Stanisław Przybyszewski

  • "Ich speie auf den normalen Menschen des ekelhaft philaströsen Dichters [...]. Eigentlich wollte ich nichts zeigen, ich schrieb und dichtete und blutete die Welt aus, wie ich sie empfunden, geschaut, schmerzhaft durchlitten habe."


    Stanislaw Przybyszewski (1868 – 1927) war ein polnischer Schriftsteller. In den Jahren 1894 und 1895 war er an der Gründung der für die Entwicklung des Jugendstils bedeutsamen Zeitschrift 'Pan' beteilig, ohne den messianisch weltverbessernden Anspruch des Jugendstils zu teilen. Er gehörte zum Kreis der Berliner Bohème, zu der unter anderem auch August Strindberg sowie Edward Munch angehörten. Mit seiner frühen Prosa beschreitet er als erster Autor der deutschen Sprache (- er schrieb auf Deutsch zu Beginn seiner Laufbahn) die drastische Abkehr vom Naturalismus und wendet sich den unbewussten Seiten der Psyche zu. Zeit und Ort der geschilderten Szenen bleiben unbenannt, eine Handlung im Sinne traditioneller Erzählkunst findet sich in den lyrisch getönten Prosastücken ebenfalls nicht. Entscheidend ist die innere Erlebniswelt der Protagonisten. Przybyszewski vermag es, Dank einer bedrohlich, intensiven, metaphernreichen Sprache, seine tiefsten Empfindungen widerzuspiegeln und eine beklemmend psychotische Atmosphäre hervorzurufen. Er beschreibt meisterlich die Momente der Sehnsucht, der Erfüllung, aber auch der Entfremdung, des Mißverständnisses und der Isolation, ohne dabei jemals trivial oder oberflächlich zu werden. Damit kommt er einer Realität nahe, die nicht durch berechenbare Lebensentwürfe geprägt ist, sondern durch echte, tiefe Emotionen. In den bisher von mir gelesenen Texte ("Der Schrei", "Androgyne", "Totenmesse" und "De profundis") ist ein Grundschema erkennbar, welches mich immer wieder aufs Neue fasziniert: Der verzweifelte, von Beginn an zum Scheitern verurteilte Kampf des zunächst vernünftig erscheinenden Protagonisten und dessen Niederlage gegen die überwältigende Macht des wabernden Seelenozeans. Was die Spannung keinesfalls mindert, denn es gibt viele unerwartete Wege des Untergangs. Obwohl die Texte schon ein gutes Jahrhundert alt sind, ist ihr Blick auf die Situation des Menschen, meiner Meinung nach, auch heute noch provokativ und außergewöhnlich. Gerade in der heutigen Epoche des Allmachtsanspruches und umfassender Verwertungsansprüche des entfesselten Kapitalismus an die menschliche Ressource, ist die Hinwendung zur Irrationalität ausgesprochen aufrührerich.


    Dies ist keine erheiternde Lektüre. Aber wozu auch? Wer möchte ständig Spaß haben? Schätzt nicht gerade der Leser "abseitiger" Literatur die gepflegte Erschütterung seiner überfeinen Nerven?


    Werkausgabe:

    Michael M. Schardt (Hrsg.):

    Gesammelte Werke. Werke, Aufzeichnungen, Briefe. Igel-Verlag, Paderborn/Oldenburg 1990/2003

    1. Erzählungen. "De profundis" und andere Erzählungen.
    2. Erzählungen und Essays.
    3. Romane. "Homo sapiens".
    4. Romane. "Erdensöhne", "Das Gericht", "Der Schrei".
    5. Dramen. "Schnee" und andere Dramen.
    6. Kritische und essayistische Schriften.
    7. Aufzeichnungen "Ferne komm ich her ...".
    8. Briefe. 1879–1927.
    9. Hartmut Vollmer (Hrsg.): Kommentarband.


    Der Roman "Der Schrei" ist günstig antiquarisch erhältlich und als Einstieg in Przybyszewskis Seelenwelt empfehlenswert.

    Die Erzählung "De profundis" ist auch in der Anthologie "Lasst die Toten ruhen" (Atlantis, 2012) enthalten.



    https://de.wikipedia.org/wiki/Stanis%C5%82aw_Przybyszewski

    https://www.projekt-gutenberg.…toren/namen/przybysz.html

  • Der verzweifelte, von Beginn an zum Scheitern verurteilte Kampf des zunächst vernünftig erscheinenden Protagonisten und dessen Niederlage gegen die überwältigende Macht des wabernden Seelenozeans. Was die Spannung keinesfalls mindert, denn es gibt viele unerwartete Wege des Untergangs.

    Oh, das klingt ja alles super, tausend Dank für die Vorstellung!

    Der Roman "Der Schrei" ist günstig antiquarisch erhältlich und als Einstieg in Przybyszewskis Seelenwelt empfehlenswert.

    Sehr hilfreiche Ansage: Grad hab ich eines für 50 Cent + € 4,- Porto erwischt ... Ich freue mich schon.

  • Ich habe "Der Schrei" vor einiger Zeit antiquarisch erworben und werde ihn auch bestimmt in absehbarter Zeit lesen. In meiner Ausgabe aus der Gustav Kiepenheuer Bücherei (1987) sind auch noch im Anhang "Synagoge des Satans" und der Aufsatz "Der traurige Satan". Autor und Werk scheinen auf ihre Weise etwas ganz Besonderes zu sein. Ich werde dann etwas schreiben, wenn ich das Buch gelesen habe.

  • Vor zwei Wochen habe ich „Der Schrei“ beendet. Lange ist es mir nicht so schwer gefallen, einige Sätze zu schreiben wie über Stanislaw Przybyszewskis Kurzroman. Anfangen kann ich eigentlich immer ganz gut, indem ich einen Roman , Erzählung oder Kurzgeschichte versuche mit drei Eigenschaften zu beschreiben. Hier fielen mir aber nur zwei ein: „surreal“ und „diabolisch“. Die dritte Notiz war „ratlos“. Am meisten hatte mich die Tatsache gestört, dass ich das Gefühl hatte nur wenige Unterschiede zu Dostojewskij, mit einigen Dingen von ihm setze ich mich gerade auseinander, zu spüren. Ich hatte mir tatsächlich schon eigenständig eine gewisse Betriebsblindheit unterstellt und hatte mir auch bereits eine Dostojewskij-Pause verordnet. Bis ich dann in den Anmerkungen die Schlagworte „Schuld und Sühne“, „Interesse des Psychologen“ und „Unterbewusstsein“ und den Namen des Autors neben Poe als literarische Anregung las. Da war ich dann doch eine Spur erleichtert, dass ich nicht ganz abgespaced bin.

    Abschließend: Ein faszinierendes Künstlerporträt mir surrealen und psychologischen Schwerpunkten. Ich muss aber auch sagen, dass mich der Roman jetzt nicht dazu verleitet hat, weitere Sachen des Autors in Erwägung zu ziehen. Den Aufsatz „Synagoge des Satans“ habe ich nach einigen Seiten etwas desinteressiert abgebrochen, obwohl mich die Thematik hätte interessieren müssen. Ähnlich schwer mit einem Autor, den ich trotzdem interessant fand, habe ich mich vor einigen Jahren mit Gustav Meyrink getan. Gut gelesen zu haben, aber parallel zu Dostojewskij eine bisweilen zu ähnliche Kost.

    Ich hatte beim Lesen eher Paris und Prag im Kopf. Die Geschichte spielt aber wohl in Berlin. Der Name des Lokals „Zur wilden Marderkatze“ hätte einen deutschen Hintergrund vermuten lassen könne. Ach ich weiß nicht, je mehr hier so schreibe …

    Vielleicht lese ich den Anhang doch weiter.