Thea von Harbou - Metropolis

  • Will gar nicht an die in der Schweiz lebende Lesbe erinnern, die Kinder aus fremden Ländern adoptiert und gleichzeitig was von Remigration schwafelt.

    Oder an Hunderte ukrainischer Kinder, die nach Russland verschleppt wurden? Für ...? Im Phantastik-Kontext hierzu kann man schauen, was Lukianenko dazu sagt. (Oder lieber nicht ...)


    Ich finde es wirklich extrem spannend, weil ich Metropolis - christlicher Schwulst hin oder her - nicht in die Nazirichtung eingeordnet kriege. Beim besten Willen nicht, und das ist unabhängig von dem, was die Autorin damit sagen wollte (siehe Belyy tigr).

  • Zitat

    Also was hat Thea von Harbou 1925, als das Buch erschienen ist, sich dabei gedacht?

    ... wenn sie im vierten Kapitel schreibt:


    "Es gab ein Haus in der großen Metropolis, das war älter als die Stadt. Viele sagten, daß es älter sei als selbst der Dom, und bevor der Erzengel Michael noch seine Stimme als Rufer im Streite für Gott erhob, stand das Haus in seiner bösen Düsterkeit und trotzte den Dom aus trüben Augen an (...).


    Ins schwarze Holz der Tür eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomonis [- die alte Bezeichnung für den Davidstern], das Pentagramm.


    Es hieß, ein Magier, der aus dem Morgenlande gekommen war (in den Spuren seiner roten Schuhe wanderte die Pest ['Die Zeit bis 1349 war bereits von Spannungen zwischen Juden und Christen geprägt. Der schon im Vorfeld häufige Vorwurf der Brunnenvergiftung kam nun verstärkt auf. Den Juden wurde vorgeworfen, so die Pest ausgelöst zu haben.'], habe das Haus in sieben Nächten gebaut. (...) Eines Tages fiel es den Bürgern befremdlich auf, daß die roten Schuhe des Magiers so lange schon das abscheuliche Pflaster der Stadt gemieden hatten. Man drang in das Haus ein und fand keine lebende Seele darin. Doch schienen die Räume (...) in Schlaf versenkt auf ihren Meister zu warten.


    Da kam eines Tages ein Mann von fernher in die Stadt, (...)


    Der Mann hieß Rotwang [- das klingt wie Goldstein oder Rothschild und ist mit Sicherheit auch so gemeint] (...) Wenn Rotwang, was selten geschah, das Haus verließ und über die Straße ging, so gab es viele, die heimlicherweise nach seinen Füßen sahen, ob er vielleicht in roten Schuhen schritt."


    Die Handlung von "Metropolis" ist so einfach wie wirkungsvoll. Sie erzählt von einer futuristischen Stadt, in der Arbeiter und Kapitalisten durch eine zum Moloch gewordene Maschinenwelt getrennt werden. Die Zustände ändern sich, als der Sohn des Beherrschers der Stadt sich in Maria, die Fürsprecherin der Armen, verliebt und sein Vater versucht, dieses Verhältnis zu unterbinden. Dabei will er sich der Unterstützung des für Technik wie Magie zuständigen Erfinders Rotwang (dubioser Außenseiter, Wissenschaftler und Alchimist und vermutlich Jude) bedienen. Dieser jedoch verfolgt, indem er die sanfte Maria gegen eine intrigante Maschinenfrau (Verführerin und Aufwieglerin) austauscht, seine eigenen Pläne. Sie führen zu einem sozialen Aufruhr (parallelen zur Novemberrevolution 1919?), der die Stadt fast vollständig überschwemmt und die Kinder der Unterstadt bedroht. (Verweis auf die Ritualmordlegende, die besagt, dass Juden kleine Kinder töten und deren Blut trinken?) Über diese Katastrophe hinweg finden die sozialen Klassen am Ende gleich doppelt zueinander: Maria (charismatische Anführerin, Vermittlerin und Prophetin) und Freder (zweifelnder Kapitalistensohn und heilender Führer) blicken in eine gemeinsame Zukunft und Joh (patriarchialischer Kapitalist und Herrscher der Stadt) besiegelt mit Grot (linientreuer und obrigkeitshöriger Arbeitervertreter) per Handschlag die kommende Volksgemeinschaft. Die Gemeinschaft befreit sich letztlich von dem unheilvollen jüdischen (?) Einfluss, indem sie die unheilbringende Doppelgängerin verbrennt und Rotwang, deren Konstrukteur, von Freder getötet wird.


    Der Film und das Buch stellen meiner Ansicht nach - aber nicht nur, wie Mammut bereits richtig anmerkte -, die politische Realität ab 1933 dar.


    "'Metropolis' ist nicht ein Film. 'Metropolis' sind zwei Filme, am Bauch aneinandergeklebt, aber mit unterschiedlichen, extrem antagonistischen Ansprüchen. Wer den Film als diskreten Geschichtenerzähler betrachtet, erlebt bei 'Metropolis' eine herbe Enttäuschung. (...) Aber wenn man sich (...) auf den plastischen Hintergrund konzentriert, dann übertrifft 'Metropolis' alle Erwartungen, erstaunt einen wie das wunderbarste Bilderbuch, das je geschaffen wurde." (Luis Buñuel)


    Ich sehe das auch so, dass die eigentlich belanglose Geschichte erst durch den Film, durch Fritz Langs tiefsinnige und mythenschwere Bilder ihre eigentliche Bedeutung erlangt.


    Ich möchte und kann nicht mehr zu diesem Thema schreiben, da es zum einen in diesem Beitrag um das Buch geht, und ich zum anderen nicht das notwendige Fachwissen für weitere detaillierte Zusammenhänge habe.

  • Es hieß, ein Magier, der aus dem Morgenlande gekommen war (in den Spuren seiner roten Schuhe wanderte die Pest ['Die Zeit bis 1349 war bereits von Spannungen zwischen Juden und Christen geprägt. Der schon im Vorfeld häufige Vorwurf der Brunnenvergiftung kam nun verstärkt auf. Den Juden wurde vorgeworfen, so die Pest ausgelöst zu haben.'], habe das Haus in sieben Nächten gebaut. (...) Eines Tages fiel es den Bürgern befremdlich auf, daß die roten Schuhe des Magiers so lange schon das abscheuliche Pflaster der Stadt gemieden hatten. Man drang in das Haus ein und fand keine lebende Seele darin. Doch schienen die Räume (...) in Schlaf versenkt auf ihren Meister zu warten.

    Über die roten Schuhe bin ich auch gestolpert, ohne zu wissen, wie ich die einordnen sollte. Danke für die Erläuterung und generell für deine Ausführungen.


    Die obige Stelle findet sich hier:

    Metropolis


    Zitat:

    In alle Türen eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomorüs, das Pentagramm.


    Dann kam eine Zeit, die Altes niederriß. Da wurde der Spruch gefällt: Das Haus muß sterben! Aber das Haus war stärker als der Spruch wie es stärker war als die Jahrhunderte. Es erschlug die Menschen, die Hand an seine Mauern legten, mit jählings niederbrechenden Steinen. Es öffnete den Boden unter ihren Füßen und riß sie in einen Schacht hinunter, von dem kein Mensch zuvor ein Wissen gehabt hatte. Es war, als hocke die Pest, die einst den roten Schuhen des Magiers nachgewandert war, noch in den Winkeln des schmalen Hauses und spränge den Menschen von rückwärts ins Genick. Sie starben, und kein Arzt erkannte die Krankheit. Es wehrte sich das Haus so hart und mit so großer Gewalt gegen seine Zerstörung, daß der Ruf seiner Bosheit über die Grenzen der Stadt weit ins Land hinaus ging und sich zuletzt kein redlicher Mann mehr fand, der es gewagt hätte, den Kampf mit ihm aufzunehmen. Ja, selbst die Diebe und Schelme, denen man Erlaß der Strafe versprach, falls sie sich bereit erklärten, das Haus des Magiers niederzureißen, wollten lieber an den Pranger oder selbst auf die Richtstätte hinaus, als in die Gewalt dieser hämischen Mauern, dieser klinkenlosen Türen, die mit dem Siegel Salomonis versiegelt waren.

    Die kleine Stadt um den Dom wurde zur großen Stadt und wuchs zur Metropolis und zum Zentrum der Welt.

    Da kam eines Tages ein Mann von fernher in die Stadt, der sah das Haus und sagte: »Das will ich haben.«

    Man weihte ihn in die Geschichte des Hauses ein. Er lächelte nicht. Er bestand auf seinem Vorsatz. Er kaufte das Haus um sehr geringen Preis, bezog es sogleich und ließ es unverändert.

    Der Mann hieß Rotwang. Wenige kannten ihn. Nur Joh Fredersen kannte den Mann sehr gut. Er hätte sich leichter entschlossen, den Kampf um den Dom mit der Sekte der Gotiker auszufechten, als mit Rotwang den Kampf um das Haus des Magiers.

    Es gab in Metropolis, in dieser Stadt sinnvoller und geregelter Eile, sehr viele Menschen, die lieber einen weiten Umweg machten als daß sie am Hause Rotwangs vorübergingen. Es reichte den Häuserriesen, die neben ihm lagen, bis kaum zu den Knien. Es stand schiefab von der Straße. Es war für die reine Stadt, die nicht Rauch noch Ruß mehr kannte, ein Fleck und ein Ärgernis. Aber es blieb bestehen. Wenn Rotwang, was selten geschah das Haus verließ und über die Straße ging, so gab es viele, die heimlicherweise nach seinen Füßen sahen, ob er vielleicht in roten Schuhen schritt.

  • Über die roten Schuhe bin ich auch gestolpert, ohne zu wissen, wie ich die einordnen sollte.

    Obwohl die Farbe der Prostituierten im Mittelalter (zumindest der städtischen, z.B. in Köln) gelb war, gilt Rot und bes. rote Schuhe als Zeichen der Wollust, Auflehnung und Sünde.


    Hans Christian Andersen schrieb 1862 das Märchen "Die roten Schuhe", nach dem später auch das weltberühmte Ballett und danach 1948 in UK der Film entstand. Das war meine Assoziation, und ich denke, in Metropolis ist eine kürzere Erwähnung als die rauszitierten Passagen, dass die Farbe vom Gehen durch Blut kommt (allerdings nicht das von Kindern). Bei Andersen sind die Schuhe - die ein magisches Eigenleben haben - auch dezidiert antikirchlich, rebellisch und in letzter Kosequenz aber auch destruktiv. Den Dorfbewohnern fallen sie unangenehm auf, sie schauen, ob die Prota sie trägt oder nicht.


    Selbstverständlich sind auch Dorothys Hexenschuhe im Zauberer von Oz rot (in meinem alten Buch genauso wie im Film). Das ist letztlich die einzig mögliche Farbe für Zauberschuhe und Rotwang wird damit zum Grenzgänger, Widerständigem und aber auch in der modernen Stadt bereits anachronistisch. Ebenso verliert das Haus ja seine Macht und ist eben nur noch ein etwas gruseliges, abandoned Magierhaus - aber es kann keinen mehr in seinen Wänden festhalten und es tötet keinen mehr, der es angreift. Ich sehe die beiden - Zauberer und Haus - in Symbiose. Die traditionelle Magie wird abgelöst durch Kybernetik und Rotwang gelingt zumindest in Ansätzen damit eine Transformation: der Schritt in die Moderne.

    Dem Haus gelingt es nicht, es verliert nach dem ersten, errfolgreichen Aufbegehren gegenüber dem Automaten in sich (Futura) wie auch gegenüber den am Ende wildgewordenen / entfesselten Hochhäusern an Relevanz.


    Grot (linientreuer und obrigkeitshöriger Arbeitervertreter)

    Grot ist eigentlich ein Außenseiter, genau wie Rotwang. Ich sehe die beiden als Gespiegelte / Gegengleiche. Grot tillt ja vollkommen aus, weil Futura ihm die Herzmaschine ermordet hat. Durch die Verwechslung will er daher Maria töten. Ich hatte nicht so arg den Eindruck, dass er am Ende über seinen Verlust hinweggekommen und bereit zur Versöhnung ist. Grot ist seiner Maschine / seinen Maschinen viel mehr verpflichtet als seinem Chef, in dessen Nähe er sich nie aufhält.


    Grot hat die lebenden Maschinen und Rotwang hat sein lebendes Haus und den Automaten, Futura, da sind sehr enge Verbindungen, obwohl die beiden nicht direkt miteinander agieren. Ich denke, Rotwang steht für die traditionelle Magie, die Symbole und Zaubersprüche benutzt, Futura ist der Bruch damit und der Schritt ins Jetzt / in die Zukunft. Und die gehört Grots Maschinen (die immer noch leben, aber ohne Magie, sondern durch Technik).


    Ins schwarze Holz der Tür eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomonis [- die alte Bezeichnung für den Davidstern], das Pentagramm.

    Das stimmt nicht so ganz. Der 'Davidstern' besteht aus zwei Dreiecken, nämlich eines für Wasser und eines für Feuer - er ist ein Hexagramm (griech. Präfix hexa = 6). Er steht in Zusammenhang mit Alchemie, Elementen und Sternkunde, eigentlich nicht so sehr mit Magie.


    Das Siegel Salomons ist der Name Gottes, ein sog. Tetragrammaton. Wie der erste Namensteil sagt, werden die Schriftzeichen in einem (1) Dreieck dargestellt, oder - ggfs. moderner - im Pentagramm, z.B. so. Das ist nötig durch die Anzahl der Silben.


    Die Türen des Hauses zeigen Pentagramme (griech. penta = 5), im Volksmund 'Drudenfuß'. Dieser ist auch im Film hinter Futura zu sehen.

    Pentagramme stehen im Kontext von Magie / Zauberei und werden verwendet zur Anrufung (Spitze nach oben) und zum Bannen (Spitze nach unten) von Dämonen, später auch Geistern. Sie sind oft Teil eines magischen Zirkels und müssen in einem Zug gezeichnet werden, wobei die Streiche sich am Ende genau schließen müssen, nicht offenstehen.

    Die Idee, dass ein Pentagramm mit der Spitze nach unten für Schwarze Magie steht (wie im Metal) und das mit der Spitze nach oben für Weiße ist ziemlich konterintuitiv. Vllt. ist diese Sicht aber auch aus der georgianischen oder viktorianischen Epoche; nicht original.

    Das Pentagramm wird mit dem hermaphroditischen, hybriden Gott Baphomet verbunden (der Ziegenbock-Kopf mit Hörnern und Geißbart bezeichnet das Pentagramm mit der Spitze nach unten, die Flamme zwischen den Hörnern ist die unkörperliche, reine und perfekte, allumfassende Weisheit und Erkenntnis - dies durchaus in naturwissenschaftlichen bzw. philosophischen, nicht nur esoterischen Sinne. Selbstverständlich ist die Weisheit weiblich - zumindest bei Giger (traditionell ist es eine Fackel).


    [Magie, Dämonen, Geister, Götter existieren selbstverständlich nicht, ich schreibe es nur so, wie es traditionell verstanden wurde.]


    Klar, man kann sagen, Hexagramme und Pentagramme sind beides irgendwie Sternsymbole und Harbou hat eben doch den Davidstern gemeint. Der zu der Zeit Menschen noch nicht aufgezwungen wurde und wie gesagt eigentlich kaum Überschneidungen zum Pentagramm hat - warum sollte sie das kaschieren, wenn sie so nazi war?

    Ich denke, es geht beim Haus um Magie. Dadurch, dass die Pentagramme an den Türen sind = Anrufung / Öffnen und Bannen / (Ein)Schließen ist das auch eine ganz direkt / praktisch abzuleitende Symbolik. Und klar ist das Schwarze Haus (oh je, auch noch das) böse, aber es ist auch sehr cool und geheimnisvoll. Schon in den Gothic Tales sind die Bösewichter spannend, da muss man nicht auf Jean Rays Stochenhaus oder Malpertius warten.


    That said: Ich versuche hier nichts schönzureden, mir liegt weder daran, von Harbou zu dämonisieren noch von aller Schuld freizusprechen. Aber mit diesen Fragezeichen-Assoziationen ist es immer so eine Sache. Ich kann auch sagen: Die Unterwelt = Hohlwelt? Tuonela - die Totenwelt (in christlicher Vorstellung)?

    Oder aber doch im SF-Kontext - wie ich tatsächlich dachte - sind die Arbeiter im Untergrund eine Referenz zu Wells' von den Morlocks unterjochten Sklaven (Time Machine, 1895). Was zu meiner Leseweise passt, dass Joh Fredersen eine sehr oppressive, negative Figur ist und seine 'Milde' am Ende eigentlich nur ein Einknicken im Angesicht der veränderten Epoche.

  • Zitat

    Die Türen des Hauses zeigen Pentagramme (griech. penta = 5), im Volksmund 'Drudenfuß'. Dieser ist auch im Film hinter Futura zu sehen.

    Das ist mir im Film auch aufgefallen und ich wurde stutzig, denn das Siegel des Salomons ist nun einmal ein Hexagramm und sieht dem Davidstern ziemlich ähnlich: https://kurzlinks.de/19lu Vielleicht beabsichtigte Harbou eine Gleichstzung beider Symbole, um damit eine Verbindung zwischen Salomo (Herrscher des vereinigten Königreichs Israel) und den von dir erwähnten magischen Praktiken herzustellen?

    Schade, dass ich meine Gedanken nicht in vernünftigen Worten formulieren kann, um meine Ansichten darzulegen.


    Ich würde gerne wissen, was bleibt von der Geschichte übrig, wenn man die Liebesgeschichte zwischen Maria und Freder, die spannungsreiche Vater-Sohn-Beziehung, Rotwangs Racheplan, Konflikt zwischen Fortschritt und dunklen Geheimwissenschaften und den Klassenkampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten außer Acht lässt? Wieso ist die vermeintliche Heilsbringerin weiblich und nicht männlich, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich ist?

  • Ja, es gibt aber eine ganze Menge magischer Symbole, von denen viele eckig / sternig sind. Es kann sein, dass sie es meinte, es kann auch sein (meine ich eher), dass nicht. Ich bin bei Lesen aber auch kurz zusammengezuckt, weil ich spontan ein Hexagramm im Kopf hatte - nur hab ich als Teenie viel (historische Bücher) zu Magiekram gelesen, daher fiel mir sofort danach auf, dass es eben nicht dieses Zeichen ist. UNd dass die beiden keinesfalls austauschbar sind, oder nur in den gleichen Kontext gehören.


    Ich bin immer bissl vorsichtig, Dinge passend zu machen, weil sie in kleinen Aspekten passend aussehen: Nazis - Davidstern - Harbou - Antisemitin. Das mag so sein. Aber es gibt auch sehr viele Aspekte an dem Buch, die sehr stark dagegen sprechen. Vielleicht wollte sie es mehr nazi schreiben, hat es aber nicht hinbekommen. Oder sie hing Teilen der Ideologie an und Teilen gar nicht, und das Buch zeigt eben das genau. Das ist meine Sicht darauf. Und das sieht man an lebenden Leuten aktuell heute, wenn man die Haltung zu aktueller, spaltender Politik anschaut. Zudem ist das Buch 1925 geschrieben worden, nicht 1935. Die Leute damals saßen nicht wie wir mit dem Geschichtsbuch in der Hand und wußten im Detail, wohin alles führen würde. Wir sehen verdammt noch mal heute, wo Dinge hinführen und tun nichts (oder zu wenige).


    Ich rezipiere es zudem auch im SF-Kontext, oder im spekulativen, gucke nicht bei jedem Satz, ob der jetzt nazi ist oder nicht. Was sollte das?

    Ich würde gerne wissen, was bleibt von der Geschichte übrig, wenn man die Liebesgeschichte zwischen Maria und Freder, die spannungsreiche Vater-Sohn-Beziehung, Rotwangs Racheplan, Konflikt zwischen Fortschritt und dunklen Geheimwissenschaften und den Klassenkampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten außer Acht lässt? Wieso ist die vermeintliche Heilsbringerin weiblich und nicht männlich, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich ist?

    Ja, ich hab auch schon gedacht, man müsste mal eine Skizze anfertigen mit all den story arcs und Motivlinien. Aber das Buch ist nicht so arg schwarz/weiß (trotz Christensülz), viele Figuren sind gebrochen, und sei es bei Maria durch das Doppel. Auch Futura gibt es fast doppelt - einmal die kalte Glas/Cyberfrau und einmal die 'Hure Babylons'. Maria gibt es also drei Mal und dann ist noch Hel als Blaupause, eine Tote. Also gibt es die gleiche Frau vier Mal.

    Freder ist recht einseitig, sehr Sturm & Drang, aber dafür ist die Epoche eigentlich wieder zu spät, und das passt gar nicht zum Nazidenken.


    Ich lese das Buch eher als eine Geschichte um Architektur, Innovation, Technik und Magie. Um das Thema 'belebtes Unbelebtes' herum - ich schaue auf das Verhältnis von Haus zu Haus, von Robot zu Gottmaschinen, wer bedient die Maschinen, wer liebt sie, wer hasst sie, warum und was machen die Maschinen / Häsuer selbst (am Ende werden alle autonom, die Häuser bewegen sich physisch von ihren Fundamenten weg / drehen sich auf ihnen - wie in Georg Heyms "Gott der Stadt" -> Korybantentanz). Warum tötet der Automat Futura die Herzmaschine? Sowas eben.

    Dann schaue ich wie die Menschen-Figuren zu diesen unbelebten Dingen stehen: der Magier Rotwang, der Maschinist Grot und Joh Fredersen als der Mann, der per Schalter die Zeit bestimmt. Diese Liebessache zwischen Maria und Freder läuft in meiner Aufmerksamkeit etwas nervig nebenbei mit.


    Jedes Werk gerät mit der Veröffentlichung aus der Kontrolle des Erstellers. Ich lese das Buch sicher teils gegen Harbous Intention, aber ich denke auch, man kann ihr ruhig etwas mehr Komplexität zugestehen. Das sind recht wilde Konzepte im Roman, im Sinne des Weird, im Sinne Harlan Ellisons.


    p.s. Ah, spannend, dein Salomon ist in einem Hexagramm. Jetzt müsste man - auch bei meiem Pentagramm-Salomon - schauen, von wann die sind. Das einzige mittelalterliche Bild hab ich nämlich als Dreieck gefunden, gar nicht sternig.

  • Oje, da habe ich ja etwas angestoßen ... mir ging es tatsächlich nur darum, zu fragen, inwiefern eure Ausgabe mit dem Hintergrund der Autorin umgeht oder eben nicht. Aber eure Beiträge lesen sich enorm spannend.


    Ich bin nicht der Ansicht, dass Metropolis in herausstechender Weise ein antisemitisches Werk ist. Das wäre zu einfach gedacht. Aber ohne Frage finden sich darin auch antisemitische Aspekte wieder, zum Teil zeitgebunden, zum Teil durch das Genre motiviert. Bei aller SF ist Rotwang, sein Haus, sein geheimnisvolles Schaffen doch ganz sicher durch Motive der Gothic Novel inspiriert und Rotwang als Figur hier in der Genretradition in einer Weise angelegt, die als jüdisch, aber nicht zugleich als eindeutig positiv oder wenigstens neutral gelesen werden kann. Zumindest würde das meiner Einschätzung nach Timm ("Der erzählte Antisemitismus: Das Narrativ der ›Jüdischen Weltverschwörung‹ von seinen literarischen Ursprüngen bis heute") so sehen, der zu ähnlichen Fragen gearbeitet hat. Andere Beispiele habt ihr ja ach schon genannt.


    Mittlerweile bin ich ich ein paar Kapitel weitergekommen und hadere nach wie vor mit dem Roman. Stark ist es, sobald es um die Schilderung der Stadt geht. Dann ruft es bei mir sogleich die kongenialen Bilder des Films auf. Die Hauptfigur Freder nervt mich hingegen enorm. Er erscheint mir nicht nur unglaublich bis unerträglich naiv, es stört mich zunehmend auch, wie sehr er von seinen überbordenden Emotionen getragen wird und darüber jede Kontur vermissen lässt. Eine erfrischende Abwechslung bieten deshalb Szenen, in denen es mal nicht um ihn geht. Darunter auch der Besuch bei Rotwang, bei dem aber für mich spürbar war, dass Harbour zwar ihre Vorbilder gut gelesen hat, aber ihre Stärken nicht in der Darstellung eines geheimnisvollen, mythischen, düsteren Labors liegen. Ich bleibe also etwas hin- und hergerissen.