Daniel Decker – Dør

  • Über Ralfs/Lapismonts Blog (https://lapismont.wordpress.co…in-gemetzel-im-waschhaus/) bin ich auf den mir bisher unbekannten Ach-Je-Verlag aufnerksam geworden, in dem u.a. Daniel Deckers Debüt "Dør" erschienen ist. Dieser Roman hat in der Konzeption Ähnlichkeiten mit meinem eigenen Debüt, ist aber meines Erachtens düsterer angelegt und schildert stärker den gefahrenvollen Riss, den die Phantastik in unsere Realität reiße kann, wenn man sie denn nur lässt.


    Aber erstmal die groben Daten:


    Daniel Decker

    Dør

    148 S. Taschenbuch, 110 x 176 cm, Ach je Verlag 2019

    https://ach.je/produkt/daniel-decker-dor/#


    Klappentext:

    Zitat

    „Tekeli-li! Tekeli-li!“ – Ein schrecklich-grauenhafter ewiger Schrei ist nur der Beginn eine Reise in unbekannte blasphemische Gefilde deren Wahnsinn an H.P. Lovecraft und Edgar Allen Poe gemahnt. Was mit dem Verschwinden einer guten Freundin beginnt deckt im Verlauf ein uraltes Geheimnis auf. „Die letzte Bewegung ist ein Klang, geschaffen aus Körpern, so wie der Tanz aus Körpern geschaffen wurde. Und sie eröffnen eine neue Welt.“


    Das Buch lehnt sich äußerlich wunderbar an die (hier ja gerade erst mit einem Artikel gewürdigte) phantastische Bibliothek von Suhrkamp an. Danie Decker wird dabei nur als Herausgeber genannt. Der echte oder nur fingierte Reihentitel lautet "Groteske Bibliothek". Da alles gefällt mir sehr gut.

    Druck und Bindung übernimmt allerdings amazon, was zu den üblichen Qualitätseinbüßen führt. Die Schriftgröße ist augenfreundlicher gewählt als bei Suhrkamp. Esgibt allerdings ein paar Satz-Fehler und ach mit der Komma-Taste ist zwischenzeitlich etwas spärlich umgegangen worden. Hier hätte zwar ein finaler Korrekturdurchgang gut getan, ich möchte aber niemandem vom Kauf abhalten, ganz im Gegenteil. Nur erwartet bitte kein bibliophiles Prachtexemplar.


    Dass der Autor selbst sich auf dem Titeblatt hinter einer Herausgeberschaft versteckt, harmoniert mit der Anlage des Romans, der eher eine Textsammlung sein will als eine stringente Erzählung. Bei meiner "Wanderdüne" habe ich das "phantastischen Mosaikroman" genannt und genau so etwas liegt hier vor. In der Textsammlung varriieren die Textsorten. Es gibt ein Interview, eine Rezension, den Kern machen aber erzählende Passagen aus, darunter maßgeblich eine etwa 100 Seiten lange Novelle. Alleine diese Novelle lohnt den Kauf, weil sie zwar tief in den Klassikeren der Phantastik, Dark Fantasy und Abenteuerliteratur verhaftet ist (Lovecraft schwingt zwar am offensichtlichsten mit, spielt trotzdem aber nur eine angenehm randseitige Rolle), aber ausreichend Eigenständigkeit aufweist, um zu keiner Zeit als ein bloßes Fan-Werk erscheinen zu können. Diese Novelle ist gerahmt durch kürzere Texte, die aus verschiedenen Perspektiven der die ach so fern erscheinende Novellen-Handlung tief in unserer Gegenwart verankert. Gegenwart bedeutet dabei: Eine skandinavische Gegenwart, aufgezogen am Leben, Werk und Rezension der titelgebenden Metalband.


    Insgesamt ist der Roman sicherlich nicht perfekt, als Debüt zeugt er aber jetzt schon von einer neuen, eigenständigen Stimme in der kleinen Welt der deutschsprachigen Phantastik, von der ich noch mehr lesen möchte. Wer auch beim lesen textuelle Mosaikteile zusammensetzen mag und stimmungsvolle bis düstere Phantastik abseits der üblichen Pfade mag, sollte mal einen Blick riskieren.

  • Eine Sichtweise, der ich absolut zustimme. Gerade die angesprochene Unperfektheit trägt sogar noch zum Reiz des Ganzen bei.


    Lovecraft schwingt zwar am offensichtlichsten mit, spielt trotzdem aber nur eine angenehm randseitige Rolle



    Dass dem Autor ein Lovecraft-Pastiche fernlag, liegt vielleicht daran, dass Daniel (so weit ich sehe) nicht unbedingt dem typischen Phantastik-Fandom angehört. Dafür betreibt er seit Urzeiten das Blog "Kotzendes Einhorn".

    Im Weihnachts-Podcast 2019 haben sich die Arkham Insiders übrigens mit ihm über "Dør" (u. a.) unterhalten:

    Arkham Insiders Folge 136 – Merry Christmas Mr. Lovecraft. Weihnachtsfolge 2019/2

  • Felix Schöne Besprechung, danke sehr! Und dabei fällt mir - quasi aus Zeiten des alten Forums - nochmal auf, dass ich deine Wanderdüne dringend lesen wollte. Da ich Dør in absehbarer Zeit auch plane, anzuschaffen, würde sich ein back-to-back Lesen anbieten. Spannende Gegenüberstellung!

    Im Weihnachts-Podcast 2019 haben sich die Arkham Insiders übrigens mit ihm über "Dør" (u. a.) unterhalten

    Mennö ... ich wollte an was für eine Deadline arbeiten und nur nebenbei kurz reinhören. Das endete damit, dass ich alle Alben von STALAGGH durchhörte (das Nachfolgeprojekt GULAGGH fand ich nervig), und vor allem von "Projekt Nihil" echt angetan bin, bes. von der zweiten Hälfte. Interessant, als Black Metal hätte ich das gar nicht eingestuft, sondern eher als Mix aus Experimental Noise und 90er Hardcore Industrial. Erinnert hat es mich an Sachen von Väkipyörä, Haruspex bzw. generell das eher ambientlastige Xylem-Label, und die alten Test Dept. sowie die Soundtracks zu Survival Research Laboratories in den 80ern/90ern.


    Das Konzept, anders Befähigte und/oder psychisch Kranke in radikale Musikproduktionen einzubinden, ist ja alt und, wie ich finde, immer sehr spannend. Ein extrem prägender Einfluss in meiner Jugend war die irische Band Virgin Prunes und ihr Konzept "A New Form of Beauty". Die waren zwar teils etwas wavig/poppig, aber die meisten Songs rutschten ins totale Chaos ab, und erstmal die Bühnenshows ... Einiges ist da auch viel experimenteller. Die Idee war u.a, den durch Meningitis geschädigten Bruder eines Bandmitglieds als Vorbild und Norm zu etabliereren. Wie STALAGGH hatten auch die Virgin Prunes Kunst von psychisch Kranken als Album-Art.

    Ganz interssant finde ich, dass heute alles als "kontrovers" bezeichnet wird, was in den 80ern einfach ganz anarchistisch als künstlerisches Experiment gelebt wurde. 'Kontrovers' führt meiner bescheidenen Meinung nach auch nie zu einem sinnvollen Diskurs, es würgt jede individuelle Interpretation ab.


    Zu Black Metal hatte ich mal fast ein Jahr lang intensiv recherchiert, das Thema erscheint auf den ersten Blick sehr einfach (konservativ, satanistisch, rechtslastig), zeigt sich aber als wirklich extrem komplex (der Beginn war nicht-rechts nationalistisch sowie heidnisch-antichristlich, das Satanistische ist aber eine Erfindung der norwegischen Presse, was dann ein Selbstläufer wurde). Ihr sprecht ja auch über Dokufilme und - zu Recht - deren Authenzitätsprobleme, da gibt es einen einzigen, der positiv heraussticht: Until the Light Takes Us. Praktischerweise (für die Nerven) mit Ambient- anstatt BM-Score. :D


    Ich muss das Buch jetzt natürlich lesen, ganz vor allem, weil ihr da so ein Geheimnis um die Plotentwicklung macht (ich schreibe hier auch nur guten Gewissens so viel über Musik, weil ihr dem Thema so viel Raum gebt). Extrem sympathsiches Gespräch, das ohne Eile und mit viel Enthusiasmus um das Thema kreist und in interessante Richtungen mäandert, was lustigerweise dann doch auf den Roman neugierig macht.


    Und: So ein Fanzine in Printform würde ich auch sofort bestellen! Ich hoffe, ihr verfolgt diese Idee ...


    Also, ich hab eigentlich keine Ahnung, um was es in dem Buch wirklich geht, aber ich habe - zusätzlich zu Felix schöner Vorstellung - den Eindruck, ich müsse es unbedingt kaufen: irgendwas habt ihr da richtig gemacht. [Ber]

  • Ganz interssant finde ich, dass heute alles als "kontrovers" bezeichnet wird, was in den 80ern einfach ganz anarchistisch als künstlerisches Experiment gelebt wurde. 'Kontrovers' führt meiner bescheidenen Meinung nach auch nie zu einem sinnvollen Diskurs, es würgt jede individuelle Interpretation ab.

    Wohl wahr. Je politischer der Diskurs allgemein wird, desto schärfer werden die gegnerischen Meinungen herausgearbeitet, angeklagt und verdammt. Irgendwann stehen sich Rechthaberei und Bevormundung unversöhnlich gegenüber. Gerade leben wir wieder in so einer Zeit.


    Das aber nur am Rande. Auch wenn ich mich in dem musikalischen Teil des Gesprächs zurückgehalten habe, habe ich natürlich auch eine (kurze) Black-Metal-Vergangenheit. Die fing mit Venom und Bathory und Hellhammer an.


    Für mich lag der Reiz im Kunstprodukt (wobei Venom, rückblickend, zu theatralisch und schlussendlich marketingmäßig waren). Von den Gewalttaten der norwegischen Szene fühlte ich mich abgestoßen. Generell packe ich true-crime-Sachen mit der Kneifzange an, riskiere mal einen Blick, aber es vermittelt mir kein gutes Gefühl. Viele zornige, frustrierte, junge Männer … Als BM dann trendy wurde und in so Sachen wie Cradle of Filth und Satyricon ausartete, war ich, nach einem Punk- Hardcore-Intermezzo, gerade dabei, Johnny Cash (The Man in Black!) für mich zu entdecken. Da war der BM-Zug abgefahren.


    Wie auch immer: Vielen Dank Katla für deine ausführliche Rückmeldung, die sicher auch Mirko zu schätzen weiß. Ich bin jedenfalls gerne bereit, (vorsichtig) einen Blick auf deine Links und Empfehlungen zu riskieren. :huh:

  • "Dør" war ja schon seit Release auf meiner Wunschliste, nach der frenetischen Besprechung in der aktuellen Cthulhu Libria Neo habe ich mir das schmale Buch dann endlich auch mal gekauft und heute gelesen.


    Meinung:

    Autor Daniel Decker betreibt einen mir unbekannten Blog und macht scheinbar auch Musik (u.a. mit Torsun von Egotronic). Aufgrund dieser Tatsachen könnte man von seinem Debüt ja durchaus einen Popkultur-Roman aus dem Hause Ventil erwarten - Tatsächlich handelt es sich bei "Dør" aus dem Ach je Verlag allerdings um reine Weird Fiction.

    Die Prämisse (Musik/Tanz als Ritual, um Türen in fremde Dimensionen zu öffnen) erinnert natürlich etwas an "Die Musik des Erich Zann". Stellenweise musste ich aber auch an "Suspiria" oder "Lords of Salem" denken - Auch wenn im Buch gar keine Hexen auftauchen. Dafür kommt am Ende aber etwas Gnostizismus ins Spiel.

    Auf den ersten 50 Seiten dieses Puzzle-Romans springt Decker dabei ständig zwischen den Personen und den Zeitebenen, verliert aber nie den roten Faden aus den Augen und legt einen ziemlich fulminanten Start hin. Anders als Felix konnte mich die anschließende Novelle/Abenteuergeschichte dann aber nicht vollkommen begeistern. Sie stellt schon einen leichten Bruch zum Vorherigen dar, nimmt spürbar das Tempo aus der Erzählung, liest sich etwas zu vertraut und besitzt mMn zudem auch noch ein paar Längen.

    Und am Ende des Buches hat man irgendwie das Gefühl das noch etwas gefehlt hat... Alles in allem fand ich "Dør" aber trotzdem ziemlich großartig und habe den Kauf keinesfalls bereut.