Christian Heinrich Spieß - Das Petermännchen

  • Ich habe mir für diese Kategorie einen der ersten deutschen Vertreter des sogenannten Schauerromans herausgesucht. Zuerst hatte ich mit E.T.A. Hoffmann geliebäugelt, und zwar mit den "Elixieren des Teufels", dann aber gelesen, dass er dort Motive von Matthew Gregory Lewis' "Mönch" aufgreift, der jedoch soll nun wiederum vom Petermännchen beeinflusst gewesen sein.


    Das Buch erschien 1791 in zwei Bänden und war laut Wikipedia der meistgelesene phantastische Roman der Goethezeit. Ich habe bisher den ersten Teil gelesen, und weil jetzt beim Übergang vom ersten in den zweiten Band tatsächlich eine drastische Änderung in der Struktur der Geschichte zu erfolgen scheint, passt es ganz gut, schon einmal auf den ersten Band einzugehen.


    Heute würde man es eine Seifenoper nennen. Da haben wir Rudolph von Westerburg, einen jungen Ritter, der zufrieden von seiner Feste aus auf die Jagd geht, bis der seit Jahrhunderten seiner Familie zugehörige Geist ihn heimsucht und in ihm die Begierde auf das weibliche Geschlecht anstachelt. Dieser Geist ist das titelgebende Petermännchen, ein kaum zwei Schuh hohes Männlein mit einem Ranzen voll zweifelhafter Geschenke. Zu dem Männchen gehört aber auch ein Weiblein, mit dem Winzling verheiratet, allerdings verfeindet, und diese versucht nun stets, mit mahnenden Worten und vorwurfsvoll erhobenem Zeigefinger, den wackeren Rudolph zurück zur Tugend zu führen.


    Aber ach, das Petermännchen sorgt schon dafür, dass die Versuchung immer zu groß ist. Und wenn es auch für manche der bald nicht mehr Jungfrauen ein böses Ende nimmt und sich der betroffene Rudolph stets auf neue schwört, diese Dame seines Herzens dort nun auch bis ans Ende seiner Tage zu betrauern, so trifft es sich doch stets, dass ...


    Zumindest der erste Teil enthält jetzt nicht die Bestandteile, die ich von einem Schauerroman erwartet hätte. Wir haben einen Hausgeist, aber der ist nicht gruselig; es wird geköpft, auf Haken gespießt und entmannt, na gut, aber es ist doch eher eine magische, bunte Abenteuerreise bis hin in den Orient und immer wieder in die Gemächer schmachtender Jungfrauen, die reihenweise auf den schmucken Rudolph hereinfallen.


    Interessant ist, dass auch die Tugend nicht sonderlich gut wegkommt. Da haben wir den Ritter Waldeichen, der in Heilige Land zieht und seine Gattin zu Hause bedenkenlos verhungern lassen würde, aber als er Gerüchte hört, sie sei ihm nicht mehr treu, springt er sofort auf das nächste Schiff, um äußerst drastische Maßnahmen zu ergreifen. Gegen Waldeichen wirkt der lotterhafte Rudolph sympathisch, und erst am Ende des ersten Teils kippt diese Einschätzung, da sich sowohl Waldeichen als auch Rudolph drastisch ändern.


    Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

  • So, nun habe ich auch den zweiten Band gelesen. Er ist leider über weite Strecken hinweg deutlich schwächer. Rudolph hat zum Ende des ersten Bandes eine nicht zu verzeihende Handlung begangen und jegliche Sympathie verspielt. Umso lächerlicher die Stelle, wo es so scheint, als könne er sich mit Gott und Welt wieder versöhnen. Dazu genügt einfach ehrliche Buße ...


    Durch den echten Teufelspakt wird es tatsächlich etwas schaurig, und es werden gleich zwei Menschen in blutige Fetzen gerissen. Ansonsten geht es sehr moralisierend zu und auch der Autor zeigt sich ziemlich verlogen:


    "Es ist die höchste Zeit, daß ich den Vorhang über diese schreckliche Szene fallen lasse. Sie muß schon längst das Gefühl meiner Leser empört haben! schon längst hätte ich sie geendigt, wäre es nicht des Erzählers Pflicht, nicht die Absicht des Ganzen, daß ich anschauend beweise, wie nach und nach menschliche Bosheit und Tücke, wird sie gewartet und gepflegt, fürchterlich emporwächst! wie sie aufsteigt bis zur höchsten Stufe, und unbarmherzig niedertritt, was sie auf dem Pfade des Fortwandelns hindert."


    Das Ende ist schön melodramatisch und die Auflösung, was sich hinter der Konstellation aus Petermännchen und Peterweibchen und ihrem Kampf um Rudolphs moralische Einstellung verbirgt, hat mir gut gefallen.


    Als Fazit lässt sich ziehen, dass ich den Blick auf diesen Schauerroman sehr interessant fand. Durch die strengen Regeln, denen er zu folgen hat, ist er natürlich etwas spannungsarm, aber ich fand es sehr erhellend, wie man sich schon damals so geschickt moralisch von dem distanzieren konnte, was man gleichzeitig derart sensationlüstern zur Schau stellte.

  • hardt


    Danke sehr für die ausführliche Besprechung und die Zitate. Das klingt ziemlich nach Ann Radcliffes The Mysteries of Udolpho, die einige Gothic Novel, die ich nur quergelesen habe, weil das alles doch recht schmachtig und abenteuerlastig war.


    Lieber als die zwei Bände würde ich noch zehn Seiten deiner wirklich unterhaltsamen Rezension lesen. X/

  • Das klingt ziemlich nach Ann Radcliffes The Mysteries of Udolpho, die einige Gothic Novel, die ich nur quergelesen habe, weil das alles doch recht schmachtig und abenteuerlastig war.

    Ich vermute mal, kennt man eine gothic novel, kennt man alle.


    Allerdings rechnet man Frankenstein mit in diese Tradition hinein, obwohl mir da jetzt keine schmachtenden Jungfrauen in Erinnerung sind.

  • Da das Buch ja gemeinfrei ist, habe ich es mir bei Mobileread als epub geholt und für meinen Kindle umgewandelt. Ich war mit den aufbereiteten Klassikern aus jenem Forum eigentlich immer ganz zufrieden, die geben sich da wirklich Mühe. Mir sind zwar trotzdem manchmal Schreibfehler aufgefallen, aber es ist nunmal eine Herausforderung, alte Frakturschrift umzuwandeln.


    Für bibliophile Feinschmecker ist das natürlich nichts.

  • Okay, habe gerade mal geschaut. Die "Ausgewählten Schriften" (1841) von Spieß sind digital abrufbar. Sie werden als Quelltext genannt. Erstmals ist das "Petermännchen" aber wohl 1791 erschienen.


    Es geht mir weniger um Bibliophilie als um eine gewissenhafte Edition. "Manchmal Schreibfehler" hört sich für mich schon kritisch an.

  • Okay, habe gerade mal geschaut. Die "Ausgewählten Schriften" (1841) von Spieß sind digital abrufbar. Sie werden als Quelltext genannt. Erstmals ist das "Petermännchen" aber wohl 1791 erschienen.


    Es geht mir weniger um Bibliophilie als um eine gewissenhafte Edition. "Manchmal Schreibfehler" hört sich für mich schon kritisch an.

    Aber auf die Art willst du das Buch doch nicht wirklich lesen?

  • Übrigens wollte ich auch mit meiner Bemerkung nicht sagen, dass die epub-Version von Mobileread vor Schreibfehlern strotzt.


    Abgesehen von der Tatsache, dass sie der ursprünglichen Rechtsschreibung folgt und deshalb mit Absicht falsch schreibt: "fieng" und "gieng" und "seyn" und "Veste".


    Dieses "Veste" wurde dann aber auch mal zur "Beste", und der gröbste Lapsus, der mir auffiel, war, dass zweimal das Peterweibchen sprach und die (kurze) Antwort von Rudolph völlig fehlte. An dieser Stelle habe ich übrigens auch in der digitalen PDF-Version von archive.org nachgesehen, warum die Frau zweimal spricht und was Rudolph sagt. (Ich reise, sagt er übrigens).


    Aber im Prinzip kann man nicht meckern, und ich glaube auch nicht, dass einer aktuellen gedruckten Versionen da besser ist.

  • Dieses "Veste" wurde dann aber auch mal zur "Beste"

    Das ist das, was ich anprangere: Die Texte werden durch eine OCR-Software gejagt, dann wirds für eine Veröffentlichung vorbereitet, dank der modernen Zeit kann jede/jeder flugs so ein "Buch" digital oder gedruckt herausbringen – fertig ist die Laube.


    Es gibt mittlerweile recht viele dergestalt aufbereitete historische Texte. Ich selbst habe einmal eine Kurzgeschichte digitalisiert, auch mit OCR. Das war aber nur der erste Schritt. Dann habe ich den – zweifelsohne mühsamen – Abgleich mit dem Original vorgenommen. Eric Hantsch/Edition CL hat "Das Gespensterhaus in Hildesheim" vollständig von der Fraktur in ein modernes Schriftbild übertragen und ein schönes, gut ediertes Buch daraus gemacht. Das ist Liebe zum Text und Liebe zum Buch.


    Um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, als antikes Digitalisat möchte ich das Buch natürlich nicht lesen. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es auf die oben dargestellte Art lesen möchte. Eine gedruckte Fassung (BoD) ist u. a. beim großen A erhältlich, herausgegeben und bearbeitet von einem gewissen Matthias Wagner. Da wurde freilich die altertümliche Sprache unserer heutigen Rechtschreibung angepasst, es fehlt die Vorrede, von einer editorischen Notiz habe ich auch nichts gesehen … so kann ich mich für die Version auch nicht richtig erwärmen.