The Crimson Petal and the White (BBC Miniserie, 2011)



  • The Crimson Petal and the White / Das karmesinrote Blütenblatt

    4 Episoden mit insg. 174 Min. UK, 2011

    Regie: Marc Munden

    Drehbuch: Lucinda Coxon, nach demgleichnamigen Roman von Michael Faber (dessen Titel auf das Gedicht „Now Sleeps the Crimson Petal“ von Lord Alfred Tennyson anspielt).

    Hauptrollen: Romola Garai, Chris O'Dowd und Amanda Hale, in Nebenrollen Gillian Anderson und Mark Gatiss.

    Soundtrack: Cristobal Tapia de Veer

    Verschiedene Drehorte aus der Viktorianischen Zeit, u.a. Chatham Dockyard (Kent), Eastgate House (Rochester), und Canning Street (Liverpool).


    Intro / Erste Szene mit Soundtrack


    Diese Serie macht alles richtig, wo The War of the Worlds versagt: Sie handelt von modernen Beziehungskonzepten und starken Frauen, von deren – scheiternden und erfolgreichen – Emanzipationsbestrebungen in der Zeit des Viktorianismus (1870er).


    Der Roman, den ich wegen seines grauenhaft langweiligen, umständlichen Stils nicht empfehlen kann, ist streng realistisch; und das ist der Plot in dieser Miniserie auch. Sie wirkt trotzdem wie Magischer Realismus: es werden zwar keine phantastischen, aber so derart dominante Steampunk-Elemente verwendet, dass es auch nicht wie reine Historie aussieht. Dies ist am offensichtlichsten bei Kostümen und Musik, eröffnet aber auch künstlerische Freiheiten bei den Figuren und ihren ungewöhnlichen Charakteren bzw. Lebensentwürfen. Die Postmoderne und die Historie fallen bei der gesamten Konzeption zusammen, unterstützen sich gegenseitig sehr harmonisch; die Serie wirkt phasenweise wie Parallel History. Damit wird eine suspension of disbelief etabliert, bei der man sich einfach nicht mehr fragt, ob ein sozialpolitisches Märchen oder realistische Biographien gezeigt werden.


    Die Serie spielt mit typischen Motiven der Gothic Novel: Wahnsinn / Madhouse, Liebeskonzepte & Lebensentwürfe entgegen gesellschaftlicher Konventionen bzw. der eigene Haushalt als Gefängnis, die 'unheimliche' Gouvernante (hier positiv). Ausgesprochene Empfehlung an alle, denen die Brontës zu romantisch und Jane Austen zu belehrend ist.



    Plot:

    Sugar ist eine sehr freigeistige unabhängige Frau, die als Prostituierte arbeitet und aus ihrer gesellschaftlichen Ohnmacht heraus einen Roman schreibt (Rachepornographie um ihre Klienten). Ein wohlhabender, einflussreicher Geschäftsmann, William Rackham, ist von ihrem Intellekt, Stolz und Geschäftssinn fasziniert und beginnt mit ihr eine Beziehung. Rackhams Ehefrau Agnes verfällt zur gleichen Zeit immer mehr ihrem religiösen Wahn, der sich um Körperfeindlichkeit und Erlösungssehnsucht dreht. Agnes hat ihre kleine Tochter verstoßen, weil sie nicht an das Thema ‚Geburt‘ erinnert werden will. Rackham, der inzwischen Sugar auch vor geschäftlichen Entscheidungen konsultiert, sieht darin eine Chance, sie enger in sein Leben einzubinden (und ihr eine verträglichere Einkommenquelle zu schaffen), und stellt sie als Kindermädchen an. Agnes – die von der Affäre ihres Mannes nichts ahnt – sieht in Sugar einen leibhaftigen Engel, der sie ins Paradies führen wird. Das Ganze endet in einem Disaster: Rackham verkalkuliert sich bei Geschäften, Agnes wird in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, aber Sugar setzt sich nach einem dramatischen Twist – ganz selbstverständlich – mit Agnes‘ kleiner Tochter in ein neues, selbstbestimmtes Leben ab.


    Schlußbild:


    Von der Serie war ich außerordentlich fasziniert (vom ersten Teil in den surrealistisch-alternativ anmutenden Slums noch mehr als von dem Gouvernanten-Plot). Romola Garai, die ich bereits u.a. aus dem ebenfalls dezent surrealistischen Drama Glorious 39 kannte, ist wohl eine der unterschätztesten Schauspielerinnen der Gegenwart. Auch Gillian Anderson als Bordellchefin (und Sugars Mutter) verkörpert ihre harsche, skurrile und dennoch empathische Figur grandios. Ich bin kein Fan von Amanda Hale, weil ich mich nicht an ihre verkniffene Mimik gewöhnen kann, allerdings passt sie perfekt in die Rolle der religiösen Leidenden (die sie in der grandiosen Serie Wolf Hall bis ins Detail wiederholt). O'Dowd wird – trotz der sozialen Macht seiner Figur – in den Hintergrund gespielt.


    Auf amazon.de gibt es die Serie unter dem deutschen Titel als VoD synchronisiert oder auf DVD wahlweise auch im OV mit Dt UT (was ich wegen der Schönheit der Sprache dringend anraten würde).