BritBox Miniseries: Magpie Murders

  • Magpie Murders

    Spekulatives Whodunnit

    BritBox / Eleventh Hour Films, UK 2022

    Miniserie mit 6 Episoden à 45 Mins. (abgeschlossen)

    Drehbuch: Anthony Horowitz nach seinem gleichnamigen Roman von 2016 (dt. Die Morde von Pye Hall. Transl. Lutz-W. Wolff. Insel Verlag, 2018)

    Regie: Peter Cattaneo

    Mit: Lesley Manville, Conleth Hill, Tim McMullen, Pippa Haywood, Claire Rushbrook, Alexandros Logothetis

    Noch kein deutscher Sendeplatz.

    Trailer

    Erste Sequenzen / Intro (Schreibprozess)

    Teaser
    Titelsequenz (analog zur Cover Art des Romans)

    What is Magpie Murders? Beteiligte teasern / Behind the Scenes


    Ein wirklich extrem charmantes Murder Mystery im doppelten Sinne der Genre-Bezeichnung, das als Geschichte-in-der-Geschichte erzählt wird, die Grenzen zwischen Raum und Zeit einreißt und dabei noch etwas über den Schreibprozess von Krimis (oder generell Prosa) offenlegt. Magpie Murders bezieht sich dabei dezent - und als immer wieder angesprochene Referenz - auf Agatha Christie (v.a. Poirot) und Doyles Sherlock Holmes, ist dabei erfrischend neu und dynamisch. Zumindest in der Serie (das Buch hab ich noch nicht gelesen) spielen sich mehrere Morde in parallelen Welten ab: Einmal in der Fiktion in den 1950ern, einmal der Realität in der Jetztzeit, und diese Grenzen werden - am Ende in beide Richtungen - im Laufe der Serie immer stärker überschritten, bzw. ist eine Aufklärung nur durch die Kommunikation zwischen literarisch-historischer und real-aktueller Hauptfigur möglich.


    Screenshots aus dem finnischen TV / offizielles Poster:


    Plot:

    Alan Convey ist ein Bestsellerautor, der mit seinem Ermittler Atticus Pünd Millionen verdient, obwohl er es eigentlich hasst, Unterhaltung zu schreiben. Seine Lektorin Susan Ryeland, die eigentliche Hauptfigur und Quasi-Ermittlerin in der Jetztzeit, ist nur eine von vielen, die ein angespanntes Verhältnis zum Autor haben: Convey ist grausam, manipulativ (aber sehr charmant und intelligent); scheut sich nicht, sowohl von Krimigrößen wie Christie als auch von unbekannten Hobbyautoren zu plagiarisieren, und benutzt ebenso private Tragödien aus dem engsten Bekannten- und Familienkreis für seine Romane. Kurz vor Veröffentlichung seines neusten Atticus-Pünd-Abenteuers wird er tot aufgefunden. Dann stellt sich heraus, dass der Verleger ein Manuskript erhielt, bei dem das letzte Kapitel - die Aufklärung - fehlt. Alle handschriftlichen Aufzeichnungen und Notizen sind verschwunden, dafür gibt es einen dubiosen Abschiedsbrief.


    Susan entdeckt sofort Unstimmigkeiten, die sie an einem Unfall oder Suizid zweifeln lassen, und gegen den Widerstand aller Beteiligten beginnt sie, Conveys Tod als Mordfall zu ermitteln. In einem Parallelstrang erzählt die Serie von dem fiktionalen letzten Fall Atticus Pünds - eben das unvollständige Manuskript -, der immer stärker das Geschehen der realen Welt spiegelt. Pünd erscheint Susan - als spekulativer Grenzgänger, dezidiert nicht als Traum/Halluzination - und gibt ihr Hinweise, den Mord an seinem Autor aufzuklären. Nach und nach verstricken sich die Fiktion und Realität, Schaffende und Geschaffenes, Historie und Gegenwart, wobei Susan letztendlich selbst wie ein Gespenst in die fiktiv-historische Welt eintritt und dort die Aufklärung von Pünds Fall live erleben darf. (Was nicht bedeutet, dass sie stirbt.)


    Die Serie arbeitet nicht nur mit Spannungselementen, sondern auch mit sehr angenehmen, intelligentem britischen Humor, hat eine grandiose Ausstattung, Settings, Kamera und Schnitt und wird von einer durchweg exzellenten Cast getragen. Musik, Intro und die vielen Verweise auf den Prozess des Schreibens selbst zeigen ein 'work of love', das sehr stimmig und stimmungsvoll daherkommt. Obwohl ich sonst kein Freund von Cliffhangern bin, ist das hierbei toll verwendet, ohne manipulativ zu wirken. Auch sind die Ermittlungen toll gemacht, nie künstlich verklausuliert, und - soviel kann ich ohne Spoiler sagen - es sind jeweils Täter 'hidden in plain sight' mit handfesten, glaubhaften Motiven, kein der-Gärtner-war's und keine Figur, die am Ende zum allerersten Mal auftaucht [looking at you, Ms. Christie!].

    Das gesamte Ambiente - sowohl die wunderschöne englische Landschaft wie auch die Innenräume - ist sehr liebevoll in Szene gesetzt, teils recht düster-unheimlich und mit einem Augenzwinkern zum Abandoned.


    Im Laufe der Ermittelungen zum Fall Convey stellt sich heraus, dass der Autor sämtliche Personen seines Umfeldes despektierlich in seinem Roman einsetzte, und so werden alle Rollen (bis auf Susan selbst) doppelt besetzt - selten in gleicher Entsprechung, meist gegengleich typisiert. Anders als Cheddar Goblin zu Men schrieb, funktioniert es hier allerdings grandios, u.a. weil es den Schauspielern Gelegenheit gibt, ihr ganzes Können zu zeigen und nichts überzogen wirkt.


    Obwohl es in Magpie Murders nicht im herkömmlichen Genre-Sinne Geister gibt und hier die Kriminalgeschichten im Vordergrund stehen, ist die Serie dennoch tatsächlich spekulativ, es wird nichts wegerklärt, als Traum oder Halluzination gezeigt, das Paranormale ist selbstverständlicher Fakt, ohne das der Plot nicht funktionierte. Und eben sowas mag ich sehr: Wenn spekulative Geschichten eben auch einen literarischen Konflikt haben, der in einer rein realistischen Fiktion nicht erzählt werden könnte.


    Kleine Aufgabe: Atticus Pünd ist ein Anagramm ... wobei man aus dem ü ein u machen muss.


    Extrem unterhaltsam und kurzweilig, lässt sich Zeit mit seinen Figuren und hat dennoch durchgehend Tempo. Eine der besten Krimiserien, die ich in den letzten Jahren gesehen hab. Ebenfalls ein Plus: Die meisten Hauptfiguren sind jenseits der 50, insgesamt ein völlig unforcierter Mix aus Charakteren bzw. Identitäten.


    Bislang unübersetzt erschien 2020 ein zweiter Susan Ryeland-Band, Moonflower Murders. Ob es dazu eine zweite Miniserie geben wird, ist mir bislang nicht bekannt.


  • Yves_Holland Cool, wenn es dir gefällt - vielleicht lässt sich das irgendwo im Netz saugen. PBS Masterpiece - wo die Serie in den USA erschien - hat auch manchmal VoD-Möglichkeiten.


    Noch lobend erwähnen wollte ich, dass es so gut wie keine Figur gibt, die durchweg negativ oder unsympathisch ist (nur ein weibliches Opfer im historischen Teil ausgenommen) - das unterscheidet die Serie auch ganz deutlich von Christies Hercule Poirot, den David Suchet (wie auch viele andere Rollen) so unerträglich versnobt und arrogant darstellt, dass es für mich die Serie komplett ungenießbar macht. Dennoch haben alle Charaktere Ecken & Kanten, negative Seiten und private Probleme, nix wirkt zu süßlich glattgebügelt.