A Ghost Story for Christmas

  • Der sich entspinnende #shocktober, der glücklicherweise mal wieder einige herbstlich anmutende Tage bringt, hat mich dazu verleitet, zu einigen exzellenten BBC-Verfilmungen zurück zu kehren.




    Die Box spielt an auf eine Sendereihe der BBC, die vor allem zwischen 1971 und '78 die weihnachtlichen TV-Bildschirme Großbritanniens unsicher machte: A Ghost Story for Christmas


    Die Reihe ist sehr James-lastig, was ich als Immer-wieder-Leser seiner Geistergeschichten sehr schätze. Jede Adaption aus der Reihe ist sehr gut gelungen, mindestens zwei würde ich als stimmungs- und ausstattungsmäßig unerreichbar einstufen. Glücklicherweise gibt es alle alten Episoden in der Tube, genauso wie eine mehrere Jahre vorher (und noch in s/w) in der BBC gesendete James-Umsetzung, die als Inspiration der Reihe gilt und die gleichfalls als enorm gelungen gelten kann.


    1968 - Jonathan Miller: Whistle and I'll Come to You


    1971 - Lawrence Gordon Clark: The Stalls of Barchester


    1972 - Lawrence Gordon Clark: A Warning to the Curious


    1973 - Lawrence Gordon Clark: Lost Hearts


    1974 - Lawrence Gordon Clark: The Treasure of Abbot Thomas


    1975 - Lawrence Gordon Clark: The Ash Tree


    Die drei letzten Episoden der originalen Reihe wenden sich dann Dickens und genuinen TV-Skripten zu:


    1976 - Lawrence Gordon Clark: The Signalman


    1977 - Lawrence Gordon Clark: Stigma


    1978 - Derek Lister: The Ice House



    Die Sendereihe wurde in den 00er-Jahren wiederbelebt, unter anderem durch eine Involvierung Mark Gatiss'. Abseits dieser neuen Folgen enthält die Box eine Stand-Alone-Produktion der BBC von 2010: Whistle and I'll Come to You, ein James-Kurzfilm mit John Hurt, der die Story genial modernisiert und unbedingt sehenswert ist.

  • Abseits dieser neuen Folgen enthält die Box eine Stand-Alone-Produktion der BBC von 2010: Whistle and I'll Come to You, ein James-Kurzfilm mit John Hurt, der die Story genial modernisiert und unbedingt sehenswert ist.

    Um medial nicht noch weiter zu verlottern, habe ich mir die YT-Videos gespart und stattdessen lieber gleich die Box zugelegt. Ich versuche ja, meine DVD-Sammlung sehr klein zu halten und reagiere nur auf ausgesprochene Empfehlungen. Neben den 6 Scheibletten hat mich hier vor allem das Booklet mit den Essays gereizt.


    Gesehen habe ich nun die 2 Versionen/Adaptionen von Whistle and I'll Come to You. Die 68er-Verfilmung von Jonathan Miller ist große Klasse! Allein dass sie in schwarz-weiß ist, trägt recht viel zur Stimmung bei. Auch mit der Darstellung des skurillen Professors Parkins bin ich voll einverstanden.


    Gewiss, der Film von 2010 ist unbedingt sehenswert und genial modernisiert. Ich will an dem Urteil nicht groß rühren, möchte aber doch sagen, dass das typische James-Feeling flöten gegangen ist. Regisseur Andy De Emmony erzählt im Prinzip seine eigene Gespenstergeschichte und hat sich zur Ausstattung einiger Elemente der Story bedient. Es wurmt mich freilich doch, dass er dabei einen erklärenden Zusammenhang aufzeigt, wie ihn uns James nie gegeben hätte. Das Hinzufügen einer dementen Ehefrau und das explizite Thematisieren von Körper und Geist sind eine große Eigenmächtigkeit, – jedenfalls mutig. Krankheit und Einsamkeit bringen jedoch eine Schwere in den Film, die ich bei der James-Lektüre eigentlich nicht empfinde.


    Abstriche gibt es zudem für den Tod von Professor Parkins sowie seinen Alptraum mit Rabe und zerschellendem Porzellanpuppenkopf: Das wäre nicht nötig gewesen. Die eher kurze Abhandlung von Reggie Oliver in seinem Essay zu diesen Verfilmungen scheint mir ein bisschen Recht zu geben …


    Dennoch: Ein reizvoller, legitimer Ansatz (mit einem beeindruckenden John Hurt) und ich bin froh, dass ich diese Fassung auch gesehen habe.

  • Wie immer interessant, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen ausfallen.


    möchte aber doch sagen, dass das typische James-Feeling flöten gegangen ist

    Das habe ich gänzlich anders empfunden. Man müsste natürlich eruieren, was "das typische James-Feeling" ausmacht.


    Regisseur Andy De Emmony erzählt im Prinzip seine eigene Gespenstergeschichte und hat sich zur Ausstattung einiger Elemente der Story bedient.

    Auch das kann ich so nicht sehen. Ich würde eher sagen: Einige Elemente des Originals werden abgeändert (das Hotel, der Anreisegrund, Ring statt Flöte etc.), die Handlung wird um Elemente erweitert, aber die maßgeblichen Stukturen der Geschichte bleiben meiner Ansicht nach erhalten, sodass von einer eigenen Geschichte eigentlich kaum die Rede sein kann. Hier sehe ich meine Aussage zur Modernisierung maßgeblich verankert. James schreibt ja in Stories I Have Tried to Write, dass Geistergeschichten im Setting realistische Aktualität benötigen, da sehe ich hier einen äußerst gelungenen Kompromiss zwischen James' Vorlage und eher heutigen Gegebenheiten und insofern eine konsequente Umsetzung der Doktrin. Ob man das als Theorie so annimmt oder nicht, wäre ja eine andere Frage.


    Es wurmt mich freilich doch, dass er dabei einen erklärenden Zusammenhang aufzeigt, wie ihn uns James nie gegeben hätte.

    Es ist ja nur ein Angebot, und ich muss hier wieder auf James kommen, der selbst schrieb, dass natürliche Erklärungen durch die Geschichte wabern sollten, aber nicht zu aufdringlich. Letzteres ist freilich immer diskussionswürdig, ich finde es im Film passend umgesetzt, gerade die Verbindung von Heimsuchung, Vergangenheitslast (freilich eine sehr traditionelle Kombo) und Demenz hat mich beeindruckt. Ob James - strukturell betrachtet - so einen Erklärungszusammenhang niemals gibt... ich bin mir nicht so sicher. James hat Sex als Teil einer Geistergeschichte abgelehnt, mehr aber auch nicht.


    Ich kann trotzdem gut nachvollziehen, dass der Film ggf. nicht ganz den Geschmack trifft, wenn man die '68er-Variante vollends gutheißt. Da tun sich gewiss Lücken auf, und die Adaption ist ganz sicher nicht ohne Schwächen.

  • Ich würde eher sagen: Einige Elemente des Originals werden abgeändert (das Hotel, der Anreisegrund, Ring statt Flöte etc.), die Handlung wird um Elemente erweitert, aber die maßgeblichen Stukturen der Geschichte bleiben meiner Ansicht nach erhalten, sodass von einer eigenen Geschichte eigentlich kaum die Rede sein kann.

    Gerade, dass die Flöte von einem Ring abgelöst wird, sehe ich als Beleg dafür, dass De Emmony eine Ehegeschichte erzählt. Die Assoziation Ring = Ehering ist naheliegend. Sehr souverän zudem die Entscheidung, aus dem Hotelzimmer mit 2 Betten eins mit Doppelbett zu machen. Dabei geht ja ein eminentes Handlungselement flöten: das zerwühlte Bettzeug in dem unbenutzten Bett. Der Gipfel ist schließlich,dass ein Gespenst mit den Zügen seiner Frau auf seinem Bett hockt und ihn zu Tode schockt … na ja – nicht zuletzt diesen Climax sehe ich kritisch.


    Eine Ehegeschichte kann ich bei James wirklich nicht herauslesen. Im James'schen Original wird – aus Neugierde, aus Unachtsamkeit, aus Spieltrieb … – etwas gerufen, was vorher nicht da war. Die Neuverfilmung geht von einem ganz anderen Hintergrund aus, nimmt sich im Handlungsverlauf ziemliche Freiheiten heraus und präsentiert auch noch einen ganz anderen Schluss. Ich neige weiterhin dazu, das als eigene Erzählung aufzufassen.

  • Nils und Arkham Insider Axel , hallo ihr beiden,


    super interessante Debatte! Ich teile letztlich beide Positionen ein stückweit: Vielleicht auch nur durch John Hurts wunderbare Darstellung hab ich mich recht schnell auf den Film eingelassen und ihn dabei durchaus als eine Interpretation der Kurzgeschichte anerkannt. Wohl ähnlich wie Nils hier sagt:

    ich finde es im Film passend umgesetzt, gerade die Verbindung von Heimsuchung, Vergangenheitslast (freilich eine sehr traditionelle Kombo) und Demenz hat mich beeindruckt.

    Allerdings sehe ich es mehr als Interpretation, denn tatsächliche Verfilmung. Ähnlich wie bei Schulz' Das Sanatorium zur Sanduhr, der auf ganz andere Art surrealistisch ist als die Vorlage und imA einen völlig anderen Drive reinbringt: eher karnevalesk als nihilistisch, mit wesentlich mehr Figurenpersonal bereits vor den Stadtszenen, und mit einer sinnlichen Körperlichkeit, die bei Schulz - zumindest in dieser Geschichte - gar nicht vorkommt.


    "Pfeife ..." und Wymarks "Die Affenpfote" waren neben einem Jugendhörspiel von Dracula die ersten 'richtigen' Geistergeschichten, die ich als Kind las und beide KGs haben mich irrsinnig gegruselt. Bei James lag das v.a. daran, dass der Prota allein ist, dass damit unklar bleibt, ob das tatsächlicher Spuk oder Halluzination ist. Bis es dann physische Beweise zu geben scheint. Das Isoliertsein in dem gothic-castle-ähnlichen Gasthaus eben als zentrales Setting und markanteste Grusel-Verortung fällt im neuen Film weg, ich hab ihn allerdings auch mehr unter rein psychologischem und nicht mehr unter noch zusätzlich spekulativen Aspekt angeschaut.

    (Dazu: Heute reißt mich der Text wesentlich weniger mit als "Die Affenpfote", die seitdem zu meinen Favoriten gehört. Das liegt nicht an meiner Abneigung gegen James' private Haltungen, sondern an dem Intro, das ich in der Art seitdem zu oft gelesen hab, und dann bleiben eigentlich nur noch die tollen, intensiven und bedrückenden Szenen mit der Gestalt, die da über die Buhnen springt).


    Es kommt bei mir einfach auf die Stimmung an, ob ich Filme mag, die sich weiter von der Vorlage entfernen, ob ich meine, dass der Film zwar Wesentliches ändert, aber teils wieder ähnliche Aussagen - eben nur mit anderen Mitteln - trifft, wie die Vorlage. Es kommt auch auf die Haltung der Filmemacher an: Wenn es eine respektvolle Neuinterpretation ist (als das sehe ich hier die neue Fassung), kann ich das anerkennen. Stellt man sich hin wie Tarkowski und spricht der Vorlage jedwede Existenzberechtigung ab, finde ich das nicht mehr so cool. (Zu Solaris sagte er, die Zuschauer (Leser) würden vom SF-Aspekt, dem 'Drumrum' wie Robotern und Raumschiffen nur vom Wesentlichen abgelenkt, und er sie nur gezwungenermaßen verwendete; zu Picknick am Wegesrand sowie sogar den Drehbuchentwürfe "Die Wunschmaschine" / "Stalker" sagt er, dass die Phantastik jedweder Fiktion im Weg stünde und es eigentlich um ganz andere Themen ginge! Quelle: Seine Memoiren Die versiegelte Zeit. Hier teilt er übrigens, möglicherweise in Unwissenheit, Stalins Haltung spekulativen Fiktionen gegenüber.) So etwas sehe ich bei der Verfilmung mit Hurt nicht gegeben, auch, wenn einiges zu- und um-interpretiert wird.

  • super interessante Debatte! Ich teile letztlich beide Positionen ein stückweit: Vielleicht auch nur durch John Hurts wunderbare Darstellung hab ich mich recht schnell auf den Film eingelassen und ihn dabei durchaus als eine Interpretation der Kurzgeschichte anerkannt.

    Wir sind uns ja einig, dass der Film gelungen ist. Ich selbst will auch gar nicht weiter Erbsen zählen. Nicht zuletzt deswegen, weil ich einen weiteren Beitrag gesehen habe: The Stalls of Barchester von Lawrence Gordon Clark aus dem Jahr 1971. Diese recht konventionelle Adaption hat mich offen gestanden nicht so richtig packen können. Ich bin allerdings auch nicht der größte Fan der Vorlage (The Stalls of Barchester Cathedral. Dann doch lieber eine Neuinterpretation/Abänderung, was auch immer, — aber filmisch überzeugend.


    Ähnlich wie bei Schulz' Das Sanatorium zur Sanduhr, der auf ganz andere Art surrealistisch ist als die Vorlage und imA einen völlig anderen Drive reinbringt: eher karnevalesk als nihilistisch, mit wesentlich mehr Figurenpersonal bereits vor den Stadtszenen, und mit einer sinnlichen Körperlichkeit, die bei Schulz - zumindest in dieser Geschichte - gar nicht vorkommt.

    True. Ich liebe diesen Film (Das Sanatorium zur Todesanzeige) und kann ihn immer und immer wieder schauen. Ich bekenne auch, dass ich nicht zuletzt diesen Vintage-Touch schätze, der einfach ein Geschenk der Zeit ist und sich bei einer heutigen Verfilmung nicht reproduzieren ließe.


    Die Jugendstil-Elemente, gerade in dem Sanatoriumsbau, sind typisch für eine Neuentdeckung dieses Stils in den 1960er/70er Jahren. Daneben ist, soweit ich es beurteilen kann, die überbordende, barocke Ausstattung ein Merkmal des Kinos jener Zeit. Ich denke da an die größenwahnsinnigen Projekte eines Werner Herzog (Aguirre, Fitzcarraldo) oder an die Kubin-Verfilmung Traumstadt (1973) von Johannes Schaaf.

  • Ich habe nun eine weitere Verfilmung angeschaut:


    A Warning to the Curious (Lawrence Gordon Clark, 1972)




    Somit bin ich mit den ersten beiden DVDs durch (Extras noch nicht berücksichtigt) — und ich muss sagen, dieser Film ist für mich bis jetzt das Highlight. Unglaublich schöne Landschaftsaufnahmen gepaart mit einem eindrücklichen Sound Design.


    Die Story selbst bringt es natürlich auch, in welcher sich der just arbeitslos gewordene Büroangestellte Paxton auf die Suche nach einer legendären altenglischen Krone macht. So tauscht er das betriebsame Londoner Leben gegen einen Aufenthalt an der rauen Küste Norfolks. Hier muss er erfahren, dass seine Neugierde nicht unbedingt willkommen ist … In einem anderen Feriengast, Dr. Black, findet er einen verständnisvollen Genossen. Doch dieser sich anbahnenden Freundschaft ist kein gutes Ende beschieden …


    Eine Episode höchst unheimlicher Machart mit tollen SchauspielerInnen und einigen, von der literarischen Vorlage abweichenden, charmanten Eigenheiten.

  • Arkham Insider Axel Das klingt ja alles sehr gut, macht richtig Lust - den Film schaue ich mir am Wochenende an, hier ist es passend diesig-grau und herbstlich.


    Ich bin sehr erstaunt übrigens, dass die BBC die Filme noch nicht aus dem Netz geholt hat (oder erlöschen TV-Rechte schneller als Gedrucktes?), eigentlich ist das in der Hinsicht der rigoroseste, eifrigste Sender.