John Flanders: Eine kleine böse Nachtmusik
Broschur, 139 Seiten. Fantasy Productions. Düsseldorf 1988
Das verwirrende Spiel mit den
Pseudonymen
Dieses Buch sorgt für Verwirrung. Zumindest dann, wenn es unvorbereitet auf die Jean-Ray-Fangmeinde trifft. John Flanders und Jean Ray sind bekanntlich beides Pseudonyme des flämischen Schriftstellers Raymundus Joannes de Kremer (1887 – 1964). Von ihm sind – als Jean Ray – zwei Erzählbände und der Roman „Malpertius“ in Suhrkamps Phantastischer Bibliothek erschienen.
Vielleicht um Jean Rays guten Ruf zu festigen, brachte der Düsseldorfer Verlag Fantasy Productions 1988 das schmale Bändchen mit 16 Stories desselben Autors heraus. Aber eben unter dessen Nom de plume John Flanders. Im französischen Original war der Titel 1984 als „Visiones nocturnes“ erschienen, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Albert van Hageland. Diese Vorwort (das ich nicht kenne) fehlt leider in der vorliegenden Ausgabe. Doch der deutschen Ausgabe hätten zumindest einige Erläuterungen gut getan, inwiefern sich John Flanders und Jean Ray unterscheiden.
Für die Jugend?
John Flanders wurde als Jugendbuchautor bekannt, der vornehmlich auf Niederländisch schrieb. Als Jean Ray erwarb sich der Autor seinen Ruf mit phantastischen Erzählungen auf Französisch. So ist es in der Sekundärliteratur zu lesen. Man müsste zurückverfolgen, in welchen Zusammenhängen die Geschichten in „Eine böse kleine Nachtmusik“ ursprünglich erschienen sind. Doch auch so lässt sich sagen, dass das (einschränkend klingende) Prädikat „Jugenderzählung“ hier insgesamt wenig hilfreich ist. Es handelt sich um äußerst kurze Texte, selten über 5 Druckseiten hinausgehend. Unübersehbar sind die abenteuerlichen und kriminalistischen Elemente – beliebte Ingredienzen des klassischen Jugendbuchs. Doch treffen diese Charakteristika auch auf Jean Ray zu. Was ist seine bekannte Story „Der Mainzer Psalter“ anderes als eine Abenteuererzählung? Und knapp gehaltene Episoden finden wir bei ihm ebenso. Die punktgenaue (und schwarzhumorige) Schreibe ist typisch für Ray als auch für Flanders; Figuren und Szenen sind mit ein paar kurzen aber prägnanten Strichen hingeworfen. Das änderst nichts daran, dass sie im besten Fall faszinierend rätselhaft und abgründig sind.
Hölle, Hölle, Hölle
Wer die beiden Suhrkamp-Bände („Die Gasse der Finsternis“ und „Das Storchenhaus“) kennt, der wird in „Eine böse kleine Nachtmusik“ auf vertraute Themen und Motive stoßen. Zum auf Beispiel auf unmenschliche, fürchterliche grüne Augen („Wegen der Augen von Mathilda Smith“) oder auf höllische Reichtümer, die sich im Hier und Jetzt auszahlen („Sneaky, Knuckle und Peg Blow“). Ich will nicht leugnen, dass manche der Sachen in Richtung Banalität tendieren. Indes verfügen selbst die schwächeren Beispiele immer noch über ein, zwei Tugenden. Etwa „Der Sessel“: Jemand wünscht sich, den Teufel zu sehen. Dieser erscheint und nimmt im Sessel des Betreffenden Platz. Weniger diese Erscheinung ist bemerkenswert als vielmehr das Möbelstück. Denn wer immer sich anschließend darin niederlässt, wird von einem Gefühl der Angst, Traurigkeit und Resignation überfallen. Dieses psychologische Moment bewahrt die Story davor, in eine gefällige Art von grotesker Phantastik abzugleiten.
Fazit
John Flanders ist nicht Jean Ray. Mit diesem Bewusstsein sollte man sich an die Lektüre von „Eine kleine Nachtmusik“ begeben. Vielleicht hatte der Autor als Jean Ray sein bestes Pulver bereits verschossen. Was nicht heißt, dass manche der hier dargebotenen Ideen nicht zünden. Wer sich auf die Intertextualität dieser beiden literarischen Persönlichkeiten einlässt, wird seine Freude an den vielfältigen Variationen, Rückgriffen und Anspielungen haben. Ich vergebe 4 von 5 möglichen Daumen.