Der gewöhnliche Schrecken - Hrsg. Peter Handke

  • Aus aktuellem Anlass darf ich hier eine besonders ungewöhnliche Anthologie von Horrorstories vorstellen:

    Vor genau 50 Jahren (1969) erschien im Residenz-Verlag das Buch "Der gewöhnliche Schrecken", herausgegeben - für die meisten vermutlich überraschend von einem gewissen Peter Handke, der ja erst gestern mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde!. Die Anthologie versammelt das "Who is who" der damaligen österreichischen Literaturszene, von Thomas Bernhard über H.C. Artmann bis zur zweiten späteren österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Das Buch wurde später auch in der Reihe dtv-phantastica als Taschenbuch neu aufgelegt und sollte antiquarisch auch noch erhältlich sein.


    Sehr spannend, dass sich hier vom literarischen Feuilleton hochgelobte "Mainstream"-Autoren in die Gefilde der vielgeschmähten Phantastik vorwagen (auch wenn Artmann ja durchaus als Lovecraft-Übersetzer bekannt ist …).

    Interessant auch deshalb, weil dieses Beispiel zeigt, dass Horror anscheinend durchaus literarischen Anspruch haben kann und umgekehrt Texte von "denen im Elfenbeinturm" durchaus spannend und unterhaltsam sein können. Und das bestätigt mich in dem Anliegen, dass wir mit unserer Reihe UNTOTE KLASSIKER verfolgen, dem Genre wieder mehr künstlerische Wertschätzung zu verschaffen …



  • Danke für den Hinweis, sehr interessant. Bei den AutorInnen kommen mir aber doch Zweifel. Artmann und Jelinek, nun gut - aber Wohmann? Handke? Jandl? Ich kann mir gar nicht recht vorstellen, von denen etwas wahrhaft Phantastisches zu lesen. Wie würdest du die enthaltenen Geschichten beschreiben und bewerten?

  • Hallo Nils,


    danke auch für die Nachfrage - ich war selber recht erstaunt, wer da aller in dem Band vertreten ist, als ich das Buch gestern im Archiv gefunden habe … ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr dran erinnern.


    Hab dann allerdings reingelesen, und würde z.B. die Geschichte von Handke selbst als New Weird pur qualifizieren - gar nicht mal so anspruchsvoll im Sprachstil, aber durchaus beunruhigend (im positiven Sinn!) vom Inhalt her. Andere Texte sind deutlich experimenteller, z.B. von Scharang oder Meyröcker oder (typisch) Jandl, wo es mehr um den Sprachduktus als um den phantastischen Inhalt zu gehen scheint.

    Generell wohl für das breite Publikum deutlich zu sperrig, würde ich sagen.


    Nichtsdestotrotz ein (für mich) interessanter Fund im Zusammenhang mit der Diskussion über die literarische Qualität von Phantastik … wenn sogar Literatur-Nobelpreisträger in dem Genre unterwegs sind ---

  • Hab dann allerdings reingelesen, und würde z.B. die Geschichte von Handke selbst als New Weird pur qualifizieren - gar nicht mal so anspruchsvoll im Sprachstil, aber durchaus beunruhigend (im positiven Sinn!) vom Inhalt her.

    Tatsächlich? Ich denke, ich werde mir das Buch zulegen.

    Andere Texte sind deutlich experimenteller, z.B. von Scharang oder Meyröcker oder (typisch) Jandl, wo es mehr um den Sprachduktus als um den phantastischen Inhalt zu gehen scheint.

    Ja, genau das wäre meine Vermutung gewesen. Ich kenne bspw. auch Hörspiele von Jandl, die im Radio einschlägig angekündigt werden, wo es dann aber doch "nur" um Realitätsaufbruch durch experimentelle Sprache geht - und das reizt mich meistens eher nicht.

  • Jo Piccol Schöner Beitrag!


    Wie würdest du die enthaltenen Geschichten beschreiben und bewerten?

    Es handelt sich um Genreexperimente genrefremder Autoren, die mal mehr, mal weniger gut gelungen sind. Keine typischen Horrorgeschichten. Klassische Schreckgestalten finden sich nur in zwei Beiträgen. Und auch da natürlich ungewöhnlich aufbereitet. Der Titel ist also durchaus programmatisch zu verstehen. Es geht eigentich um die Schrecken des Alltags, wie sie auch im gegenwärtigen Mainstream etwa von Randfiguren wie Clemens J. Setz behandelt werden.

    Das Buch sollte antiquarisch wirklich leicht und günstig erhältlich sein. Neben der Erstveröffentlichung beim Residenzverlag gibt es nämlich auch ein Hardcover einer Buchgemeinschaft und Taschenbuchausgaben bei dtv. Einmal in der normalen und einmal in der schwarzen Reihe "dtv Phantastica".



    Hab dann allerdings reingelesen, und würde z.B. die Geschichte von Handke selbst als New Weird pur qualifizieren - gar nicht mal so anspruchsvoll im Sprachstil, aber durchaus beunruhigend (im positiven Sinn!) vom Inhalt her.


    Handke habe ich anders in Erinnerung. Aber Martin Amanshausers "Entlarvung der flüchtig skizzierten Herren" hätte erstaunlich gut in die Anthologie "Next Weird" gepasst.