Roald Dahl’s Buch der Schauergeschichten

  • Roald Dahl’s Buch der Schauergeschichten (Roald Dahl’s Book of Ghost Stories)

    Deutsch von Nils-Henning von Hugo, Ilse Strasmann u. Benjamin Schwarz

    Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1985

    Antiquarisch erhältlich



    Aus 749 Stories hat Roald Dahl die vorliegenden 14 besten ausgewählt. Bei dieser beeindruckenden Zahl hätte man ja auf einige unentdeckte Perlen gehofft. Stattdessen gibt es Altbekanntes, Klassiker und auch im deutschen Raum vielfach Nachgedrucktes (was kein Qualitätsmanko bedeutet).


    Das Buch präsentiert mehrheitlich britische Gespenstergeschichten aus dem ersten Drittel bzw. der Mitte des 20. Jahrhunderts. Eine Ära, in der die Gattung mehr durch ein sanftes Gruseln als durch handfeste Schrecken von sich reden machte. So meint man jedenfalls nach der Lektüre.

    Leslie Poles Hartle: W. S.

    Der Schriftsteller Walter Streetley erhält Ansichtskarten von einem unbekannten Verehrer. Neben Bewunderung enthalten die Schreiben Kritik und Aussagen zu Streetleys Werk, die diesem zunehmend unangenehmer werden. Unterm Strich: Ein kleiner Schreibratgeber im Gewand einer Gruselstory, der etwa so lauten könnte: Warum man sich als Autor die Anlage und Ausstaffierung seiner Figuren gut überlegen sollte … :thumbup::thumbup:

    Rosemary Timperley: Harry

    Eine Beispiel der psychologischen Gespenstergeschichte, das zudem noch die kindliche Erfahrungswelt thematisiert: Was sehen, spüren und erleben Kinder, das den Erwachsenen verborgen bleibt? Wer versucht, die Frage zu beantworten, kommt möglicherweise – wie im vorliegenden Fall – einer Tragödie auf die Spur. :thumbup::thumbup:

    Cynthia Asquith: Der Laden an der Ecke (The Corner Shop)

    Auf der Suche nach einem Geschenk für einen Freund, betritt der junge Anwalt Peter Wood die „Raritäten-Ecke“. Er ist angetan von dem manierlichen Antiquitätengeschäft sowie den beiden Ladys, die den Laden führen. Bei Woods nächsten Besuch empfängt ihn ein älterer Kustos, der ihm zu einem Gelegenheitskauf verhilft. Das Schnäppchen entpuppt sich als rarer Kunstgegenstand, der aus einem ganz bestimmten Grund den Besitzer gewechselt hat. Eine klassische Antiquitätenladen-Geschichte: Zwischen altem Trödel gedeiht das Gespenstische nun einmal am besten! :thumbup::thumbup:

    E. F. Benson: In der U-Bahn (In the Tube)

    Gibt es Leute, die Visionen erleben, in denen sie den Tod eines Mitmenschen vorhersehen können?

    Das im Volksglauben als „Das zweite Gesicht“ bekannte Phänomen wird von Benson wissenschaftlich-spekulativ angegangen. Durch ihren Hang zum Theoretisieren erinnert die Geschichte an vergleichbare Problemstellungen im Werk Algernon Blackwoods. Spannung, Dramatik und vor allem Gruselfaktor stehen dabei leider etwas zurück. :thumbup::thumbup:

    Jonas Lie: Elias und der Draug

    Diese Erzählung fällt aus dem Rahmen. Zum einen durchbricht sie das Schema der durchgängig britischen Autorenauswahl. Möglicherweise hatte Dahl ein Faible für den Norweger Lie, weil er selbst norwegischer Abstammung war. Viel mehr jedoch nimmt „Elias und der Draug“ eine Sonderstellung ein, weil es sich um eine maritime Schreckensgeschichte von sagenhaftem Charakter handelt. Mit ihrem dramatischen Tonfall und dem packenden Geschehen um ein rachsüchtiges Meeresgespenst lässt sie die meisten der behutsamen Ghost Stories jedenfalls hinter sich. :thumbup::thumbup::thumbup:

    A. M. Burrage: Spielkameradinnen (Playmates)

    Wie schon in Rosemary Timperley „Harry“ geht es in dieser Story um die Frage kindlicher Empfindung. Dabei stehen sich ein spleeniger Privatgelehrter und seine eigensinnige Adoptivtochter innerhalb eines nicht ganz einfachen Vater-Tochter-Verhältnisses gegenüber. Stärker als bei Timperly wird das Mysterium (das Kind hat unsichtbare Spielkameradinnen) mit einer psychologischen Fragestellung konfrontiert: wohl durchdacht, elegant erzählt und mit einem unerwarteten Schluss versehen. :thumbup::thumbup::thumbup:

    Robert Aickman: Wechselläuten (Ringing the Changes)

    „Wechselläuten“ ist die Episode eines frisch verheirateten, altersmäßig weit auseinander liegenden Paars (er gut 20 Jahre älter als sie). Mit dem Altersunterschied fixiert der Autor eine eklatante Ungleichheit zwischen beiden. Eine Ungleichheit, die sich am Ende der Story in einem finsteren Geheimnis manifestiert haben wird. Was bis dahin geschieht? Nun, die beiden begehen ihre Flitterwochen in einem englischen Küstenstädtchen, in dem ununterbrochen die Glocken geläutet werden. Mit diesem Geläut aber wird etwas Ungeheuerliches bezweckt … Meine Meinung: Pflichtlektüre für jeden Connaisseur der Weird Tale! :thumbup::thumbup::thumbup:<3

    Mary Treadgold: Das Telefon (The Telephone)

    Hier verrät bereits der Titel, dass Gespenster mit der Zeit gehen und sich unserer bekannten Kommunikationsmittel bedienen. Die Idee des Anrufers aus dem Jenseits mag nicht bahnbrechend originell sein, aber Mary Treadgold gelingt es, eine verstörende, unheimliche Love-Story zu schildern um eine Liebe, die den Tod überdauert. Mit Vorbehalt formuliert, weil die Autorin die Frage offenlässt, ob es sich bei dem Gespenst vielleicht nicht doch nur um die Regung eines gebrochenen Herzens handelt … :thumbup::thumbup:

    Edith Wharton,: Hinterher (Afterwards)

    „Hinterher“ zählt für mich zu den Highlights des Buches. Das Setting – es geht in Richtung Spukhaus – mag wenig originell erscheinen, aber in der Art, wie die Autorin die Vorgänge erzählt, stecken Gewissenhaftigkeit und Liebe zum Detail. Zum Inhalt: Ein amerikanisches Paar ist durch Spekulationen des Ehemannes wohlhabend geworden ist und verwirklicht sich den Traum eines Landhauses in England. Dieses Landhaus verfügt erwartungsgemäß auch über ein Hausgespenst. Man erkennt dessen Präsenz allerdings erst, nachdem man ihm begegnet ist. Natürlich tritt das Gespenst auch hier zutage und greift empfindlich in das Leben der Eheleute ein. Eine schwermütige und eindringliche Geisterstory um die Zerbrechlichkeit dessen, was wir „Glück“ nennen. :thumbup::thumbup::thumbup:

    Rosemary Timperly: Weihnachtsbegegnung (Christmas Meeting)

    Rund um das Weihnachtsfest existiert ja ein eigener Kranz unheimlicher Erzählungen. Dies hier ist eine davon (dazu eine äußerst kurze). Eine ältere Dame verbringt Weihnachten allein und erhält überraschend Besuch von einem jungen, etwas überdrehten Mann – der jedoch genauso schnell wieder verschwunden ist, wie er gekommen war. :thumbup:

    A. M. Burrage: Der Feger (The Sweeper)

    Der Typ des rächenden Gespenstes ist meistens ein Garant für ein tendenziell grimmiges Garn. Diese Behauptung wird mit „Der Feger“ bestätigt. Eine reiche alte Dame ließ sich einst zu einer überheblichen Handlung mit tödlicher Folge hinreißen. Seitdem versucht sie, das begangene Unrecht wiedergutzumachen. Doch die Toten vergessen nichts und der Rächer aus dem Jenseits ist ihr auf der Spur! :thumbup::thumbup:

    J. Sheridan Le Fanu: Der Geist einer Hand (The Ghost of a Hand)

    Hier sagt der Titel bereits alles. Der älteste Beitrag der Sammlung. Diesen Umstand gilt es vielleicht zu beachten, um der Story gerecht zu werden. In meinen Augen eher Mittelmaß. :thumbup:

    Richard Middleton: Auf der Straße von Brighton (On the Brighton Road)

    Manche Leute wollen einfach nicht wahrhaben, dass sie bereits gestorben sind. Solcherart sind sie dazu verdammt, als rastlose Geister von Ort zu Ort zu ziehen. Und manchmal trifft man sie eben auch auf der Landstraße … Prädikat: Klassiker der Ghost Story eines leider viel zu früh aus dem Leben geschiedenen Autors. :thumbup::thumbup:

    F. Marion Crawford: Die obere Koje (The upper Berth)

    Ein weiterer Evergreen. Gibt es auch als EC-Comic-Adaption oder als Hörspiel der Reihe „Gruselkabinett“ (Nr. 34). In der Kabine eines Passagierdampfers geht es nicht mit rechten Dingen zu … Meiner Meinung nach behandelt Crawford das Thema des maritimen Spuks eher durchschnittlich. Es tut mir leid um diesen launischen Ausstieg, aber ich sage: verzichtbar! :thumbup:

  • Ich hab das Buch auch zu Hause im Regal stehn und schon vor längerer Zeit mal gelesen. War über sein Vorwort erstaunt, das es nur so wenige "Gute" Stories gibt, aber das spiegelt wohl Dahl s Ansicht und Meinung wieder. Auswahl gelungen, las sich sehr gut, vieleicht demnächst mal wieder.

  • Dazu hatte ich mich auch erst ausgelassen, dann wieder gelöscht: dachte mir, der Text ist lang genug …


    Aber ja: Über dieses Vorwort bin ich auch gestolpert. Wie man bei der Anzahl von Geschichten nicht M. R. James oder Algernon Blackwood berücksichtigen kann, ist rätselhaft. Aber die waren auf dem englischen Markt vielleicht schon sehr gut vertreten, als er den Band plante.

  • Wie man bei der Anzahl von Geschichten nicht M. R. James oder Algernon Blackwood berücksichtigen kann, ist rätselhaft.

    Stimmt natürlich, aber wahrscheinlich waren diese tatsächlich damals einfach schon zu präsent im Anthologie-Bereich. Mit Aickman, Benson und Le Fanu (u.a.) sind ja dennoch ein paar namhafte Autoren versammelt.

    Hab mir das Buch (dank dir) jedenfalls gleich mal bestellt und bin gespannt.


    Den Titel finde ich jedoch etwas irreführend, da er impliziert dass es sich bei der Sammlung um Geschichten aus der Feder von Roald Dahl handelt. Aber das wird bei prominenten Herausgeber ja häufiger so gehandhabt, um mehr potentielle Leser zu generieren.

  • Cheddar Goblin Bin mal gespannt, welche der Stories du zu deinen Favoriten zählst …


    Dass Dahl den Aickman drin hat, kann man nicht hoch genug anrechnen, das stimmt wohl. Und von LeFanu hat er immerhin eine nicht ganz so populäre Story gebracht. Unterm Strich fiel meine Bewertung ja auch wohlwollend aus.


    Dass Dahl selbst so prominent im Titel vertreten ist, klar, da wird man auf seinen guten Namen gerechnet haben. Im Übrigen hat er ja selbst auch einige unheimliche Stories verfasst, wenn ich mich nicht irre.