Baba Yaga (1973)

  • Baba Yaga a.k.a. Baba Yaga, the Devil Witch a.k.a. Kiss Me, Kill Me

    Deutsch (irreführend, da keine Fortsetzung von D'Amatos' Film und ohne Bezug zu Mirbeaus Torture Garden) : Foltergarten der Sinnlichkeit 2

    Italien / Frankreich 1973

    91 min. uncut bzw. 71' ohne Nacktbilder

    Buch & Regie: Corrado Farina

    Nach einer Unterserie der Valentina-Comix von Guido Crepax (Valentina et Baba Yaga)

    Mit: Isabelle De Funès, Carroll Baker (Baby Doll), George Eastman, Ely Galliani

    Kamera: Aiace Parolin


    Trailer (3,31' Engl.)

    Trailer Moviepilot.de ohne Dialoge (1,12')

    DVD restored / remastered 2003 (83' ?)

    Der Film steht wohl auch frei online.



    Die Modephotographin Valentina Rosselli (De Funès ist selbst Kunst-Photographin) wird von einer extravaganten Rolls-Royce-Fahrerin beinahe in einen Unfall verwickelt, daraufhin 'aus Höflichkeit' nach Hause gefahren und dort mit ihr flirtet. Die geheimnisvolle Fremde nennt sich Baba Yaga und stellt sich als echte Hexe heraus: Sie legt einen Zauber auf Valentinas Kamera, sodass all ihre Models beim Photoshoot (shoot wortwörtlich) sterben. Valentina wird von surrealistisch-erotischen Albträumen heimgesucht, die Realität zu werden scheinen, nachdem sie von Baba eine BDSM-Puppe namens Annette geschenkt bekam - diese erwacht zum Leben und tötet ihrerseits weitere Models. Die Geschichte driftet weiter ab in Richtung SF (die Hexe ist eigentlich ein Alien) sowie Spukhaus (Babas Villa stellt sich als jahrelang verlassen heraus). Neben dem Flirt mit Baba Yaga und der lebendig gewordenen Puppe Annette hat Valentina eine Beziehung zu einem Regisseur.

    Das Thema der 'lebenden Puppe' wird als Film-im-Film gespiegelt, als Valentina ins Kino geht und dort Der Golem anschaut.


    Die Produktionsfirma zerstückelte den Film in Abwesenheit des Regisseurs und brachte ihn in dieser Form 1973 in die Kinos. Ich habe sowohl gelesen, dass diese Filmstreifen unauffindbar seien bzw. vernichtet wurden als auch, dass es inzw. eine uncut / remastered Version gäbe.

    Ein schöner, gut recherchierter Artikel hier sagt noch, dass es wohl eine Valentina/Baba-Yaga TV Serie gab, der Videolink ist allerdings kaputt.


    Das helsinkier WHS Teatteri Union, ein kleines, wunderschön altmodisches Kino zeigt Baba Yaga in einer Reihe 1970er Puppenhorror und ich werde ihn mir am Donnerstag anschauen (wobei ich nicht weiß, ob dies die geschnittene Originalfassung oder die uncut remastered ist). Nachdem ich als Kind ein Vampirella-Comic auf der Straße fand (das ich immer noch besitze), lernte ich mit 12 eben Crepax' Valentina-Reihe kennen. Die Hauptfigur ist eine 1968s-Version von Louise Brooks' lesbischer Pandora-Figur aus Wedekinds gleichnamigen Filmen, bei Crepax eben bi- oder besser pan-/multisexuell, wenn man Sex mit unbelebten Gegenständen, Kraken, Lemuren und spekulativen Gestalten bedenkt.

    Interessant bei Crepax finde ich, dass er durchaus viel Nacktheit und expliziten Sex zeichnet, aber alles dabei recht kühl-distanziert und designt wirkt, was die Szenen gleichzeitig erotisch und unerotisch erscheinen lässt. Crepax schätze ich sehr wegen seiner extrem ungewöhnlichen Raumkonzepte und dem surrealistischen Umgang mit der erzählten Zeit.


    Von den Filmausschnitten her finde ich Baba Yaga sehr viel sinnlicher und lebenslustiger als die gezeichnete Figur, die harsch und hager entworfen ist, und darüber auch wesentlich älter wirkt. (Mit der slawischen Legende / Gottheit hat die Figur wohl gar nix zu tun.) Valentina / De Funès sehe ich auch anders als die Vorlage: Eher naiv-dauerüberrascht als rational-neugierig wie die Comicfigur, aber auf jeden Fall verspricht der Film grandiosen Spaß. Läuft hier ab 18, was aber wohl eher daran liegt, dass es - eine Seltenheit in Finnland - Alkoholausschank gibt, denn wir haben keine Filmzensur und keine verbindlichen FSK-Richtlinien. Ich werde berichten.


    Crepax / Valentina

  • Der Film (ungeschnitten gezeigt) ist doch etwas anders als viele plot summaries und Rezensionen glauben machen - Valentinas Hauptbeziehung ist die zum Regisseur, die auch die einzige tatsächliche Sexszene ergibt (sehr hübsch gemacht: beide blättern in dem Crepax-Comic und die Live-Szenen wechseln sich mit Zeichnungen ab). Baba Yaga flirtet zwar mit Valentina, allerdings weist diese eine eindeutige Verführung - eben mit Berührung - brüsk ab: "Mit dir alter Lesbe will ich nicht ins Bett!" Oopsy *gn*. Der Grund liegt allerdings darin, dass Valentina sich durch Babas Magie manipuliert fühlt, sie sagt dabei auch, dass sie über ihr Leben selbst bestimmen will. Wesentlich offener ist sie den Avancen der 'Puppe' Annette gegenüber, die weniger psychologisch manipulativ ist, denn als BDSM-Mistress tonangebend. Valentina lässt sich am Ende des Films in der Villa von ihr ausziehen, in Ketten legen und auspeitschen (Baba Yaga muss nach Valentina Zurückweisung untätig zusehen). Dann aber bricht der Regisseur-Lover in die Villa ein und befreit Valentina wie eine damsel in distress (obwohl ich nicht den Eindruck hatte, Annette hätte gegen ihren Willen gehandelt bzw. Valentina wäre tatsächlich in distress). Baba und Annette finden beide in den darauffolgenden Szenen den Tod bzw. verschwinden auf magische Weise.


    Insgesamt ist es ein interessanter, unterhaltsamer und reichlich schräger Film, der allerdings nicht ansatzweise an die Weirdness und den Surrealismus der Graphic Novels herankommt.

    Baba Yaga hat nicht nur einen Hexen-, sondern auch implizit einen leichten Vampirtouch, denn im Laufe des Films erscheint sie immer älter und abgehärmter (so, wie ich sie aus dem Comic her kannte). Annette fand ich grandios (auch, weil sie keine Dialoge hat), sowohl als Puppe - deren Mimik sich je nachdem, was gerade passiert, deutlich verändert - wie auch als lebende Frau. Ähnlich wie Silje Reinåmo in Thale (NOR 2012) bestreitet sie sämtliche Szenen fast nackt (und zwar ohne die Nipple-Tassels des Filmposters oben), was aber trotz des Outfits ganz natürlich und selbstverständlich wirkt.


    Auch, wenn ich den Film nicht gerade für ein Meisterwerk halte, ist er schön weird und ich hab es sehr genossen, Nacktheit ohne Prüderie oder aufgesetzten Skandal zu sehen. Es ist schon ziemlich schockierend, dass wir genau 50 Jahre später so extreme sozialpolitische Restriktionen in Bezug auf Körperlichkeit im kommerziellen Spielfilm haben (TV mal ausgenommen, wenn ich z.B. an EXIT denke), während sanktioniert-sexualisierter Ausdruck solchen Dumpfschwestern wie den Kardashians oder Jenners bzw. GangstaRap/HipHop-Videos vorbehalten scheint. ImA ein extremer, beunruhigender Rückschritt, der die Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit von expliziter Sexualität auf der Leinwand (oder in der Kunst) immer stärker verdrängt, eigentliche Pornographie verunglimpft und die Bühne kommerziell gefaktem "Skandal" ('wardrobe malfunctions') irgendwelcher bekloppter, neureicher Influencer-Tussen überlässt.


    Ich will nicht sagen, früher sei alles besser gewesen, aber ich schätze die Stärke und Selbstverständlichkeit solcher erotischer Bilder wie denen eines Frazetta, Royo, Grenier, Giger, Druillet etc. und Crepax, die Körper eben als solche zeigen, in erotischen Szenen, und dabei nicht ständig nach dem politischen 'Zeitgeist' oder einkalkulierten Twitter-shitstorms schielen.


    Zu den Figuren im Film: Selbst wenn De Funès auch privat eine Photographin ist, fand ich sie für die Rolle ungeeignet bzw. gestaltete sie sie zu unbedarft, nahezu dümmlich. Valentina ist im Comic tatsächlich oft sehr passiv, fast in Trance, allerdings zieht sich das nicht durch sämtliche Situationen, sondern zeigt sich vor allen in den stark surrealistischen Szenen. Man findet also durchaus Zeichnungen, die genau De Funès Gesichtsausdruck haben; aber die selbstbewussten, frechen und aktiven Anteile, die imA diese Figur so spannend machen, existieren im Film nicht. Darüber erschien sie mir zu sehr in einer Nahezu-Opferrolle, wenn sie zwischen all den Flirts und dem Begehren anderer etwas verloren umherstolpert.

    Mit einem klassisch-feministischen Blick der 90er interpretiert, hat Valentina als Photographin aber die Macht des dominanten Blickes, i.e. die Macht, andere - durch die Linse und die Abbildungen - zu objektivieren, und diese Position kommt zwar im Comic raus, aber eben nicht im Film.


    Ich stellte mir Valentina trotz phasenweiser Verpeiltheit wesentlich frecher vor, und zwar wie Brigitte Bardots Camille in dem Film Die Verachtung. Der - ebenfalls recht schräge, aber nicht spekulative - Film kam 10 Jahre zuvor 1963 raus, aber Bardot hätte auch in den 70ern noch wunderbar gepasst. Sie hat eben dieses gleichzeitig Frech-Selbstbewusste und das (gespielt) Naiv-Passive, ist aber insgesamt eine wesentlich ausdrucksstärkere Schauspielerin mit viel direkterem Blick und würde imA dem Grundton der Comics wesentlich besser entsprechen ...


    Fritz Lang und Brigitte Bardot in Le Mépris / Die Verachtung (1963); Bardot 1970.