Fast dreißig Jahre liegen zwischen diesen beiden Filmen aus verschiedenenen Produktionsländern, aber beide arbeiten stark mit der Bildsprache, den Figurenkonzeption und dem Spannungsaufbau von Horrorfilmen, ohne tatsächlich paranormal zu sein. Und sie eint das sehr selten behandelte Thema von jungen Männern, die sich auf die Suche nach einem vor längerer Zeit verschwundenen bzw. unter rästelhaften Umständen verstorbenen Vater machen - mit selbstverständlich schockierenden Ergebnissen.
Sweet Angel Mine gehört zu meinen Favoriten, seitdem ich ihn damals auf dem Fantasy Filmfest sah, und Shadow Island hat mich gestern wirklich sehr stark beeindruckt, obwohl es 'nur' VoD auf meinem Notebook war (das dem wunderschönen Setting nicht gerecht wurde).
Die Filme sind nicht sensationalistisch (der Trailer von Angel ist ziemlich entstellend geschnitten), sondern sehr nahe an den Figuren und ihrer psychologischen Entwicklung entlang erzählt. Dabei wird die Spannung konstant angezogen, es gibt bei beiden Schockmomente, die überraschen und ungewöhnlicherweise mit einem mehr emotionalen denn visuellen Effekt arbeiten. Also weniger durch Blutvergießen (das auch explizit vorkommt), denn wirklich grausame Twists oder Erkenntnisse. Auch nimmt die raue, wunderschöne Landschaft in beiden Filmen viel Raum ein, und die Figuren sind auch sehr gut darin verortet - ich hatte den Eindruck, dass Figuren und Seeting einander prägen und zwei Aspekte einer Geschichte erzählen.
Ähnlich bei beiden Filmen ist auch die Intensität des Schauspiels und die Settings: die wilde, einsame Natur des Nordens - einmal Nova Scotia, einmal Norwegen. Das Thema 'junger Mann sucht verschollenen Vater' bzw. 'sucht nach Hintergründen zum Tod des Vaters' ist sehr ungewöhnlich und imA extrem spannend, weil es die Implikationen von klassisch stark / hilflos bzw. Zeuge / Opfer verschwimmen lässt. Zwar nicht auf die jeweiligen männlichen Hauptpersonen bezogen, aber dennoch Thema sind zudem Fragen nach (sexueller) Gewalt, Täter-Opfer-Teufelskreis, Verdrängung, Verrat, und Lügen innerhalb des engsten Familienkreises (hier sind v.a. die Mütter negativ-ambivalent gezeichnet). In beiden Filmen gibt es kammerspielartig reduzierte Rollen und eine unsentimetal-ehrliche, aber auch zarte sexuelle Beziehung zu einer Fremden, die sich erst sehr langsam zu einer Liebesbeziehung entwickelt.
Dabei gefällt mir sehr gut, dass die jungen Protagonisten zwar durchaus 'männlich' gezeichnet sind, aber sehr viele Brüche aufweisen und durch die jeweiligen Antagonisten zeitweise in eine hilflose Opferrolle geraten. Gleichzeitig sind sie tatkräftig, entscheidungsfreudig, selbstbewusst und stark. Es sind sehr interessante, komplexe Charaktere, denen ich ausgesprochen gern gefolgt bin und von denen ich gerne häufiger etwas sehen würde. That said: Es geht hier keinesfalls um eine platte, genderpolitische Umkeherung traditioneller Geschlechterrollen!
Die gleiche stark/schwach, zweifelnd/durchgreifend Komplexität findet sich auch bei den jeweiligen Frauenrollen, v.a. was die jeweiligen Partnerinnen der Hauptfiguren angeht. Die Frauen - vor allem der jüngeren Generation - sind jeweils diejenigen, die Eigenständigkeit und Stärke zeigen, und analog zur männlichen Hauptfigur eine radikale Entwicklung durchmachen, die ihre eigene Vergangenheit enthüllt und ihnen neue, selbstbestimmte Wege eröffnet.
Unbedingte Empfehlung für beide Filme, die ggfs. etwas schwierig zu finden sind: Sweet Angel Mine kam erst sehr spät überhaupt auf DVD (aber immerhin auch mit dt. Synchr.) heraus und mag inzw. schon wieder vergriffen sein, Shadow Island hat auf den ersten Blick eine eher eingeschränkte Verbreitung auf Pay-per-View-Kanälen und A. Prime. Vllt. werdet ihr bei Interesse ja in eurem üblichen VoD oder Abo-Service fündig!
Einige (Plot-)Infos jeweils:
Sweet Angel Mine
UK / Kanada 1996
Regie: Curtis Radclyffe, Drehbuch: Tim Willocks & Sue Maheu
Mit: Oliver Milburn, Margaret Langrick, Alberta Watson, Anna Massey
Länge: 88'
Pauls Vater war Fernfahrer und ist vor Jahren verschollen; der einzige Hinweis - eine Streichholzschachtel - führt zu einer Hinterwäldner-Kneipe in Nova Scotia. Da Paul gleich zu Anfang seiner Suche auf eine Wand des Schweigens trifft und seine Erkundungen in einer Sackgasse münden, campt er mit seinem Motorrad an einem See und verdingt sich als Helfer auf einer etwas außerhalb stehenden Farm. Dort wohnt nur Rauchine, eine junge Frau in seinem Alter, und ihre Mutter - eine bis an den Rand des Gefühllos-Grausamen pragmatische Frau, die ihre Tochter einerseits liebend und fürsorglich beschützt, andererseits ... gelinde gesagt ein Problem hat.
Paul und Rauchine kommen sich näher und dies ist nichts, dem die Mutter tatenlos zusehen kann.
Die Auflösung, wer Täter und Opfer ist und was mit Pauls Vater geschah, ist sehr schön vorbereitet wie auch am Ende ein wirklich ein harter Schlag. Der Film endet sowohl in furchtbarer Tragik wie auch mit einem sehr fein und vor allem unsentimental konzipierten Neuanfang.
Shadow Island
Schweden 2023
Regie & Drehbuch: Johan Storm
Mit: Johan L. Heinstedt, Hanne Mathisen Haga, Joel Wallón, Mikael Almqvist
Länge: 90', Sprachen der OV: Schwedisch, Norwegisch, Russisch
Der Film spielt direkt nach dem Beitritt Schwedens zur NATO. Der angehende Meteorologe Johan kehrt nach dem Wehrdienst nach Hause zurück, wo ihn seine Mutter und seine Freundin erwarten, mit der er nach Berlin ziehen will. (Dieser militärische Hintergrund umgeht ganz perfekt ggfs. später aufkommende Fragen, warum Johan so strategisch planen kann bzw. in der Lage ist, auch mal ohne Krise eine Sicherung auszutauschen und das Dach zu flicken - sehr schön! Keine ahnungslos herumstolpernden, verpeilten Protas, sondern jemand, der den Plot einfach auf ganz natürliche Art vorantreiben kann.)
Während seiner Abwesenheit entrümpelte die Mutter den Dachboden und Johan kann gerade noch einige Dokumente retten, die den letzten Arbeitsplatz seines verstorbenen Vaters zeigen: eine Leuchtturminsel vor Norwegen. Irritiert davon, dass seine Mutter ihm verschwieg, dass sein Vater ebenfalls als Meteorologe arbeitete, verschiebt er spontan den Umzug nach Berlin und macht sich - heimlich - auf nach Norwegen.
Im Leuchtturm angekommen stellt er bald fest, dass er nicht allein ist: Antennenanlagen und Stromleitungen wurden zerstört. Über Funk ruft ihn zudem eine junge Frau, Sarah, die im Leuchtturm auf der gegenüberliegenden Küstenseite wohnt, und was erst als Geisterstimme erschien, erweist sich bald - bei einem Treffen übers Meer hinweg - als ausgesprochen handfest, körperlich. Sarah hilft Johan, einige eigenartige Briefe zu dechiffrieren, die mit seinem Vater zu tun haben müssen, und Johan entdeckt einen bunkerartig ausgebauten Stollen unter seinem Leuchtturm, der eine - ganz ungeisterhafte und aktuelle - Gefahr birgt. Die Geschichte nimmt eine sehr spannende, unerwartete Wendung ins Historische bzw. aktuell Politische und endet mit einem wirklich fiesen, mutigen Twist.