Rachilde: Die Gespensterfalle

  • Die Diskussion über Sodomie im Thread zum GEPARDENMÄDCHEN erinnerte mich an eine Geschichte bzw. an eine Autorin, der ich - um in dem anderen Thread nicht allzu weit off-topic zu gehen - gerne ein eigenes Thema widmen will: kennt zufällig jemand die französischen Decadence-Autorin Rachilde? Schon früh ist einiges von ihr auf deutsch erschienen, durchweg bei J. C. C. Bruns in Minden - dem Verlag, der Phantastik-Interessierten hauptsächlich durch die Poe-Übersetzungen von Hedda Möller-Bruck und durch die frühe Karl Hans Strobl-Sammlung DIE EINGEBUNGEN DES ARPHAXAT vertraut sein dürfte -, und insbesondere der 1911 veröffentlichte Band DIE GESPENSTERFALLE. SELTSAME GESCHICHTEN VON RACHILDE scheint relativ erfolgreich gewesen zu sein, da er eigentlich immer in größerer Stückzahl antiquarisch angeboten wird (was man von den anderen Rachilde-Bänden bei Bruns nicht unbedingt sagen kann).

    Die in DIE GESPENSTERFALLE enthaltenen Geschichten sind zwar nicht durchweg bemerkenswert (die Titelgeschichte ist z.B eine relativ konventionelle Spukgeschichte, die mich nicht vom Hocker gerissen hat), aber wenn die Autorin sich dazu entscheidet, in die Abgründe zu blicken, dann ist sie eine Klasse für sich und fördert Beeindruckendes zu Tage...

    Ein Highlight ist z.B. die Seuchenerzählung “Der Gezeichnete”, die ich durchaus auf einer Ebene mit Poes “Maske des roten Todes” sehen würde, und noch beeindruckender fand ich - Stichwort Sodomie - die Geschichte “Die Weinlese von Sodom”, eine hintersinnige Übung in faux-alttestamentarischer Misogynie, deren letzter Satz mich wahrhaft sprachlos zurück gelassen hat - und das kann nur wenige Literatur von sich behaupten…


    Leider wird DIE GESPENSTERFALLE trotz der relativ breiten Verfügbarkeit meist recht teuer angeboten, und auch die um einige Geschichten erweiterte Taschenbuch-Neuausgabe unter dem Titel DER PANTHER (Bouvier, Bonn 1989) ist schon lange vergriffen und eher kein Schnäppchen.

    Der einfachste Weg, sich einen ersten Eindruck von der Autorin zu verschaffen, ist daher vermutlich der Nachdruck der Story “Der Gezeichnete” in einem der von Rein A. Zondergeld herausgegebenen PHAÏCON-Almanache bei Suhrkamp - eine Lektüre, die ich jedem nur dringend an‘s Herz legen kann!


    (Außerdem habe ich eben noch gesehen, dass wohl erst in diesem Jahr - 2024 - eine Rachilde-Sammlung in englischer Übersetzung bei dem Verlag Snuggly Books erschienen ist, ja, genau, bei dem Verlag der auch die Blayre-Neuauflagen rausgebracht hat, und zwar unter dem charmanten Titel THE BLOOD-GUZZLER AND OTHER STORIES… Was genau dort enthalten ist, das weiẞ ich aber leider nicht…)

  • Hier ein Porträt der Autorin aus dem erwähnten Bouvier TB. Das Buch habe ich bestimmt schon 20 Jahre, die Lektüre liegt lange zurück … die Nennung wäre ein Grund, die Stories wieder einmal zu lesen.


  • jolly.oddfellow und Arkham Insider Axel Oha! <3 Ganz ehrlich: Nie gehört und das klingt ja absolut grandios, hochspannend. Und ne schöne Frau, sehr stolz. Vielen Dank euch beiden, Hammer!


    Hab mal oberflächlich bissl geschaut - Snuggly Books bietet drei Bände von ihr an (aber eben ohne Inhaltsangabe, vllt. findet man über die ISFDB was raus):

    - The Princess of Darkness (1895)

    - The Demon of the Absurd (1894)

    - der erwähnte Blood-Guzzler


    Dann hat Wakefield Press eine pre-order mit einem sensationellen Coverbild (erinnert mich stark an polnische Filmplakate der 70er und an Grabinskis Das graue Zimmer) :

    The Tower of Love (Jan 2025, Original 1899)

    Klingt ein bisschen wie eine weirde, extremere Form des Lighthouse-Films. Wegen deren unterirdischen Jean Ray-Übersetzungen (ich hab grad meine 3 Bände verschenkt) zögere ich, es ist allerdings ein anderer Übersetzer. Auch ist bei Wakefield die Buchqualität leider unterhalb gängiger BoDs.


    Blackwells bietet noch eine Reihe Bücher von ihr auf Französisch an, z.B. den Roman Marquis de Sade an, der mich sehr stark interssiert, aber auf den ersten Blick gibt es den wohl auch nur auf Französisch. Dazu steht (Dank DeepL, auf Dt. funzt es leider nicht) und als Rundschlag zum Cheetah-Girl:

    She seemed born to play this role of cruel beauty, with her cat-like eyes, her disdainful lip and her fiercely white, pointed teeth.

    This sulphurous work tells the story of a little girl who is unloved because she was not born a boy and who, as an adult, insensitive to love and refusing motherhood, hates men and develops a taste for manipulation, violence and crime.

    Published in 1888, Rachilde was described by the critics of her day as a woman worthy of rotting in the charnel house of repentant girls and at the Salpêtrière.

    Snuggly schreibt: [Rachilde] is primarily remembered today for her sensational decadent novel Monsieur Vénus (1884), which was prosecuted as pornography in Belgium, where it was initially published, resulting in a conviction and a sentence of two years’ imprisonment imposed in absentia.


    Wow, danke, ihr beiden, [Cof] das sind so Werke, auf die ich vermutlich nie allein gekommen wäre!

    Und hihi, ich glaube ja, das ist eine Sister from another Mister: She also wrote a 1928 monograph on gender identity, Pourquoi je ne suis pas féministe - “Why I am not a Feminist”. (Info Snuggly)



  • Und yes, Katla , die Dame macht ganz schön was her. Gar nicht, wie man sich eine Autorin von vor 2 Jahrhunderten vorstellt.

    <3 Zeitgeschichtelich auch tendenziell eher eines (andertalb), aber es ist wirklich nicht so, dass sich Epochen von spießig zu offen entwickeln, es gibt Ups und Downs, Fortschritte und Rückschritte. Der Victorianismus war beides gleichzeitig (ich kann mir vorstellen, dass es bes. in Österreich/Ungarn ähnlich war -> Symbolismus, kenne mich aber da Gender-/ Sittengeschichtlich nicht genug aus).

    Im Viktorianismus gab es völlig salonfähige, teils sexuelle, teils asexuelle "Frauenheiraten" (zwischen Frauen, die auch offiziell mit Männern verheiratet waren und deren Gatten das als intellektuelle/humanistische Horizonterweiterung förderten), incl. Eheringen, Haarschmuck und sehr heißen Liebesbriefen, es gab Crossdressing, Pornografie und weibliche Weltreisende, die auch schrieben, z.B. Isabelle Eberhardt.

    Colette, die offen "tribadisch" lebende Radcliffe-Hall (hier mit Partnerin - auch eine Autorin, allerdings trotz Radikalfeminismus extrem gefühlig-schwülstig) und solche Bilder - das mag natürlich eine sexy Postkarte sein, keine echte Autorin. Auch Volltätowierte (bin nicht sicher, aber Arabella hat u.U. ihre Biografie geschrieben). Um 1900 waren 80% des britischen Königshauses - Männer wie Frauen - ganzkörpertätowiert.


    Und klar gab es auch massive Repressionen (wie man an den Verurteilungen oben sieht), das ist eine ganz extrem komplexe Epoche. Sorry, das mag jetzt etwas ins OT gerutscht sein, ist eine Art Steckenpferd von mir. Bei der Zeit 1790-1914 hab ich oft den Eindruck, nichts ist wie man denkt, für fast jedes epochentypische Beispiel findet man ein Gegenbeispiel.

    Hab neulich noch gelesen, dass in der Anglistik mehr über die Literatur & Sozialstrukturen der Victorian Era publiziert wurde, als über alle anderen Epochen Großbritanniens zusammen.


    Ja, ich hab mitgeschnitten, dass Rachilde nicht in UK lebte - aber Frankreich war, gerade was Erotikkultur angeht - ein großer Einfluß und es gab viel Austausch.

    Es gibt auch ein recht aktuelles Sekundärbuch zu ihr, das ich jetzt gerade auf dem Handy nicht mehr finde.

    OMG Hilfe, ich dachte, ich hätte mit dem letzten der vier Death Dealers und einem mega-vergriffenen Betonbuch alles momentan Dringende angeschafft. Ich fürchte fast, da gibt es mehrere, das z.B.. Wenn du es findest, poste doch sehr gern den Link!


    Als ich grad schnell nach Sekundärliteratur schaute, fand ich übrigens noch andere aktuellere englische VÖs, da wäre interessant, inwieweit bzw. ob die sich überschneiden, was den Inhalt betrifft.