Daniel Illger - Kosmische Angst

  • Danke für die bisherigen Einschätzungen. Ich weiß nicht, ob ich mir das Buch mal besorgen werde, aber so habe ich ja schon mal einen guten Einblick.


    Erinnerte mich an einen Physiklehrer, der uns Atome erklären wollte und mit Leuten im fahrenden Zug argumentierte.

    Ist das nicht ein Beispiel, mit dem Einstein auch mal irgendwo die Relativitätstheorie erklärt hat? Kommt mir jedenfalls bekannt vor.



    In dem Moment, in dem man den Schrecken benennen, einordnen, wiedererkennen kann, gilt er nicht mehr als Cosmic. Meine Angst vor sozialem Abstieg oder ganz konkreter Armut / Obdachlosigkeit etc. läge somit als erfassbar, wiedererkennbar und einstufbar nicht mehr innerhalb der Prämisse.

    Ich verstehe, wie es gemeint ist, fand die Passagen aus dem Interview aber dennoch interessant, da es ja maßgeblich auch um die Parallelisierung von Empfindungsintensität und -art ging und nicht um eine theoretische Einordnung. Aber das hatten wir ja weiter oben schon. Wenn die Aspekte aus dem Interview im Buch weiter keine Rolle spielen, dann wäre das für mich eine relevante Information.

  • Danke für die bisherigen Einschätzungen. Ich weiß nicht, ob ich mir das Buch mal besorgen werde, aber so habe ich ja schon mal einen guten Einblick.

    Ja, und warte bitte mit einem eventuellen Kauf, wenn es so ähnlich bleibt und ich durch bin, gebe ich es gern an dich weiter. (Phantastik-Forum merry-go-round!)

    Wenn die Aspekte aus dem Interview im Buch weiter keine Rolle spielen, dann wäre das für mich eine relevante Information.

    Also bislang hat das eine nix mit dem anderen zu tun. Ich denke, dem Interviewer ist da was eingefallen und darum ging es dann - ich hab den Eindruck (jetzt, im Vergleich), dass der Interviewer das Buch entweder nur als Nacherzählung oder vom Durchblättern her kennt, aber trotzdem irgendwas halbwegs Schlaues fragen wollte. Das ist durchaus als unverwerflich angesehener Usus, bringt aber keine guten Artikel / Interviews hervor.

    Ist das nicht ein Beispiel, mit dem Einstein auch mal irgendwo die Relativitätstheorie erklärt hat? Kommt mir jedenfalls bekannt vor.

    Ich kenne es auch aus Büchern, in denen relative motion in space erklärt werden soll - da passt das Zug-Bild für mich allerdings ebenfalls nicht *gn*. Vielleicht hat mein Lehrer (eigentlich ein Sportler und Sportlehrer) das selbst durcheinandergebracht - zu der Schule da hätte es gepasst. :D Hatte für die letzten Jahre auch gewechselt und dann erst gesehen, was echte Lehr-Kompetenz sein kann ...

  • Kapt. 2 "Nihilismus" (in 1 ging es um Angst und das Horrorgenre):


    Illger begann mit Lovecrafts Definition von fear / unkown, und - was Illger glaube ich nicht erwähnt - dabei nannte HPL ja als beste Beispiele den Tod und das Weltall. Zu Beginn diesen Kapitels zitiert Illger wieder Lovecraft, nun zum "Nichts", was HPL eindeutig positiv und sogar als sehnsuchtsvollen, perfekten Zustand beschreibt. (Erstaunlich deckungsgleich zu Dennis Nilsen, übrigens!)


    Beginnend mit Lovecrafts un-mystischem, modern-naturwissenschaftlichem Ansatz zeigt Illger, dass nun nicht mehr Geister und Hexen den Leser ängstigen sollen, sondern eben als wissenschaftliche Fakten beschriebene Alien-Monster oder seltsame Phänomene (man hätte hier auch gut mit dem Genre des spekulativen Realismus argumentieren können). Angerissen und gut - wenn auch imA zu knapp - werden Antinatalismus, Cioran und Ligotti erwähnt, dann aber entfernt sich Illger davon und macht mit einem langen Zitat aus einer Hemingway-KG weiter, in der etwas zu nada steht. Allerdings geht es dabei nicht um Nihilismus. Illger verwendet nun ein paar Seiten lang nada anstelle von "Nichts". Von Hemingway geht es zu Bataille, der trotz seines Spottes die Religion ins Spiel bringt: Die "Einsamkeit Gottes" als Motiv.

    Dazu: Illger hat nicht nur das Kind / Kinderzimmer als durchgehende / wiederkehrende Illustration, sondern auch "Dämonen" und "Teufel". Deren Verbindung zum Buch ist mir etwas unklar - manchmal spricht Illger von den Dämonen, die Schrecken symbolisieren sollen, manchmal als Synonym des Horrorgenres und letztlich wie eine Art personifizierte ... Negativität. Das sitzt etwas schräg auf dem Buchthema, und eigentlich auch auf seiner eigenen Erkenntnis, dass HPL über solche altmodischen Figuren gelacht hätte. Illger bezeichnet dann das Weltall des Kosmischen Horrors als "Abenteuerspielplatz", was mMn eine unpassende Analogie ist, wenn man bedenkt, was verhandelt wird.


    Er stellt nun fest, dass "Nichts" ein schlechter Antagonist ist, bzw. sich damit allein kein Schrecken auslösen ließe (das ist ein sehr, sehr interessanter Gedanke, der für meinen Geschmack gern hätte näher ausdiskutiert werden können), und damit Lovecraft widersinnigerweise gezwungen gewesen sei, seine Geschichten mit Cthulhu und anderen Figuren zu bevölkern. Dabei unterläuft ihm aber ein Denkfehler: Lovecraft sprach von der Angst vor dem Unbekannten (und wir wissen, dass damit auch der Tod und das All gemeint waren), aber nicht vor der Angst vor dem Nichts. Dazu hatte Illger ihn ja ausführlich zitiert und in diesem Zitat stand dazu nichts Negatives. Der Tod ist sicher Auslöschung / Nichts, das All ist aber voll von physisch anwesenden Dingen, also keinesfalls "Nichts" - selbst ein Schwarzes Loch ist das Gegenteil von "Nichts". Da kommt also etwas nicht hin.


    Nachdem Illger mal wieder auf sein Kinderzimmer zurückkam (das mAn inzwischen jegliche Erklärungsfunktion verloren hat), stellt er fest: die Ästhetik und die Poesie (er sagt Poetik) können nicht mit einem "Nichts" operieren, und obwohl die Philosophen des Nihilismus / Antinatalismus wie auch Lovecrafts Haltung und dann die von Illger selbst festgestellte Ueberkommenheit von Dämonen, Teufeln und (Aber)Glauben in spätestens der Moderne solches eigentlich unmöglich machen, stellt er schließlich fest:

    - Das Weltall endet, und zwar nicht im Nichts, sondern es geht in "Gott" auf (und er meinte nicht einen der Old Ones *gn*).

    - "Wir" bewegten uns nun im Bereich einer "atheistischen Mystik".

    (Mystik: Bereich v.a. der Theologie, beschreibt eine "göttliche Erfahrung".) Jetzt wundere ich mich doch mehr als nur ein Bisschen.


    Mein zweites Zwischenfazit:

    Um eine illgersche Analogie zu nehmen: Mir kommt der Text bislang so vor, als fahre Illger in Schlangenlinien über eine Autobahn, schrammt mal links und mal rechts an der Leitplanke entlang und nimmt jeweils ein paar verschiedene Farbkratzer oder Bruchstücke mit. Der Abhandlung fehlt bislang eine klare Prämisse und die Haltung des Autors zum Thema ist unklar bzw. widersprüchlich (ich rede nicht von der nötigen Gegenüberstellung kontroverser Zitate oder Theorien, sondern von den vielen persönlichen Wertungen und Kommentaren des Autors selbst dazu).

    Genauso schlingert er übrigens von umgangssprachlichem Humor zu philosophischen Definitionen (ich bin nicht sicher, ob immer ganz korrekt erfasst), was ich als ziemlich unangenehm empfinde.


    Illger ist Fantasyautor und Filmwissenschaftler - dabei wundert mich, dass er so seltsam um den heißen Brei herumredet, wenn es um Definitionen, Theorien und Inhalte von postmodernen nihilistischen und antinatalistischen Themen geht, denn maßgeblich ist dort ein brasilianischer Professor der Philosophie und Filmwissenschaft, Julio Cabrera, tonangebend. Einige Zitate von Cabrera hätten vielleicht nicht nur die Herleitung verkürzen, sondern auch einige Unklarheiten aus dem Weg räumen können, die Illger offensichtlich behindern. Damit steht er nicht allein da: Das gleiche Problem - dort ebenfalls mit Religion - hat der ansonsten extrem intelligente Philosoph Roberto Mangabeira Unger in seinem Passion. An Essay on Personality, das ich deswegen leider abbrechen musste.



    Als eine, die noch kein Buch zu irgendwas geschrieben hat und auch keine Philosophin ist, lehne ich mal mal meterweit aus dem Fenster: das Buch macht mir Lust, die Theorien des imA passgenauen Dreiergespanns Lovecraft - Cioran - Cabrera im Hinblick auf Kosmischen Horror und der (gar nicht so negativen) Negativen Ethik anzuschauen. Vielleicht hab ich Ende diesen Jahres Zeit und vielleicht hat ja jemand Lust, mit dran rum zu denken. [CTHu]

  • Lust, die Theorien des imA passgenauen Dreiergespanns Lovecraft - Cioran - Cabrera im Hinblick auf Kosmischen Horror und der (gar nicht so negativen) Negativen Ethik anzuschauen

    Schöne Idee.


    Zum Thema Nichts habe ich vor einigen Jahren mal in einem Buch von Ludger Lütkehaus gestöbert, leider kann ich mich kaum an die Inhalte erinnern. Aber der Titel fiel mir eben beim Lesen deines Beitrags ein.

  • Schöne Idee.

    [Cof]%X Let's!

    Zum Thema Nichts habe ich vor einigen Jahren mal in einem Buch von Ludger Lütkehaus gestöbert, leider kann ich mich kaum an die Inhalte erinnern. Aber der Titel fiel mir eben beim Lesen deines Beitrags ein.

    Oh, super, vielen lieben Dank! Das klingt ganz enorm spannend, da schaue ich gleich mal nach. EDIT: Ist bestellt! :*


    Ich meine übrigens, das Problem mit dem "Nichts" als Positives und dem Tod & dem All als Auslöser von Furcht entsteht daraus, dass Lovecraft als Realist vielleicht weniger den Tod / Death meinte, sondern eigentlich das Sterben / Dying. Nur so lässt sich der kleine Widerspruch im Konzept erklären, der hier auch Illger behindert: Man hat Angst vor dem Unbekannten des Todes, aber lediglich, weil man bereits vorher weiß, dass diese Angst sich beim Sterben zuspitzen wird - denn Lovecraft muss ja davon ausgehen, dass es keine wie auch immer geartete Weiterexistenz nach dem Tod gibt.


    Also wäre bei HPL Tod = Sterben mit Angst besetzt, aber der dann nicht mehr erlebte Zustand des Todes = des individuellen Nichts positiv konnotiert.

  • Let's!

    hey ho let's go WSKY



    EDIT: Ist bestellt!

    Haha. Sehr gut.

    Man hat Angst vor dem Unbekannten des Todes, aber lediglich, weil man bereits vorher weiß, dass diese Angst sich beim Sterben zuspitzen wird

    Also die Angst vor der Angst?


    Lovecraft hat übrigens, nach allem, was man darüber wissen kann, seinem frühen Krebstod relativ gelassen entgegen gesehen.

  • Also die Angst vor der Angst?
    Lovecraft hat übrigens, nach allem, was man darüber wissen kann, seinem frühen Krebstod relativ gelassen entgegen gesehen.

    Vielleicht eher die Angst (als ein extremes Bedauern) vor der Auslöschung des Selbst. Wenn nicht auch zusätzlich vor dem physischen Aspekt: Schmerz.

    Derrida hat da eine sehr differenzierte, sensible Unterscheidung gemacht: Er wandte sich gegen die weitverbreitete Idee, dass ein Verstorbener nicht tatsächlich tot sei, solange noch jemand lebe, der sich an ihn erinnerte oder der ihn sogar kannte. Derrida sagt: Jeder Mensch (Gedanken / Emotionen und Erinnerungen) ist eine einzigartige, einmalige Welt. Diese Welt erlischt in Gänze durch seinen Tod. Erinnerungen, die andere Menschen an ihn haben, sind nicht zu verwechseln mit den ursprünglichen, individuellen des Toten, sondern gehören - vllt. sogar unbewusst verzerrt, persönlich geprägt - ausschließlich zur überlebenden Person. Ich meine, dass eine solche Auslöschung sehr gut angstbesetzt sein wird.


    Hui, Respekt (Theorie ist ja eine Sache, wenn es einem selbst an den Kragen geht ...).

    Das Nichts würde mich auch interessieren. Bei mir ist es eher eine Zeitfrage. Deshalb kann ich nichts versprechen, würde aber allerwenigstens (!) interessiert mitlesen wollen.

    Momentan ist es bei mir ebenfalls eine Zeitfrage (das ist schönerweise ein echter Wälzer), aber mein kleiner, grad gereifter Plan, bei dem das Buch zum Einsatz käme, läge auch eher gegen Ende diesen Jahres - vielleicht können wir alle noch mal drauf zurückkommen (mitlesend oder schreibend?). Bin sicher, das wäre auch along the lines of Jo Piccol und Arkham Insider Axel .

  • Schon paradox, dass man für Nichts einiges an Zeit einplanen muss.


    Derridas Unterscheidung ist sicher sinnvoll, gleichwohl viele Menschen gerade besessen davon sind, sich durch irgendeine Art von Vermächtnis "unsterblich" zu machen. Für solche dürfte Derridas Diagnose ein herber Schlag sein.

  • Dank Jo Piccol s lieber Buchsendung (Tausend Dank noch mal! [Nerdine]) bin ich bereits mitten drin - auf S. 50 circa.

    Gerne geschehen!! :)

    Das Nichts würde mich auch interessieren. Bei mir ist es eher eine Zeitfrage. Deshalb kann ich nichts versprechen, würde aber allerwenigstens (!) interessiert mitlesen wollen.



    Voll erraten, liebe Katla, da bin ich natürlich auch gerne mit dabei ... das Thema ist ja auch in meinen eigenen Arbeiten im Hintergrund präsent ... ;)


    Den Lüdkehaus hab ich schon vor einigen Jahren durchgeackert. Es ist eine echte Tour-de-Force durch die Philosophiegeschichte von Hegel über Heidegger bis Sartre, aber schwierig zu lesen, da sehr stark in einem philosophisch-wissenschaftlichem Duktus geschrieben, aber mit einem (für mich zumindest) befriedigendem Conclusio.


    Für alle, die diese schwierige Materie vielleicht auch gerne etwas einfacher (im positiven Sinn) aufbereitet hätten, hab ich hier noch einen spannenden Tipp:

    "Gibt es Alles oder Nichts?" von Jim Holt (erschienen bei Rowohlt).

    Holt ist Autor und Essayist und schreibt hier eine "philosophische Detektivgeschichte rund um das Sein und das Nichts. Er schafft es tatsächlich im Gegensatz zu Lüdkehaus und IIllger, wesentliche Fragen rund um das Nichts auf sehr hohem Niveau wirklich spannend und und wunderbar fluffig und leicht lesbar darzustellen - das Buch wurde im Erscheinungsjahr auch von der New York Times unter die 5 besten Sachbücher des Jahres gereiht.


    Dazu vergleicht er zunächst ähnlich wie Lüdkehaus (aber in Kurzform) bisherige historische Positionen, unternimmt dann aber den sehr interessanten Versuch, über Interviews mit führenden Köpfen unserer Zeit - von Oxford-Professoren bis Multiversums-Denkern - verschiedenste Aspekte und Sichtweisen abzuhandeln und einen aktuellen Stand der Diskussion zusammenzufassen, ohne selbst Dogmen anzuhängen.


    Katla, du hast ja lustigerweise auch genau die (mindestens zwei) Denkfehler aufgezeigt, die ich schon angesprochen hatte und die das Buch von Illgner letztlich unrund machen. Am Ende geht es ja - wie von dir oben schon formuliert - um die Frage, ob es so etwas wie eine "atheistische Mystik" geben kann ...


    Freue mich schon auf weiterführende Diskussionen mit Euch!

    [Skl]

  • Schon paradox, dass man für Nichts einiges an Zeit einplanen muss.

    :D

    Derridas Unterscheidung ist sicher sinnvoll, gleichwohl viele Menschen gerade besessen davon sind, sich durch irgendeine Art von Vermächtnis "unsterblich" zu machen. Für solche dürfte Derridas Diagnose ein herber Schlag sein.

    Ja, diese Obsession steckt teils ja auch hinter der übermäßigen Reproduktionstätigkeit unserer Spezies - denn ginge es nur darum, ein Kind haben zu wollen, könnten Menschen nach dem animal companion -Motto "adopt, don't shop" handeln. Aber ich hab tatsächlich als Begründung eines Kinderwunsches oft gelesen: 'Damit ein Teil von mir weiterlebt'. Könnten sich Menschen besser mit ihrer Endlichkeit abfinden, wäre auch Religionen die Grundlage entzogen.

    Voll erraten, liebe Katla, da bin ich natürlich auch gerne mit dabei ... das Thema ist ja auch in meinen eigenen Arbeiten im Hintergrund präsent ... ;)

    [Skl] Coooool! Ich freue mich, das wird sicher hochspannend.


    Finde ich sehr schön, weil ich den Eindruck hab, dass Nihilismus / Antitheismus / Antinatalismus häufig von Schreibern verhandelt wird, die eigentlich privat dagegen eingestellt sind. Und das resultiert in manchmal seltsamen Verrenkungen, das alles unter einen Hut zu bekommen oder gar (wie Illger das grad gen Ende des 2. Kapt. versucht) dem Objekt irgendwie doch einen Theismus unterzujubeln.

    Wenn ich zu Ikonen recherchiere, komme ich als Antitheistin auch nicht umhin, etwas zu Ikonographie und orthodoxer Kirchengeschichte zu lesen. Umgekehrt wäre das auch wünschenswert, passiert aber zu wenig.


    Dann hätten wir mit unserem kleinen Projekt nämlich eine deutschsprachige 'own voices'-Perspektive auf das Thema. [Cof]

    Katla, du hast ja lustigerweise auch genau die (mindestens zwei) Denkfehler aufgezeigt, die ich schon angesprochen hatte und die das Buch von Illgner letztlich unrund machen. Am Ende geht es ja - wie von dir oben schon formuliert - um die Frage, ob es so etwas wie eine "atheistische Mystik" geben kann ...

    Hehehe, super!

    Ja, hab ich höflich geschrieben, aber 'atheistische Mystik' ist selbstverständlich Quark. Das mag aus den USA rübergeschwappt sein, wo ja die fundamentalistischen Christen teils als Splittergruppen, teils als politisch extrem mächtiger Mainstream versuchen, das Zivilleben aller Mitbürger unter den Knüppel zu bekommen und die schnallen Atheismus / Antitheismus nicht. Die sagen: Atheismus ist auch ein religiöser Glaube bzw. sogar eine Religion, nur eben umgekehrt. Das ist natürlich völliger Humbug. Und sie sehen ja sogar Realismus und Wissenschaft als Religionen - Illger mag davon irgendwie um Ecken beeinflusst sein (oder selbst solchen Gedanken anzuhängen, in vllt. unbewusster Abwehr).


    Ich hab grad ein paar Seiten religiösen Geschwafels geskippt, weil ich auch nicht den Eindruck hab, es hätte irgendwie mit dem Thema des Buches zu tun. Mal gucken, wie's danach weitergeht. (Ich hoffe, es gibt ein Danach ... [shnt])


    Auch, wenn Lovecraft das Nicht-Sein positiv besetzt hat, würde ich sagen, es gäbe durchaus Versuche, das Nichts als Schrecken zu schreiben:

    - "The Music of Erich Zann", wo der junge Prota hinter dem Fenster eine Art Deep Space mit lediglich einem chaotischen / feindseligen Bewusstsein vorfindet.

    - "Dagon", was ein Spiel mit dem Spruch sein mag, "wenn du lange genug in den Abgrund starrst ...". Auch dort findet der Prota ein schwarzes Nichts (Könnte man die Story sogar als direkten Nietzsche-Kommentar werten?) und in beiden Geschichten ist es durchaus als Horror erzählt und erzählbar. (Okay, teils mit der Krücke über das 'fremde Bewusstsein', aber immerhin.)

  • Hello in die Runde,


    ich lese wohl interessiert mit, bin aber in den hier angesprochenen Themen – Angst, Nichts, Tod – alles andere als sattelfest. Ja, tatsächlich bereitet mir Lovecrafts Philosophie in diesen Dingen ein leichtes Unbehagen. Denn ich meine, dass man sich in diesem Bereich bewusst produzieren kann. Und das kommt bei einer Person wie Lovecraft, bekannt für seine Posen, erschwerend hinzu.


    Jeder kreativer Akt ist positiv und bejaht erst einmal die schöpferische, lebensspendende Kraft. Selbst dann, wenn vermeintlich Negatives verhandelt wird.

    So lese ich Lovecraft – jetziger Stand der Dinge – eher in einem positiven Licht. Der sogenannte Kosmische Horror beinhaltet ja immer auch einen gehörigen Sense of Wonder. Und untergegangene Zivilisationen wie die der Alten werden mithin wie Paradiese geschildert. Dazu konzentriere ich mich auf Lovecrafts verklärende Sichtweise der Kolonialstädte, garniere alles mit einem Lord Dunsany-Topping … und kann von hier aus nicht gerade mühelos die Brücke zu Leuten wie Ligotti oder Cioran schlagen. Gerade letzterer erscheint mir (in den Aphorismen, die ich von ihm kenne) wie ein absoluter Schwarzseher und Cyniker. Aber ich kann mich natürlich auch täuschen.

  • Jeder kreativer Akt ist positiv und bejaht erst einmal die schöpferische, lebensspendende Kraft. Selbst dann, wenn vermeintlich Negatives verhandelt wird.


    So lese ich Lovecraft – jetziger Stand der Dinge – eher in einem positiven Licht.

    Lieber Axel, wie schön, dass du Rückmeldung gibst! [Cof] Ja, das meinte ich oben mit den Negative Ethics, die gar nicht so negativ sind. Also, es kommt natürlich auf den eigenen Standpunkt an, aber ich sehe Antinatalismus und Negative Ethics als absolut positive Dinge, auch lebensbejahende - nur nicht unbedingt auf rein menschliches Leben bezogen nämlich.

    Das 'negative' hat lediglich die Bedeutung, dass das Leben an sich - also das Dasein, die Existenz - weder objektiv positiv noch moralisch positiv ist. Das Leben hat keinen objektiven Wert, es ist nicht irgendwie besser als das Nichtsein. Das wird - auch unglücklicherweise teils über die Biographien einzelner Autoren / Philosophen - missinterpretiert als eine Todessehnsucht. Die steht mit der Philosophie aber gar nicht gezwungenermaßen im Zusammenhang (u.a. Julio Cabrera wird nicht müde, darauf hinzuweisen).

    Denn ich meine, dass man sich in diesem Bereich bewusst produzieren kann.

    Joar, aber das kann man in jedem Bereich, so man möchte. Ich brauche nur an eine Unzahl feministischer Debatten denken ...
    Ich fand - zumindest, was die Schriften zum Atheismus und Horror angeht - Lovecraft bislang immer sehr sachlich. Vielleicht erschließt sich deine Einschätzung, wenn ich endlich mal die beiden Biographie-Bände lese, die seit einem Jahr drauf warten.

    und kann von hier aus nicht gerade mühelos die Brücke zu Leuten wie Ligotti oder Cioran schlagen. Gerade letzterer erscheint mir (in den Aphorismen, die ich von ihm kenne) wie ein absoluter Schwarzseher und Cyniker. Aber ich kann mich natürlich auch täuschen.

    Mit Ligotti kann ich auch nicht. Der schwurbelt mir zu viel, das liest sich - sage ich jetzt mal - wie reines Gepose. Ich hatte ihn anfangs übrigens sogar für einen Nichtmuttersprachler gehalten, dem viele Formulierungen als Fehler unterliefen.

    Cioran dagegen ist mein Totemtier. *gn* Sogar mehr noch als Volodine. Ich teile den Zynismus (nicht aber seine Todessehnsucht) und vor allem kann mAn kaum jemand harte Wahrheit / Analyse so elegant und kurzweilig mit schwarzem Humor verbinden, ohne die Aussage zu verwässern oder zu verniedlichen. Ich bin immer zwischen Nicken und Tränenlachen hin- und hergerissen (Lachen mit ihm, nicht über ihn). Ich finde eine solche harsche Sicht sehr heilsam - also wie Balsam, sozusagen.


    Und genau da sehe ich die Verbindung zu Lovecraft. Das mag natürlich auch an mir liegen: Utopien machen mich automatisch misstrauisch. Man könnte in den hier besprochenen Mix übrigens auch noch sehr gut Baconsky, Kryzhanovsky und eben Volodine (ohne die politischen Komponenten) hinzufügen. Evt. sogar Bruno Schulz.