• Georg Seeßlen, Bernt Kling: Romantik & Gewalt. Ein Lexikon der Unterhaltungsindustrie

    Manz Verlag. München 1973. 2 Bände


    Ein halbes Jahrhundert – so alt ist dieses „Lexikon der Unterhaltungsindustrie“, das sich entlang des knackigen Titels Romantik & Gewalt bewegt. Hier wurde der Versuch einer objektiven Betrachtung unternommen, der in eine „stichhaltige und praktikable Medienkritik“ münden sollte. Bemerkenswert ist der intermediale und genreübergreifende Ansatz. Dieser Ansatz macht einerseits vielfältige Überschneidungen sichtbar, sorgt andererseits jedoch auch für mangelnde Trennschärfe. Der Problematik eines ersten Versuchs waren sich die Autoren bewusst und bauten auf Kritik und Mitarbeit der LeserInnen für kommende Neuauflagen. Eine solche ist denn auch 1977 erschienen. Unter dem Titel Unterhaltung. Lexikon zur populären Kultur brachte der Rowohlt Verlag eine zweibändige Ausgabe heraus, die auf der hier vorliegenden basiert.


    Inhalt

    Das Lexikon besteht aus 2 Bänden, wobei den 2. Band Georg Seeßlen allein verantwortet. Band 1 behandelt folgende Genres: Der Western (Seeßlen), Science-Fiction (Kling), Horror und Fantasy (Kling), Das Kriminalgenre (Seeßlen). Band 2 bringt diese Inhalte: Abenteuer und Geschichte, Komödie, Groteske und „funnies“, Romanze. Ein 3. Band mit den Themen: Heimat, Familie, Natur, Sex u. Erotik, Sport, Spiel u. Quiz, Musik sowie einem abschließenden Essay „Populäre Mythologie“ war geplant, erschien jedoch nicht mehr. Das ist namentlich wegen des Registers und sämtlicher Literaturangaben bedauerlich, die dieser Band enthalten sollte. Dass die Literaturangaben unvollständig sind, wird im Vorwort des 2. Bandes (nach Erhalt von Rückmeldungen) auch eingeräumt und fand ich zum Beispiel im Artikel über H. P. Lovecraft bestätigt.


    Struktur

    Das Werk beginnt mit einer „Einführung in die Medien“: Unterhaltungspresse, Kioskliteratur und Comics, Kino, Rundfunk und Fernsehen, jeweils untersucht hinsichtlich 1) Organisation, 2) Produktion und 3) Rezeption. Schon bei den Überschriften fallen die Begriffe „Unterhaltungspresse“ und „Kioskliteratur“ auf, mithin zwei Bereiche, denen sich ja auch dieses Forum zu nicht geringen Teilen widmet. In der Einführung interessieren weniger künstlerische und ästhetische Fragestellungen, sondern schlicht und einfach die Marktbedingungen. Dabei leiden die Ausführungen weder unter soziologischer Komplexität noch unter betriebswirtschaftlicher Langweile. Die Intention ist es einfach aufzuzeigen, wie dieses oder jenes Buch in unsere Hände oder die neueste Komödie in die Kinosäle gelangt und welche Branchen und Techniken daran beteiligt sind.


    Beispiel „Horror und Fantasy“

    Eingeleitet wird jedes Kapitel durch einen Essay, der die historische Entwicklung des jeweiligen Genres abbildet. Sodann folgt der lexikalische Teil von A bis Z. Das Vorgehen, das Lexikon bunt gemischt nach Personen, Publikationsformen und Phänomenen zu gliedern, folgt dem Faust-Motto „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Für das überschaubare Kapitel „Horror und Fantasy“ von Bernt Kling sieht das so aus: Einleitender Essay, Roger Corman, Dracula, Famous Monsters of Filmland, Fantasy-Literatur, Frankenstein, Frankenstein-Filme, Horror-Comics, Horrorliteratur in Deutschland, Boris Karloff, Peter Lorre, Howard P. Lovecraft; Bela Lugosi, Monster, Edgar Allan Poe, Sword & Sorcery, Vampirfilme, Literatur. Natürlich eine höchst subjektive und grob gestrickte Auswahl. Bemerkenswert immerhin: die beginnende Lovecraft-Rezeption und die Etablierung des Begriffs „Sword & Sorcery“ im deutschsprachigen Raum. Unter dem Stichwort „Horrorliteratur in Deutschland“ fallen kaum hörbar die Namen Ewers, Meyrink, Hoffmann; gemäß der Ausrichtung liegt auch hier die Konzentration auf den Romanheften und Taschenbüchern der 1970er Jahre.


    Kritik

    Wer dieses Forum aufmerksam verfolgt, wird in Romantik & Gewalt immer wieder auf Vertrautes stoßen. So enthält das Western-Kapitel einen langen Eintrag zum Vielschreiber Frank Gruber, dessen Buch The Pulp Jungle uns Nils schon einmal ausführlich vorstellte. Dieses Kapitel beinhaltet weiter den Eintrag „Dime Novels“, quasi das Vorgängerformat der Pulps, das freilich auch für die Abenteuerliteratur eine wichtige Rolle spielt. Aufgrund des erwähnten fehlenden Bandes und Registers lassen sich solche Einträge nur durch das Inhaltsverzeichnis identifizieren. Der Frank Gruber-Eintrag hätte sich ebenso im Krimi-Kapitel unterbringen lassen; der Regisseur Fritz Lang wiederum ist eben dort zu finden, weil hier in erster Linie seine Thriller zählen. Die Comicfigur Batman taucht in „Abenteuer und Geschichte“ auf, da Seeßlen hier den klassischen Heldencharakter hervorhebt. Diese nicht sortenreine Aufteilung ist diskutabel – wegen der vielen Wechselwirkungen in den diversen Genres und Medien aber auch unvermeidbar.


    Fazit

    Ein ambitioniertes Projekt, das sich in der vorliegenden Form zwar als lesenswert aber nur bedingt brauchbar erweist. Immerhin bleibt ein interessantes zeitgenössisches Dokument mit Ecken und Kanten, das der jeweiligen Liebhaberei noch die eine oder andere (historische) Erkenntnis bringen kann. Dies dürfte auch für die erwähnte Neuauflage von 1977 gelten, die wie die hier vorgestellte Fassung antiquarisch günstig zu haben ist. Dass insbesondere Georg Seeßlen (der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 25 Jahre jung war) seitdem viel zum Thema Populärkultur beigetragen hat, ist wahrscheinlich bekannt.

  • Sehr interessant, vielen Dank für die Vorstellung. Georg Seeßlen ist natürlich ein Begriff. Wenngleich man sich seiner Methodik und Argumentation nicht immer anschließen mag oder muss, so ist er für mich bis heute gerade im Filmbereich ein wichtiger Bezugspunkt. Ich vermute, dass Inhalte aus den hier vorgestellten Nachschlagewerken auch in seine klassische, bis heute nachgedruckte Reihe eingegangen sein dürften.


  • Ich vermute, dass Inhalte aus den hier vorgestellten Nachschlagewerken auch in seine klassische, bis heute nachgedruckte Reihe eingegangen sein dürften.

    Bestimmt. Hier wurden offensichtlich die ersten Weichen gestellt; auch der Begriff der "populären Mythologie" fiel schon in diesem Frühwerk und hat sich für Seeßlen, wie die hier abgebildete Film-Reihe zeigt, wohl als brauchbar erwiesen.