Late Night with the Devil
Australien 2023
Drehbuch, Regie, Schnitt: Colin & Cameron Cairnes
Kamera: Matthew Temple
Mit: David Dastmalchian, Laura Gordon, Ian Bliss, Fayssal Bazzi, Ingrid Torelli
Vetrieb: IFC / Shudder, Länge: 95'
Trailer Dt. Synch. (Das ist ja fürchterlich, absolut entstellend - näselnd und nicht mal mit den Lippenbewegungen abgestimmt, da rate ich zu einer Fassung mit UT)
DVD/BluRay sowie zumindest auch auch Prime VoD auch dt. Fassung und Original mit UT.
Endlich hab ich mit SF-Anytime einen finnischen VoD-Anbieter gefunden, der auch viel Horror und gute Dramen im Angebot hat. Auf diesen Film kam ich durch das australische Plakat, über das ich mich ärgerte, weil es Scanners kopiert (zeigt so auch keine Filmszene aus Devil). Aber das 70er Setting hat mich reingelockt und ich bin - mit einem winzigen Abstrich wirklich begeistert. Screenrant nennt den Film "surprisingly perfect" und das war genau mein Gefühl beim Schauen.
New York 1977, der Showmaster Jack Delroy sieht nach einem steilen Ruhm die Einschaltquoten sinken. Ein weiterer Schlag ist der Krebstod seiner geliebten Frau. Er taucht ab, versucht ein Comeback, das zu scheitern droht und meint, mit einer sensationellen Halloween-Show, in der ein Medium, ein Skeptiker / Ex-Showmagier sowie eine Expertin für Paranormales, June Ross-Mitchell, mit ihrem Zögling Lilly D'Abo auftreten sollen. Es heißt, Lilly wäre vom Dämon Abraxas besessen, den sie "Mr. Wriggles" nennt, weil er in ihrem Körper 'herumwörmelt'. Jack kündigt also an, in seiner Liveshow den Teufel zu interviewen ...
Der Film ist eine sehr geschickte Mischung aus found footage (ohne die üblichen Qualitätseinbußen und langweilg-redundanten Shots) und Dokumentation, überschreitet aber auch nonchalent diese formalen Grenzen und zeigt sich als durchweg gut konstruierter Film. Es gibt ein Intro im Stil von Fernsehnachrichten, die den Hintergrund sowie Jack selbst gut und unaufällig einführen; dann ist die TV-Show wie ein regulärer Film gezeigt und die Handlung in den Pausen / hinter den Kulissen in schwarz-weiß. Es gibt Setcards für die Pausen / Pausenenden und ein wirklich enorm schönes 70er Set-Design. Dazu wurden durchweg Schauspieler*innen gewählt, die tatsächlich '70er-Gesichter' haben, sodass ich teils wirklich das Produktionsjahr des Films vergaß.
Das ganze hat einerseits eine recht typische Linie: Lillys Besessenheit mit der üblich tiefen Stimme und physischen Veränderungen, paranormales Wissen, Gewalt.
Andererseits ist das in eine sehr interessante Story mit verwobenen Ebenen: Der freundliche, rationalistische, sympathische Jack ist Mitglied in einem heidnisch-satanistischen Kult namens The Grove. Teils angelehnt an fiktionale wie reale Kulte der 1920ern, wird angedeutet, dass Jack seinen jahrelangen Ruhm ggfs. Menschenopfern zu verdanken hat. Hier kommt ein Folk Horror Aspekt rein, auch visuell schön gemacht mit Eulenmasken und Naturaltar.
Lilly wieder ist die einzige Überlebende eines rein satanischen Kultes, der von einem - deutlich an Anton LeVey angelehnten - Showman namens Szandor D'Abo geleitet wird. Auch hier ist die Rede von Menschenopfern und als das Gelände vom FBI umstellt wird, ordnet D'Abo einen Massensuizid durch Feuer an, was insgesamt nicht nur an die Church of Satan, sondern stärker noch an Jonestown / The Peoples Temple erinnert.
Am Ende von Late Night with the Devil stehen sich mit Lilly / Abraxas und Jack zwei in verschieden ausgelegten Kulten involvierte Protagonisten gegenüber, und es wird sich zeigen, dass hier 'gut' und 'böse' nicht unbedingt so verteilt sind wie es erst schien bzw. dass die Grenzen zwischen Sein, Schein, Lüge und Wahrheit woanders liegen als erwartet.
Der Film schert am Ende leicht ins Erklärende aus und bricht auch dort mit dem Berichterstattungs- bzw. found footage-Stil. Insgesamt aber ein starkes Abschlussbild, das den Film von Der Exorzist und Konsorten definitiv und klar absetzt. Es gibt einige sehr schöne, kurze Splattermomente, diese Besessenheit wird nicht überreizt und die Darsteller spielen sämtlichst exzellent - vor allem David Dastmalchian ist extrem sympathisch, nachvollziehbar, nuanciert.
Fette Empfehlung last but not least dafür, dass trotz des Titels eigentlich nicht der Teufel / Dämon das eigentliche Hauptproblem ist, und mit dem Skeptiker auch der Show- bzw. Suggestionseffekt großen Raum einnimmt. Auch sind sowohl Lilly wie auch der Dämon sehr intelligent und vor allem Abraxas wirkt - weil er spitzfinding eine Lüge aufdeckt - fast rationaler als die Menschen-Lilly mit ihrem narzisstischen Kokketieren.
Notiz am Rande:
Filmfans fiel auf, dass bei den liebevoll eingesetzten Setcards die üblichen Probleme AI-generierter Bilder auftreten: Anatomie, falsche Anzahl von Fingern, verzerrte Mimiken, wischiwaschi-Konturen. Die Filmemacher gaben zu, dass sie mit AIs experimentierten und drei der Karten eben rein AI-geneniert seien. Durch die Probleme, die AI-Verwendung im professionellen Kunst-, Film- und Literaturbereich schafft (so rief bereits die Screenwriters Guild Hollywoods zum Streik auf), erlebt dieser Film nun auch einen Boycott.
Dadurch, dass der AI-Einstatz nur drei Standbilder betrifft (die man allerdings problemlos menschengemacht hätte halten können, kapiere ich eh nicht), finde ich das etwas schade - denn z.B. neuere Fantasyfilme wie eine LotR-Fanfassung sind fast 100% AI-generiert). Nichtsdestotrotz ein extrem wichtiges Thema, das Deutschland momentan verschläft.
Die Horror Writers Association bereitet seit 2023 eine Änderung der Wettbewerbsbedingungen ihres Bram Stoker Awards vor, die sämtliche Beteiligung von AI-unterstützten Texten (also Edit-, Korrektur- und Strukturierungs-Funktionen) oder Coverbildern / Illustrationen ausschließen, und evt. könnte sich das bis auf auto-correct in Word erstrecken (eine AI-Nutzung, die selten als solche gesehen wird).