Anne Eekhout - Mary


  • Übersetzung: Hanni Ehlers

    Originaltitel: Mary

    Verlag: Btb

    Hardcover mit Schutzumschlag,

    416 Seiten, 12,5 x 20,0 cm


    "Im Jahre 1816 hat Mary Shelley, gerade einmal achtzehn Jahre alt, die Geschichte von Frankensteins Monster erschaffen, eine der außergewöhnlichsten, einflussreichsten und faszinierendsten Horrorgeschichten der Weltliteratur.

    Es ist der Sommer, den Mary mit ihrem Geliebten Percy Shelley, ihrem neugeborenen Sohn William und ihrer Stiefschwester Claire bei Lord Byron und John Polidori am Genfer See verbringt. Draußen toben Gewitter, nachts sitzen die Freunde am Feuer, trinken mit Laudanum versetzten Wein und lesen sich Gespenstergeschichten vor. Als Lord Byron eines Abends vorschlägt, jeder solle selbst eine Gruselgeschichte schreiben, erinnert sich Mary an einen Sommer in Schottland, als sie und ihre Freundin Isabella den mysteriösen Mr. Booth kennenlernten, einen wesentlich älteren Mann voller Charme und düsteren Geheimnissen …"


    Lord Byron, Mary und Percy... bla, bla, bla... Genfer See, Gewitter... bla, bla, bla... Gespenstergeschichten und ein Schreibwettbewerb... bla, bla, bla... ach, Polidori und Claire sind auch noch da (Interessiert aber keinen).

    Die Entstehungsgeschichte von "Frankenstein" wurde inzwischen wirklich schon unzählige Male geschildert. Erst kürzlich, im mMn nicht besonders lesenswerten Episodenroman "Mary Shelleys Zimmer" (-->klick). Die Niederländerin Anne Eekhout scheint das Ganze nun aber immerhin noch um David Booth und Marys Schottlandaufenthalt zu ergänzen und kann der bekannten Geschichte so ja eventuell noch ein paar neue Facetten abgewinnen. Auch wenn der Klappentext jetzt nicht besonders innovativ klingt.

    Um ehrlich zu sein, hatte ich völlig vergessen, dass ich das Buch vorbestellt habe und war etwas überrascht als es heute im Briefkasten lag. Mal abwarten... Hat den Roman sonst noch jemand auf dem Schirm?

  • Lord Byron, Mary und Percy... bla, bla, bla... Genfer See, Gewitter... bla, bla, bla... Gespenstergeschichten und ein Schreibwettbewerb... bla, bla, bla... ach, Polidori und Claire sind auch noch da (Interessiert aber keinen).

    ^^[skul]^^ Muarharharhar!

    Klingt nach milking a dead cow. Ich bin trotzdem gespannt, was du sagst - d.h. wenn du mit dem Lesen zumindest ein Stück weit kommst. Schade, dass es bei dem Thema so wenig Innovation gibt (Ken Russells grandiosen Gothic mal explizit ausgenommen, aber das war ja wohl auch die erste Verarbeitung).

  • Ich werde berichtet, Katla.

    Bisher gefällt mir der Roman jedoch überraschend gut und ich muss meine oben geäußerten Vorurteile fast alle revidieren. Marys Zeit in der Villa Diodati liefert hier wirklich nur die grobe Rahmenhandlung und macht einen winzigen Bruchteil der Geschichte aus. Größtenteils beleuchtet Eekhout Marys Aufenthalt in Schottland, ergänzt das Ganze aber noch um jede Menge fiktionale Ereignisse. Dabei nutzt sie auch diverse Elemente aus der Schauerliteratur (inklusive leichtem Lovecraft-Feeling) und ich könnte mir gut vorstellen, dass es später auch noch phantastisch wird. Von der Machart erinnert mich das deutlich an die Romane von Alexander Pechmann, nur das Eekhouts Stil nicht so trocken und nüchtern, sondern wesentlich lebendiger ausfällt. Wie gesagt, bisher richtig gut.

  • Gestern beendet:

    Der pathetische und übertrieben bedeutungsschwangere Stil hat mich zunächst etwas abgeschreckt. Das wurde mit der Zeit jedoch deutlich besser und irgendwann war ich dann auch völlig drin in Eekhouts Sprache. Außerdem: Schwülstig wurde es bei Shelley ja auch des Öfteren... passt als durchaus zum Sujet.

    Die Handlung des Romans wechselt dabei regelmäßig zwischen Genf (1816) und Schottland (1812) und auch von der dritten Person in die Ich-Form. Wie bereits erwähnt, bildet Shelleys Aufenthalt in der Villa Diodati jedoch nur die grobe Rahmenhandlung. Meine Befürchtung, dass die Entstehungsgeschichte von "Frankenstein" hier zum hunderttausendsten Mal wiedergekäut wird, war also völlig unbegründet. Eekhout macht hier schon ihr eigenes Ding.

    In den kurzen Abschnitten in Genf geht es auch kaum um den "Schreibwettbewerb", sondern größtenteils um Themen wie Trauer und Verlust. Besonders um den Tod von Marys Tochter (ihr erstes Kind), ihre Schuldgefühle, ihre Sorge um William (ihr zweites Kind) und ihre Hoffnung, das er bleiben bzw. überleben wird... Wie wir wissen, wird er das nicht.

    Auch Marys besondere Hass-Liebe zu Claire wird mMn äußerst gelungen dargestellt. Und wie sehr sie unter Percys ständigen Affären litt. Diese Episoden fallen meist recht melancholisch aus, werden aber nie kitschig oder theatralisch.

    Der Hauptteil beschäftigt sich jedoch mit Marys Aufenthalt in einem nebligen Küstendorf in Schottland. Dort landet sie bei den Baxters, einer netten Familie, die sich liebevoll um sie kümmert. Ihre Tochter Isabell verlässt jedoch fast nie das Zimmer und so dauert es eine Weile bis Mary und sie sich das erste Mal sehen:

    "Heute Nacht bin ich ihr auf dem Flur begegnet. Ich erschrak, verspürte ein Prickeln am ganzen Leib. Sie erschrak ebenfalls, Augen wie weiße Flecken im Dunkeln. Wir standen da, nackte Füße auf den Dielen, ein paar Meter voneinander entfernt, und vielleicht war sie ein Gespenst, vielleicht war sie eine Geistererscheinung oder eine Hexe, aber dann sagte sie etwas. Sie sagte: Hallo."

    Isabell ist depressiv (wobei, eher bipolar), leidet unter dem Tod ihrer Mutter und liest viel. Am liebsten Walpole und Radcliff – Kaum verwunderlich also das Mary in ihr sofort eine Seelenverwandte sieht... und bald sogar mehr. Ihre Freundschaft hat mich immer wieder stark an Sheridan Le Fanus "Carmilla" erinnert. Nur dass Isabell kein Vampir ist und die Homoerotik hier auch nicht nur angedeutet wird: "Ich könnte ihre Schwester sein, dachte ich, aber sogleich vertrieb ich diesen Gedanken. Ich wollte nicht ihre Schwester sein. Schwestern können sich nicht küssen. Eine Geschichte, nicht mein Gedanke, dachte ich. Nicht mein Gedanke."

    Irgendwann lernt sie dann auch noch David Booth kennen, der mit Isabells Schwester verheiratet ist. Eine äußerst geheimnisvoller Mann, der ihr schon bald große Angst macht. Dazu tragen sicher teilweise auch die restlichen Dorfbewohner bei, die sich mit Vorliebe unheimliche Geschichten erzählen. Z.B. über die Hexe Grissel Jaffray, die auf dem Dorffriedhof begraben liegt ober über seltsame Meereskreaturen wie den Draulameth.

    Sowieso spielt das Meer und seine Bewohner immer wieder eine große Rolle: Der Sohn der Baxters findet im Wald einen Fischkopf, den er Fingal tauft und fortan immer mit sich herumschleppt; Mary entdeckt in Booths Bibliothek ein Buch voller merkwürdiger Darstellungen von Tintenfischen, die menschliche Züge habe... und auch für den "Geisterabend", den die Baxters regelmäßig abhalten, um sich Gruselgeschichten zu erzählen, bleibt es beim Thema:

    "Sie sah mich an und mir stockte kurz der Atem. Ihre Augen waren durch und durch schwarz, wie Fischaugen. Ihr Mund hatte sich geöffnet, zahnlos wie ein Fischmaul. Jetzt glitt ihre Haube vom Kopf und mir jagte es einen kalten Schauer über den Rücken, als ich sah, dass sie keine Haare hatte, sondern Schuppen."

    In solchen Momenten kommt durchaus leichtes Lovecraft-Feeling auf. Zudem merkt man, dass sich Eekhout wirklich intensiv mit schottischen Mythen und Sagen beschäftigt hat. Generell spielt sie immer wieder mit Elementen der Schauerliteratur. Ob die Handlung dabei aber auch tatsächlich ins phantastische abdriftet, wird bis zum Ende hin, nicht ganz klar bzw. bleibt Interpretationssache. Aber gerade dadurch erzeugt Eekhout stellenweise eine extrem intensive Atmosphäre. Alles wirkt latent gespenstisch und man hat das Gefühl, dass das Unwirkliche jederzeit in die Realität hereinbrechen könnte.

    Ist Booth ein Mensch oder eine Mischung aus Schlange, Fisch und Mann? Treibt sich in den Wäldern wirklich ein Monster herum? Hatten Mary und Isabell auf dem Jahrmarkt wirklich eine Vision von der Zukunft? Ist Isabell überhaupt eine Freundin oder vielleicht eine Hexe? Eine Nachfahrin von Grissel? Bildet sich Mary das alles nur ein?

    Der Roman ist ein permanentes Spiel mit den Erwartungen. Das diese nie wirklich erfüllt werden, das die Dinge ständig nur angedeutet werden, kann einen sicher stören, ich habe mich stattdessen aber lieber an der wirklich schönen Sprache und dem ein oder anderen Gänsehautmoment erfreut. In seinen besten Momenten war "Mary" wirklich ein ziemlicher Rausch.

    Nur das extrem antiklimaktische und unspektakuläre Ende hat mich dann doch extrem enttäuscht. Ich hätte jetzt nicht unbedingt eine große, finale Enthüllung gebraucht, aber ein bisschen mehr als das Gebotene hätte es schon sein dürfen. Wer sich für Mary Shelley interessiert und anspruchsvolle und subtile "Schauergeschichten" zu schätzen weiß, kann hier aber mMn trotzdem nicht viel falsch machen. Wird mit Sicherheit nicht mein letztes Buch der Autorin bleiben.


    Phantasticus Vielleicht ja auch was für dich.