serie oder Spin-offs von anderen Autoren, und habe da noch nie was in Textform gefunden, das tatsächlich Ähnlichkeit mit den Originalen hat. Knoke ist da für meinen Geschmack eine Ausnahme, und das liegt vielleicht nicht nur an der Selbstverständlichkeit, mit der er Lovecrafts Ideen weiterspinnt, sondern auch an seinem Erzähler, der ebenso wenig alltäglich ist, wie die des Originals. Auch ist die Rahmenhandlung – eine Mischung aus psychischer Krise / depressivem Absturz und klassischer Gespenstergesichte – eigenständig genug und dient nicht nur dazu, die Bühne für den Auftritt eines Tentakelwesens zu bereiten. Auch im Entwurf dieser Wesen steckt so viel selbstbewusste Eigenständigkeit, als hätte es das große Vorbild nie gegeben (und vllt war es nicht mal Vorbild).
Absolut tolle Atmosphäre, wie der Erzähler diesen Westdänischen Fischerort beschreibt, und auch wenn dies ein anderes Meer ist, fühle ich mich sofort in die Dänische Südsee versetzt, an Inseln wie Ærø oder Langeland bzw. doch an kleine Nordseehäfen wie denen auf Helgoland oder Terschelling. Man liest sofort, dass der Autor selbst in diese Gegenden reiste, und wie stark er mit ihnen emotional verbunden war. Ich bin sofort mit dem Protagonisten mitgegangen, so ein direktes Miterleben beim Lesen habe ich nur extrem selten. Kleine Details machen alles auch emotional nachvollziehbar, wenn der Erzähler z. B. in einem gemütlichen Pub ein leckeres Essen bestellt, das er dann aber nur halb verzehrt, weil seine Trauer ihn wieder einholt. Psychologisch toll beobachtet (und wenn ich Jörg im Nachwort richtig verstanden habe, teils oder ganz autobiographisch).
Die Geschichte war sehr viel stärker phantastisch, als ich zu hoffen gewagt hatte, der – eigentlich kaum vorhandene – Bruch zwischen Realität und Horrorwirklichkeit ist fließend und selbstverständlich; dabei ganz eigenständig im Ausdruck und der Vorstellungskraft, ohne unsicheres Schielen in Richtung Lovecraft-typischen Stil.
In Punkten: 11 von 10. Für mich wie gesagt die perfekte Phantastik-Erzählung. Wenn ich irgendwas zu meckern suchte, wäre es der Großdruck bei Rückblenden und ‚wenn’s spannend wird‘, das hätte vielleicht in kursiv etwas unauffälliger gewirkt.