• Nach einer kleinen Leiber-Pause, habe ich inzwischen das nächste Buch von ihm beendet. Das mein erstes Exemplar von "Wanderer im Universum" nur 195 Seiten lang war, hatte mich dabei nicht besonders gewundert. Fritz Leiber hat schließlich generell keine sehr umfangreichen Romane geschrieben. Die Meisten pendeln irgendwo zwischen 140 und 230 Seiten.

    Was mich jedoch gewundert hatte, war der Zustand des Buches. Ich musste jedenfalls mal wieder feststellen, dass ein paar Menschen unter den Bezeichnungen "wie neu" oder "sehr gut" doch etwas völlig anderes zu verstehen scheinen als ich. Ich hatte mir deshalb noch während der Lektüre ein zweites Exemplar bestellt.

    Das sah bei Ankunft erfreulicherweise deutlich besser und neuwertiger aus, hatte aber auch ein völlig anderes Cover und war zudem wesentlich dicker. Lange Rede, kurzer Sinn: Von "Wanderer im Universum" gibt es zwei Versionen - Eine Gekürzte (Heyne, 1967) und eine Ungekürzte (ebenfalls Heyne, 1979). Ich habe davon leider die erste Fassung von 1967 gelesen.


    Wanderer im Universum



    Klappentext:

    "Was kommt aus den Tiefen des Alls auf die Erde zu? Zunächst stehen Astronomen vor einem Rätsel. An vier Stellen des Himmels sind auf Sternenphotos merkwürdige Lichtbewegungen registriert worden, als habe sich ein unsichtbarer Körper zwischen unserem Planentensystem und dem Hintergrund der Milchstraße bewegt.

    Dann – während einer totalen Mondfinsternis – taucht er auf: der Wanderer, ein Planet so groß wie die Erde, tritt in der Nähe des Mondes aus dem Hyperraum, ein gigantisches Sternenfahrzeug, das trägerlos durch das Universum manövriert.

    Der neue Himmelskörper regiert die Erde. Seine gewaltige Masse verursacht Erdbeben und Vulkanausbrüche, turmhohe Flutwellensuchen die Küsten heim und tragen Tod und Vernichtung weit ins Landesinnere. Das Ende der Welt scheint gekommen..."


    Inhalt & Meinung:

    Im Gegensatz zu seinen letzten zwei Romanen "Das grüne Millennium" und "Die Programmierten Musen" handelt es sich hier um keine Satire, sondern wieder um ernste und recht düstere Sci-Fi. Das wird schon nach den ersten Sätzen deutlich:

    "Erzählungen aus dem Reich des Schrecklichen und Übersinnlichen beginnen oft mit einem bleichen Gesicht, das in einer Vollmondnacht am Fenster auftaucht, oder einem alten Dokument in zittriger Handschrift oder dem Gebell eines Hundes über dem nebligen Moor. Aber unsere Geschichte begann mit einer Mondfinsternis."

    Was ebenfalls sofort auffällt: Der Roman besitzt ein unglaublich großes Personal (Astronauten, Wissenschaftler, Soldaten, Aliens, Zivilisten...) und unzählige Locations (Diverse Städte, Mond, Meer, unterirdische Bunkeranlagen, Raumschiffe, fremde Planeten...). Gerade zu Beginn wechselt Leiber extrem häufig die Perspektiven und man braucht durchaus eine Weile bis man in der Story drin ist bzw. bis sich ein einigermaßen angenehmer Lesefluss ergibt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das u.a. auch ein bisschen an den Kürzungen liegen könnte.

    Man muss aber ehrlicherweise auch sagen, dass nicht jede der vielen Personen interessant ist. Leiber nutzt sie, um an ihnen stellvertretende zu zeigen, wie die Menschheit mit der Katastrophe umgeht und zeichnet nebenbei ein äußerst düsteres Gesellschaftsbild der sechziger Jahre (Drogen, Ufo-Sekten, Rassismus, Vietnamkrieg, Gewalt) - Zur eigentlichen Handlung tragen diese Episoden aber nicht viel bei und sind teilweise doch recht verzichtbar. Zudem legt er in der ersten Hälfte des Romans ein sehr, sehr gemächliches Tempo an den Tag. Nachdem der Wanderer am Himmel aufgetaucht ist, passiert für lange Zeit nicht besonders viel.

    Man braucht bei "Wanderer im Universum" definitiv etwas Durchhaltevermögen, aber es lohnt sich am Ball zu bleiben. Spätestens wenn der fremde Planet endlich mit den Menschen in Kontakt tritt, wird die Sache nämlich deutlich spannender. Besonders seien hier die Kapitel von Paul Hagbolt erwähnt, der von einer Bewohnerin des Wanderers (ein anthropomorphes Katzenwesen namens Tigerishka) entführt wird. Zunächst mögen sich die Beiden nicht besonders, kommen sich mit der Zeit aber immer näher. Es wird sogar angedeutet, dass sie irgendwann miteinander schlafen (was, wenn ich es richtig verstanden habe, in der ungekürzten Fassung wohl wesentlich eindeutiger ausfallen soll).

    Katzen spielten bei Leiber ja sowieso schon immer eine wichtige Rolle: In "Die Sündhaften" wurde Carr von einem Kater namens Gigolo das Leben gerettet und in "Das grüne Millennium" wurde gleich die gesamte Menschheit durch einen dieser Vierbeiner in einen kollektiven Rauschzustand versetzt...

    Was mir an diesem Roman ebenfalls ziemlich gut gefallen hat: Man bekommt nicht den üblichen "Aliens kommen auf die Erde und machen alles platt"-Invasions-Plot vorgesetzt. Hier ist nichts so, wie man zunächst denkt - Der Wanderer hat sich der Erde eigentlich nur genähert, um seine Reserven aufzutanken. Die Umweltkatastrophen, die er dabei verursacht, entstehen eher versehentlich und die Bewohner des Planeten versuchen sogar diese zu verhindern. Dabei geht es ihnen selbst nicht besonders gut:

    "Du kannst dir nicht vorstellen, was wir auf uns nehmen und erdulden müssen, nur um unser kümmerliches Leben fristen zu können (...) Der Wanderer fliegt durch das Nichts – den Hyperraum. (...) Kein Licht, keine Atome, keine Energie, die wir anzapfen könnten! Es ist wie Treibsand, durch den man sich wühlt, oder eine wasserlose Wüste, die man durchquert (...) Ein schwarzes gefährliches Brodeln, das sich zu dem sichtbaren Raum verhält, wie das Unterbewußtsein sich zu dem Bewußtsein verhält. Die Sargasso-See der Sternenschiffe! Der Friedhof verschollener Planeten! Ein flammendes, eisiges, formloses Höllenmeer!"

    Ich möchte jetzt nicht zu viel verraten, aber was Leiber auf den letzten 50 Seiten veranstaltet, braucht sich vor dem Gigantismus eines Cixin Liu definitiv nicht verstecken - Es geht um nicht weniger als das Schicksal des gesamten Kosmos.

    Und wo wir gerade bei Cixin Liu waren: An einer Stelle wird über kleine Planeten gesprochen, die sich hinter der Sonne vor dem Feind verborgen halten, "wie Menschen die sich im Wald hinter Bäumen verstecken." Diese Metapher begegnet einem im Buch noch häufiger und erinnert doch deutlich an die "Dunkle Wald"-Theorie aus der Trisolaris-Trilogie. Und auch das Drei-Körper-Problem taucht bei "Wanderer im Universum" irgendwann auf.


    Fazit:

    Der Roman hat definitiv zu viele Handlungsstränge, von denen mMn viele recht belanglos sind und irgendwann im Nichts verlaufen. In der zweiten Hälfte nimmt das Ganze jedoch deutlich an Fahrt auf und endet schließlich in einem epischen, kreativen und dramatischen Finale, das man so definitiv nicht hat kommen sehen.

    Irgendwann werde ich davon definitiv noch die ungekürzte Fassung lesen.

  • "Erzählungen aus dem Reich des Schrecklichen und Übersinnlichen beginnen oft mit einem bleichen Gesicht, das in einer Vollmondnacht am Fenster auftaucht, oder einem alten Dokument in zittriger Handschrift oder dem Gebell eines Hundes über dem nebligen Moor. Aber unsere Geschichte begann mit einer Mondfinsternis."

    Ein toller Anfang — sehr vielversprechend, vielen Dank wieder einmal für dein Engagement Cheddar Goblin


    Die (negativen) Kritikpunkte, die hier genannt werden, würden mich keinesfalls von einer Lektüre abhalten. Ja, ich tendiere dann auch dazu, mir die ungekürzte Fassung zu geben. Denn wenn ich mich schon an einen Roman wage, dann darf dieser ruhig langatmig sein — das erwarte ich ja von der Form. Ich bin auch Handlungssträngen nicht böse, die im Nichts enden … solange sie mich während der Lektüre gut unterhalten. Alles kann, nichts muss, keine Verpflichtungen, Reisende soll man nicht aufhalten: wenn ich meine lesende Erwartungshaltung einmal salopp formulieren darf.

  • Ich bin da ganz bei dir, Axel. Ich ärgere mich wirklich, dass ich unwissentlich eine gekürzte Fassung gelesen habe. Dabei steht sogar auf Leibers Wiki-Seite, dass es vom Roman zwei unterschiedliche Versionen gibt. Hätte ich das Buch nicht zufällig zweimal bestellt, wäre mir das wahrscheinlich trotzdem nicht aufgefallen.

  • Mal wieder eine Storysammlung gelesen:


    Spekulationen:



    Klappentext:

    "Eine Auswahl der besten Erzählungen des mehrfach preisgekrönten amerikanischen Science-Fiction-Autors, der in den letzten 35 Jahren die Entwicklung der Science Fiction wesentlich beeinflusst hat."

    Enthalten sind: "Spekulationen", "Der Ringer", "Wunscherfüllung", "Das Ruß-Gespenst", "Der Staub ist mein Freund", "Macbeth und Queen Elisabeth", "Das Mädchen mit den hungrigen Augen", "Der Innere Kreis", "Faszinierende Elektrizität" und "Das Nest".


    Inhalt & Meinung:

    Das Cover ist mal wieder ziemlich misslungen und hat nicht das Geringste mit dem Inhalt zu tun. Ich weiß nicht genau, was uns der Künstler damit sagen wollte, aber wenn du eine nackte Frau mit Sonnenbrand bist, solltest du beim Lesen eventuell vorsichtig sein – Dieses Buch könnte dich nämlich einsaugen!

    Was man ebenfalls wissen sollte: Drei der enthaltenen Geschichten findet man auch im Moewig-Band "Die besten Stories von Fritz Leiber". "Der Ringer" unter dem Namen "Eine neue Attraktion", "Wunscherfüllung" hieß dort "Mariana" und "Das Nest" hat man in "Ein Eimer Luft" umbenannt. Da ich diese Geschichten größtenteils schon besprochen habe, werde ich hier nicht mehr viel dazu schreiben. Die Kurzfassung: "Wunscherfüllung" und "Das Nest" sind absolut großartig, "Der Ringer" spielt zwar in der gleichen Welt wie Leibers gelungener Roman "Das grüne Millennium", ist aber trotzdem eher verzichtbar bzw. ziemlich schwach.


    Der restliche Inhalt:

    "Spekulationen": Seit Gwen und Donnie aus dem Irrenhaus entlassen wurden, praktizieren sie jede Nacht ein äußerst bizarres Schlafritual, bei dem jede Menge Drogen im Spiel sind.

    "Das Ruß-Gespenst": Als Mr. Wan ununterbrochen von einem rußverschmierten Gesicht verfolgt wird, glaubt er zunächst den Verstand verloren zu haben? Aber warum kann sein Psychiater das Gesicht dann auch sehen? Und warum ist alles was er berührt plötzlich so dreckig?

    "Der Staub ist mein Freund": Da die Außenwelt atomar verstrahlt ist, lebt Effie mit ihrem Mann in einer geschützten Bunkeranlage. Die Rollläden zu öffnen ist dabei strengstens verboten, doch als Effie es trotzdem tut, steht ein missgestalteter Mann vor ihr. Was er ihr über das Leben außerhalb der Anlage zu erzählen hat, klingt für sie wie das Paradies.

    "Macbeth und Queen Elisabeth": Greta lebt und arbeitet in einem kleinen Theater in New York und verlässt nie das Gebäude. Sie weiß nicht wer sie ist und leidet zunehmend an Wahnvorstellungen. Aber auch die restlichen Schauspieler scheinen immer schwachsinniger zu werden und ihre Aufführungen nehmen von Mal zu Mal absurdere Formen an.

    "Das Mädchen mit den hungrigen Augen": Die ganze Welt ist von einem mysteriösen Fotomodel besessen - Niemand weiß wo sie herkommt, was sie macht, wer sie ist oder wie sie heißt - Doch jeder der ihr zu nahe kommt, wird kurze Zeit später tot aufgefunden.

    "Der Innere Kreis": Die Adlers sind keine gewöhnliche Familie. Der Vater, der von allen Gott genannt wird, kreiert seltsame Schattenwesen, seine Frau unterhält sich ständig mit den Küchengeräten und ihr Sohn verlässt regelmäßig seinen Körper um durch den Weltraum zu reisen. Doch hat die Familie wirklich besondere Fähigkeiten oder sind sie einfach nur alle vollkommen geisteskrank?

    "Faszinierende Elektrizität": Da sich direkt vor dem Schlafzimmerfenster ein gigantischer Hochspannungsmast befindet, hat der Makler Mr. Scott große Probleme ein Haus zu verkaufen. Doch dann lernt er Mr. Leverett kennen, der eine äußerst ungewöhnliche Beziehung zu Elektrizität zu haben scheint. Er zieht sofort ein, doch mit der Zeit wird sein Verhalten immer seltsamer.


    Meinung:

    "Spekulationen" (im Original: "The Secret Songs") versammelt äußerst anspruchsvolle, komplexe, sperrige und größtenteils absolut fantastische Geschichten, die meist sehr viel Raum für Interpretation lassen. Das verbindende Element ist hierbei der Wahnsinn.

    Schon die Titelgeschichte gibt diesbezüglich Vollgas und erinnert etwas an die drogengeschwängerten Ergüsse eines Hunter S. Thompson oder Philip K. Dick. Besonders Letzterem dürfte „Spekulationen“ gefallen haben, schließlich war er ebenfalls permanent auf Amphetamin und hat einen Großteil seiner Romane im Drogenrausch verfasst.

    Und auch der Protagonist von "Das Ruß-Gespenst" zweifelt recht schnell an seinem Verstand und verängstigt seine Umwelt mit wirren Reden: "Es ist eine verrottete Welt (...) Bereit für noch ein makabres Wachstum des Aberglaubens. Es ist Zeit, daß die Gespenster, oder wie Sie sie nennen wollen, an die Spitze treten und eine Herrschaft der Angst errichten."

    Leibers Horrorkurzgeschichten sind generell immer absolut brillant - Und auch diese hier stell keine Ausnahme dar. Es gelingt ihm meisterlich, auf nur wenigen Seiten, eine extrem unheimliche und bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen. Und das er sich viel mit Psychoanalyse und J.G Jungs Schatten beschäftigt hat, merkt man spätestens, wenn "enthüllt" wird, was es mit dem ganzen Spuk auf sich hat (Stichwort: Verdrängung). Einziger Minuspunkt: Die Geschichte hat kein wirkliches Ende und wirkt generell eher wie der Auftakt zu etwas Größerem.

    Mit "Das Mädchen mit den hungrigen Augen" ist in dieser Sammlung dann noch eine weitere Horrorstory enthalten, die das Thema Vampirismus mal auf eine etwas andere Art behandelt. Das ist sicher ganz nett und originell, kann aber bei weitem nicht mit "Begegnungen mit der Schattenwelt" oder "Der schwarze Gondoliere" mithalten.

    Vom Leben eines Models kann Effie in „Der Staub ist mein Freund“ nur träumen, denn es handelt sich bei ihr um eine (in gleich mehrfacher Hinsicht) gefangenen Frau: Gefangen in einer unglücklichen Ehe und gefangen in einer abgeschirmten Bunkeranlage. Im Verlauf der Handlung präsentiert uns Leiber dann jedoch einen wilden Mix aus typischer sechziger Jahre Paranoia-Sci-Fi, Anti-Kriegsstory, Eifersuchtsdrama und Female Empowerment, bei dem man am Ende selbst nicht mehr weiß, wem man noch trauen kann (Spoiler: Eigentlich Niemanden!). Gehört eher zu den schwächeren Stories in diesem Band.

    In "Macbeath und Queen Elisabeth" wird hingegen mal wieder deutlich, dass Leibers Eltern Shakespeare-Schauspieler waren und er in seinem Leben schon die eine oder andere Vorstellung miterlebt hat. Die Ereignisse im Theater werden jedoch schnell immer seltsamer. Oder bildet sich Greta, die panische Angst vor der Außenwelt hat, den ganzen Wahnsinn einfach nur ein? Erst am Ende erfährt man was wirklich Sache ist - Die Geschichte spielt nämlich im gleichen Universum wie "Eine große Zeit". Das Ergebnis fällt definitiv beeindruckend aus, wer besagten Roman (den ich persönlich für nicht sehr gelungen halte) aber nicht gelesen hat, dürfte hier nur Bahnhof verstehen.

    Ähnlich könnte es einem auch bei "Der Innere Kreis" gehen. Die Erzählung gehört für mich jedoch zu den absoluten Highlights dieser Sammlung. Im Zentrum steht der ständig betrunkene Gott, der sich mit bizarren schwarzen Gestalten herumplagt, die jedoch nur er sehen kann und die ihn für ihre seltsame Geheimorganisation rekrutieren wollen. Er scheint von der Sache jedoch nicht so ganz überzeugt zu sein: "Ich bezweifele das Vorhandensein dieser heimlichen Organisation ernsthaft. Andere Erklärungen erscheinen mir naheliegender, zum Beispiel, daß ich eine Psychose entwickle." Sind die Gestalten wirklich nur Imaginationen eines verzweifelten Alkoholikers? Bildet sich seine Frau ein, dass die Haushaltsgegenstände mit ihr sprechen, weil sie schon lange den Zugang zu ihrem Mann verloren hat? Flüchtet sich ihr Sohn in die Vorstellung durch das All zu fliegen, weil er die Realität nicht ertragen kann?

    Und auch Mr. Leverrett aus "Faszinierende Elektrizität" scheint geistig nicht ganz auf der Höhe zu sein: "Ich höre Stimmen in der Elektrizität" gesteht er seinem Makler bei einem ihrer Treffen. Kann er wirklich Informationen aus dem Strom ziehen oder ist auch er einfach nur verrückt? The answer is blowin in the wind bzw. flows through the power cord. Die Prämisse erinnert dabei etwas an „Der schwarze Gondoliere“ (Strom statt Öl), aber die Umsetzung ist völlig anders. Eine nette Geschichte - Nur das Ende fand ich etwas albern.


    Fazit:

    Eine weitere starke Storysammlung von Fritz Leiber, die mal wieder ein äußerst breites Spektrum abdeckt – Horror, Sci-Fi, Mystery, Urban Fantasy... Wenn man "Die besten Stories" schon im Regal stehen hat, kennt man zwar schon einen Teil des Inhalts, der Band lohnt sich aber mMn allein schon wegen "Das Ruß-Gespenst" und "Der Innere Kreis", die sicher zum Besten gehören, was Leiber an Kurzgeschichten verfasst hat. Aber auch die Titelgeschichte und „Macbeth“ sind definitiv lesenswert.

  • Sicher ein Highlight dieser Storysammlung, daneben hat "Spiegelwelt" jedoch noch jede Menge andere großartige Geschichten zu bieten. Z.B. "Der schwarze Gondoliere": Leiber kreiert dort eine wirklich beeindruckende und surreale Alptraumwelt, mit einer äußerst ungewöhnlichen und interessanten Prämisse: "Erschaffen aus der üppigen Vegetation und den Tierfetten der Karbon- und benachbarter Zeiten, in sich die die schwarze Essenz allen Lebens enthaltend, das je bestanden hatte, in Wirklichkeit ein großer, tiefer Friedhof der gesamten unheimlichen Vergangenheit, mit schwärzesten Gespenstern, habe das Öl Hunderte von Jahrmillionen gewartet (...) bis auf der Oberfläche sich ein Wesen entwickelte, mit dem es symbiontisch leben und durch das es sich verwirklichen und ausdehnen konnte." Thomas Ligotti hätte das nicht besser hingekriegt!

    Der schwarze Gondoliere (The Black Gondolier) habe ich gestern gelesen. Die Story erschien 1964 in der Arkham House-Anthologie Over the Edge; meine Version findet sich in Lübbes Auswahlband Phantastische Literatur 83 (Hrsg. Michael Görden).



    Inhalt

    Im Mittelpunkt steht ein Bursche namens Daloway, der in Venice (Kalifornien) einen alten Wohnwagen sein Domizil nennt. Daloway ist ein belesener Kopf mit vielen Talenten — kann nur leider nichts aus sich machen. So arbeitet er gerade so viel, um notdürftig über die Runden zu kommen. Den Rest seiner Zeit verbringt er mit der Lektüre historischer, geologischer, psychologischer und okkultistischer Literatur. Dies ist der Nährboden für die von Cheddar Goblin zitierten Prämisse, die vom Schreckgespenst des Schwarzen Gondoliere gekrönt wird.


    Eindruck

    Der Name Thomas Ligotti ist gefallen. Ich werfe noch William S. Burroughs und Ray Bradbury in die Runde. Denn Daloway ist unübersehbar das Produkt seiner Umgebung: der einstigen Attraktion Venice, in den Randbezirken nur mehr ein düsterer Schauplatz der Erdölgewinnung. Wie Leiber den Ort beschreibt: das hat Qualitäten, die an Burroughs Interzone (Naked Lunch) erinnern und – möglicherweise – Bradburys Roman Der Tod ist ein einsames Geschäft (Death is a Lonely Business) inspirierten, welcher ebenfalls vor der verschatteten Kulisse von Venice spielt. Ein packendes Lehrstück über die dark side des amerikanischen Traums und die aus dem „Schlaf der Vernunft“ geborenen Ungeheuer …

  • Danke für deine Eindrücke, Arkham Insider Axel

    An die "Interzone" hatte ich bei der Lektüre ehrlich gesagt überhaupt nicht gedacht, aber der Vergleich passt schon irgendwie. Nur dass es hier doch deutlich weniger "Reptilienmenschen" und tote Kinder gibt, die von irgendwelchen Decken hängen.


    "Der Tod ist ein einsames Geschäft" habe ich nie gelesen, obwohl ich eigentlich großer Bradbury-Fan bin. Ich habe mich primär aber immer nur mit seinen Sci-Fi und Horrorgeschichten beschäftigt. Lohnt sich das Buch denn? Laut Wikipedia geht es ja in Richtung Mystery; ich hatte es irrtümlich immer für einen Krimi gehalten.


    Ich habe heute übrigens mit "Ein Gespenst sucht Texas heim" mein vierzehntes Leiber-Buch beendet. Wenn ich etwas Zeit finden sollte, werde ich morgen wohl ein paar Sätze dazu in die Tastatur hauen.

  • Nur dass es hier doch deutlich weniger "Reptilienmenschen" und tote Kinder gibt, die von irgendwelchen Decken hängen.

    Wahre Worte, — ich hätte denn auch eher an das allgemeine Gefühl einer Zwischen- oder Übergangswelt gedacht: so fasse ich jedenfalls das von Leiber dargestellte Venice auf. Ein Ort, an dem die Membran der anerkannten Realität schon recht ausgedünnt ist. Man beachte auch den Hinweis auf das Vorhandensein der Beatniks und den gängigen Drogenkonsum (womit Daloway Erfahrung hat). Und was Leiber und Burroughs hier eint, ist nicht zuletzt eine starke Paranoia, die mich wiederum — ich springe mal wieder unbedarft hin und her — an gewisse Lovecraft-Sachen ( vor allem: Der Flüsterer im Dunkeln) erinnert …

    Laut Wikipedia geht es ja in Richtung Mystery; ich hatte es irrtümlich immer für einen Krimi gehalten.

    Das ist schon richtig; etwas dezidiert Phantastisches kommt, wenn ich es richtig erinnere, nicht vor. Der Roman atmet immerhin eine betörende Mischung aus Unheimlichkeit und Schwermut. Es geht viel um Einsamkeit — und das ist für mich der Schulterschluss zu Leibers Story, denn sein Protagonist Daloway ist ja auch irgendwie auf verlorenem Posten, der sich vornehmlich um die eigene Achse dreht.

  • Der Roman atmet immerhin eine betörende Mischung aus Unheimlichkeit und Schwermut. Es geht viel um Einsamkeit...

    Das klingt doch super. Ich setz mir das Buch mal auf die Liste.


    Hier noch meine stümperhafte Rezension zu...


    Ein Gespenst sucht Texas heim



    Klappentext:

    "Cristopher Crockett La Cruz kommt von Circumiuna, dem Exilsatrlliten der Künstler und Wissenschaftler; er ist Schauspieler, und die Frauen sind verrückt nach ihm; den Männern gefällt er weniger, er sieht ihnen zu fremdartig aus, und sie nennen ihn 'Totenkopf'. Doch auf La Cruz wirken die Menschen, die nach dem Dritten Weltkrieg die Erde bewohnen, nicht weniger fremdartig. Durch Homonbehandlungen sind die Texaner zu Riesen geworden, und sie beherrschen den größten Teil des Nordamerikanischen Kontinents. Die 'Mex' dagegen, ihre Sklaven, sind unglückliche Zwerge, und für sie ist 'Totenkopf' das Zeichen des Widerstands, der legendäre Führer. Sie nennen ihn 'El Esqueleto', das Skelett, weil er – in der Schwerelosigkeit der mondnahen Satellitenwelt aufgewachsen – sich unter der Schwerkraft der Erde nur mit Hilfe eines Exoskeletts aufrecht bewegen kann. Für La Cruz sind die Mex eine Aufgabe und Texas eine Herausforderung. Die Zeit ist reif für eine Revolution, aber Texas ist groß."


    Inhalt & Meinung:

    Der vorletzte Roman, den Leiber je geschrieben hat und der letzte Roman von ihm, den ich noch auf dem Stapel liegen hatte. Daher hab ich das Buch doch mit etwas Wehmut aufgeschlagen. Aber auch mit der Befürchtung, dass es mir nicht gefallen könnte, denn gerade Leibers satirischen Geschichten haben mich bisher nicht immer völlig überzeugt.

    Im Roman folgen wir La Cruz. Er ist ein dürres Gerippe mit schwarzem Cape und Exoskelett, das aussieht wie Gevatter Tod. Bei seinem ersten Besuch auf der Erde ist er ziemlich angewidert von den Verhältnissen die er dort vorfindet: Die Texaner (übergewichtige Riesen mit Cowboyhüten, auf denen eigentlich nur noch der MAGA-Aufdruck fehlt) haben, nach dem dritten Weltkrieg, sämtliche Mexikaner versklavt und in kleinwüchsige Cyborgs transformiert, die durch Gehirnchips und jede Menge Weed ruhig gehalten werden. Als er die Tochter eines einflussreichen Politikers kennenlernt und "sein Blut in Wallung gerät", beschließt er an diesem Zustand etwas zu ändern.

    Auf den ersten 50 Seiten lässt sich Leiber verhältnismäßig viel Zeit, die Welt und die Figuren vorzustellen. La Cruz reist durch das Land und trifft auf diverse Gesetzeshüter, Großgrundbesitzer, den schießwütigen Präsidenten von Amerika, die "Schwarze Madonna des Undergrounds" und andere Gestalten des Widerstands.

    Er selbst ist dabei recht deutlich als Alter Ego des Autors zu erkennen: Ein Schauspieler, der in einer Schauspieler-Familie aufgewachsen ist und gerne mal mit Shakespeare-Zitate um sich wirft. Bei ihm handelt es sich auch nicht um einen klassischen Helden: La Cruz ist arrogant, schwanzgesteuert und hat zunächst kein allzu großes Interesse am Status Quo etwas zu ändern. Als er dann jedoch (größtenteils nur aufgrund seiner imposanten Erscheinung) zum Aushängeschild der Revolution wird, liebt er vor allem das Bad in der Menge und den ganzen Applaus. Für den Widerstand ist er aber sowieso nur eine Marionette, die die Massen anheizen soll. Darüber wie sich die eigentlichen Kämpfe entwickeln, lässt man ihn größtenteils ihm Unklaren. Er reist einfach nur von Ort zu Ort und zieht seine einstudierte Show ab.

    Das Leiber La Cruz bei seiner ersten Rede ausgerechnet in Tulsa auftreten lässt, ist dabei sicher kein Zufall, schließlich gab es dort 1921 ein unbeschreiblich brutales Massaker an der schwarzen Bevölkerung. Im Verlauf wird die humorvolle Handlung dann auch zunehmend immer düsterer: "Und dann kurz vor meinem Auftritt, verschwamm mit einem Mal die Wirklichkeit. Ich hatte eine Vision: eine große Halle, bis in den letzten Winkel von grellem Licht durchflutet, Rinder mit verbundenen Augen; Männer, die schwere Hämmer schwangen; tote Tiere auf einem Förderband; blutverschmierte Häute; Gedärme, zersägte Knochen und Berge von Fleisch..."

    Also alles super? Nicht ganz. "Ein Gespenst sucht Texas heim" ist sicher kein Meisterwerk, aber die ersten 2/3 dieser Gesellschaftssatire (die heute leider noch genau so aktuell ist, wie damals) fand ich wirklich ziemlich stark - Gegen Ende geht Leiber dann aber doch etwas die Puste aus und es tauchen verstärkt Dinge auf, die mich gestört haben:

    Die Frauenfiguren sind zum Beispiel mal wieder ziemlich schwierig: Im Verlauf der Handlung entspinnt sich irgendwann ein Liebesdreieck um La Cruz, das es mMn nicht gebraucht hätte. Auf der einen Seite sind Rachel Lamar und La Cucaracha, die dem "Totenkopf" verfallen, unabhängige Kämpferinnen des Widerstands, die durchaus eine feministische Agenda verfolgen ("als Frau muß man in diesem patriarchalen Land zehnmal mehr wissen als ein Mann, wenn man vorwärts kommen will"), auf der anderen Seite, sind sie La Cruz bald völlig hörig; was später dann in einer (zunächst nicht ganz freiwillig wirkenden) Doppelhochzeit endet. Schon in "Wanderer im Universum" gab es einen ähnlichen Plot, den ich dort schon ziemlich schrecklich fand. Sobald bei Leiber Frauen und Sex ins Spiel kommen, wird es generell häufig unangenehm. In dieser Beziehung ist leider auch "Ein Gespenst sucht Texas heim" nicht besonders gut gealtert.

    Das gilt jedoch auch für einen anderen Aspekt, bei dem Leiber ähnlich widersprüchlich zu Werke geht, wie bei seinen Frauenfiguren: Die Anti-rassistische Botschaft kommt definitiv rüber (schließlich soll hier eine faschistische Diktatur zu Fall gebracht werden), nur macht sich Leiber dabei eben über alles und jeden lustig - über die Unterdrücker, aber auch die Unterdrückten - und bedient dabei durchaus ein paar rassistische Klischees. Teilweise sicher auch um sie der Lächerlichkeit Preis zu geben, dennoch hinterlässt es gelegentlich doch einen fahlen Beigeschmack. Warum nach jemanden treten, der schon am Boden liegt?

    Und La Cruz macht es einem diesbezüglich auch nicht unbedingt einfacher. Ihn ekelt die Versklavung der Mexikaner, Amerikanischen Ureinwohner und der Schwarzen zwar an, wirklich mögen tut es sie aber auch nicht. Und mit dem Gebrauch des N-Worts hat er ebenfalls kein Problem. Man darf dabei aber natürlich nicht vergessen, dass der Roman aus dem Jahr 1969 stammt und Leiber hier trotz alledem hehre Ziele verfolgt.

    Völlig unabhängig davon fällt jedoch das Ende ebenfalls eher schwach aus. Die Revolution spielt dort nämlich plötzlich keine große Rolle mehr. Wie sie endet, erfährt man lapidar in einem kurzen Nebensatz, im letzten Kapitel. Da hatte ich doch deutlich mehr erwartet.


    Fazit:

    Auch wenn es der Klappentext nicht vermuten lässt, ist das hier definitiv nicht so überdreht und klamaukig wie "Die programmierten Musen". Leiber erzählt seine Geschichte zwar mit jeder Menge Humor, zeichnet dabei aber auch ein extrem düsteres Bild der amerikanischen Gesellschaft und sorgt so dafür, dass einem das Lachen recht schnell im Hals stecken bleibt. Die Hauptfigur bleibt aber bis zum Ende unsympathisch und hat durchaus spezielle und fragwürdige Ansichten, was das Thema Frauen und People of Color angeht. Alles in allem, ein eher mittelmäßiger Roman von Fritz Leiber.

  • Hier noch meine stümperhafte Rezension zu...

    Durchaus nicht! So sehr mich der Titel interessiert hat, so durchwachsen scheint der Inhalt zu sein … ich halte mich vorerst an andere der von dir besprochenen Romane.


    Ich habe gestern wieder die Gelegenheit einer Tramfahrt für eine weitere short story genutzt:


    Belsen Express, dt.: Expreß nach Belsen, enthalten in: Lübbes Auswahlband Phantastische Literatur 82 (Hrsg. Michael Görden), im Original erschien die Geschichte 1975.



    Inhalt

    Ein Bürger der USA hat, ca. 10 Jahre nach Ende des 2 WK, eine paranoide Scheu vor nicht näher definierten Nazi-Umtrieben. Gleichzeitig ist dieser Mensch selbst ein fremdenfeindlicher Biedermann mit starkem Sicherheitsbedürfnis und abgeriegeltem Eigenheim. Es gibt verschiedene Vorfälle: ein fälschlicherweise an ihn geliefertes Paket mit Büchern über den Nationalsozialismus, Begegnungen mit unheimlichen Fremden, Busfahrten zur Arbeit, die den Eindruck von Sammeltransporten in Vernichtungslager erwecken … irgendwann stürzt dieses ganze Wahngebäude über dem Protagonisten zusammen — die schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet.


    Eindruck

    Gar nicht nachvollziehbar, dass diese Story 1976 den World Fantasy Award und den August Derleth Award gewonnen hat. Ich finde sie rundherum ziemlich dämlich; bin aber ohnehin kein Freund dieser literarischen Form der Aufarbeitung von NS und Holocaust. Auch hier scheint mir das Thema insgesamt doch zu gewaltig und unfassbar, als dass Leiber es angemessen hätte anpacken können. An diesem Punkt sehe ich jedenfalls eine Grenze von Phantastischer Literatur.

  • Ich habe gestern wieder die Gelegenheit einer Tramfahrt für eine weitere short story genutzt...

    Freut mich immer, wenn du diesen Thread durch deine Leseeindrücke bereicherst. Schade, dass du mit deiner aktuellen Wahl aber anscheinend so daneben gegriffen hast.

    Ich halte mich vorerst an andere der von dir besprochenen Romane.

    Würde ich dir auch empfehlen. Vielleicht hilft dir dabei ja dies hier:


    Abschließende Meinung zu den Romanen von Fritz Leiber:

    Nachdem ich nun diverse Storysammlungen und all seine Romane gelesen habe, muss ich sagen, dass die Kurzform Leiber deutlich mehr liegt, als die Langfassung. Er selbst scheint das ähnlich zu sehen. Im Interview mit Paul Walker sagt er: "Es ist schwierig, die Stimmung von übernatürlichem Horror über die Länge eines Romans aufrechtzzuerhalten. Mir will auch kein Beispiel für einen gelungenen Versuch einfallen. Und seit die SF sich für Ideen, Meinungen und Spekulationen interessiert (und das, was unmöglich scheint, möglich macht), ist sie ebenfalls mehr für Kurzgeschichten geeignet – wahrscheinlich aber nicht in dem Maße wie das Horror-Genre."

    Wer also noch nichts von ihm gelesen hat, sollte mMn zunächst zu den zwei Goldmann-Bänden "Die Spiegelwelt" und "Spekulationen" greifen. Dort finden sich zweifelsfrei ein paar der beeindruckendsten und besten Sci-Fi- und Horrorgeschichten, die ich je gelesen habe. (Glücklicherweise habe ich aktuell noch sechs weitere Sammlungen von ihm vor mir liegen.)

    Trotzdem hat der Mann aber auch ein paar wirklich tolle und lesenswerte Romane geschrieben: Zum Beispiel "Herrin der Finsternis". Die Handlung besteht zwar größtenteils nur aus Gesprächen einer Künstlerclique über LSD, Psychosen, Geister, die Manson-Family, Anton La Vey, Aleister Crowley & Co., wenn es mal unheimlich wird, erreicht das Buch (abgesehen vom schwachen Ende) aber wirklich eine enorme Qualität. Auch wenn Leiber dort nie die Intensität seiner Horror-Kurzgeschichten wie "Begegnung mit der Schattenwelt", "Der schwarze Gondoliere" oder "Das Ruß-Gespenst" erreicht.

    Sein anderer Horrorroman "Hexenvolk" fand ich hingegen extrem anstrengend und nervig. Aber das ist durchaus eine unpopular Opinion, denn allgemein genießt das Buch ein recht hohes Ansehen und Autoren wie Ramsey Campbell und Stephen King loben es in den höchsten Tönen. Von meiner Kritik soll sich also bitte niemand abgeschreckt fühlen.

    Einer der gelungensten Leiber-Romane ist für mich aber sicher "Das Licht der Finsternis" - Denn dort findet man wirklich sämtliche Facetten des Autors abgebildet – Horror, Sci-Fi, Fantasy - it's all there. Und das auf gerade mal 230 Seiten! Ich habe den Roman in meinem Ranking zwar auf Platz 2 gesetzt (siehe unten), aber er hätte auch genauso gut ganz oben landen können.

    "Schicksal mal drei" kann ich Sci-Fi-Fans ebenfalls wärmstens empfehlen. Was hier auf 140 Seiten passiert, ist schon ziemlicher Wahnsinn. Neben dem wilden Genremix den man in Leibers Werken findet, sicher eine weitere Sache, die ich an diesem Autor so mag - Er verschwendet nie viel Zeit. Meistens jedenfalls. Andere Autoren hätten aus Geschichten wie "Das Licht der Finsternis" und "Schicksal mal drei" jedenfalls mindestens drei Bände herausgequetscht.

    Seine völlig durchgeknallte Satire "Das grüne Millennium" zählt allgemein zwar zu seinen schwächeren Romanen, aber auch dieses Buch hat mir richtig gut gefallen. (Eventuell die zweite unpopular Opinion in meinem Ranking.)

    Seine anderen humorvollen Romane können da jedoch leider nicht mithalten. "Ein Gespenst sucht Texas heim" war noch okay, "Die programmierten Musen", trotz großartiger Prämisse, hingegen ziemlich zäh. Man merkt dem Titel mMn einfach recht deutlich an, dass er ursprünglich mal eine Kurzgeschichte war, die Leiber dann zu einem Roman umgearbeitet hat.

    Generell ist er, was die Verteilung seiner Ideen angeht, recht inkonstant. Während manche Romane vor lauter Einfällen fast überquellen (Finsternis, Sicksal), haben Andere nur ein, zwei gute Ideen, die er dann über die gesamte Handlung streckt (Musen, Die Sündhaften).

    Auch die Romane für die er den Hugo Award gewonnen hat, konnten mich nicht völlig überzeugen: "Eine große Zeit" war überraschend langweilig, obwohl die Geschichte in einem wirklich interessanten Universum spielt. Dieses hat Leiber später glücklicherweise noch öfters aufgegriffen und dabei wesentlich gelungener umgesetzt. Z.B. in den Kurzgeschichten "Der Versuch, die Vergangenheit zu ändern" und "Macbeth und Queen Elisabeth".

    "Der Wanderer im Universum" punktet zwar mit einem fulminanten Finale, der Weg bis dorthin ist jedoch ziemlich anstrengend und wird durch unzählige quälende und teilweise wirklich unerträgliche Episoden künstlich in die Länge gezogen – Und dabei habe ich von dem Buch nur eine gekürzte Fassung gelesen. Außerdem ist er, genau wie "Ein Gespenst sucht Texas heim", in Sachen Political Correctness nicht besonders gut gealtert.

    Abschließend kann man also sagen, dass Leibers Romane doch äußerst durchwachsen sind. Ich habe es aber definitiv nicht bereut, sie alle gelesen zu haben und darunter ein paar wirkliche Perlen entdeckt.


    Hier noch mein persönliches Schulnoten-Ranking seiner Romane:


    Sehr gut:

    1. Herrin der Dunkelheit

    2. Das Licht der Finsternis


    Gut:

    3. Das grüne Millennium

    4. Schicksal mal drei


    Befriedigend:

    5. Ein Gespenst sucht Texas heim

    6. Die Umtriebe des Daniel Kesserich

    7. Wanderer im Universum


    Ausreichend:

    8. Die Sündhaften

    9. Die programmierten Musen


    Mangelhaft:

    10. Eine große Zeit

    11. Hexenvolk


    +++


    Aktuell lese ich übrigens gerade "Fritz Leiber and H.P. Lovecraft: Writers of the Dark" und bin bisher ziemlich begeistert. Eventuell werde ich über das Buch hier demnächst noch ein paar Wort verlieren.

  • Zitat von Cheddar Goblin

    Eventuell werde ich über das Buch hier demnächst noch ein paar Wort verlieren.

    Ich bitte darum.

  • Ich bitte darum.

    Ich werde berichten. Allerdings komme ich momentan nicht viel zum Lesen. Außerdem hatte ich das Buch übers Wochenende dummerweise auf der Arbeit liegen lassen. Dafür hab' ich jetzt aber eine Kurzgeschichte von Leiber dazwischengeschoben, die ich noch auf dem eBook-Reader hatte:


    Cyclops



    Inhalt:

    Die Besatzung der Flea ist auf dem Weg zur Weltraumstation Outward Bound, um nachzusehen, warum plötzlich der Funkkontakt zur Mondzentrale abgebrochen ist. Dort angekommen, erwartet sie das absolute Grauen.


    Meinung:

    1965 geschrieben und erstmals in "Worlds of Tomorrow" veröffentlicht. Auf Deutsch findet man die Geschichte im 14. Band der Roman- und Anthologiereihe "Galaxis Science Fiction" (Titel: "Ein Faible für Dostojewski").

    Leiber macht hier von Anfang an klar, dass der Weltraum ein bedrohlicher, menschenunfreundlicher Ort ist: "Durch das große, gekrümmte Raumfenster sahen die Sterne aus wie Spinnenaugen in einem riesigen schwarzen Netz" und jedes gesprochene Wort betont die Stille "wie das Flüstern in einem Geisterhaus." Ein toter, kalter Ort.

    Auf dem Weg zur Outward Bound philosophiert die Mannschaft dann darüber wie fremdes Leben im Weltraum überhaupt aussehen und wie es, im Falle einer geplanten Invasion, die Erde erreichen könnte. Das hat mich doch etwas an Leibers Lovecraft-Hommage "Diary in the Snow" erinnert, wo sich ein Horrorautor in eine einsame Waldhütte zurückzieht, um dort ein Buch über genau dieses Thema zu schreiben. Während ihm jedoch partout nicht einfallen will, wie seine Tentakelmonster auf die Erde gelangen könnten, haben die Astronauten in "Cyclops" eine recht genau Vorstellung davon, wie die Wesen eine solche Reise bewerkstelligen könnten. Nett.

    Als sie die Station Outward Bound erreichen, wird es dann durchaus creepy und Leiber beschwört starkes lovecraft'sches Grauen herauf - Allerdings ist der Spuk auch wieder ganz schnell vorbei. Trotzdem hat mir "Cyclops" ziemlich gut gefallen. Ich musste beim Lesen auch gelegentlich an William Hope Hodgson denken. Besonders dessen Geschichte "The Derelict" ("Die Herrenlose") sei hier erwähnt. Nur dass Leiber die Handlung eben vom Meer ins Weltall verlegt.


    Fazit:

    Eine gelungene Sci-Fi-Horror-Story mit erkennbaren Anlehnungen an H.P. Lovecraft und W.H. Hodgson. Hätte mMn auch ganz gut in den "Yuggoth-Reiseführer" gepasst.

  • Der Vollständigkeit halber hier mal noch die aktuellsten Zugänge:



    Die ungekürzte Fassung von "Wanderer im Universum", die Storysammlung "Tödlicher Mond" und sämtliche "Fafhrd"-Geschichten in vier Bänden.

  • Außerdem hatte ich das Buch übers Wochenende dummerweise auf der Arbeit liegen lassen.

    Das hört sich nach einem beneidenswerten Arbeitsplatz an! Wie zu sehen ist, wirst du ja außerdem die Bekanntschaft mit Fafhrd und dem Grauen Mausling machen …



    Aktuell lese ich übrigens gerade "Fritz Leiber and H.P. Lovecraft: Writers of the Dark"

    Was die Beziehung Leiber – Lovecraft angeht, so ist noch ein Titel besonders erwähnenswert: „Adept’s Gambit“, eine längere Erzählung bzw. ein Kurzroman, den Leiber 1936 geschrieben hatte und Lovecraft probeweiser vorlegte. Der fasste seinen begeisterten Gesamteindruck in einem Brief zusammen, der – wie so viele Briefe Lovecrafts – längst den privat gesteckten Rahmen verlassen hat und noch heute als gültige Kritik gilt. Damit nicht genug: Lovecraft sandte „Adept’s Gambit“ an Henry Kuttner und Robert Bloch und öffnete Leiber auch in dieser Richtung Türen.



    „Adept’s Gambit“ ist auch deshalb legendär, weil sie eine der frühesten Geschichten um Fafhrd und den Grauen Mausling ist. Der Verlag Camelot Books brachte 2014 eine Neuausgabe nach dem Originalmanuskript heraus, in einer limitierten Auflage von 300 Stück, inklusive Lovecrafts Brief sowie eine Einführung von S. T. Joshi. Eine kürzere Version war bereits 1947 in der Arkham House-Sammlung „Night’s Black Agents“ erschienen. Auf Deutsch ist die Geschichte erhältlich als „Das Spiel des Adepten“ (Heyne) oder „Adepten-Gambit“ (Ed. Phantasia).