Anthologiereihe: British Library Tales of the Weird



  • British Library Tales of the Weird


    Vielleicht am ehesten das Pendant zu der Bibliotheca Dracula, wenn auch ohne deren Zeitdukumente und Sachtexte. Eine 2018 gestartete Serie, die wenig veröffentlichte bzw. schwer zugängliche phantastische Kurzgeschichten und Novellen einer Reihe berühmter und unbekannter bzw. inzwischen vergessener internationaler Autoren herausbringt, wobei der Schwerpunkt wohl auf UK & USA liegt.


    Die Bücher haben wirklich interessante Themenschwerpunkte (z. B. die ‚böse Botanik‘ mit Killerpflanzen), hübsche 80er Jahre Retro-Cover und tolle s/w Frontispitzseiten, sehr informative Vorworte sowie auch interessante, detailreiche Intros zu den einzelnen Verfassern und ihrer Geschichten (teils zu spoilernd). Die Herausgeber sind offenbar jeweils in irgendeiner Form Experten zum Thema oder dem Genre, der Ära. Die Bände sind sehr preiswert (neu um die € 10,-) und haben ein schönes Schriftbild, sind aber von wirklich grottiger Qualität: Cover sind billigste Pappe, die leicht verschrammt und selbst bei sorgsamster Handhabung verknickt; das matte Cover wirkt schnell fleckig, und ich hab mich kaum gewagt, die Bücher genügend weit aufzuschlagen, weil sie sich anfühlen, als könnten bald die Seiten rausfliegen (was allerdings bisher nicht passierte).

    Insgesamt ein verträgliches Preis-Leistungs-Verhältnis. Ich habe zwei back-to-back in einem Rutsch durchgelesen und werde mir ganz sicher noch ein paar zulegen.



    Mike Ashley (ed.): From the Depths and Other Tales of the Sea

    London 2018. 316 Seiten

    15 Geschichten aus den Jahren 1891–1932


    Mike Ashley schreibt selbst Phantastik (v.a. SciFi), ist einer der Experten zur Geschichte der Populärliteratur und Berater für die British Library Science Fiction Classics und hatte bei dieser Auswahl ein wirklich gutes Händchen. Bis zum letzten Fünftel dachte ich, es gäbe keine einzige Geschichte, die ich nicht als herausragend oder zumindest sehr gut ansah. Ganz zum Schluss fand ich die (nicht-chronologisch) geordneten Stories aber tendenziell einfallslos und müde, auch tritt – durch die Entwicklung hin zu Dampf- und Motorschiffen – der seemännische Aspekt mit Naturbeschreibungen und Fachwissen immer weiter zurück, bis das Setting nahezu beliebig und teils unglaubwürdig wird (bes. Elinor Mordaunt: „The High Seas“). Anders als die Tattoo-Geschichten sind dies alles tatsächliche Grusel- bzw. Horrorstories.


    Besonders herausragend fand ich die beiden ersten Geschichten:

    Albert R. Wetjen: „The Ship of Silence“ (1932) und Morgan Robertson: „From the Darkness and the Depths“ (1913); sowie Herman Scheffauer: „The Floating Forest“ (1909).

    Da sind sowohl klassischer Grusel, wie auch wirklich innovative, frische Plots und Themen/Ideen, absolut tolle Beschreibungen der Natur und der Schiffe, wie auch, soweit ich das beurteilen kann, seemännischer Sachverstand. Eine Story konnte ganz nebenbei eine Fachfrage klären, die mir nicht einmal Segelschiffkapitäne beantworten konnten (warum damals als Notmaßnahme vor einem Sturm das stehende Gut gekappt wurde, um die Masten brechen zu lassen, wovon ich eigentlich dachte, dass es konterproduktiv sein müsste).


    Robertson wurde berühmt durch seine prophetischen Geschichten, vor allem die grandiose Novelle Futility, or The Wreck of the Titan, die – mehr als ein Dutzend Jahre vor dem Unglück veröffentlicht – die Schicksalsfahrt und den Untergang der Titanic im Detail zu beschrieben scheint. Auch diese Geschichte ist gespickt mit wissenschaftlichem Fachwissen zu Photographie, Strahlung und Optik.

    Wetjens Story erinnerte mich vom Aufbau her stark an „Die Affenpfote“, weil – wie es gleich im ersten Satz heißt – die äußerst schräge und wirklich schauderhafte Geschichte keine Auflösung erfährt, man aber keinen Zweifel hat, es hier mit paranormalem Schrecken zu tun zu haben. Brillant gelöst, psychologisch stimmig und wirklich innovativ.


    Die Sammlung ist äußerst vielschichtig und hat wirklich mehr zu bieten als simple Geisterschiffe und 'skeleton crews', absolut empfehlenswert.



    John Miller (ed.): Tales of the Tattooed – An Anthology of Ink

    London 2019. 317 Seiten

    13 Geschichten aus den Jahren 1882–1952


    John Miller ist Dozent für die Literatur des 19. Jahrhunderts an der Universität Sheffield mit Schwerpunkt Late Victorian und Edwardian era, bes. deren Sozialgeschichte. Zu Tattoos hat er wohl einen Crashcourse gemacht, seine Literaturangaben sind recht chaotisch (Sachbücher und Moby Dick) und auch wenn er einige Einsicht gewonnen hat, sitzt er falschen Klischees auf; meint wohl, die Tätowierung in Europa hätte mit Cook angefangen und verfängt sich fatalerweise in Strömungen der frühen 90er (Feminist, Post –Colonial Studies, politischer Dekonstruktivismus), die alles, was weiß/männlich/Mittelklasse ist gegen The Other stellt, was bei diesem Thema einfach grober Unfug ist.


    Die Geschichten sind eine schöne Zusammenstellung, in denen Tattoos mal mehr, mal weniger eine zentrale Rolle spielen, allerdings kann man nur zwei davon guten Gewissens als Weird/Phantastik bezeichnen: es geht dort um prophetische Träume und Vorahnungen sowie eine unglückliche Transplantation, eine andere dreht sich noch um reale/lebende Doppelgänger ohne wirklich Paranromales. Alle weiteren sind psychologische Sozial- oder Crime-Stories, zwei davon hard boiled (die einzigen, die ich nur überflogen habe), in denen zwar ein paar seltsame Zufälle oder Außernseiter, aber nix wirklich Schräges oder gar Gruseliges vorkommt. Die meisten davon – vor allem die älteren – waren dennoch recht nette Unterhaltung.


    Ausgesprochen positiv sticht für mich eine einzige Geschichte heraus: Jun'ichirō Tanizaki: „The Tattooer“ (1910).

    Ein – ungewöhnlich sadistischer – Tätowierer sticht eigentlich nur Männer, ist aber auf der Suche nach der perfekten Frau für sein Meisterwerk. Nach neun Jahren Suche findet er ein Mädchen, betäubt sie und tätowiert ein ungewöhnliches Motiv auf ihren Rücken. Die Implikationen von Macht/Ohnmacht und Gewalt/Opfer laufen aber völlig anders, als man von dieser Synopsis erwarten könnte. Der Autor war für den Nobelpreis nominiert, aber auch wegen seiner Themen um Fetischismus und BDSM zu Kriegszeiten zensiert. Die Geschichte ist ungeheuer dicht, atmosphärisch, ungewöhnlich wie auch sehr modern, und erinnerte mich – von der eigenartig mystischen „Technik“ wie auch dem Lust/Schmerz-Aspekt her – an den Film Irezumi (ist aber weniger konservativ), wie auch wegen der leicht surrealistisch-sadistischen Note an Octave Mirbeaus The Torture Garden. Die kurze Story allein war den Kauf wert.


    Die Sammlung spiegelt sehr gut die Diskrepanz zw. dem ‚stummen vs dem verbalisierten Diskurs‘ wider: Tätowierte sprechen nicht über ihre Hautbilder, Schreibende sind untätowiert. Es gibt Autoren mit Hautbildern: z. B. Kathy Acker und China Miéville; soviel ich weiß kam bei ihnen das Schreiben vor dem Stechen, aber deren Fiktion dreht sich um andere Themen. Ich würde mich selbst nennen – bei mir kam das Inken zuerst und ich schreibe das (negativ konnotiert) auch in phantastischen Geschichten, aber dafür bin ich ein viel zu kleines Licht. Wer aber Lust auf eine kurze Geschichte der Tätowierung in Europa hat, hier History of Tattooing in Europe.pdf ein unveröffentlichter Artikel (engl.), den ich mal für ein finnisches Jugendsegelmagazin schrieb. Sorry für die Eigenwerbung, aber das Thema wie auch Tattoos selbst sind seit über 30 Jahren mein Steckenpferd. X/

  • Danke für die Vorstellung, Katla.

    Über die Reihe bin ich zwar schon öfters gestoßen, habe mir bisher jedoch noch keinen Band besorgt.

    Von den hier erwähnten Büchern klingt besonders "From the Depths" interessant. Für maritimen Horror bin ich nämlich immer zu begeistern. (William Hope Hodgson wird in diesem Bereich wohl für immer mein Favorit bleiben. Die Reihe hat ihm mit "The Weird Tales of William Hope Hodgson" berechtigterweise ja einen ganzen Band gewidmet.)

    "Tales of the Tattooed" spricht mich jetzt nicht so an - Auch wenn z.B. Ray Bradbury gezeigt hat, dass man aus dem Thema "Tätowierung" durchaus etwas Interessantes machen kann ("Der illustrierte Mann", "Das Böse kommt auf leisen Sohlen").

    Ansonsten hört sich noch "Evil Roots: Tales of the Botanical Gothic" verdammt interessant an. Auch wenn ich schon circa 50% der darin enthaltenen Geschichten kenne.


    Wenn mein SUB nicht schon so hoch wäre, würde ich mir glatt ein paar "Tales of the Weird"-Bücher bestellen.

  • Lieben Dank für deine Rückmeldung, freut mich sehr.

    William Hope Hodgson wird in diesem Bereich wohl für immer mein Favorit bleiben. Die Reihe hat ihm mit "The Weird Tales of William Hope Hodgson" berechtigterweise ja einen ganzen Band gewidmet

    Ja, und das Buch hat ein wirklich tolles Cover. Die Geschichte von Hodgson empfand ich in diesem Band als eine der schwächeren. Ich weiß noch nicht so recht, was ich von ihm halten soll: in den Horrormomenten und Settings ist er poetisch, absolut mitreissend, innovativ und wirklich extrem spannend, in der Hinführung zum phantastischen Teil seiner Stories mäandert er mir aber zu viel und vor vor allem zu ausgiebig in Belanglosem. Dort finde ich seinen Stil auch teils platt, wobei die Horrorszenen imA einen tollen Schwung und Rhythmus haben. Ich kenne sein Werk allerdings nur von Stippvisiten. Interessant finde ich, dass er zwar kurz zur See fuhr, aber das Meer wie auch den Job abgrundtief hasste.

    "Tales of the Tattooed" spricht mich jetzt nicht so an

    Ja, ich hab es auch mehr aus sozialgeschichtlichem Interesse so aufmerksam gelesen: Wie wird das Thema verarbeitet und wie war in diesen paar Jahren um die Entstehungszeit der jeweiligen Geschichte die Postition der Tätowierung in der Realität?

    Von einem literarischen Standpunkt - auch incl. der tollen japanischen Story - aus wäre meine Gesamtwertung 3/10. Von einem Weird-Standpunkt aus ist der Band eigentlich nicht zu gebrauchen.

    Auch wenn ich schon circa 50% der darin enthaltenen Geschichten kenne

    Die Böse Botanik steht mit dem London-Grusel auch auf meiner Liste, leider sehe ich es auch so, dass in eingen Bänden der Reihe eben nicht nur das "selten Veröffentlichte / schwer Zugängliche" gewählt wurde, sondern Geschichten, die in vielen Anthologien gedruckt wurden. Das wird mich auch vom Kauf einiger spannender Themenbände abhalten.

    Auch wenn z.B. Ray Bradbury gezeigt hat, dass man aus dem Thema "Tätowierung" durchaus etwas Interessantes machen kann ("Der illustrierte Mann", "Das Böse kommt auf leisen Sohlen").

    Auf jeden Fall! Der illustrierte Mann war das erste SciFi-Buch, das ich als Kind in die Hände bekam (mal wieder aus der Schrankwand meiner Mutter), und ich hatte damals einiges gar nicht 100% kapiert, war aber völlig fasziniert. Muss ich wirklich nochmal neu lesen.

    Barker hat das Thema ja ziemlich ähnlich für die Rahmenhandlung seiner Books of Blood verwendet. Wobei in beiden Fällen 'Tätowierung' eher abstrakt behandelt wird.

  • Edit: Ich bin natürlich auf und nicht über die Bände gestoßen ;).

    Die Geschichte von Hodgson empfand ich in diesem Band als eine der schwächeren.

    Bin mir gar nicht sicher, ob ich die Geschichte überhaupt kenne. Im "Evil Roots"-Band findet sich mit "The Voice in the Night" aber ein äußerst gelungenes Beispiel seines Könnens. Ist aber auch ein Klassiker, den die meisten kennen dürften.

    Ich weiß noch nicht so recht, was ich von ihm halten soll (...) Ich kenne sein Werk allerdings nur von Stippvisiten.

    Neben seinen maritimen Kurzgeschichten kann ich besonders "The House on the Borderland" empfehlen. Der Roman gilt als die Geburtsstunde des "kosmischen Schreckens" (noch vor dem ollen Lovecraft) und ist auch heute noch absolut großartig.

    Oder seine Seefahrt-Romane/Novellen "The Boats of the Glen Carrig" und "The Ghost Pirates". Besonders "Glen Carrig" hat mich mit seiner hoffnungslosen und leicht surrealen Stimmung damals ziemlich begeistert.

    Und seine Carnacki-Sories sind auch mal einen Blick wert, wenn man mit Paranormal Detectives etwas anfangen kann. Nur über "The Night Land" hüllen wir mal lieber den Mantel des Schweigens.

    ...leider sehe ich es auch so, dass in eingen Bänden der Reihe eben nicht nur das "selten Veröffentlichte / schwer Zugängliche" gewählt wurde, sondern Geschichten, die in vielen Anthologien gedruckt wurden.

    Stimmt. Im Falle von "Evil Roots" liegt es bei mir sicher auch daran, dass ich das Thema einfach spannend finde und eine Vielzahl der darin vertretenen Autoren sehr schätze. Zumal dort mit Hawthrone, Wells, Conan Doyle, Bierce, James und Hodgson ja auch recht viele große Namen vertreten sind. Blackwood fehlt komischerweise - Dabei scheint "Die Weiden" doch geradezu prädestiniert für diesen Band zu sein.

    Dass man aber Charlotte Perkins Gilman aufgenommen hat, freut mich ungemein.

    Hab mir "Evil Roots" mal auf die Wunschliste gesetzt.

    Auf jeden Fall! Der illustrierte Mann war das erste SciFi-Buch, das ich als Kind in die Hände bekam (mal wieder aus der Schrankwand meiner Mutter), und ich hatte damals einiges gar nicht 100% kapiert, war aber völlig fasziniert. Muss ich wirklich nochmal neu lesen.

    Gelungener Einstieg in die Welt der Science Fiction, Katla. "Der illustrierte Mann" gehört neben den fantastischen "Mars-Chroniken" sicher zu Bradburys Meisterwerken. Kann man immer wieder lesen.

  • The Boats of the Glen Carrig"

    Ah, geht es da um eine längere Seereise, die in einem seltsamen Höhlensystem oder einer skurrilen Felsenlandschaft endet? Gerade weil du 'surreal' sagst, das passte auf die Geschichte, die ich in eher positiver Eriinerung habe: die fand ich (nach dem langwierigen Einstieg) nämlich überraschend schräg, modern und auch wirklich gruselig. Sehr "schwarz" auch, von der Stimmung her.

    Neben seinen maritimen Kurzgeschichten kann ich besonders "The House on the Borderland" empfehlen. Der Roman gilt als die Geburtsstunde des "kosmischen Schreckens" (noch vor dem ollen Lovecraft) und ist auch heute noch absolut großartig.

    Danke sehr, das kenne ich mit Sicherheit noch nicht. Beide Texte hab ich online gefunden, da schaue ich bei Gelegenheit sicher mal rein.

    Dass man aber Charlotte Perkins Gilman aufgenommen hat, freut mich ungemein.

    Allerdings, zumal ich von ihr nur die absolut grandiose "Gelbe Tapete" und den eher enttäuschenden Roman Herland (ihren einzgigen Langtext?) kenne und dabei im Vergleich dachte, ihre Stärken lägen mehr in Kurzgeschichten.

  • Ah, geht es da um eine längere Seereise, die in einem seltsamen Höhlensystem oder einer skurrilen Felsenlandschaft endet?

    Deine Beschreibung passt jetzt zwar auch eins zu eins auf "The Other Side of the Mountain" von Michael Bernanos, aber ja, das ist genau die Geschichte.

    Allerdings, zumal ich von ihr nur die absolut grandiose "Gelbe Tapete" und den eher enttäuschenden Roman Herland (ihren einzgigen Langtext?) kenne und dabei im Vergleich dachte, ihre Stärken lägen mehr in Kurzgeschichten.

    Ihre Kurzgeschichten kenne ich fast alle. "Die gelbe Tapete" ist natürlich unerreicht, trotzdem haben sie mir alle gut gefallen.

    "Herland" habe ich noch nicht gelesen. Warum ist der Roman denn so enttäuschend? Die Handlung klang eigentlich recht vielversprechend.

  • Deine Beschreibung passt jetzt zwar auch eins zu eins auf "The Other Side of the Mountain" von Michael Bernanos, aber ja, das ist genau die Geschichte.

    Das stimmt, hehe, aber Bernanos Geschichte hat mir gar nicht gefallen (die beiden Figuren fand ich unsympathisch und trotz der guten Idee kam Null Spannung auf).

    Danke für die Rückmeldung, ja, Hodgson hat sicher auch seine Stärken.

    Warum ist der Roman denn so enttäuschend? Die Handlung klang eigentlich recht vielversprechend.

    Alles mit einem pinch of salt, ich hatte das Buch vor fast 30 Jahren gelesen, eben weil mir die Kurzgeschichte so enorm gut gefiel, und weil die Handlung ganz gut klingt.

    Ich erinnere mich nur noch an einen Eindruck, aber selbst nach einem Blick ins Buch online fällt mir nichts Konkretes mehr ein, weder Handlung noch Szenen oder Charaktere. Ich weiß noch, dass es es einfach lauwarm fand, fürchterlich spießig formuliert (das dachte ich grad wieder bei den ersten Seiten) und irgendwie als Idee unausgereift und 'zahnlos'. Es hat mich letztlich davon abgehalten, mehr von ihr zu lesen. Allerdings bin ich generell kein Freund von Utopien oder von moralischen Parabeln, besonders sozial/politischen (-> Miéville, Le Guin, Atwoods Handmaid's Tale etc.) Du mochtest Atwood, oder? Vielleicht gefällt dir der Roman ja, ich wäre mal gespannt auf eine andere Sicht darauf.


    An Epoche oder Thema liegt es nicht, dass ich das Buch nicht mochte, Mary Wollstonecrafts 100 Jahre ältere non-fiction Vindication ... fand ich damals gut, und auch 'mono-gender' postmoderne feministische Fantasy von z.B. Marockh Lautenschlag (v.a. Der Araquin). Ich mag mich irren, aber ich meine, der Plot in Herstory hätte auch nicht der Inhaltsangabe entsprochen. Sorry, dass meine Eindrücke nur noch so vage sind.

  • Allerdings bin ich generell kein Freund von Utopien oder von moralischen Parabeln, besonders sozial/politischen (-> Miéville, Le Guin, Atwoods Handmaid's Tale etc.)

    Geht mir eigentlich genauso. Aus ähnlichen Gründen haben ich auch mit den meisten Dystopien so meine Probleme. Ich denke da irgendwie immer sofort an alte Männer, die den ganzen Tag kopfschüttelnd aus ihrem Fenster starren und sich fragen wo das alles noch hinführen soll.

    Von Atwood kenne ich übrigens nur "Report der Magd". Das Buch habe ich allerdings schon vor Ewigkeiten gelesen und kann mich inzwischen kaum noch daran erinnern. Da ich irgendwann mal mit der Serie anfangen wollte, nehme ich mir zwar immer vor, das Buch wieder aus dem Regal zu ziehen - Bisher ist es jedoch bei diesem Vorhaben geblieben.

    Mit Miéville und Le Guin habe ich es auch unzählige Male versucht, weil sie mir eigentlich gefallen müssten/sollten, allerdings habe ich kaum ein Buch von ihnen beendet. Da Miéville in Deutschland häufig in diversen Restposten- und Mängelexemplar-Kisten landet, besitze ich interessanterweise trotzdem fast all seine Bücher.


    Hast du eigentlich mal "The Power" von Naomi Alderman gelesen? Passt thematisch ganz gut zu "Herland". Das hat mir jedenfalls gefallen. Wobei ich die öffentliche Wahrnehmung des Buches (die je nach Geschlecht teilweise sehr unterschiedlich ausgefallen ist) fast noch interessanter fand, als die eigentliche Geschichte.

    Sorry, dass meine Eindrücke nur noch so vage sind.

    Alles gut, Katla. Meine Erinnerung verlässt mich auch regelmäßig (siehe z.B. Atwood). Werde "Herland" sicher irgendwann mal lesen, oberste Priorität hat das Buch momentan aber nicht.

    Hab aber gerade entdeckt dass sie sogar eine Fortsetzung namens "With Her in Ourland" geschrieben hat. Das wusste ich noch gar nicht. Gerade vor zwei Tagen ist davon eine illustrierte Neuauflage erschienen. Wäre ja eigentlich eine gute Gelegenheit. Mal sehen...

  • Aus ähnlichen Gründen haben ich auch mit den meisten Dystopien so meine Probleme. Ich denke da irgendwie immer sofort an alte Männer, die den ganzen Tag kopfschüttelnd aus ihrem Fenster starren und sich fragen wo das alles noch hinführen soll.

    Hihi, das ist ja witzig. Jetzt kann ich sogar einen Bogen zu From the Depths schlagen, ich wollte nämlich noch schreiben, dass mehrere Geschichten dort unter zwei Männern erzählt werden, die - teils im übertragenen Sinne - gemütlich am Kamin sitzen und Pfeife rauchen. Obwohl ich weder männlich bin noch rauche, liebe ich diese Intros sehr, das bringt mich sofort in Gespenstergeschichtenlaune.


    So sehr ich Utopien ablehne, schätze ich Dystopien, zusammen mit MR ist das mein Lieblingsgenre. Pessimistische Dystopien stellen Fragen, Utopien (und 'erzieherische', parabelhafte Dystopien) geben Antworten. Ich lasse mir aber sehr ungern die Welt erklären, sondern bin eher an einer speziellen Sicht eines Autors interessiert, woraus ich dann selbst meine Schlüsse ziehen möchte.

    Mit Miéville und Le Guin habe ich es auch unzählige Male versucht, weil sie mir eigentlich gefallen müssten/sollten, allerdings habe ich kaum ein Buch von ihnen beendet.

    Vom Kraken war ich außerordentlich beigeistert (das ist eher 10th Doctor Fanfiction und funktionierte für mich super, weil ich zu der Zeit ein Dutzend DW novels gelesen hatte), und einige Geschichten in der Horror-Sammlung Looking for Jake fand ich super, alles andere liest sich wie unkonzentriert geplottet, und dann halt noch ein bisschen zu penetrante Werbung für Marxismus. Ich hab fast alle Bücher abgebrochen.

    Hast du eigentlich mal "The Power" von Naomi Alderman gelesen?

    Nee, das sagte mir gar nichts. Ich hab zwei sehr interessante Artikel / Interviews gelesen, allerdings klingt mir das Buch (bzw. auch die Autorin) potentiell zu programmatisch.

    Hab aber gerade entdeckt dass sie sogar eine Fortsetzung namens "With Her in Ourland" geschrieben hat. Das wusste ich noch gar nicht.

    Oh, ich auch nicht. Das werde ich umgehen, aber eine (die eine?) Kurzgeschichtensammlung werde ich sicher irgendwann einmal lesen.

  • ...ich wollte nämlich noch schreiben, dass mehrere Geschichten dort unter zwei Männern erzählt werden, die - teils im übertragenen Sinne - gemütlich am Kamin sitzen und Pfeife rauchen. Obwohl ich weder männlich bin noch rauche, liebe ich diese Intros sehr, das bringt mich sofort in Gespenstergeschichtenlaune.

    Fängt so nicht auch jede Geschichte von M.R. James an?

    Ich bin da aber hundertprozentig bei dir. Sobald sich zwei alte Freunde vor dem Kamin versammeln und ihre Pfeifen stopfen, bin ich schon begeistert. Gehört einfach zu jeder guten Geistergeschichte dazu.

    So sehr ich Utopien ablehne, schätze ich Dystopien, zusammen mit MR ist das mein Lieblingsgenre. Pessimistische Dystopien stellen Fragen, Utopien (und 'erzieherische', parabelhafte Dystopien) geben Antworten.

    Ich lehne Dystopien ja auch nicht grundsätzlich ab und es gibt sicher unzählige großartige dystopische Romane. Nur viele Autoren/Autorinnen übertreiben es dort mMn eben häufig mit dem moralischen Zeigefinger...

    Die vielgelobte Serie "Black Mirror", mit ihrer unglaublich plumpen Gesellschaftskritik für Dummies, finde ich z.B. unerträglich. Auch wenn das eine eher unpopuläre Meinung sein dürfte.

    Vom Kraken war ich außerordentlich beigeistert (...) alles andere liest sich wie unkonzentriert geplottet, und dann halt noch ein bisschen zu penetrante Werbung für Marxismus.

    "Kraken" fand ich ebenfalls gut. Sein aktuelles Buch "Die letzten Tage von Neu-Paris" hat mir auch gefallen. Der Rest war dann eher zäh...

    Was das Thema Marxismus angeht, bin ich durch unzählige Dietmar Dath-Romane schon ziemlich abgehärtet, aber ich verstehe was du meinst.

    Nee, das sagte mir gar nichts. Ich hab zwei sehr interessante Artikel / Interviews gelesen, allerdings klingt mir das Buch (bzw. auch die Autorin) potentiell zu programmatisch.

    Ihre Aussage lautet eigentlich: Frauen sind nicht besser als Männer und ein Matriarchat wird diese Welt auch nicht (mehr) retten. Davon kann man sicher halten was man will...

    Ich fand es aber interessant dass sie bei dem Roman eigentlich nur die vorherrschenden Machtverhältnisse umgekehrt hat und das Ganze dann je nach Rezipient als absolute Utopie oder gnadenlose Dystopie wahrgenommen wurde. Zeigt irgendwie dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.

  • Ihre Aussage lautet eigentlich: Frauen sind nicht besser als Männer und ein Matriarchat wird diese Welt auch nicht (mehr) retten. Davon kann man sicher halten was man will...

    Das ist ja ein ganz vernünftiger Standpunkt. Eigentlich wollte ich sagen, damit kommt sie aber 30 Jahre zu spät an, aber die Rezeption zeigt, dass das nicht stimmen muss.

    Ich fand es aber interessant dass sie bei dem Roman eigentlich nur die vorherrschenden Machtverhältnisse umgekehrt hat und das Ganze dann je nach Rezipient als absolute Utopie oder gnadenlose Dystopie wahrgenommen wurde.

    Mir liegt es auf der Zunge, aber genau das gibt es schon, ich meine, das war ein Film, und zwar aus den späten 70ern oder frühen 80ern. Ich komm nicht drauf. Jedenfalls wurde das ausgiebig beackert, ich hätte erwartet, dass das als Prämisse durch wäre.
    Was als Dystopie / Utopie wahrnimmt, ist allerdings wirklich eine sehr interessante Sache. Ich hatte genau dieses Problem mit Glukhovskys Futu.re, das ich in diesem Sinne vollständig gegen die Intention des Autors gelesen hatte.

  • Jedenfalls wurde das ausgiebig beackert, ich hätte erwartet, dass das als Prämisse durch wäre.

    Das Thema ist halt gerade wieder recht aktuell/ im Mainstream gelandet. Da werden dann eben mitunter auch ein paar alte Konzepte ausgegraben und recycelt. Zumal sich in vielen Punkten trotz "ausgiebiger Beackerung" dann eben doch noch nicht so viel getan hat.

    Glukhovskys "Futu.re" habe ich leider nicht gelesen und kann dazu nichts sagen. Der Roman hört sich jetzt aber gar nicht mal so spannend an. Und auch die Seitenzahl schreckt mich ab. Deine abweichende Wahrnehmung macht das Buch dann aber doch irgendwie wieder interessant. Vielleicht irgendwann mal...

    Wir entfernen uns aber auch immer mehr vom Thema "Weird Tales". Nimmt langsam die gleichen Ausmaße wie im Grabiński-Thread an :D.

  • sowie Herman Scheffauer: „The Floating Forest“ (1909).

    Das freut mich, dass ich diesen Autor – und diese Story – hier erwähnt finde. Ich habe den Band "Das Champagnerschiff" (Ullstein, 1925), und die darin enthaltene Geschichte "Der schwimmende Wald" dürfte wohl mit jener identisch sein. Es wäre interessant zu wissen, ob Scheffauer auf Deutsch und Amerikanisch geschrieben hat, oder ob noch ein externer Übersetzer mit im Spiel war. In dem Ullstein-Buch ist nichts darüber herauszufinden. Wenn die Story tatsächlich von 1909 (bzw. erstmals 1909 erschienen) ist, dann kam die deutsche Fassung ja deutlich später.


    Die Geschichte selbst ist große Klasse! Wurde in meine private Sammlung der Totenschiffe mit aufgenommen. Auch das Thema der Ladung, die zum Verhängnis wird, finde ich spannend.

  • Wir entfernen uns aber auch immer mehr vom Thema "Weird Tales".

    Hallo Goblin, hehe, das stimmt, aber immerhin haben wir uns nicht vom Thema "Weird Fiction" an sich entfernt. Und einer von uns ist Themenersteller - geht das nicht auch ein ganz klein bissl nach dem Motto It's my party and I cry if I want to? ^^

    Wenn die Story tatsächlich von 1909 (bzw. erstmals 1909 erschienen) ist, dann kam die deutsche Fassung ja deutlich später.

    Hallo Axel, vielen Dank für deine Rückmeldung!

    Es scheint ja gar nicht so leicht zu sein, ein Buch mit seinen Geschichten zu finden (außer dem von dir erwähnten Suhrkamp-Band). Dabei fand ich eine Abhandlung über die Suffragetten, wie es aussieht, eine selten positive Einschätzung zu der frühen Zeit. Ich muss mich um den Autor mal kümmern, das sieht nach einer sehr ungewöhnlichen, interessanten Persönlichkeit aus.


    In welcher Sprache das Ursprungsmanuskript war, ist nicht vermerkt (daher gehe ich von Englisch aus), aber Mike Ashley hat die Quellenangaben mit Erstveröffentlichungen gelistet, und das war im Britischen Pall Mall Magazine vom August 1909. Inhaltsverzeichnis hier. Das klingt sehr interssant, sagte mir bislang aber nichts.

    Wurde in meine private Sammlung der Totenschiffe mit aufgenommen

    Davon hast du aber nicht zufällig eine Liste erstellt, oder? X/

  • Nachtrag, zu spät entdeckt für's Beitrag-Ändern: hier sind einige Cover des Magazins abgebildet, Jugendstil / Prä-Raphaelite, das sieht ja toll aus! Gerade die späten Ausgaben 1912-29 sind wunderschön. Leider ist Aug. 1909 ohne Abbildung.