Nach einer kleinen Leiber-Pause, habe ich inzwischen das nächste Buch von ihm beendet. Das mein erstes Exemplar von "Wanderer im Universum" nur 195 Seiten lang war, hatte mich dabei nicht besonders gewundert. Fritz Leiber hat schließlich generell keine sehr umfangreichen Romane geschrieben. Die Meisten pendeln irgendwo zwischen 140 und 230 Seiten.
Was mich jedoch gewundert hatte, war der Zustand des Buches. Ich musste jedenfalls mal wieder feststellen, dass ein paar Menschen unter den Bezeichnungen "wie neu" oder "sehr gut" doch etwas völlig anderes zu verstehen scheinen als ich. Ich hatte mir deshalb noch während der Lektüre ein zweites Exemplar bestellt.
Das sah bei Ankunft erfreulicherweise deutlich besser und neuwertiger aus, hatte aber auch ein völlig anderes Cover und war zudem wesentlich dicker. Lange Rede, kurzer Sinn: Von "Wanderer im Universum" gibt es zwei Versionen - Eine Gekürzte (Heyne, 1967) und eine Ungekürzte (ebenfalls Heyne, 1979). Ich habe davon leider die erste Fassung von 1967 gelesen.
Wanderer im Universum
Klappentext:
"Was kommt aus den Tiefen des Alls auf die Erde zu? Zunächst stehen Astronomen vor einem Rätsel. An vier Stellen des Himmels sind auf Sternenphotos merkwürdige Lichtbewegungen registriert worden, als habe sich ein unsichtbarer Körper zwischen unserem Planentensystem und dem Hintergrund der Milchstraße bewegt.
Dann – während einer totalen Mondfinsternis – taucht er auf: der Wanderer, ein Planet so groß wie die Erde, tritt in der Nähe des Mondes aus dem Hyperraum, ein gigantisches Sternenfahrzeug, das trägerlos durch das Universum manövriert.
Der neue Himmelskörper regiert die Erde. Seine gewaltige Masse verursacht Erdbeben und Vulkanausbrüche, turmhohe Flutwellensuchen die Küsten heim und tragen Tod und Vernichtung weit ins Landesinnere. Das Ende der Welt scheint gekommen..."
Inhalt & Meinung:
Im Gegensatz zu seinen letzten zwei Romanen "Das grüne Millennium" und "Die Programmierten Musen" handelt es sich hier um keine Satire, sondern wieder um ernste und recht düstere Sci-Fi. Das wird schon nach den ersten Sätzen deutlich:
"Erzählungen aus dem Reich des Schrecklichen und Übersinnlichen beginnen oft mit einem bleichen Gesicht, das in einer Vollmondnacht am Fenster auftaucht, oder einem alten Dokument in zittriger Handschrift oder dem Gebell eines Hundes über dem nebligen Moor. Aber unsere Geschichte begann mit einer Mondfinsternis."
Was ebenfalls sofort auffällt: Der Roman besitzt ein unglaublich großes Personal (Astronauten, Wissenschaftler, Soldaten, Aliens, Zivilisten...) und unzählige Locations (Diverse Städte, Mond, Meer, unterirdische Bunkeranlagen, Raumschiffe, fremde Planeten...). Gerade zu Beginn wechselt Leiber extrem häufig die Perspektiven und man braucht durchaus eine Weile bis man in der Story drin ist bzw. bis sich ein einigermaßen angenehmer Lesefluss ergibt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das u.a. auch ein bisschen an den Kürzungen liegen könnte.
Man muss aber ehrlicherweise auch sagen, dass nicht jede der vielen Personen interessant ist. Leiber nutzt sie, um an ihnen stellvertretende zu zeigen, wie die Menschheit mit der Katastrophe umgeht und zeichnet nebenbei ein äußerst düsteres Gesellschaftsbild der sechziger Jahre (Drogen, Ufo-Sekten, Rassismus, Vietnamkrieg, Gewalt) - Zur eigentlichen Handlung tragen diese Episoden aber nicht viel bei und sind teilweise doch recht verzichtbar. Zudem legt er in der ersten Hälfte des Romans ein sehr, sehr gemächliches Tempo an den Tag. Nachdem der Wanderer am Himmel aufgetaucht ist, passiert für lange Zeit nicht besonders viel.
Man braucht bei "Wanderer im Universum" definitiv etwas Durchhaltevermögen, aber es lohnt sich am Ball zu bleiben. Spätestens wenn der fremde Planet endlich mit den Menschen in Kontakt tritt, wird die Sache nämlich deutlich spannender. Besonders seien hier die Kapitel von Paul Hagbolt erwähnt, der von einer Bewohnerin des Wanderers (ein anthropomorphes Katzenwesen namens Tigerishka) entführt wird. Zunächst mögen sich die Beiden nicht besonders, kommen sich mit der Zeit aber immer näher. Es wird sogar angedeutet, dass sie irgendwann miteinander schlafen (was, wenn ich es richtig verstanden habe, in der ungekürzten Fassung wohl wesentlich eindeutiger ausfallen soll).
Katzen spielten bei Leiber ja sowieso schon immer eine wichtige Rolle: In "Die Sündhaften" wurde Carr von einem Kater namens Gigolo das Leben gerettet und in "Das grüne Millennium" wurde gleich die gesamte Menschheit durch einen dieser Vierbeiner in einen kollektiven Rauschzustand versetzt...
Was mir an diesem Roman ebenfalls ziemlich gut gefallen hat: Man bekommt nicht den üblichen "Aliens kommen auf die Erde und machen alles platt"-Invasions-Plot vorgesetzt. Hier ist nichts so, wie man zunächst denkt - Der Wanderer hat sich der Erde eigentlich nur genähert, um seine Reserven aufzutanken. Die Umweltkatastrophen, die er dabei verursacht, entstehen eher versehentlich und die Bewohner des Planeten versuchen sogar diese zu verhindern. Dabei geht es ihnen selbst nicht besonders gut:
"Du kannst dir nicht vorstellen, was wir auf uns nehmen und erdulden müssen, nur um unser kümmerliches Leben fristen zu können (...) Der Wanderer fliegt durch das Nichts – den Hyperraum. (...) Kein Licht, keine Atome, keine Energie, die wir anzapfen könnten! Es ist wie Treibsand, durch den man sich wühlt, oder eine wasserlose Wüste, die man durchquert (...) Ein schwarzes gefährliches Brodeln, das sich zu dem sichtbaren Raum verhält, wie das Unterbewußtsein sich zu dem Bewußtsein verhält. Die Sargasso-See der Sternenschiffe! Der Friedhof verschollener Planeten! Ein flammendes, eisiges, formloses Höllenmeer!"
Ich möchte jetzt nicht zu viel verraten, aber was Leiber auf den letzten 50 Seiten veranstaltet, braucht sich vor dem Gigantismus eines Cixin Liu definitiv nicht verstecken - Es geht um nicht weniger als das Schicksal des gesamten Kosmos.
Und wo wir gerade bei Cixin Liu waren: An einer Stelle wird über kleine Planeten gesprochen, die sich hinter der Sonne vor dem Feind verborgen halten, "wie Menschen die sich im Wald hinter Bäumen verstecken." Diese Metapher begegnet einem im Buch noch häufiger und erinnert doch deutlich an die "Dunkle Wald"-Theorie aus der Trisolaris-Trilogie. Und auch das Drei-Körper-Problem taucht bei "Wanderer im Universum" irgendwann auf.
Fazit:
Der Roman hat definitiv zu viele Handlungsstränge, von denen mMn viele recht belanglos sind und irgendwann im Nichts verlaufen. In der zweiten Hälfte nimmt das Ganze jedoch deutlich an Fahrt auf und endet schließlich in einem epischen, kreativen und dramatischen Finale, das man so definitiv nicht hat kommen sehen.
Irgendwann werde ich davon definitiv noch die ungekürzte Fassung lesen.