Adam Nevill: No One Gets Out Alive
Pan Books / Macmillan, 2014. 628 Seiten
Ich wollte eigentlich beginnen mit „offensichtlich war dies das Warmschreiben für Last Days“, stelle aber gerade erstaunt fest, dass das Buch später geschrieben wurde. So ist es vielleicht, dass Nevill meinte, er habe noch nicht alles zu dem Thema erzählt; oder No One … existierte vor Last Days als Entwurf.
Das Buch ist schwierig zu beschreiben. Nevill behandelt eine Reihe sehr verschiedener Themen, und die Protagonistin macht einige Persönlichkeitsentwicklungen durch.
Positiv:
- Es ist durchaus – teils sehr – gruselig, und verliert keine Zeit: das erste paranormale Ereignis findet bereits am Ende der ersten Seite statt, und zieht sich durch bis zur vorletzten.
- Die einzelnen Themen und Settings sind interessant und bieten gutes Material
- Nevill spielt seine Stärken voll aus: Angstzustände, Dunkelheit, Haunted Houses, merkwürdige Erscheinungen, Klaustrophobie, Raumbeschreibungen, alles sehr haptisch/alle Sinne ansprechend.
- Die Geschichte ist relativ komplex, anstatt einfach von A nach B zu gelangen.
- Das Ende liegt angenehm zwischen Happy End und nicht-zu-süßlich
- Wie Last Days konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen, bis ich fertig war, habe aber im letzten Viertel diesmal ein paar Seiten im Quickread gelesen.
(Eher) negativ:
- Die Sprache ist nicht ganz so schön wie in Days; wirkt etwas unfokussiert, nachlässiger.
- Das Buch ist zu lang, und wiederholt gen Ende zu viele der Geistererscheinungen/ Handlungsfäden/ Angstzustände. Eines der Themen und die Hälfte der Seitenzahlen hätte für mich eine perfekte Ratio ergeben.
- An vielen Stellen gelingt keine suspension of disbelief, v.a. bei den immer neuen Gründen, warum das Mädchen das Haus nicht verlässt; und bei ihren Emotionen Gefahr/Mord gegenüber. Teils fand ich die nicht komplex, sondern unnachvollziehbar (bes. wenn sie trotzig wird).
- Die Storyline um die paranormalen Ereignisse und ihr Hintergrund (Römerzeit? Also bitte!) ist mir zu viel konstruiertes Patchwork und macht für mich als „Geisterlogik“ nicht wirklich Sinn.
- Auch hier ist das Ende wieder ein Tick zu überdreht, obwohl Nevill – anders als in Days – beim Showdown glücklicherweise wieder einen Gang runterschaltet.
- die beiden menschlichen Antagonisten waren mir viel zu freakig, und der Sprachfehler des einen (sein Lispeln macht aus dem TH ein F) ging mir echt auf den Wecker.
Fazit:
Je nach Abschnitt im Buch 6 oder 8 von 10 Punkten.
Verglichen mit dem Gros der Horrorliteratur ist dies aber Meckern auf sehr hohem Niveau; und wäre es eine Wertung rein unter moderner Horrorliteratur, gäbe es 8,5 von 10.
Möglicherweise war es von Nachteil, dass ich mich mit zwei der drei Thematiken ziemlich gut auskenne, und diese erkannt habe, bevor ich Nevills Anmerkungen am Schluss las: Der Fall um Rose & Fred West, und Sexual Slavery / Menschenhandel aus Osteuropa.
Von ersterem wurden für meinen Geschmack zu viele Details 1:1 übernommen (die Tape-Maske, die Leichen); zum zweiten dachte ich nur: ‚In so einer Lage sind ein paar rachsüchtige Zombiegeister wirklich dein allergeringstes Problem!‘. Ich hatte mal auf einem meiner Filmfestivals Mimi Chakarovas brillante Dokumentation The Price of Sex gezeigt (Multimedia / Homepage ), und obwohl ich einiges zum Thema wusste und auch auf Real Gore Sites für eigene Geschichten recherchiere, war der Film so albtraumhaft und so schockierend, dass er mir nach sieben Jahren immer noch in den Knochen steckt. Dieses Thema derart vorherrschend in einer Geistergeschichte zu lesen, hat für mich als „Schreckensbalance“ nicht gut funktioniert. Das mag aber ein ungünstiger Zufall sein.
Trotz allem Genöle hat mir das Buch insgesamt gefallen, und Nevill bleibt in meiner Horror Top 3. Ich freue mich schon riesig auf Under A Watchful Eye, das schon neben meinem Sessel liegt.