Valdimar Ásmundsson: Powers of Darkness - The Icelandic Dracula


  • Valdimar Ásmundsson: Powers of Darkness / Makt Myrkranna

    New York 2017. Overlook Press. 320 S.


    Ásmundsson übersetzte Stokers Dracula ins Isländische, doch eine nähere Betrachtung des Buches (anfangs wurden Textpassagen einfach durch ein online-Übersetzungsprogramm gejagt) offenbarte, dass sich diese Version weit von der Vorlage entfernt und eine nahezu andere Geschichte erzählt, auch stilistisch und strukturell stark abweicht. Nachdem das Werk ins Englische übersetzt war, galt es als die wesentlich elegantere, spannendere Fassung: die Geschichte sei sehr viel erotischer und weniger von (Harkers) Ablehnung & Reue gekennzeichnet, auch hat Dracula nicht nur eine ganze Schar Bräute, sondern auch gefangene Mädchen, die getötet werden. Mäandernde Dialogpassagen des Originals fehlen dafür ganz.


    Hier ist ein ausführlicher, sehr schön geschriebener Artikel dazu, der diese Erzählung näher bei Le Fanus Camilla denn Stokers Roman verortet:

    Hans Corneel de Roos: "On Dracula's Lost Icelandic Sister Text", LitHub.com


    Mir war dieses Buch bisher unbekannt, und es scheint beim Verlag vergriffen zu sein. Der Neupreis von $29,- ist unzwischen auf €45,- plus Überseeporto gestiegen und preiswerter momentan nur als eBook zu bekommen. Ich plane, es nach einer Steuerrückzahlung im Sommer anzuschaffen, das klingt ja wirklich äußerst reizvoll. Kennt es jemand von euch?

  • So, ich hab mir das mal (wegen des hohen Preises) ausnahmsweise als eBook/pdf zugelegt.


    Es gibt eine wirklich tolle 50-seitige (!) Einleitung nicht nur zum Hintergrund des Manuskriptes selbst, sondern auch zu den verschiedensten Themen: u.a. eines, das nur in der isländischen, aber nicht der englischen, Fassung auftaucht - die Erwähnung eines Serienmörders, von dem bislang angenommen wurde, es sei Jack The Ripper gemeint. Die Sequenzen beziehen sich aber wohl auf den Täter der "Thames Torso Murders" (von denen ich nie gehört habe; sehr interessante, wohl ebenfalls ungelöste Serientaten). Aus dem Buch:


    Dann gibt es eine Menge Photos: von Ásmundsson und seiner Familie, sowie anderer Autoren/Persönlichkeiten, die mit diesem oder dem Original in Verbindung standen; und ein langes Kapitel über das Setting, u.a. mit einem genauen Raumplan der Burg Dracula. Das ist alles schon wirklich ein 'work of love'.


    Ich habe Stokers Original vor Ewigkeiten gelesen, einmal als junge Teenie auf Deutsch, später (in Teilen) nochmal auf Englisch, und obwohl ich den Mythos zum Niederknien toll finde, hat mir das Buch selbst nie gefallen. Grad hab ich nochmal online die ersten Seiten verglichen, und Stoker schreibt einfach schrecklich langwierig, wortreich, redundant und einfach so spießig steif, Ásmundsson ist da sehr viel fliessender, stringenter und nordisch pragmatisch, allerdings nicht ohne einen eigenen poetischen Klang. Die Figuren kommen mir lebendiger vor [no pun intendend! :D], die Dialoge realistischer und weniger gestelzt.


    Die isländische Version behandelt wohl Harkers Aufenthalt im Schloß in drei Vierteln des Romans, anders als Stoker, der die Hauptgeschichte im Londoner Setting erzählt. Bisher sehr angenehm, aber - zumindest jetzt ganz am Anfang - noch nicht radikal unterschiedlich von der Grundhandlung her.

    Angenehmes Buch bisher und wie ich finde einfach ein must read.