Sascha Dinse - Elysion & Tartaros


  • Mit „Elysion & Tartaros“ liegt bereits die vierte Kurzgeschichtensammlung des Berliner Autors Sascha Dinse innerhalb von vier Jahren vor. Eine beachtliche Schlagzahl, die noch deutlich mehr imponiert, da der Autor in seinen Erzählungen nicht die einfachen Klischees der Phantastik bedient, sondern kleine, sorgsam durchgeplante Kunstwerke der Weird Fiction schafft.


    Die Einflüsse von David Lynch sind nicht zu übersehen und auch Anleihen von Philip K. Dick („Blade Runner“), Christoper Nolan („Memento“, „Inception“), „Matrix“ und den weniger bekannten „Dark City“ lassen sich erkennen. Alles Vorbilder, die die vermeintliche Realität in Frage stellen. Auch Dinses Protagonisten fliegt ihr Alltag, ihre bekannte Umgebung regelmäßig um die Ohren. Es öffnen sich Pforten in andere Dimensionen, ihr Umfeld verändert sich (im wahrsten Wortsinne) oder sie müssen erkennen, dass ihre geistige Wohlfühlzone nur Schein ist.


    Realisiert ist die schleichende Desorientierung meist durch krasse Szenenwechsel, die auch die Chronologie der Erzählungen massiv aufbrechen; beinahe, als hätte der Autor die Kapitel der einzelnen Stories wild durcheinandergemischt. So ist auch der Leser herausgefordert und gezwungen, das Gelesene puzzleartig zusammenzusetzten, wobei sich immer wieder überraschende Änderungen im Gesamtbild ergeben.

    Auf einen Schlag wird mir klar, was mit der Szene nicht stimmt. Es ist die Zeitform. Diese Dinge, die ich aus meiner Erinnerung niedergeschrieben habe, sind noch nicht geschehen.“

    Höhepunkt ist sicherlich „Hollowbrook“, in dem das Schicksal des (geistig verwirrten) Erzählers komplett im umgekehrten Zeitablauf geschildert wird. „Memento“ lässt grüßen.


    Insgesamt stellt man fest, dass mit Sascha Dinse inzwischen ein junger Autor auf der Phantastik-Bühne mitspielt, der spätestens jetzt einen komplett eigenen Stil ausgeprägt hat. Geschichten mit doppelten und dreifachen Böden, unzuverlässige Erzähler, surreale Ereignisse, so dass hinter jeder Ecke eine neue Überraschung lauert. Dabei handwerklich top-notch, starke Bilder, plastische Charaktere und stets sauber und stringent durchkonzipiert.

    Uneingeschränkte Empfehlung für Leser, die ein Herz für Weird Fiction haben und sich gerne herausfordern lassen.

  • Ich kann mich deinem Leseeindruck nur anschließen, Elmar. Mir hat die Sammlung auch wieder sehr gut gefallen.


    Elysion & Tartaros – Sascha Dinse

    Edition Subkultur, Berlin, 13.10.2022

    ISBN: 978-3948949204

    Seiten: 270 Seiten

    Preis: 14,90 Euro


    Elysion & Tartaros ist bereits der vierte Kurzgeschichtenband von Sascha Dinse und wieder einmal hat der Autor mich mit seinen Storys begeistern können. Er versteht es wie kein zweiter, mich in die Geschichten hineinzuziehen, Spannung zu erzeugen und die die Fantasie anzuregen. Er führt uns in die Welt hinter der Welt, die nur darauf lauert, das zu überdecken, was wir kennen, er zeigt uns Risse im Bekannten, hinter denen der blanke Horror haust, er macht aus Tieren und Insekten Bedrohungen, die teilweise recht ekelig daher kommen. Dabei erzählt er nie chronologisch, sondern bietet Versatzstücke, die wie bei einem Puzzle erst am Ende ein Ganzes ergeben. Er zeichnet seine Figuren sehr liebevoll und sorgfältig, sodass wir als Leser sie verstehen und auch manches Mal Mitleid mit ihnen haben, oder sie verachten, wobei selbst bei denen, die wir verachten, eine gewissen Sympathie, wenigstens aber ein Verständnis vorhanden ist. Denn so, wie Sascha Dinse seine Geschichten schreibt, kann man sich vorstellen, dass uns dieser Wahnsinn jeden Tag ereilen könnte. Der Autor lässt den Leser oft denken: Was wäre wenn … Für mich ist das eine hohe Kunst, die Sascha Dinse perfekt beherrscht. Ich mag es auch, dass es – ähnlich wie bei King – Personen gibt, die immer wieder auftauchen. Sie kommen einem inzwischen vor wie alte Bekannte. Wie der Autor vorab schon verrät, werden einige dieser bekannten Personen auch in seinem Debütroman vorkommen, auf den man jetzt schon sehr gespannt sein darf.

    Das Einzige, was bei einer Kurzgeschichtensammlung eher auffällt, als wenn man die Geschichten im Abstand in verschiedenen Veröffentlichungen liest, sind gewisse Wiederholungen und/oder Floskeln, die häufig wiederkehren. So scheint der Mond z.B. ständig fahl. ;) Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, denn ansonsten hat dieser Band für mich keine Mängel. Der Autor führt einen ebenso gut ins viktorianische England wie in die Zukunft. Bei ihm leben nicht nur die handelnden Charaktere, sondern er lässt auch die Ortschaften bildhaft vor den Augen erscheinen. Auch wenn es sich vielleicht unwahrscheinlich anhören mag, aber Sascha Dinse erzählt mit seinen Horrorstorys oft auch sehr intensive und einfühlsame Liebesgeschichten, wirft die Frage auf, wie weit würde man gehen für die eine Person, von der man weiß, es ist die richtige. Ist man gewillt, dafür alles aufzugeben? Geht man mit ihr an Stellen, die man besser meiden sollte? Stellen, an denen das wahre Grausen auf einen lauert. Und er wirft die Frage auf, ob die wahre Liebe überhaupt mit dem Tod enden kann. Besteht sie nicht irgendwie weiter? Wird sie vom anderen auch im Jenseits wahrgenommen? Bei Sascha Dinse wird mit einer Inbrunst geliebt, die berührt. Ein weiterer Aspekt, der auch immer wieder vorkommt, ist die Kunst und der Künstler. die Zerrissenheit vom Applaussüchtigen und dem ewigen Zweifler. Was darf Kunst? Rechtfertigt der Erfolg alles? Muss sie verstanden werden?

    Alles in Allem sind Sascha Dinses Geschichten vielschichtiger, mit Verweisen gespickt, mit Metaphern belegt und allesamt zum Mehrfachlesen geeignet. Daher kann ich mal wieder nur die Höchstpunktzahl vergeben: Fünf von fünf Sternen.

    Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach! (ML)

    Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)

    Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)

    Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)

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