N. K. Jemisin: Die Wächterinnen von New York

  • N. K. Jemisin

    Die Wächterinnen von New York


    Tropen Verlag

    Aus dem Amerikanischen von Benjamin Mildner

    1. Auflage 2022, 544 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag

    ISBN: 978-3-608-50018-9


    Klappentext (laut Verlagswebsite):


    Verlagslink: https://www.klett-cotta.de/buc…/452630#buch_beschreibung


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    Von diesem Buch hatte ich vorab schon so viel Gutes gehört, dass ich voller Freude mit dem Gefühl heranging, eine der interessantesten Neuerscheinungen des Jahres vor mir zu haben. Die Handlung ist groß und filmreif angelegt. Dabei weicht das Figurenrepertoire – wie wohl für N. K. Jemisin typisch (?) – in einer ganz natürlichen Weise vom klassischen geschlechterstereotypen Einheitsbrei ab. Und auch die phantastische Wendung des realen New Yorks gefällt mir. Anders als Neil Gaiman in seinem Werbespruch würde ich dabei aber nicht auf Lovecraft1 und Borges verweisen, sondern Neil Gaimans "American Gods" und Ben Aaronovitchs "Die Flüsse von London". Der Roman ist Urban Fantasy, durch und durch, kein kosmischer Horror, kein magischer Realismus. Er ist er eindeutig für ein Young Adult-Publikum geschrieben. Und er spielt nicht einfach in New York, sondern richtet sich explizit an Leser:innen, für die diese Stadt ein Sehnsuchtsort ist. Damit falle ich leider ziemlich aus der anvisierten Zielgruppe und das habe ich von Seite zu Seite mehr gemerkt und bedauert. Hinzu kommt, dass der Roman – wie viele aktuelle Romane – viel zu lang ist für das, was er erzählen möchte. Trotzdem hat er vieles, was ich an phantastischer Literatur gerne mag, auch mögen möchte, er fällt positiv aus der Spur und N. K. Jemisin ist ohne Frage gut genug, auch Wege außerhalb des typischen zu beschreiten. Für mich genügte es in diesem Fall nicht. Nachdem ich ein paar Tage nicht zum lesen gekommen war, habe ich das Buch jetzt wieder in die Hand genommen, finde aber keinen Zugriff mehr dazu, mekre, wie ich ins kursorische Lesen verfalle, weil alles mich kalt lässt und ziehe deshalb den sich lang ankündigenden Schlusstrich. Schade, ich wollte das alles wirklich mögen, aber es hat halt nicht sein sollen. Mein 20jähriges Ich hätte vielleicht gejubelt.



    1 Ich frage mich an dieser Stelle übrigens ernsthaft, ob eine Schwarze Autorin, die ohne Frage einen gesellschaftsbezogen wenigstens progressiven, vermutlich sogar aktivistischen Roman vorgelegt hat, sich durch einen Lovecraft-Vergleich auf dem Klappentext verstanden fühlt, zumal die Lovecraft-Anleihen echt mit der Lupe gesucht werden müssen – Ich nehme an, Gaiman hat in den Roman allenfalls reingelesen, und die Marketingabteilung des Verlags hat das Zitat aus kommerziellen Gründen blind übernommen.

  • Ja, ich habe ihn zwar unterhalten zu Ende gelesen, aber mit der Größe ihrer ersten beiden Fantasy-Trilogien kann er nicht mithalten.

    Ich glaube auch definitiv, dass hier ein YA-Publikum angesprochen werden sollte. Ob das ihr eigener Wunsch oder der jemand anderes -- Verlag? Agentur? -- war, bleibt unbeantwortet. Per se spricht ja nichts dagegen, für ein jüngeres Publikum zu schreiben, dann sollte man das aber wahrscheinlich auch auf der Verpackung klarmachen. Dass das nicht passiert erlaubt dennoch auch so seine Rückschlüsse.


    Wenn ich mich richtig erinnern kann, wurde es im englischsprachigen Raum ähnlich platziert. Ich weiß es aber nicht mehr genau, weil ich damals von Jemisins zweiter Trilogie bereits so begeistert war, dass ich es sowieso als Pflichtkauf abgelegt hatte (und damit gerechnet hatte, dass es wegen des Erfolgs übersetzt werden würde und daher darauf gewartet habe).


    Der Lovecraft-Vergleich ist für manche schwarze*n Autor*innen übrigens genau deswegen gewünscht, weil es ihm selbst wohl nicht so behagt hätte. Aber allgemein gebe ich Dir recht, dass dieses Problem im Genre viel zu selten thematisiert und entsprechend ausgeschildert wird.

  • Kann dir in allen Punkten zustimmen, Felix.

    Hab das Buch auch nach circa 100 Seiten abgebrochen. Mehr ging nicht.

    Wenn es jemand haben möchte, kann er sich gerne bei mir melden.

  • Gegen Young Adult/All Age/Jugendbuch habe ich gar nichts. Bei mir war es eher das Zusammenkommen mehrer Aspekte. Urban Fantasy ist nicht meins und auch New York lässt mich relativ kalt.

    Der Lovecraft-Vergleich ist für manche schwarze*n Autor*innen übrigens genau deswegen gewünscht, weil es ihm selbst wohl nicht so behagt hätte. Aber allgemein gebe ich Dir recht, dass dieses Problem im Genre viel zu selten thematisiert und entsprechend ausgeschildert wird.

    Echt, der ist gewünscht? hast du oder hat jemand von euch eine Quelle dazu? Das finde ich echt interessant.


    Ich finde in dieesem Fall aber einfach, dass der Lovacraft-Bezug - nach 300 Seiten – einfach nicht ausreichend vorhanden ist, dass dmait geworben werden sollte. Auch zu Borges sehe ich leider keinen Bezug. Aber nun gut, war einfach nicht mein Buch. Gibt Schlimmeres.

  • Felix Warum sonst würden PoC bewusst im Lovecraft-Universum schreiben wollen?

    Ich für meinen Teil verfolge die Diskussion jetzt seit mehreren Jahren im englischsprachigen Raum. Wann immer ich (oder jemand anders) sie allerdings in den deutschsprachigen Raum (aus)tragen möchte, wird dem Thema mit Unglauben, Desinteresse und Whataboutism begegnet.


    “He’s so woven in, I think for horror as a whole, it would feel to me a little bit like removing an arm,” Black horror writer Victor LaValle, who often writes Lovecraftian fiction, told me. “And so instead I feel like an alternative choice is to identify the illness and then maybe you can save the arm.”


    "He also stressed capitalizing on Lovecraft’s love of fanfiction of his own stories to overwrite that legacy into newer, more progressive visions of horror."


    Guter Artikel dazu:

    https://www.vox.com/culture/21…ovecraftian-weird-fiction


    Und "lovecraftian" ist halt oft die Geldkuh, die durchs Dorf getrieben wird.

    Das und ein blurb von Stephen King, und die Sache ist geritzt ...

  • Danke, das schaue ich mir gerne an! Ich sehe schon Gründe, warum man Interesse an diesem Universum haben kann, auch ohne den toten Lovecraft in Unbehagen setzen zu wollen. Aber ich kenne, wie gesagt, auch nicht die Debatte und verkürze hier das, was du sagen willst, vermutlich auch deshalb einfach zu schnell. Wäre das nicht mal etwas für eine Fanzine-/Print-Debatte, in der Autor:innen, Herausgeber:innen etc. auch mal abseits des Social-Media-Schnell-Schnells den Raum bekämen, ihre Positionen ausführlich darzustellen.

  • Es geht wohl eher um das Unbehagen jener, die unreflektiert dieses literarische Weltbild teilen. Und darauf abzuzielen ist doch sehr inhärent. Aber wir sprechen eventuell aneinander vorbei und ich finde das Thema eh auch zu wichtig, um es hier zeitbemangelt zu schlaglichtern.

  • zumal die Lovecraft-Anleihen echt mit der Lupe gesucht werden müssen –

    eigentlich wird das mit HPL doch noch sehr explizit - und letztlich stehen sich im Roman (ähnlich wie in Mievilles New Paris) zwei künstlerische Weltanschauungen gegenüber. Die eine Lovecraftian, die andere woke. Für mich das eigentliche Thema des Buchs, weswegen es mich dann auch gehooked hat. Ich hätte mir vielleicht gewünscht, den Aspekt noch stärker herausgehoben zu sehen ... gegen den der Urban-Fantasy-Teil und so wirklich eher oberflächlich rüberkam. Wenn es Jemesin aber darum geht, diesen Clash auf ein metafiktionales Level zu heben, hat sie damit einen besseren Job gemacht als, zB Matt Ruff in Lovecraft Country - ich finde es auch ziemlich mutig von ihr.

  • Es geht wohl eher um das Unbehagen jener, die unreflektiert dieses literarische Weltbild teilen.

    genau. Darünerhinaus kann ich dir nur recht geben. Eine wahnsinnig komplexe Diskussion, die wir auch nur in Teilen wirklich werden nachvollziehen können. Aber wir können uns darum bemühen und davon nur profitieren. Leider sieht man hierzulands einfach oft gar nicht ein, warum das für uns von Bedeutung sein könnte.


    Felix eine ernsthafte Auseinandersetzung damit in einem Magazin, Fanzine oder so: Ja, auf jeden Fall, allerdings wünsche ich mir dafür dringend die Beteiligung von Autore*innen, die dazu auch wirklich was zu sagen hätten, bzw von der Thematik auch direkt betroffen sind. Als weiße-Herren-Club-Debatte mag ich mir das wahrlich nicht vorstellen. Auf FB habe ich diesen Artikel verlinkt: The book that tore publishing apart


    darin geht es nicht um Lovecraft, finde aber, das gehört zu dem Komplex unbedingt dazu

  • Nils hm, um mal aus der Rezi zu zitieren:


    Zitat

    >>Angesichts seines vor sich hergetragenen Antirassismus überrascht es umso mehr, dass der Roman sich immer wieder positiv auf den ausgemachten Rassisten und Anhänger des White Supremacy-Phantasmas Howard Phillips Lovecraft und den von ihm erdachten Chtulu-Mythos bezieht. Denn er „hatte recht“, [...]<<


    ... finde ich eine etwas seltsame Lesart des Rezensenten. Die Frau in Weiß ist, wenn ich mich recht erinnere, eine klare Antisympathieträgerin des Romans und das Zitat aus dem Buch selbst

    Zitat
    ""Dieser ganze Kram ist wahr. Alle anderen Welten, an die die Menschen so glauben, durch Gruppen-Mythen oder spirituelle Erscheinungen oder auch nur Einbildungen, wenn sie lebhaft genug sind, die existieren wirklich. Indem man sich eine Welt vorstellt, erschafft man sie, wenn sie nicht schon da ist. Das ist das große Geheimnis der Existenz: Sie reagiert extrem sensibel auf Gedanken. Entscheidungen, Wünsche, Lügen – mehr braucht man nicht, um ein neues Universum zu erschaffen.""

    ... legt seinen Sinn doch dahin, dass etwas (in der Welt des Buchs) nicht wahr ist, weil es wahr ist, sondern weil es mittels Vorstellung wahr gemacht wird. Daher ist mir die obengenannte Überraschung echt schleierhaft. den im weiteren attestierten "esoterischen Mystizismus" würde ich selbst vielmehr als poetische Fassung einer ziemlich kritisch gedachten Auffassung von Wirklichkeit in Metaphern auslegen.

  • Longstride Deine Punkte sprechen aus meiner Sicht vor allem für eines: Einen Rezensenten, der nicht im Thema ist. Ich kenne den besprochenen Roman nicht, fand die Kritik beim Querlesen aber für sich schon nicht gut geschrieben.