Adam Nevill - The Reddening

    • Offizieller Beitrag

    Wir hatten neulich irgendwo das Thema "Folk-Horror". Im Nachwort beschreibt Nevill, dass sein Roman (genauso wie The Ritual) in dieses Genre gehört. Er hat sich von der Geschichte Südenglands beeinflussen lassen und seinen Gedanken freien Lauf gelassen.


    Zum Inhalt: Die ersten Kapitel beschreiben Ereignisse über mehrere Jahre hinweg, welche erstmal in keinem Zusammenhang stehen. Hier geht es vor allem um den Fund eines Höhlensystems direkt an der Küste, welches nach und nach erschlossen wird. Relikte und Überbleibsel aus diversen zeitlichen Epochen werden hier gefunden. U. a. auch Hinweise auf Kannibalismus. Parallel dazu gibt es kurze Episoden über Menschen, welche "Kontakt" mit rot bemalten Menschen haben. Diese Kontakte verlaufen nicht so positiv...


    Dies ist die Grundgeschichte, in welche Nevill 2 Protagonisten unabhängig voneinander hineinwirft. Zum einen eine Lifestyle-Reporterin, welche für ein lokales Blättchen arbeitet. Zum anderen die Schwester eines Selbstmörders, welcher vor seinem Tod in eben jener Gegend seltsame Tonaufzeichnungen in Höhlen und alten Mienen gemacht hat. Alles weitere zur Handlung wäre definitiv zu viel an Spoiler.


    Zuerst einmal habe ich festgestellt, dass Nevill mit dem Roman von seinem üblichen Schema abwich. Normalerweise stellt er den Leser direkt neben den einzigen Hauptprotagonisten in seinen Büchern. Hier sind es zwei Protagonisten, so dass die Kapitel meistens die Ansicht ändern. Auch gab es Kapitel aus dem Blickwinkel eines Antagonisten.


    Weiterhin wurde man nicht direkt in die Geschichte geworfen, sondern Nevill baut auf den ersten 50 Seiten sein Spielfeld auf. Gerade zu Beginn haben es mir die zeitlichen Sprünge tatsächlich schwer gemacht, in das Buch zu finden. Ab ca. Seite 150 entwickelte es sich jedoch zu einem Selbstläufer. Der Leser sitzt im Sattel und kann dem Ritt beiwohnen.


    Nevill schreibt wirklich großartig. Seine Romane sind keine schwere Kost, aber doch anspruchsvoller geschrieben als z. B. Laymons Sachen. Das macht Spaß und die Fabulierkunst gefällt mir. Allerdings hatte ich wohl deutlich zu hohe Erwartungen an das Buch. Gefühlt jagt eine positive Kritik die nächste, so dass ich hier seinen ultimativen Roman erwartet hatte. Diese Erwartung wurde leider nicht erfüllt. Sicherlich ist der Roman immer noch besser als der schwache "Lost Girl". Und auch besser als so manch anderer Roman, welchen ich in der letzten Zeit gelesen hatte. Allerdings habe ich deutlich mehr erwartet. Die Momente der Beklemmung und die Hintergründe zu dem Kult um das Red hätten m. E. noch eine Schippe mehr vertragen können.


    Fazit: Ein sehr gut geschriebener Roman, welcher meinen (zu hohen) Erwartungen leider nicht gänzlich gerecht wurde. Vielleicht reift er aber im Rückblick noch nach.

  • Diese Kontakte verlaufen nicht so positiv...

    Hrhrhr ... :|


    Oh klasse, ich war so gespannt! Das klingt erstmal ganz gut, und auch nach einem neuen Ansatz und frischem Stil. Verschiedene Erzähler in einer Erzählung finde ich meist sehr gut (falls die nicht alle gleich klingen).


    Mich interessiert ja am meisten, woher der Folklore-Aspekt kommt - wäre das ein Spoiler? Ich könnte mir aus deinen spannenden Andeutungen eine Reihe Kontexte vorstellen, aber nix Sicheres. Magst du dazu was schreiben (und wenn zu viel Spoiler, vllt. eine PN)? Vom Thema hängt nämlich ab, wie schnell und darüber zu welchem Preis ich das anschaffen würde ...

    • Offizieller Beitrag

    Nevill selbst geht im Nachwort etwas näher auf seine Inspiration ein. Er selbst ist ja vor einiger Zeit von London Richtung Torquay gezogen und hat die Landschaft da ziemlich erkundet. Bei FB hat er ja regelmäßig Fotos von seinen Touren gepostet. In Verbindung mit dem Buch sind diese natürlich doppelt interessant.


    Die Idee zum Buch kam ihm bei einer Führung durch einer Höhle, ähnlich derer in dem Roman. Auch hier gab es Hinterlassenschaften von Vorfahren etc. Auch die ganze abgelegene Gegend und Natur in dem Buch gibt es wirklich. Die Ortschaften jedoch nicht. Und das was er sich zurechtgesponnen hat, hat auch keinen folkloristischen Hintergrund in dem Sinne. Das hat er sich selbst zusammengesponnen.


    Der Roman hallt übrigens tatsächlich noch nach...

  • Bei FB hat er ja regelmäßig Fotos von seinen Touren gepostet. In Verbindung mit dem Buch sind diese natürlich doppelt interessant.


    Die Idee zum Buch kam ihm bei einer Führung durch einer Höhle, ähnlich derer in dem Roman. Auch hier gab es Hinterlassenschaften von Vorfahren etc. Auch die ganze abgelegene Gegend und Natur in dem Buch gibt es wirklich.

    Danke sehr, das klingt alles wirklich vielversprechend. Auf seiner FB-Seite bin ich grad ne Weile hängengeblieben, wirklich tolle Photos (auch vom Wasser aus, gekajakt, klasse!) und dann noch für jedes Bild eine kurze Beschreibung, super informativ, sowas ist leider selten auf FB.


    Irgendwie dachte ich an die Doggerlands, aber wenn er es lokal angeht, wäre er dafür an der falschen Küste. Ich hab mal kurz in die Prähistorie Torquays gelesen, da bietet sich sehr viel - der europaweit älteste Knochen eines physiologisch modernen Menschen wurde dort gefunden. Irgendwie dachte ich an rituellen roten Ocker aus der Steinzeit, damit mag ich aber falsch liegen. Und in Last Days kam bereits ein römischer Kult vor, das würde auch passen und da bin ich gespannt, ob er den Faden wieder aufnimmt oder was Neues, ganz Eigenes macht.


    Ja, die Bücher, die ich beim Lesen eher kritisch gesehen hatte, hinterließen auch bei mir einen positiven Nachhall. Dann kommt das Werk mal auf die Kaufliste.

    • Offizieller Beitrag

    Dann kommt das Werk mal auf die Kaufliste.

    Da machst du nix verkehrt, da du ja auch seine Schreibe magst.


    Ich finde seine FB Einträge auch wirklich immer toll. Scheint ein netter Kerl zu sein, der seinen Frieden gefunden hat.


    Ich war mal genau einen Tag in Torquay. Habe leider nur das Stadtzentrum gesehen, weils ein Zwischenstopp war. Würde dort aber definitiv nochmal hinwollen.

  • Ich hatte bisher ja wahrlich bereits meine Probleme mit Adam Nevills Bücher. Vor allem "Im tiefem Wald" fand ich nicht so knackig, weil es ein paar richtig steife und künstliche Figuren hatte. Aber The Reddening hat mich von Anfang an eingesogen, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass ich den Slow Burn in der ersten Hälfte, die Landschaftsbeschreibungen, die Vorstellung von den Tonaufnahmen und das langsame Hineinfinden der beiden Figuren in die Geeschichte (die beiden Damen waren über die ersten Kapitel für mich gar nicht so leicht zu unterscheiden), einfach nur genossen habe. Wenn die Handlung dann ab der Hälfte anfährt, verliert die Geschichte für mich leider ein bisschen was von der Atmosphäre, besitzt aber immer noch genug, um es zur guten Unterhaltung zu machen. Dann gab es einen Punkt im letzten Drittel, an dem ich befürchtete, dass es zu einer reinen "Monster Story" verkommen würde und den ganzen prähistorischen Mythos und die Folk-Teile zur reinen Kulisse machen würde. Da hat Nevill aber für michzum Schluss hin nochmal die Kurve bekommen. Wobei die erste Hälfte für mich definitv die bessere bleibt. Allerdings ist das Meckern auf hohem Niveau. Es war ein rundum solides, unterhaltsames Buch, und ich habe bereits Lost Girl bestellt, auf das ich mich dann schon freue.