Tell Me, Dark
DC Comics, USA 1992/3
Text: John Ney Rieber
Illustrationen: Kent Williams
Ursprüngl. Story: Karl Edward Wagner
Genre: Horror Mystery
Der schmale Band ist ein stand-alone und hat eine sehr interessante Entstehungsgeschichte: Eigentlich von K. E. Wagner und Williams für Disney Comics Touchmark geschaffen, das aber - nachdem es mit diesem Projekt schon extrem schwierig lief - in Konkurs ging. Daraufhin kam das bereits fertig illustrierte 80-Seiten-Buch zu DC Comics, denen die Geschichte nicht gefiel und einen Druck in dieser Form ablehnten. Rieber - ein Protegé Wagners - wurde beauftragt, eine völlig neue Geschichte in die 'leeren' Textfelder zu schreiben und dies ist nun das Endprodukt.
Leider ist zumindest mir nicht bekannt, wie die eigentliche Story laufen sollte und ob an der Reihenfolge der Seiten etwas geändert wurde (letzteres denke ich eher nicht). Aber das Ganze funktioniert für mich ausgesprochen gut.
Tell Me, Dark ist Riebers erste Comic-Veröffentlichung. Die Dialoge sind sehr schön, intelligent und pointiert, kein Blabla, kein Menscheln, keine ständigen Kindheitserinnerungen, um Leser einzufangen. Es gibt dazu noch einen auktorialen Erzähler, der poetisch, teils mit angenehmen, shakespearischen Pathos Ordnung in Sands' emotionales Chaos und Verzweiflung bringt und gut durch die Handlung führt.
Im Intro wird eine Lilith-artige Dämonin (als real-existierend) vorgestellt, die Menschen emotional engagiert, 'einfängt' und dann - nachdem diese sich versündigten - mit in die ewige Verdammnis zu reißen, damit sie dort nicht so allein wäre. Schnitt zu einem jungen Amerikaner, Michael Sands, der auf der Suche nach seiner verschollenen Partnerin Barbara und einem beinahe tödlichen Sturz von einer Brücke in die Themse nach London zurückkehrt. Er ist sozial isoliert, depressiv und leidet unter Halluzination bzw. Visionen. Nach und nach wird in Rückblicken aufgerollt, was dem Verschwinden der Geliebten vorausging, und das ist eine okkult-trächtige Mischung aus Barkers "Midnight Meat Train" und de Sade. Bald sieht es aus, als hätte er Barbara wiedergefunden, als wäre sie einfach nur in ihre Drogensucht abgestürzt und als wäre nix Seltsames oder sonst Verbrecherisches passiert. Sands' Halluzinationen weiten sich jedoch schnell auch auf die Liebste aus, und ihm begegnet die Dämonin aus dem Intro - es liegt nahe, dass Barbara wie eine Marionette geführt als Köder dient.
Ich bin auf der Hälfte und sehr begeistert.
Eigentlich bin ich ja gar kein Fan von Themen um 'Verdammnis, Hölle, Dämonen' etc. - weil das sehr monumentale Konzepte sind (file under: 'overpowered characters'), die ja auch als realer Aberglaube existieren und einfach in ihrer Starrheit wenig Raum für spannende Geschichten bzw. Charaktere oder Plotentwicklungen lassen. Das Ganze berührt mich auch von meiner eigenen Biographie her null, da ich in einem realistischen Haushalt aufwuchs und davon erst ab Kindergartenzeiten erfuhr und da bereits genug Einblick hatte, um das als reine Fiktion zu erkennen. Sicher gibt es positive Ausnahmen: Der Film God's Army, der ja sogar extrem glaubhaft verschollene Schriften / Mythen erfindet, oder Matthew Lewis' The Monk, Bataille bzw. die klassischen Surrealisten oder de Sade dann in kritischerem Feld.
Tell Me, Dark (ich lese ja automatisch: Tell Me, Darkness, was imA einen schöneren Flow hat und bislang ist Dark jedenfalls kein Eigenname - aber vllt. war der Titel gecopyrighted) löst das aber grandios: Es wird zwar gesagt: Hey, Dämonen, Sünde und das Höllenfeuer sind hier Realität, aber andererseits - das mag ein Verdienst Rieders sein - werden alle Konflikte unter psychischem / psychotischem Aspekt behandelt. Man kann die spekulativen Elemente gut ambivalent sehen, sie passen grandios und auf sehr tragische, mitreißende Art auf die sozialrealistische Handlung und die Figuren, und eben dieses elegant angelegte Spannungsfeld trägt die Geschichte ganz perfekt.
Die Bilder und auch die Textfelder sind sehr düster, eine tolle Spiegelung zu Sands' Verzweiflung. Einige Textfelder sind sogar in Oliv gehalten, von dem sich die schwarze Schrift kaum absetzt, sodass ich trotz Lesebrille das Buch direkt vors Geschicht halten musste - dabei funktioniert das wie ein Zoom im Film und man erkennt wieder Details in den Bildern, die man vorher vllt. übersehen hätte. Also auch ein recht haptisches Büchlein mit sehr schönem Mattglanzpapier und einer angenehmen Größe zwischen DIN A 4 und 5.
Barbara könnte gut eine kleine Hommage an Guido Crepax' ikonische Standard-Heldin sein, die ihrerseits direkt an Louise Brooks angelehnt ist und in nahezu allen Geschichten in verschiedenen (und auch Doppel-)Rollen auftritt, u.a. Valentina in Stiefeln, die de Sade-Bearbeitung Justine u.v.m..
Ich bin gespannt, wie es ausgeht, wobei ich da ganz offen bin, ob sich das Spekulative stärker als real manifestiert oder es auf diesem Level bleibt. Außerdem zum Niederknien schöne Aquarelle. Alles hat ein grungiges Thriller Noir und Gothic-Feeling (hier mehr die literarische als die Musikkultur). Es gibt gruselige Photokunst und ein Gedicht jeweils zwischen den Kapiteln, das ganze Buch wirkt extrem liebevoll konzipiert.
Originalangaben:
In the horror mystery TELL ME, DARK, a haunted man enters a world of demonic sacrifices, fallen angels and dark magic when he goes in search of his lost lover. Michael Sands' world was destroyed on the night that his girlfriend inexplicably vanished. Consumed by her memory, the lovesick man returns to England on a quest to discover the true secret behind her disappearance. But after learning that an ancient evil is responsible for his girlfriend's mysterious fate, Michael becomes trapped in a deadly game of personal betrayals and eternal damnation.