Thea von Harbou - Metropolis

  • Die Neuausgabe enthält den ungekürzten Text des von Thea von Harbou verfassten Romans, der erstmals ab August 1926 in der Zeitschrift Das illustrierte Blatt, Frankfurt a. M., im Vorabdruck erschienen ist, auf der Grundlage folgender Buch-Erstausgabe:

    Zitat
    Metropolis. Roman von Thea von Harbou. Berlin: August Scherl 1926 [mehrere Nachauflagen],

    Wenn heute von ‚Metropolis‘ die Rede ist, dann geht es fast immer um den unter der Regie von Fritz Lang nach dem Drehbuch von Thea von Harbou 1926 von Erich Pommer im Auftrag der ‚Universum Film AG‘ (UFA) produzierten Stummfilm, der am 10. Januar 1927 in Berlin uraufgeführt wurde. Der dem Drehbuch zugrunde liegende Roman, ebenfalls von Thea von Harbou verfasst, steht regelmäßig im Schatten des monumentalen Filmwerks, was weniger auf die Filmhandlung als vielmehr auf seine vor allem technische Gestaltung und Ausstattung zurückzuführen ist. Die ‚Botschaft‘, im Film ebenso wie im Buch, ist verstörend und erschreckend naiv: „Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“

    Dennoch lohnt es sich und hat einen besonderen Reiz, den Roman nach fast 100 Jahren noch einmal zu lesen. Einige Episoden sind nämlich nicht oder nur abgewandelt in den Film übernommen worden.


    dieter-von-reeken

  • Der dem Drehbuch zugrunde liegende Roman, ebenfalls von Thea von Harbou verfasst, steht regelmäßig im Schatten des monumentalen Filmwerks

    Peinlicherweise hatte ich das Null Komma Null auf dem Schirm, dass es dazu - bzw. davor - einen Roman gibt. Schande über mein Haupt!


    Komisch, den Newsletter bekomme ich eigentlich, ist noch nicht aufgeschlagen. Das werde ich gleich mal bestellen, diese Lücke muss geschlossen werden.

  • Hui, ja - sehr schwärmerisch und sehr expressionistisch.


    Beim ersten Kapitel dachte ich erst mal: WTF? Alles mittels überhöhten Sinneseindrücken - oder eher den ausgelösten Gefühlsregungen - erzählt, und ich hatte teils wenig Plan, was eingentlich faktisch passierte oder wo 'wir' sein sollen. Nicht uninteressant, aber.


    Im folgenden Kapitel wird diese Sache "die weiße Hindin nicht mit einer Meute hetzen lassen" dann noch mal deutlich aufgerollt (ich war sehr froh) und auch im Folgenden wird immer klarer, was eigentlich passiert. (Oder hab ich mich dran gewöhnt?)


    Und dieses Haus des Magiers ist ja grandios! Das lese ich doppelt fasziniert: einmal erinnert es mich dezent an Jean Rays "Storchenhaus" und dann suche ich selbst nach Möglichkeiten, Architektur als Protagonisten zu schreiben, aber ohne eben deutlich vermenschlicht. Das ist von Harbou super gelungen. Ich hoffe sehr, das Gebäude und der Nachfolger des Magiers mit den roten Schuhen (cooles Figurenkonzept!) haben weitere Auftritte.

    Ich hab den Film nur ein Mal gesehen, das ist abartig lange her (als Teenie) und meine Erinnerungen sind eigentlich mehr von Standbildern gestützt. An diese Passagen kann ich mich nicht erinnern, nehme an, die kamen nicht vor (?). Maria mit den Kids im Schlepptau ist ja eine Szene im Film, fand ich recht kitschig.


    Sehr spannend ist, dass Metropolis 15 Jahre nach Georg Heyms Gedichtzyklus erschienen, in dem er ebenfalls expressionistisch dasselbe Thema / Motiv verarbeitete: "Der Gott der Stadt" (sowie u.a. das imA wesentlich schwächere "Die Dämonen der Stadt"). Das einzige Gedicht, das ich je auswendig konnte und auch mein liebstes. Es ist ebenfalls eine Warnung vor der Industrialisierung, vor unmenschlicher Fabrikarbeit / Ausbeutung und letztlich dem 'rat race' des Produzierens und Konsumierens. Ich bin 100% sicher, dass dies eine Inspiration war - und auch ein extrem starkes Zeitgeist-Thema natürlich. Siehe Lord of the Rings noch etwas später.


    Soweit, so cool. Ist eindeutig mal was anderes, durchaus bislang mein Thema und es macht Spaß, sich durchzufusseln.


    Ich finde das Cover schön, recht psychedelisch, aber bissl schade, dass es kein Reprint der Erstausgabe wurde. Vllt. sind die Rechte am Bild nicht frei; aber das ist echt so perfekt:


  • Da ihr mich eh überholen werdet, poste ich schon mal in kleinen Etappen weiter, okay?


    Stand S. 29.

    Jetzt ist der Roman ganz deutlich in der SF angekommen. Im Obergeschoss des Turms sitzt der Herr über Metropolis (der Vater des Protas) und kontrolliert seine Sekretäre, die starr und mit bewegungsloser Mine an einem Tisch sitzen. Nur ihre rechte Hand bewegt sich, weil sie irgendwas mit Börsenkursen berechnen, die aus einem Lautsprecher angesagt werden. Mitarbeiter, die einen Fehler machen, werden - selbst wenn sie ihn eigenständig gemerkt und korrigiert haben sollten - sofort entlassen. (Im Setting nehme ich an, das wäre ein indirektes Todesurteil.)

    Auch, wenn die Autorin Lautsprecher statt Computer einsetzt, ist dies ein sehr zutreffender Ausblick auf unsere Zeit, genau 100 Jahre später, wenn man bedenkt, dass Leute im öffentlichen Raum nur noch mit leerem Gesichtsausdruck aufs Handy starren und einzelne Finger bewegen bzw. viele in der Freizeit und - wie hier - auf der Arbeit auch nur noch am Notebook sitzen. Sehr interessant, das so mit diesen weißen emaille-artigen Maskengesichtern als horrorhafte Phantastik zu lesen.


    Auch die physische Seite der Arbeit in den Fabriken von Metropolis beschreibt etwas, das im Grunde identisch gerade bei uns im Briefzentrum passiert: Immer mehr Maschinen übernehmen die Aufgaben von Menschen, und Arbeiter müssen sich in Tempo, Bewegungen und immer monotoner werdenden Handgriffen diesen anpassen. Das macht Leute krank und sie sind schnell 'verbraucht'.

    Der Sohn fragt den Vater, was passieren würde, wenn er mit seinen Maschinen jedes Menschenmaterial verbraucht hätte und der Vater antwortet: Dann müssen andere Maschinen her, die ebendiese Arbeit erledigen, und das auch noch schneller.


    Das ist wirklich ganz exakt die Situation bei uns auf der Post mit großen Robotern, Fließbändern und das alles nun noch (die letzte Bastion des menschlichen MItarbeiters) von AIs unterstützt, die die Sendungen selbst codieren können und auch immer besser Handschriften entziffern.


    Eingestreute, kurze Settingbeschreibungen zeigen zudem etwas, was ich als einen Overkill an Lichtreklame und (aus heutiger Sicht) Videoscreens zu Werbezwecken deute. Auch das wird in meinem Umfeld immer exzessiver eingesetzt und stört mich ganz massiv. Immerhin: Hier noch nicht auf dem Level des Times Square schon zum Ende der 1990er angekommen oder gar dem von japanischen Städten.


    Mit dem Hintergrund der industriellen Revolution - im rasanten Aufstieg knapp 80 Jahre, bevor die Autorin den Roman schrieb - kommt eine gute historische Verankerung dieser SF hinzu. Man kann leicht einen roten Faden finden zu den unglaublich zerstörerischen Opiumkriegen des imperialistischen UK gegen China, die nötig waren, um den Schwarztee billig zu importieren. Und nicht der war wichtig, sondern der darin verwendete Zucker aus den afrikanischen Kolonien für den Five o'Clock Tea.

    Der nämlich kam nicht aus den Kreisen des Mittelstandes (womit er meist assoziiert wird), sondern war die einzige Möglichkeit, Fabrikarbeiter für die langen, extrem harten Schichten in den Fabriken einsatzfähig zu halten.


    Soweit also: von Harbou zeigt eine gute Analyse der direkten Vergangenheit und einen weitsichtigen Blick auf die Zukunft = unsere Gegenwart heute.

    Der recht schwurbelige expressionistisch-schwärmische Tonfall des ersten Kapitels setzt sich in dieser Form in den späteren - wenn direkte Interaktionen des Protas mit der Umwelt und anderen Personen kommen - nicht fort. Soweit nicht, jedenfalls.


    Ich kann mir vorstellen, dass das Buch wieder einen Rundschlag zu diesen hehren Gefühlen nimmt, wenn die Problemanalyse vorbei ist und sich das Buch aufs Ende zu entwickelt. Aber mal schauen.


    Gefällt mir zu diesem frühen Punkt - sogar das K 1 mitgerechnet, weil es ein schräges Leseerlebnis ist - echt erstaunlich gut. Mal sehen, ob sich das hält ...


    p.s.

    Das Original mit meinem präferierten Cover gäbe es noch. Zu diesem Schnäppchen ... :D


  • Der Stil, gerade wenn es sehr lyrisch wird, ist schon anstrengend. Schön gezeigt wird die Oberschicht und ihre Distanz zur Unterschicht. Die Rationalisierung, Sekunden, die als Ware gehandelt werden bzw. als etwas sehr wertvolles, das ist ein eindringliches Motiv.

    Aber im Gegensatz zu heute, wo man die Zeit nicht nutzt, ist die Schilderung im Roman das Gegenteil. Zeit ist kostbar. Wir verschwenden unser Leben ja auch auf Zeitgewinn, aber nur um diese dann eigentlich nicht folgerichtig zu nutzen.

    Bisher habe ich die Lektüre noch nicht bereut.

    Sehr eindringlich, wenn es sich auch etwas schwierig liest. Auch wird schön der Generationenkonflikt beleuchtet. Interessant finde ich auch das Spannungsverhältnis von Technik (Neuer Turm von Babel) und Glaube (Elefantengott).

  • Sehr eindringlich, wenn es sich auch etwas schwierig liest. Auch wird schön der Generationenkonflikt beleuchtet.

    Stimmt, jetzt, wo du es sagst.


    Ohje, eine winzige Romantikszene - die Sprache an sich lese ich gern, aber so wird es mir dann auch zu viel. War aber kurz und danach kommt eine leise Horrorszene (Verfolgungsangst im unbekannten Tunnelstück, ohne Licht), eine wunderbare Entschädigung und ich fands tatsächlich gruselig.


    Es gibt auch eine schön suggestive Erklärung für die roten Schuhe des Magiers.


    Die Geschichte hat viele Ebenen (auch 'physisch' gesehen) und ist wirklich vielschichtig. Bin jetzt irgendwo jenseits von K 9 gelandet - also immer noch recht am Anfang - und freue mich auf jede Leseetappe abends im Bett. Außerdem hab ich total schräge (Alb)Träume, obwohl ich mich so gut wie nie an Träume erinnere, seit ich in Finnland wohne.

  • Du liest also die deutsche Ausgabe?


    Interessant finde ich auch das Nebeneinander von Neuer Turm Babel und dem Dom. Der Gegensatz von Wissenschaft und Religion zieht sich durch die Geschichte.

    Ich finde sie auch angenehm düster und die Grenzen zwischen Science Fiction und Horror verwischen.

  • Du liest also die deutsche Ausgabe?

    Ja, weil ja das Original auch deutsch ist (hab die neue Ausgabe von Dieter von Reeken). Ich denke auch, dass es extrem schwer sein muss, deutschen Expressionismus zu übersetzen, weil der Zeitgeist im z.B. Postviktorianismus anders war als der in der Weimarer Republik, das sind vollkommen andere Formsprachen und Verknüpfungen von Wort und Konzept. Vielleicht schaue ich mir Metropolis aber mal übersetzt an, interessant wäre es.


    Klar können Übersetzungen mal besser als das Original sein: Hallahans Das Stilett vs The Search for John Tully, Suhrkamps Lovecraft-Bände vs die englischen Billigtaschenbücher aus den 80ern und umgekehrt etwas Ironisch-Romantisch-Nichtphantastisches, das ich mal wegen dem sehr guten Audiobuch mit David Tennant & Emilia Fox las: Glattauers Love Virtually / Every Seventh Wave, das im deutschsprachigen Original unsäglich platt und lahm ist.

    Interessant finde ich auch das Nebeneinander von Neuer Turm Babel und dem Dom.

    Man weiß natürlich nicht, ob von Harbou den ausufernden, schwärmerischen Stil selbst mehr mochte oder das für einen Publikumsgeschmack schrieb, aber diese Zwischenszenen, die eher nüchtern eingestreut werden, packen mich echt. Genau dieses Bild mit der Stadt und dem schwarzen Dom darin ist wirklich unglaublich stark. Das sind heute noch ganz frische Bilder.

    Ich wüsste hypothetisch wirklich gern, wie ein dystopischer Horrorroman von ihr geklungen hätte. Eigentlich sind hier schon Bilder, wie sie Jean Ray und später Volodine verwenden.


    Was mir auch gefällt: Das wird nicht alles in gerader Linie erzählt, die Autorin jongliert echt mit einer ganzen Menge Bälle in der Luft und ich hab durchaus den Eindruck, dass sie noch weitere hinzufügen wird. Trotzem wirkt es zumindest momentan nicht zerfranst.

  • Stand S. 113, also genau auf der Hälfte (das Vorwort rausgerechnet).


    Es gibt Spannung, inneres Erleben und richtige Action (Flugzeug), insgesamt ist viel los, einige Fäden beginnen sich zusammenzufügen, während neue entstehen.


    Inzwischen bin ich an ihre Symbolik gewöhnt und kann einiges stark Expressionistische mehr genießen als zu Anfang - z.B. Freders irrsinnigen Lauf durch das Schwarze Haus mit all den Blutmetaphern, die ich nicht nur visuell schön finde, sondern auch als gute Beschreibung von einem zu anstregenden Sprint empfinde.

    Kleine - etwas ärgerliche - spekulative Unlogik hier, als Freder die Tür 'verletzt' und das Haus nur schreit, aber ihn nicht angreift. Scheint mir gegen das etablierte Verhalten zu sprechen, weil es vorher alle, die sich bedrohend auch nur näherten, tötete - oder aber das Haus erkennt das 'Gute' in Freder und lässt sich schaden, was mir als Konzept zu kitschig wäre.


    Dann hätte ich fast gedacht, von Harbou habe das Panzerglas erfunden, aber das kommt wohl aus UK, 1914 - wo es zum Schutz der Museumsbilder gegen protestierende Suffragetten erdacht wurde! (So sehr ich die bewundere, einige Aktionen waren ebenso kontraproduktiv wie Ähnliches heute). In Deutschland gab es das erst knapp 10 Jahre nachdem sie Metropolis schrieb.

    Rahmenlose Fenster, die ganz explizit erwähnt werden: Ich hab, obwohl das Schwarze Haus des Magiers aus Stein ist - automatisch an Böhms Rathaus in Bensberg gedacht. Diese Art, Panzerglas einzusetzen war noch Ende der 60er innovativ.


    Toll fand ich auch Freders Traum mit den düsteren, engen Gassen zwischen den Hochhäusern und dieser grünen Glasstraße dazwischen.

    Freder und sein ex-Diener / Kamerad Josaphat (schon wieder ein abrahamischer Name) gehen mir als Figuren ein bissl auf den Keks, weil es deutlich ist, dass ihnen halt so 'hehre' Charaktere verliehen wurden, das ist mir ein bisschen zu dolle (okay, J. macht auch ein paar 'böse' Sachen, aber das wird als nötiges Übel oder Notwehr dargestellt). Dito die lebende Maria, die aber bislang mehr durch Abwesenheit glänzt.


    Joh Fredersen finde ich als Antagonist interessant, weil er recht kühl agiert (also nicht so ein narzisstisch durchgeknallter Maniac, sondern eher ein James Bond Bösewicht, der im kapitalistischen Sinne ökonomisch-rational denkt und vorgeht). Es scheint aber Brüche zu geben.


    Sehr spanned ist Futura, die gläserne Robot-Maria, weil es ganz dezent so aussieht, als könnte sie einen eigenen Antrieb haben - jedenfalls führt sie nicht sklavisch Befehle aus, sondern ist ihrem Schöpfer selbst durchaus ein Rätsel. Das empfinde ich ganz anders als im Film, wo mir die Robot-Maria stark instrumentalisiert in Erinnerung blieb. Die Figurenkonzeption hat auch etwas sehr Unheimliches, weil sie weniger als Roboter, denn als eiskalter, gläserner und semi-magischer Android beschrieben wird.


    Momentan zumindest sehe ich die Figur stärker in der schwarzromantischen Tradition Deutschlands - also näher an Hoffmanns Sandmann (Olimpia), denn an der spekulativen Robotik, die es in der zeitgenössichen SF ja bereits lange gab, mit innovativen Technik-/Weltraumthemen. Zu den Automaten der Romantik bzw. spezielle bei Hoffmann hab ich hier einen interessanten Artikel gefunden, mit einer langen Liste Sekundärliteratur. Ärgerlich, zumal der Autor eine feministische Haltung vorgibt: Erwähnt wird dort bei Metropolis nur Fritz Lang als Erdenker.


    Die Verbindung von Technik und Magie ist super spannend und zieht sich durch verschiedene Motive (Futura und Metropolis selbst, das Schwarze Haus ...).

    Schön auch, dass fast alle SF-Aspekte über die Architektur erzählt werden - sowohl die Stadt als Ganzes wie auch einzelne Aspekte, Beleuchtung ... Also viel weniger über Technik an sich: Autos, Flugzeuge und der Paternoster entsprechen wohl genau denen der 1920er.


    Das Spannungsfeld zwischen (christlicher) Religion und Wissenschaft bzw. fast eher Ökonomie / Industrialisierung ist ganz intererssant. Freder sagt irgendwo um S. 100 herum in etwa: Religionen entstehen durch Angst des Menschen und dann schaffen sie sich Götter, die sie beschützen / beherrschen sollen und in diesem Sinne stünde Joh Fredersen kurz davor, zum Gott zu werden. Man braucht nur auf Pootin (orthodox) und den orangen Burgerking (evangelistisch) zu schauen und erkennt genau das heute im RL.

    Andererseits war ich sicher, dass von Harbou es nicht als Kritik an der Religion so schreib und schaute - weil mir das Buch wirklich sehr gut gefällt und ich keinen Bock auf die befürchtete Enttäuschung hab - auf die letzten beiden Seiten ... Ja, naja.


    Ich hab immer noch die verrücktesten Träume, das ist echt klasse. Heute Nacht gab es eine Art unheimlichen SF-Krimi.

  • Diese Gegensätze zwischen Ökonomie/Technik/Wissenschaft und Religon/Glaube zeigt schön wie Deutschland damals tickte. Als letztes großes Land in Europa hat man extrem schnell die Wandlung vom Bauernstaat zum Industriestaat vollzogen, aber stecke natürlich noch mittendrin.

    Früher die übermächtige Kirche und der Adel, das Obrigkeitsdenken und das Individuum, das nichts zählte. Auf der anderen Seite die Aufbruchstimmung, die rasante technische Entwicklung und die Möglichkeiten und Veränderungen, die das ergab.

    Dazu der gesellschaftliche Umbruch mit der neuen Demokratie und den um ihre Gunst buhlenden Konzepte. Da ist der Mensch ziemlich klein, aber trotzdem ist in Metropolis auch ein Mensch, bei dem alle Fäden zusammen gehen und der alles kontrolliert.

    Das sind viele Spannungsfelder, die zusammen kommen und die in dem Roman sehr schön beleuchtet werden.

    Die religiöse Seite kommt ja nicht zu kurz. Joseph als Begleiter, aber nicht verwandter. der Turm von Babel, der Sohn (Freder als Adam, der auch direkt als Gesicht für alle dient), der sich gegen seinen Schöpfer wendet.

    Da ist schon sehr viel enthalten in dem Roman. Wenn man rigide ist, würde man das nicht als Science Fiction durchgehen lassen.

  • Als letztes großes Land in Europa hat man extrem schnell die Wandlung vom Bauernstaat zum Industriestaat vollzogen

    Ja, sehr guter Punkt. Hier aber dann vorletztes, Finnland vollzog diese innerhalb von sehr knapp 20 Jahren und begann damit erst in der Nachkriegszeit: bes. Mitte der 50er. Vorher gab es auch lokale Industriezentren wie Outokumpu mit Minen und Stahlwerken, aber mit Ausnahme von Helsinki keine Großstädte. Wobei Helsinki eben kein Industriezentrum war / ist. Da Finnland bis Ende der 50er ein nahezu reiner Agrarstaat war, gibt es hier durch die identischen Arbeiten, die Männer wie Frauen verrichteten, eine extrem gefestigste, quasi natürlich gewachsene Gleichberechtigung der Geschlechter.


    Als kleines OT eingeworfen: Ich lese gerade zufällig (wegen Tokyo-3 in Rebuild of Evangelion) das wunderbare, reichbebilderte Anime Architecture (Stefan Riekeles, UK 2020). Es widmet je ein langes Kapitel je einem Film oder einer Serie und neben NGE, Ghost in the Shell, Patlabor 2 und Akira dem japanischen Metropolis von 2001. Dort gibt es an das amerikanische Art Deco angelehnte Gebäude, eine Konsumtempel-Megacity und die dystopische Industrie-Sektion. Maria / Futura heißt dort Tima und ist eine einzige Figur.


    Der Film basiert auf dem gleichnamigen Manga, das lose auf eben dem deutschen Film basiert. Durch die Shinto-Religion (keine Trennung zw. Lebendigem und Nichtlebendigem) werden Roboter positiv gesehen und der Film bekommt damit eine ganz andere Ausrichtung. Obwohl wesentlich mehr humoristisch und disney-esk, gibt es einen stärkeren Umschwung ins Dystopische, die Zerstörung der Stadt und das Schicksal von Tima, die als eine Art Zombie-Robot endet und dann tragisch stirbt, werden auch als Kritik am intoleranten Menschen an sich, weniger speziell an kapitalistisch-despotischen Menschen gezeigt.

  • Dank der Drogis, die heute Nacht - wie fast jede - versuchten, bei uns (genau zwei OGs unter meinem einzigen Fenster) die Eingangstür einzutreten bzw. aufzubrechen, bin ich früher als erwartet mit dem Buch durch. Ich notiere mir mal alles, um nicht zu stark vorzugreifen. Ab der Mitte kommen zwar sehr schöne weitere SF-Aspekte (die mechanisierte Stadt, die lebenden Maschinen), aber das Buch schert da in eine andere Richtung aus, die stark expressionistisch, aber religiös, nicht phantastisch ist.


    Die Autorin predigt hier auch Wasser und trinkt Wein, denn trotz ihrer extrem scharfen Verurteilung von Prostitution (die eher selten etwas mit Lust zu tun hat) und Untreue beendete sie ihre Beziehung zu Fritz Lang dadurch, dass sie sich direkt beim Sex mit einem indischen Schauspieler erwischen ließ (mit dem sie sich dann auch fest verpartnerte ). Öhem!


    Eine Frage hab ich vorab, vermutlich hab ich unbemerkt was am Anfang überlesen:

    Rotwang baute Futura nach dem Aussehen seiner ersten Frau, Hel, die Joh Fredersen ihm ausspannte. Hel ist Freders Mutter und starb früh. Obwohl Rotwang wg. Hel immer noch von Eifersucht zerfressen ist, schickt er seinen Automaten Futura in das Haus der Söhne, wo sie - offenbar wie alle eher gezwungen - Prostituierte und Dienerin ist. Das wundert mich stark, aber egal.


    Maria kommt aus dem Arbeiteruntergrund (wortwörtlich der unteren Welt) und ist ein Mix aus jungfräulicher Mutter Maria und einem sozialistischen Agit-Prop Mädchen. Wird etwas über ihre Familienherkunft gesagt? Ich meine nicht. Sie tritt zum ersten Mal mit der Schar befreiter Kinder in die obere Öffentlichkeit, am Anfang des Buches. Da gibt es Futura bereits, in Aktion, wenn auch nicht mit fertig ausgearbeitetem Gesicht.


    Im Laufe des Romans aber werden Futura und Maria von allen und jedem verwechselt: vom Erbauer, Rotwang selbst; dem verliebten Freder, den Arbeitern, die Maria ja besser / länger kennen sollten, von Grot, der nicht sicher ist, wer von den Frauen seine Maschinen ermordet hat, usw. usf.. Die Verwechslung geht so weit, dass die Frauen an einem Ort (Dom, am Ende) sein können, unterschiedlich gekleidet mit unterschiedlichem Verhalten, und niemandem scheint klar zu sein, dass dort zwei Frauen, nicht eine sind. Teils sind ja beide quasi im selben 'Frame' und niemanden schert das offenbar. So: "Haben wir da grad die Falsche ...? Und wer ist die andere?"


    Es wird beschrieben (Glas, kalt), dass Futura Hand an die Herzmaschine legt, aber warum? Die Handlung passte besser zu Maria. Gibt es eine magische Symbiose, obwohl die beiden - extrem antifeministisch / sexistisch - konträr angelegt sind, als Hure von Babylon (bzw. in Freders Traum eine rosenfarbene Variante der Frau, die mit dem Mond bekleidet ist und das Tier der Apokalypse reitet) vs heilige Jungfrau und Übermutter?


    Wie können Futura und Maria physisch quasi Zwilinge sein? Zudem: Freder wird ja - und wenn von Fotos / Bildern - wissen, wie seine Mutter (Hel) ausgesehen hat. Maria ist *aus Gründen* ein Abziehbild seiner Mutter zur Zeit seiner Geburt und er verliebt sich erotisch in sie? Hui. Und sein Vater, der Hel ja auch liebte, findet das nicht irgendwie komisch?


    Klar, Hel ist die christliche Erfindung 'Nordische Totengöttin' und Maria kommt aus dem Untergrund (= das nordische Tuonela, die eisige Unterwelt im geograf. Norden). Man könnte meinen, in Maria wäre Hel auferstanden, dann ist Freders Liebe nur ein bissl inzestuös. Aber auch das erklärt nicht die Ähnlichkeit mit Futura, die im Buch motivisch auch viel mehr mit Kälte & Tod in Verbindung gebracht wird als Maria.


    Wie seht ihr das, oder du, Mammut ? Oder hab ich einen Knick in der Denke irgendwo?