Spiegelwelt
Klappentext:
"Eine Sammlung von Storys, die sich mit den dunklen, unausgesprochenen Ängsten der Menschheit befassen; schwarze Juwelen eines Meisters des Phantastischen..."
Inhalt & Meinung:
Inhalt:
Die Spiegelwelt": Giles Nefendar hat sich fast völlig vor der Außenwelt abgeschottet und lebt ein ruhiges und unspektakuläres Leben. Eines Nachts macht er in seinem Spiegel jedoch eine seltsame Entdeckung, die ihn an eine flüchtige Bekanntschaft erinnert, die sich vor 10 Jahren das Leben genommen hat.
"Die Geschöpfe von Cleveland Depths": Genau wie Fay, lebt ein Großteil der Menschheit inzwischen unter der Erde. An der Oberfläche besucht er jedoch regelmäßig einen befreundeten Schriftsteller, um sich bei ihm Inspiration für seine neuesten Erfindungen zu holen. Sein neustes Projekt – Ein Vormerker. Im Prinzip nichts anderes, als ein sprachgesteuerter Terminkalender. Doch durch permanente Upgrades wird aus diesem harmlosen Spielzeug eine tödliche Bedrohung.
"Nachhutgefechte": Max behauptet ein gestrandeter Zeitreisender zu sein, doch seine Freunde wollen ihm nicht glauben und machen sich permanent über ihn lustig. Das Lachen vergeht ihnen jedoch recht schnell, als plötzlich eine seltsame Bestie auftaucht, die es auf Max abgesehen hat.
"Auf der Suche nach Jeff": Martin Bellows macht in einer Bar eine Bekanntschaft, die sein Leben für immer verändern wird. Aber warum kann außer ihm nur der Barkeeper die geheimnisvolle Frau, mit der Narbe im Gesicht, wahrnehmen, während sie für den Rest der Welt völlig unsichtbar zu sein scheint?
"Begegnung mit der Schattenwelt": Ein paar Freunde (Sci-Fi-Schriftsteller, Schauspieler & Psychiater) sind unterwegs zum Rim House, um seltsamen Phänomenen auf den Grund zu gehen. Dort angekommen erwartet sie das absolute kosmische Grauen.
"Der schwarze Gondoliere": Ein verschrobener Mann namens Daloway lebt umgeben von Ölfeldern und Bohrtürmen in einem kleinen Wohnwagen. Schnell fängt er an zu glauben, dass das Öl um ihn herum ein Bewusstsein hat. Zudem leidet er plötzlich unter bizarren Alpträumen, in denen er in einer schwarzen Gondel, durch ein Meer aus Öl fährt...
Meinung:
In "Begegnung mit der Schattenwelt" unterhalten sich die Protagonisten über Horrorgeschichten und kommen dabei zu einem ähnlichen Ergebnis wie schon Mary Shelley in ihrem Essay "Über Geister": "Heute ist es wohl nicht mehr möglich eine wirklich packende Geschichte übernatürlichen Horrors zu schreiben (...) Wir sind zu schlau, klug und erfahren geworden (...) Die Erde ist ziemlich gründlich erforscht, so daß man keine verlorene Welten im dunkesten Afrika oder im Gebirge des Wahnsinns beim Südpol vermuten kann." Wer eine Horrorgeschichte so beginnt, muss am Ende natürlich liefern – Und Leiber liefert in dieser Storysammlung definitiv.
Die kleine Lovecraft-Anspielung gibt auch schon mal einen guten Eindruck auf das, was die Freunde bei ihrer Ankunft im Rim House erwartet – Ein ziemlicher Trip, der mich neben Mister Providence noch stark an "The House on the Borderlands" von William Hope Hodgson erinnert hat und sicher zu den besten Haunted House-Stories gehört, die ich je gelesen habe! In der Geschichte gibt es zudem auch noch ein paar interessante Parallelen zu Leibers späterem Roman "Herrin der Dunkelheit": Eine fast identische Künstlerclique, eine Handlung, die überwiegend nur über Dialoge erzählt wird... und genau wie in seinem späten Meisterwerk zitiert er hier aus "Suspira de Profundis".
Sicher ein Highlight dieser Storysammlung, daneben hat "Spiegelwelt" jedoch noch jede Menge andere großartige Geschichten zu bieten. Z.B. "Der schwarze Gondoliere": Leiber kreiert dort eine wirklich beeindruckende und surreale Alptraumwelt, mit einer äußerst ungewöhnlichen und interessanten Prämisse: "Erschaffen aus der üppigen Vegetation und den Tierfetten der Karbon- und benachbarter Zeiten, in sich die die schwarze Essenz allen Lebens enthaltend, das je bestanden hatte, in Wirklichkeit ein großer, tiefer Friedhof der gesamten unheimlichen Vergangenheit, mit schwärzesten Gespenstern, habe das Öl Hunderte von Jahrmillionen gewartet (...) bis auf der Oberfläche sich ein Wesen entwickelte, mit dem es symbiontisch leben und durch das es sich verwirklichen und ausdehnen konnte." Thomas Ligotti hätte das nicht besser hingekriegt!
Aber auch die Titelgeschichte fand ich wirklich gelungen: Hier erzeugt Leiber eine unheimliche Atmosphäre, die zunächst etwas an Algernon Blackwood oder M.R. James erinnert: "Da sich ein zweiter Spiegel hinter ihm befand, war, was er im ersten sah, nicht ein einzelnes Spiegelbild von ihm, sondern viele (...) im achten Spiegelbild war sein Haar wild zerzaust, sein Gesicht bleiern grün, mit hängendem Unterkiefer und entsetzt hervorquellenden Augen. Außerdem war sein achtes Spiegelbild nicht allein." Statt in Panik zu verfallen, nähert sich Giles der Sache jedoch mit wissenschaftlicher Faszination. Man ahnt die ganze Zeit über, wie die Sache schlussendlich ausgehen wird, wird am Ende dann aber doch überrascht.
"Auf der Suche nach Jeff" ist eine eher klassische Rachegeist-Geschichte. Sicher nichts weltbewegendes, aber dennoch nett.
Und mit "Die Geschöpfe von Cleveland Depths" und "Nachhutgefechte" sind dann noch zwei Sci-Fi-Stories enthalten. Obwohl Genregrenzen bei Leiber ja meist sehr fließend sind und in beiden Fällen eine große Portion Horror mit ins Spiel kommt.
Der "Zeitreisender im Weltkrieg"-Plot aus "Nachhutgefechte" lässt einen natürlich sofort an Kurt Vonneguts "Schlachthof Fünf" denken, nach dem Einstieg entwickelt sich die Erzählung aber eher in Richtung Lovecrafts "Der Hund". "Da war etwas einen halben Meter vor dem Fenster – ein Gesicht, eine Maske oder Schnauze von schimmernderem Schwarz als die Dunkelheit ringsherum. Das Gesicht war gleichzeitig das Gesicht eines Hundes, eines Panthers, einer Riesenfledermaus und eines Mannes – zwischen diesen vier. Ein gnadenloses, hoffnungsloses Mensch-Tier-Gesicht, lebendig, bewußt, aber tot, in seiner ungeheuren Melancholie und grenzenlosen Bösartigkeit." Für den Alptraum hätte es den Sci-Fi-Rahmen eigentlich nicht zwingend gebraucht und ein bisschen wirkt es so, als hätte Leiber hier zwei Geschichten zu einer kombiniert, das Ergebnis fällt aber ungemein faszinierend aus – Gerade aufgrund des wilden Mixes.
"Die Geschöpfe" ist die längst Erzählung in diesem Band (50 Seiten). Eigentliche eine, für die Entstehungszeit, recht typische Paranoiageschichte, die jedoch nichts an Aktualität verloren hat. Ganz im Gegenteil sogar. Man denke nur an Elon Musk, Alexa, Smombies etc. Und auch hier überrascht Leiber mit einem originellen Ende und beschwört im Finale ein Szenario herauf, das durchaus an die Höllengemälde eines Hieronymus Bosch erinnert.
Im Original heißt diese Sammlung übrigens "Night Monsters". Definitiv der passendere Name.
Fazit:
Ich habe das Buch ja antiquarisch erworben. Der oder die Vorbesitzer*in ist, abgesehen von einem Eintrag mit Bleistift, wirklich sehr pfleglich mit "Spiegelwelt" umgegangen, gemocht wurden die Geschichten anscheinend aber nicht. Unter dem Inhaltsverzeichnis wurde das Ganze jedenfalls mit einem großen "Naja!" kommentiert.
Zum Glück sind Geschmäcker aber verschieden, denn mich hat diese Storysammlung wirklich völlig weggeblasen. Das "Best-of" war schon richtig gut, das hier ist jedoch nochmal deutlich stärker. Gerade wenn man in die Welt von Fritz Leiber eintauchen will, findet man hier mMn einen gelungenen Start, denn die Geschichten versammeln fast alles was ihn als phantastischen Autor auszeichnet und so besonders macht. Naja, my ass!
Arkham Insider Axel Solltest du dir "Herrin der Dunkelheit" zulegen, würde ich "Spiegelwelt" gleich auch noch in den Einkaufswagen legen. Besonders deine Meinung zu den letzten beiden Geschichten würde mich wirklich interessieren. Sie müssten dir jedenfalls zusagen. Große Empfehlung von mir!