Perceval Gibbon – Was Vrouw Grobelaar erzählt

  • Perceval Gibbon: Was Vrouw Grobelaar erzählt

    Broschur, 249 Seiten. Übersetzung: Marie Franzos, Buchausstattung: Max Schwerdtfeger. Verlag der Literarischen Anstalt Rütten & Loening. Frankfurt a. M. 1909



    Inhalt

    Regelmäßig unterhält Vrouw Grobelaar, eine gesetzte Burenfrau von mächtigem Körperumfang, ihre Nichte Katje mit Geschichten. Vordergründig haben diese insgesamt 17 Geschichten einen belehrenden Charakter. In der Praxis handelt es sich freilich um allerlei Spukhaftes und Abenteuerliches, bei dem die Moral hinter der Drastik des Geschehens zurücksteht. Erzählt wird aus dem Leben der im Transvaal ansässigen Buren, die bei Vrouw Grobelaar als höchst widersprüchlicher Menschenschlag erscheinen. Treuherzigkeit und Arbeitsfleiß gedeihen hier ebenso wie Trinksucht, Faulheit und Gewalttätigkeit. Und immer wieder werden die biederen christlichen Glaubensvorstellungen vom Aberglauben der Eingeborenen unterwandert.


    Einige Beispiele

    Da ist ein Prediger, dessen Frau auf dem Sterbebett liegt. Als seine Gebete nichts nützen, ruft er den Teufel an – scheinbar mit Erfolg. („Das Opfer“). In „Der Bluträcher“ wird ein schwarzes Kind von einem Buren tot geritten; das am Reiter klebende Blut ist bereits Fingerzeig der Rache aus dem Jenseits. Der „Tagalash“ ist ein Wassergeist, der eine enttäuschte junge Ehefrau in sein Schattenreich hinab lockt. Erinnert diese Figur an den Wassermann europäischer Sagen und Märchen, so haben wir mit „Der König der Paviane“ ein Äquivalent zum hiesigen Werwolf. Recht brutale, bitter pointierte Stories tischt uns die Erzählerin auf mit „Vascos Liebchen“ (die Geschichte eines verhinderten Frauenraubs) oder „Bis ins dritte Glied“, in welcher ein Sohn seinen Vater erschlägt, wie dieser es bereits schon mit seinem Vater tat.


    Kritik

    Dies alles ist treffsicher und mit schwarzem Humor erzählt; die Übersetzung von Marie Franzos liest sich gut. Dennoch leidet die Lektüre entscheidend durch den in allen Erzählungen waltenden krassen Rassismus. Die „Kaffern“, so die durchgängige Bezeichnung für die schwarze Bevölkerung, kommen fast nur als triebhafte Bösewichte vor, denen – im Gegensatz zu den Schlechtesten der Buren – jede Menschlichkeit abgesprochen wird. Vom verschlagenen Buschmann zum teuflischen König der Paviane ist es bei Gibbon denn auch nur ein kleiner Schritt. Die dargebotene Sichtweise offenbart jedenfalls einen finsteren Blick auf dieses Kapitel südafrikanischer Geschichte bzw. Kolonialgeschichte.


    Autor und Illustrator

    Perceval Gibbon (1879 – 1926), so der vergessene Name des jung und schon lange verstorbenen Autors. In der hier abgebildeten Verlagsreklame heißt es, die Engländer stellten „Vrouw Grobelaar“ bereits neben die besten Arbeiten Rudyard Kiplings. Die Veröffentlichung ist im Rahmen eines international gelegten Verlagsschwerpunktes zu sehen, wobei offenbar eine außereuropäische, „exotisch“ anmutende Sphäre favorisiert wurde. Im Gegensatz zum bedenklichen Inhalt steht die schöne Aufmachung des Buchs, noch deutlich dem Jugendstil verhaftet. Der Grafiker Max Schwerdtfeger hat noch andere Titel für den Verlag Rütten & Loening ausgestattet (u. a. Lord Dunsany: „Die Seele am Galgen“); auch als Kinderbuchillustrator ist er in Erscheinung getreten.