Álvaro do Carvalhal: Die Kannibalen

  • Auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken bin ich in einer Buchhandlung, die ich eher nicht mit Phantastik und Horror in Verbindung bringe, auf ein kleines Büchlein gestoßen und habe es wohl eher wegen des Titels und nicht wegen des Covers in die Hand genommen. Der Klappentext war dann etwas verschroben, aber die Verweise auf Poe und Hoffmann haben mich dennoch überzeugt, das Buch auch mitzunehmen und sofort zu lesen. Es handelt sich um:


    Die Kannibalen

    Álvaro do Carvalhal

    Erstausgabe 1868

    Deutsche Erstausgabe

    Aus dem Portugiesischen ins Deutsche von Claudia Cuadra und Magnus Chrapkowski

    Arco Verlag 2020

    160 Seiten


    Der Klappentext:

    Zitat

    Margarida ist eine femme fatale, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt: »Der Mann, der sie zu seinem Unglück erblickt, will ihr Romeo sein.« Doch zum Leidwesen des ungestümen Don João gehört ihr Herz nur dem Vicomte von Aveleda, der »perfekten Verwirklichung eines idealen und geheimnisumwobenen Typen, wie Byron sie erschuf …« In Carvalhals Erzählungen verbindet sich das Erbe der phantastischen Romantik von Poe und E. T. A. Hoffmann mit der metaliterarisch-philoso- phischen Erzählkunst in der Nachfolge von Voltaire, Diderot und Jean Paul.

    In Die Kannibalen (1868) montiert Carvahal Motive der kitschigen Feuilletonprosa – tränenreiche Liebschaften, blutige Tragödien und Szenen im Mondschein – auf einen phantastischen Stoff wie in einer surrealistischen Collage: »Meine Erzählung liebt das blaue Blut; sie betet die Aristokratie an. Und der Leser wird mit mir durch die hohe Gesellschaft pilgern; ich werde ihn auf einen oder zwei Balle führen und sein Interesse an Mysterien, Liebeshandeln und Eifersuchtsdramen wecken, wie sie sich in Sensationsromanen ansammeln.« Mit unverwechselbarem ironisch-sarkastischen Stil und komplexen narrativen Strategien geht Carvalhal dabei der hochmodernen Frage nach: Was ist Wahrheit, und was wahre Liebe im Zeitalter des Kapitalismus?

    Alvaro do Carvalhal wurde in der Literaturgeschichte lange als »abstrus« und »krank« marginalisiert. Die Kannibalen wurde erst 1988 durch die gleichnamige Film-Oper Os Canibais des legendären Regisseurs Manoel de Oliveira schlagartig berühmt und leitete Carvalhals Wiederentdeckung ein.


    Die Novelle selbst umfasst nur etwa die Hälfte des kleinen Buches. Sie mag für die portugiesische Phantastik von einiger Bedeutung sein, ansonsten ist sie aber eher eine Randnotiz der europäischen Literatur. Allerdings eine, in der wie auch in vielen Genregrößen das Motiv des künstlichen Menschens verhandelt - in diesem Fall eine belegbte Statue - und in den Zusammenhang mit Liebe und Eifersucht, Begehren und Furcht gestellt wird. Wer dafür ein Faible hat und zum Beispiel auch an Elinor Wylies "Ein Neffe aus venezianischem Glas" (Blitz-Verlag) gefallen gefunden hat, wird durchaus Freude an dem Text haben.


    Die andere Hälfte beinhaltet einen mustergültigen Anhang samt Anmerkungsappaarat, umfangreichem Nachwort, bibliographischen Angaben etc. Insbesondere das Nachwort von Gerhard Wild macht den äußerlich leider nicht ansprechenden Band zu einer wahren Goldgrube. Wild geht nicht nur auf das Leben des Autors ein, sondern sehr umfassend auch auf literarische Strömungen in Portugal, den Einfluss der europäischen und amerikanischen Literatur (Poe) und die vorbehalte gegenüber phantastischen Elementen in der portugiesischen Romantik. Das Nachwort liest sich hochspannend und hat mir einmal mehr vor Augen geführt, wie stark wir verschiedene Nationalliteraturen präferieren, wie wenig wie (ich!) aber von anderen wissen. Wirklich ein Buch für diejenigen Liebhaber klassischer Phantastik, dich sich auch für Fragen interessieren, die über das einzelne Werk hinausgehen.

  • Im Nachwort fidnen sich eine ganze Reihe von Verweisen auf andere Autor_innen und deren Werke. Eine schnelle Suche hat aber nichts ergiebiges gebracht. Das Buch liegte aber noch immer in greifbarer Nähe und ich habe vor, nochmal systematischer zu suchen.