Otto Julius Bierbaum: Samalio Pardulus

  • Otto Julius Bierbaum: Samalio Pardulus

    Erstveröffentlichung in: Sonderbare Geschichten Band 1: Schmulius Cäsar & Andre Erscheinungen. 1908

    Reprints u.a. DTV Bibliothek Kubin, 1979

    Engl. als einzelne Novelle bei Wakefield Press, 2019. Übersetzung W. C. Bamberger,

    68 Seiten; illustriert von Alfred Kubin, entsprechend der deutschen Ausgabe von 1911.



    Das Bändchen wollte ich eigentlich für die diesjährige Challenge lesen, und muss jetzt feststellen, dass ich entweder einer seltsamen Rezension irgendwo aufsaß oder selbst einen Denkfehler machte: in meinem Kopf vermischte sich das Kubin-Cover hier mit Otto Rapps Kunst und ich meinte, eine surrealistische Erzählung gekauft zu haben.

    Völlig falsch gedacht: Pardulus ist eine Retro-Gothic Tale im Stil von Castle of Otranto, auch, wenn das Paranormale als Fakt erzählt und nicht wegerklärt wird. Allerdings ist das Phantastische eher christlicher Mystizismus und lehnt sich ansonsten an romantische Legenden an. Es gibt zwei Protagnisten, den Erzähler Messer Giacomo, ein mittlmässig begabter Maler (und ziemlicher Spießer) und dem legendären titelgebenden, missgestalteten Künstler, der behauptet, seine Madonnen dem Leben nach gemalt zu haben. Zudem ist er in seine Schwester verliebt, eine Schönheit. Dann gibt es noch - als immer wieder eingeflochtene Legende - einen legendären Mönch, von dem gesagt wurde, dass er ein Zentaur war, der im Wald lebte.

    Auf Ebene der erzählten Zeit gibt es auch noch die Tochter eines Grafen, eine lüsterne Hexe, die am Ende auch als Inkubus bezeichnet wird (da weiblich, eigentlich ein Succubus). Setting ist ganz klassisch eine Burg; es gibt auch eine Variation des Headless Horseman, einen Schwarzen Reiter (mit Kopf), in dessen Mantel Geisterlichter scheinen.


    Es geht um die Frage, wie das Groteske, Missgestaltete, ein Teil der perfekten Schöpfung sein kann und was es (im Hinblick auf 'Gottes Wille') zu bedeuten hat. Einige Gemälde Pardulus' werden in der Sprache der Apokalypse aus der Bibel beschrieben (das waren auch die einzigen fünf Seiten, die ich dort gelesen hab):

    Zitat

    "Go now and scream in the streets that Samalio Pardulus has painted the Madonna naked, riding on a centaur with the features of her son, who is her brother. And that with her he jumped from the rocky cliff of Golgotha, over an abyss of blood from which the tops of domes towered, to a castle of violet-coloured amethyst-quartz guarded by the animals of the Apocalypse, and that this castle is the coffin of God in which Samalio dwells and watches that no worms come to Him."

    Soweit, so gut, das finde ich durchaus sehr spannend und wild. Allerdings ist die Sprache des Erzählers sehr viel pathetischer, zurückgenommener, die Haltung devot, zeigt blinden Glauben und wenig Phantasie, immer durchbrochen von Ausrufen des Entsetzens (was ja durchaus der klassische Gothic Stil sein kann). Fast ein bisschen wie eine männliche de sade'sche Justine. Insgesamt fiel es mir wegen dieser Erzähstimme schwer, mich auf den Plot zu konzentrieren und die Jetztzeit von Legenden und Nacherzählungen zu trennen.

    Die Ankündigung des Verlages klingt jedenfalls sehr viel wilder als das Buch letztlich ist: man sollte trotz dieser Synopsis keinen Matthew Lewis, sondern eher eine Ann Radcliffe erwarten:

    Zitat

    In an isolated castle on the outskirts of a city in the Albanian mountains, the wildly ugly painter of blasphemies, Samalio Pardulus, executes works too monstrous to bear viewing, and espouses a philosophy that posits a grotesque world which reflects the ravings of a dead, grotesque god. Told through the horrified account of Messer Giacomo (a mediocre artist at once repulsed and fascinated by the events unfolding around him), Samalio Pardulus describes the simultaneous descent and ascent of the titular antihero into a passionate perversion of Catholicism in which love and madness become one, as a dark, incestuous incubus settles into a doomed family.

    When it was first published in 1908, Otto Julius Bierbaum’s gothic novella—the first of his Sonderbare Geschichten (“Weird Stories”)—offered a Gnostic stepping-stone between German Romanticism and the nascent Expressionism that had not yet taken root. It presents the grotesque not just as a way of life, but as a godly path to a higher vision, even when it appears to be but a manifestation of evil.


    Die Erzählung wird von der Wakefield Press zudem angekündigt mit: "A gothic novella offering a stepping-stone between German Romanticism and the then-nascent Expressionism", was zeitgeschichtlich mit einem sehr weitläufigen Blick (1760-1910) sicher stimmt, allerdings hat der Stil, die Sprache und der Symolismus wenig bis nichts mit dem Expressionismus zu tun, sondern ist wie gesagt fest in den prä-1800 Gothic Tales verwurzelt.


    Auch, wenn der Inhalt nicht so meine Tasse Tee ist (hätte der Titelcharakter - wie im Zitat - erzählt, sähe das ganz anders aus), freue ich mich, das kleine, schmale Bändchen gekauft zu haben. Nicht nur das Kubin-Cover und die Illustrationen sind schon das ganze Geld wert, auch die Druckqualität, Haptik und das sehr informative Vorwort machen das Ganze zu einem kleinen Juwel. Aus dem Grund hatte ich es ausnahmsweise vorgezogen, nicht das deutsche Original zu lesen. Englisch passt hier wegen des Genres ohnehin perfekt.


    Ich könnte mir vorstellen, dass das Büchlein Lesern gefällt, die den Heiligen mit der roten Schnur mochten.


    p.s. Ich wette, die Coverzeichnung war die Vorlage zu Pingu's The Thing!

  • Shadowman Lieben Dank fürs Verschieben! [Cof] Hatte das automatisch in aktuellen Werken gepostet, weil mein Buch vor nur ein paar Jahren rauskam. [LiZ]


    Vincent Voss Ja, die Anschaffung lohnt sich, obwohl das Buch wirklich winzig ist, unter TB-Format und sehr schmal. Aber die Illustrationen und die tolle Druckqualität (ein besonderes Plus eben für die Zeichnungen) rechtfertigen den Preis.

  • Lieben Dank für diese Vorstellung Katla


    Es ist schön zu sehen, dass so ein Klassiker ins Englische übersetzt (und als bibliophiles Stück veröffentlicht) wird. Ich denke, das ist eine Entwicklung, die noch zunehmen wird. Auch Kubins Die andere Seite liegt ja schon seit einigen Jahren als Überseztung vor (The Other Side). Das alles ist freilich nur die Spitze des Eisbergs …


    Zu Bierbaum fällt mir noch ein, dass er u. a. Herausgeber der Insel-Zeitschrift war, welche in den 1980er Jahren als 12-bändige Faksimile-Ausgabe erschien. Meine Mutter hat sie damals erworben und mir mittlerweile geschenkt: eine Publikation, die natürlich nicht so einschlägig und für unsereins interessant ist wie Der Orchideengarten oder Kokain … aber so manche phantastische Blüte hat auch dieses Blatt hervorgebracht und ausgetrieben.

  • Katla

    Hat den Titel des Themas von „Otto Julius Birnbaum: Samalio Pardulus“ zu „Otto Julius Bierbaum: Samalio Pardulus“ geändert.