Patrick Melrose - Miniseries


  • Patrick Melrose

    UK / USA 2018, Miniserie 5 x 56'-59'

    Regie: Edward Berger

    Drehbuch: David Nicholls, nach der gleichnamigen surrealistisch-biographischen Romanreihe von Edward St Aubyn

    Cast: Benedict Cumberbatch, Jennifer Jason Leigh (eXistenZ, Twin Peaks), Hugo Weaving, Sebastian Maltz


    Nach einem erstaunlich uninteressanten, zerfaserten Fünfminuten-Intro startet die Miniserie durch mit einer wirklich surrealistischen, mitreissenden und teils erschreckend komischen Tragödie um Macht, Sex und Sucht, sowie die Auswirkungen von familiärer Gewalt. Absolut fantastisch gespielt, sehr konzentriert - und nie so, dass die Figuren von den Filmemachen blossgestellt würden. Sämtliche Charaktere (vllt. mit Ausnahme des Vaters, einem geradezu mystisch überhöhten Antagonisten) sind vielschichtig, es gibt keine klare Verteilung von gut/böse, schuldig/unschuldig oder empathisch/grausam, und obwohl die Serie glücklicherweise ohne moralischen Zeigefinger auskommt, sollte die Sympathie für die Opfer deutlich genug werden. Sie hat eine für mich perfekte Balance von rabenschwarzem, durchaus grenzüberschreitendem Sarkasmus, intelligenter Analyse und Poesie. Auch wenn einiges an Gewalt gezeigt wird, sind die härtesten Momente aber die leisen, die psychologische Grausamkeit. Wunderschöne Kameraarbeit und gut getimter Schnitt, mit einigen hübsch dezenten Special Effects.


    Auch wenn die Serie sehr innovativ und eigenständig ist, triggerte sie einige andere Filme: in erster Linie die norwegische Dramaserie Exit (grandios, wenn auch streng realistisch), Requiem for a Dream (wegen der skurrilen Drogenerlebnisse, dem Pessimismus und der Kompromisslosigkeit des Erzählens) sowie Cumberbatches Performances in Stuart, A Life Backwards und Sherlock. Sebastian Maltz, der den kindlichen Patrick spielt, erinnerte mich an den Jungen aus The Devil's Backbone, wobei ich Maltz' Darstellung als fokussierter und intensiver empfand. Auch klingt bei dem Verhalten des Vaters der Nachtportier an.


    Die Vorlage gilt als tatsächlich surrealistisches Werk, bei einem Blick in die Romane merkte ich aber, dass sich der Stil possenhaft-albern und selbstbezogen liest, auch fehlt mir die psychologische Tiefe und Stringenz der Verfilmung. Die Romane würde ich (zumindest auf den ersten Blick) als absurde, schwarze Humoreksen bezeichnen, die Miniserie aber als surrealistisch angehauchten Thriller / Psychogramm.


    Volle Punktzahl auf allen Ebenen.

  • Puh! Klingt sehr interessant, aber - gerade durch die Verweise auf "Reqiuem for a Dream" und "Der Nachtportier" - auch nach einem Stoff, für den man mental Anlauf nehmen muss. Besten Dank für den Hinweis in jedem Fall.

  • Nils Ja, Requiem ist ein echter wrist-slitter, aber - das mag sich jetzt nach einem totalen Widerspruch zum Eingangsposting anhören - Patrick Melrose ist im Grunde eine grausame Tragödie, aber beim Anschauen in erster Linie witzig. Richtig schwarzer, abgrundtief böser Humor, teils auch albern und sehr grotesk. Man lacht und denkt, das man darüber eigentlich nicht lachen sollte. Dabei ist es oft Selbstironie des Erzählers / Protas. Und ansonsten eine Stärke des Films, dass nie nach unten getreten wird.


    Der Humor lässt die Grausamkeit und Ausweglosigkeit mehr hervortreten als dass er sie entschärft. Es ist echt eine Gratwanderung, die selten aufgeht, aber hier wirklich toll funktioniert. Das mag daran liegen, dass die Vorlage eine verfremdete Biographie ist, keine Fiktion.


    Eines muss ich allerdings korrigieren: on screen Gewalt gibt es kaum - obwohl ich Melrose gerade vor zwei Wochen sah, haben sich zwei markante Szenen aus Exit in mein Gedächtnis geschlichen. Die beiden exzellenten Serien spielen in einem ähnlichen Milieu, haben ähnliche Figurenzeichnungen und sogar ähnliche Settings, Farben und Kameraführung. Gäbe es noch die Korrekturfunktion, hätte ich das verbessert.