Jeanette Winterson: „Frankisstein“

  • Seit 200 Jahren treibt das Monster von Forscher Frankenstein in der Literatur sein Unwesen. Jeanette Winterson spielt mit der Entstehungsgeschichte des Originals und lässt dessen Personal in einem Zeitalter der künstlichen Intelligenz wiedergehen.

    In der Literatur begegnet man neuerdings immer öfter futuristischen Phantasien über künstliche Menschen oder über die Abschaffung des Todes. Don DeLillo etwa malte sich die kryonische Konservierung von Menschen aus ("Null K.“, 2016), und Ian McEwan erfand einen täuschend menschenähnlichen Roboter ("Maschinen wie ich“, 2019).

    Nun hat die englische Autorin Jeanette Winterson in ihrem jüngsten Roman die vielfältigen heutigen Spekulationen über eine post-humane Zukunft dank Biotechnologie, Kryonik, Robotik und Künstlicher Intelligenz zu einem unterhaltsamen Roman-Capriccio gebündelt – und das Ganze an die Schwarze Romantik rückgekoppelt, an den Science-Fiction-Urtext: Mary Shelleys Schauerroman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ von 1818.


    https://www.deutschlandfunkkul…ml?dram:article_id=462670


    Klingt nicht uninteressant. Den hat nicht zufällig jemand gelesen?

  • Endlich gelesen und schwer begeistert.


    Hinter dem etwas unglücklichen Namen "Frankissstein" (der mMn eher nach FanFiction eines Emo-/Goth-Kids klingt, das verzweifelt versucht das neue "Twilight" zu schreiben) verbirgt sich nämlich eine wirklich großartiger, tiefsinniger und auch äußerst aktueller Roman, der von Jeanette Winterson in zwei gelungenen Handlungs- bzw. Zeitsträngen erzählt wird.


    Auf der einen Ebene befasst sie sich mit dem Leben von Mary Shelley, konzentriert sich hierbei jedoch nur auf die wichtigsten Ereignisse (besonders auf die Entstehung ihres weltberühmten Romans) - Und auch wenn ich schon zwei Shelley-Biographien gelesen und die mittelmäßige Verfilmung gesehen habe, habe ich mich hier zu keiner Sekunde gelangweilt. Das liegt zum einen daran, dass Mary Shelley einfach eine extrem beeindruckende und interessante Frau war, zum anderen aber auch an der bemerkenswert schönen und poetischen Sprache von Jeanette Winterson.

    Marys Zeit am Genfer See, die sie zusammen mit Percy Shelley, Claire Clairmont, Lord Byron & John Polidori verbrachte, wurde sicher schon unzählige Male geschildert - So schön wie hier jedoch selten.


    Wie weit Mary ihrer Zeit voraus war, wird auch im zweiten Handlungsstrang des Romans deutlich, der in einer nicht näher datierten Zukunft (kurz nach dem Brexit) spielt und in der vieles was Mary nur hoffen oder befürchten konnte, schon längst zur Realität geworden ist.

    Winterson lässt hier erneut die wichtigsten Figuren aus dem Leben der Frankenstein-Autorin auftreten, verpasst ihnen jedoch ein interessantes Update: Aus Mary Shelley wird der Trans-Mann Ry Shelley, aus Lord Byron ein einfältiger und misogyner Erfinder von Sexbots namens Ron Lord, aus Polidori Polly D - Eine feministische Reporterin der Vanity Fair usw.


    Man sollte jedoch wissen, dass es sich bei "Frankissstein" eher um einen Thesenroman handelt, in dem überwiegend über Feminismus, Transhumanismus, Transsexualität, überhohlte Geschlechterrollen, Künstliche Intelligenz, Kryonik, (und am Rande auch über Faschismus und den Brexit) philosophiert wird. Eine außerordentlich wendungsreiche Handlung oder gar ein großes, grünes Monster sollte man beim lesen also nicht erwarten. Wer sich jedoch für angesprochene Themen interessiert, kriegt mit "Frankissstein" ein äußerst lesenswertes Buch geliefert, das definitiv zum nachdenken anregt.


    PS: Im Thread-Titel fehlt übrigens ein "s".

  • Das kann ich gar nicht so genau greifen. Ich glaube, es lag an der Art, wie eine "höchst originelle[] Geschichte" versprochen wurde. Was für nicht Genre-Autoren und -Verlagen als höchst "originell" wahrgenommen wird, ist in der Genre-Literatur selbst oft schon ein alter Hut. Zumindest war das zuletzt mein Eindruck.

  • Sorry, für die späte Antwort, Felix. Hatte deinen Post irgendwie übersehen, finde deine Überlegungen aber ziemlich interessant.

    Das kann ich gar nicht so genau greifen. Ich glaube, es lag an der Art, wie eine "höchst originelle[] Geschichte" versprochen wurde. Was für nicht Genre-Autoren und -Verlagen als höchst "originell" wahrgenommen wird, ist in der Genre-Literatur selbst oft schon ein alter Hut. Zumindest war das zuletzt mein Eindruck.

    Den Eindruck kann ich bestätigen.

    Ist mir kürzlich u.a. erst wieder bei "Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten" von Emma Braslavsky aufgefallen. Das Feuilleton ist ausgerastet, dabei verarbeitet die Autorin dort überwiegend Ideen über die bspw. Asimov schon vor 70 Jahren geschrieben hat.

    Interessant fand ich auch, wie krampfhaft die Kritiker bei ihren Besprechungen das Wort "Science Fiction" vermieden haben - Weil das ist ja "pfui". Ich habe da oft das Gefühl dass sie Genre generell nur gut finden (dürfen), wenn es ihnen als "trojanisches Pferd" untergeschoben wird - Ob es dann auch noch innovativ ist, spielt schon keine große Rolle mehr.


    Auf "Frankissstein" trifft dein Eindruck mMn jedoch in keinster Weise zu. Dazu greift der Roman zu viele aktuelle Themen und Entwicklungen auf und spielt zudem noch mit ein paar (zwar nicht ganz neuen) metatextuellen Ideen, die aber gerade im Zusammenhang mit der Frankenstein-Geschichte, tatsächlich wieder originell und clever waren.

    Aber wie gesagt, ich bin auch großer Mary Shelley-Fan.

  • Gestern im Otherland gekauft und gleich angefangen. Hach ja, ich mag den Stoff und ich mag Jeanette Wintersons Stil. Hab gleich beschlossen, meine aktuelle Langweilerlektüre abzubrechen, weil ich viel mehr Bock auf diesen Roman habe.

  • Bin jetzt durch und verfasse bei Zeit dann auch eine Rezi. Letztlich bleibt wenig mehr zu berichten, als der Goblin schon tat.


    Ein sehr moderner, sehr gegenwärtiger Roman. Die Verschlingung der beiden Zeitebenen ist mehr als faszinierend. Immer wieder wird man gezwungen, sich mit dem Erschaffen von Leben/Intelligenz unter ganz neuen Gesichtspunkten zu beschäftigen. Klar sind davon etliche bereits gedacht, aber nicht alles war mir so bewusst. Etwa die Zeitspanne nach dem Organversagen beim Sterben, in der das Gehirn noch zu Denken in der Lage ist.

    Oder was es bedeutet, sich seinen eigenen Körper zu schaffen.

    Die Mary-Ebene war sehr emotional. Einiges drehte sich um die Frau, die das Monster erschuf, das das Monster erschuf.


    Einige lustige Szenen drehten sich um einen Sexbot-Verkäufer, der quasi die Rolle von Byron einnimmt. Das Thema Liebe zu Androiden beackert Winterson ja nicht zum ersten Mal. Winterson ist keine Phantastik-Debütantin.