Vom verschluckten Gespenst zum Mahlstrom des Grauens: Klaus Seehafer


  • Zu meinen Lieblingsbüchern …

    … in der Kindheit gehörte „Das verschluckte Gespenst“. Der Untertitel erscheint etwas umständlich, trifft aber den Nagel auf den Kopf: „Geschichten für die Gänsehaut. Klassische und moderne Texte mit alten und neuen unheimlichen Bildern.“ Diesem Band verdanke ich es, dass ich mich intensiv mit dem Schriftsteller August Justus Mordtmann und seiner Erzählung vom „Untergang der Carnatic“ befasst habe – eine der am häufigsten abgedruckten Gespensterschiff-Geschichten. Auch an die frühe Begegnung mit Algernon Blackwood („Eine Geisterinsel“/„A Haunted Island“) denke ich gerne zurück. Richtig furchteinflößend fand ich zudem Bram Stokers mordlustige „Flucht aus der Müllstadt“ („The Burial of the Rats“). Kurz und gut: mein eh schon vorhandenes Interesse an Schauergeschichten wurde mit diesem Buch weiter gefestigt.


    Eine zeitlose Leidenschaft

    Herausgegeben wurde „Das verschluckte Gespenst“ von Klaus Seehafer (1947 – 2016). Der Diplom-Bibliothekar hatte eine Faible für Anthologien und rund ein Dutzend geht auf sein Konto. Außerdem schrieb er die Goethe-Biografie: „Mein Leben ein einziges Abenteuer“ – vielleicht ein passendes Motto für Seehafers eigene literarische Umtriebigkeit. Besonders mochte Seehafer offensichtlich Gespenstergeschichten. Neben dem „verschluckten Gespenst“ gibt es in seiner Bibliografie drei weitere Anthologien, die sich ganz dem Unheimlichen widmen. Wie jenes avisieren sie ursprünglich ein jugendliches Publikum. Aber, wie wir alle wissen, für eine gute Gruselgeschichte ist man nie zu alt!


    Das Geisterhausbuch

    1987 erschien „Das Geisterhausbuch“: zwei Taschenbücher im Schuber, kongenial illustriert von dem tschechischen, vielfach ausgezeichneten Künstler Jindra Čapek. Die Sammlung ist eine Verbeugung vor dem Spukhaus und vereint einige Klassiker des Genres, etwas Bulwer-Lyttons „Das verfluchte Haus in der Oxford Street“ („The Haunted and the Haunters“), Walter Scotts „Das Zimmer mit den Wandbehängen“ („The Tapestried Chamber“) oder gleich 3 Stories von Algernon Blackwood, der sich wie wenige andere an dieser Thematik abgearbeitet hat. Mit Marie Luise Kaschnitz („Gespenster“), August Derleth („Potts Triumph/„Pott’s Triumph“) oder Alfred Andersch („Die Letzten vom Schwarzen Mann“) hat „Das Geisterhausbuch“ freilich auch einige Überraschungen parat. Die Anthologie wurde übrigens im Erscheinungsjahr „Buch des Monats“ der Akademie der Kinder- und Jugendliteratur.


    Acht Glasen Mitternacht

    Im Carlsen Verlag kam 1990 das Buch „Acht Glasen Mitternacht“ heraus, Untertitel: „Unheimliche Geschichten vom Rande der See“. Als Autor wird zwar Dieter Bromund genannt, aber die Auswahl der Geschichten besorgte Klaus Seehafer. Tatsächlich besteht Bromunds Anteil daran, dass er eine Rahmenhandlung in Form einer Einstiegs- und einer Ausstiegs-Episode geschrieben hat. Dazwischen tummeln sich 9 maritime Spukgeschichten. Mordtmann und die „Carnatic“ hat Seehafer zum zweiten Mal berücksichtigt, ansonsten listet das Inhaltsverzeichnis Wilhelm Hauff („Die Geschichte vom Gespensterschiff“, „Die Höhle von Steenfoll“), Martin Luserke („Die Hand, die sich rächte“) oder Anna Seghers („Die Toten auf der Insel Djal“). Die Gesamtausstattung des Buchs (inklusive eines großartigen Vorsatzpapiers) stammt von Uwe Häntsch, einem Berliner Grafiker, der schon in der DDR viele Bücher illustriert hat.


    Im Mahlstrom des Grauens

    Mordtmanns „Untergang der Carnatic“ zum Dritten! Es spricht für Seehafer, dass er von dieser Erzählung nicht lassen konnte. Nämlich im Jahr 2001 erblickte „Im Mahlstrom des Grauens. Unheimliche Geschichten von Strand und Meer“ im Leda Verlag das Licht der Welt. Mehrere Geschichten aus „Acht Glasen Mitternacht“ hat Seehafer hier wieder verwertet, es sind aber auch einige neue dazugekommen. Als Höhepunkte nenne ich Jonas Lie („Elias und der Draug“), William Hope Hodgson („Die Crew der Lancing“/„The Crew of the Lancing“) oder Washington Irving mit „Die Gäste von der Gibbet-Insel“ („The Guests from Gibbet Island“).


    Fazit

    Vielen wird der Name Klaus Seehafer vielleicht nichts gesagt haben (dabei hat Shadowman in einem anderen Thread gerade auf „Im Mahlstrom des Graunes“ hingewiesen). Und mit vier Anthologien zu unheimlichen Erzählungen dürfte er sich kaum zur Koryphäe der Gruselgeschichte aufgeschwungen haben. Aber wer (wie ich) im zarten Alter von etwa 10 Jahren mit Lektüre dieser Art gefüttert wurde, hält diese Kindheitserinnerungen in Ehren. Dem strengen Blick des erwachsenen Lesers bleiben zwar einige editorische Ungenauigkeiten und Freiheiten nicht verborgen. Das aber sind Kleinigkeiten: Unterm Strich bin ich Klaus Seehafer dankbar für seine Verdienste um die Gespenstergeschichte und kann alle vier Bücher bedenkenlos empfehlen.


    Links

    Deutsche Nationalbibliothek: Klaus Seehafer

    Klaus Seehafer: Autoren-Webseite

  • Vielen Dank für diese schöne Vorstellung! Tatsächlich habe ich Das GeisterHausBuch 1+2 mal für sehr wenig Geld auf dem Flohmarkt ergattert, allerdings ohne Schuber. Der ist ja wirklich so hübsch aussehend, dass man glatt in Versuchung gerät, erneut nach zu forschen...

  • Mein Exemplar ist aus dem Bücherschrank, ausgemustert aus einer Bibliothek, inklusive Stempel und Leihkarte. Aber natürlich, mit Schuber ist immer besser als ohne. Schön finde ich Seehafers Bemerkung im Vorwort, dass manch einer es übertrieben finden könnte, dass er je 3 Stories von Maupassant und Blackwood aufgenommen hat:


    Zitat

    „Da kann ich nur um Anerkennung der Tatsache bitten, nicht noch mehr gebracht zu haben.“