Bram Stoker: Midnight Tales

  • Bram Stoker: Midnight Tales

    Hrsg. Peter Haining, Vorwort von Christopher Lee

    Peter Owen Modern Classics. London 1990, Paperback reprint von 2001

    Illustriert von verschiedenen Künstlern, die jedoch uncredited bleiben, so sich nicht zufällig eine Signatur im Bild finden lässt.

    Die Texte wurden "für eine moderne, junge Leserschaft editiert" - was mich ganz außerordentlich wundert.


    Das hübsche Bändchen hatte ich im Sommer für € 3,- in einem Antiquariat gekauft und hab wirklich nicht viel erwartet. Allerdings gehört dies zu den fünf schlechtesten Büchern, die ich je gelesen hab und würde mich jemand mit vorgehaltener Waffe zwingen, mich für das übelste zu entscheiden, würde ich nicht zögern, dieses zu nennen.


    Stoker schrieb die zwölf kurzen Geschichten - wie wohl auch nahezu alle anderen Erzählungen - während seiner Arbeit als Agent für den Schauspieler Sir Henry Irving vom Jahr 1878 an. Der Start liegt also mindestens 60 Jahre nach der Veröffentlichung von Mary Shelleys Frankenstein, 82 nach Matthew Lewis' The Monk und 13 Jahre nach Lewis Carrolls Alice in Wonderland. Von einem frischen Wind, literarischer Innovation, revolutionären Konzepten oder linguistisch-symbolischen Spielereien ist in Midnight Tales allerdings nichts zu spüren: Stoker schreibt bestenfalls im Stil der (schlechtesten) Georgian Gothic Ende des 17. Jh.: kruder Stil, vorhersehbare Plots, platteste Figuren, noch plattere paranormale Phänomene.


    Ich halte mich nicht für besonders anfällig für 'literarische Aufreger', mag ein bissl altmodischen Ian-Fleming-Sexismus auch ganz gerne, weil das nichts mit mir zu tun hat. Aber Stoker schreibt nicht nur mit einem - sorry - Stock im Arsch, sondern schon aus der Haltung eines Incels: unerträglicher Sexismus, Rassismus und Klassismus durchtränken beinahe jede einzelne Zeile, völlig ungebrochen werden hier Helden entworfen, die in ihrer standhaften Ehre bestätigt werden und querbeet auf alles herabsehen, was anders ist: hysterische, irrationale, schwache und ohnmachts-anfällige Frauen, Unterklasse-Schurken (am schlimmsten sind die mit Dialekt!) und natürlich diejenigen verbrecherischen Halbmenschen mit roter (als Referenz in "The Squaw") und schwarzer Haut oder 'yellow faced' (meint: chinesische Piraten). Die (Anti)Helden dürfen dabei auch ruhig mal ein bisschen grob sein und Katzen quälen - auch wenn es dann poetic justice gibt.


    Als einzig 'ausländische' Kultur findet das Ägypten der Pharaonenzeit Gnade, was ja zu der Zeit - wie die griechisch/römische Antike - generell durchaus mit Bewunderung angesehen wurde.


    Der Stil schwankt zwischen sülzig-verkitschtem Märchenton ("The Spectre of Doom"), Abenteuerklamotte ("The Red Stockade") und ansonsten eben selbst zum Ende des 18. Jh. anachronistischem Horror. Einige Texte sind in einem fürchterlichen Akzent oder Dialekt/Regiolekt verfasst, der wohl die Unterklasse oder eben - selbstverständlich! - die irische Landbevölkerung charaktrisieren soll und der das Lesen wirklich zur absoluten Qual macht, zumal ich den Eindruck habe, Stoker hätte sich die Varianten selbst ausgedacht.


    Meine Lowlights:

    "But if the crafts [die Segelboote der Piraten] were ugly, the men were worse, for uglier devils I never saw. Swarthy, yellow chaps, some of them, and some with shaven crowns and white eyeballs, and others as black as your shoe, with one or two white men, more shame, among them ..."

    8|

    Irgendwo wird gesagt, dass 'Frauen ja halt immer irgendjemandem hinterherlaufen' und zu der ärgerlichen Haltung kommt ein unsäglicher Stil, der so ziemlich alle no-gos des Schreibens durchexerziert:

    - The reply rang out hurridly; 'No, no! Come away quick - quick! This is no place to stay, and on this of all nights.'

    - 'A wolf - and yet not a wolf!' another put in shudderingly.

    -'Truly we have earned our thousand marks!' were the ejaculations of a fourth.

    [LiZ]

    --- and so on and so forth. Eine Übung in 'welche Inquitformeln sollte man meiden wie der Teufel das Weihwasser?'.

    An moderne Leserschaft angeglichen my arse. (Dazu: Ich bin kein Freund davon, Bücher umzuschreiben, weder unter einer politischen Sensibilität noch aufgrund veränderter Stilpräferenzen).

    Stoker mixt wild die Erzählhaltungen und schafft es sogar einmal, seinen Icherzähler mit einem plötzlichen auktorial-allwissenden Anfall während einer Ohnmacht berichten zu lassen, was die Umherstehenden tun und sagen.


    Nett am Buch sind die kleinen Intros vor jeder Geschichte, die einen Bogen schlagen zu dem, was Irving und Stoker zu der Zeit erlebten oder was sie interessierte; Lees Vorwort ist ein vergessenswerter erweiterter Werbeslogan und Heinings Editorial wäre spannend, würde mich Stoker jetzt noch interessieren.


    Kurz gesagt: Sowas ist einfach unerträglich, ich bin sehr erstaunt, dass der Autor (ebenso wie der genauso spießige und dazu noch homophobe M. R. James, der imA auch nur eine gute Geschichte verfasste) noch nicht in die gescholtene Riege aller J. K. "Transen wollen meine Cervix klauen" Rowling literarischer Unpersonen aufgenommen wurde. Wenn es überhaupt - neben Rowling - jemand verdient hat, ins Scheinwerferlicht des diskriminierenden, abwertenden Schreibens gezerrt zu werden, ist es jedenfalls Stoker. Wäre das Buch selbst nicht so hübsch, würde ich es jetzt in die Tonne kloppen.


    Fazit: Jenseits einer Bewertung.


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  • Ein Verriss nach allen Regeln der Kunst. :) Dem ich mich jedoch in einigen Details nicht anschließen kann — aber ich bin nun mal ein unverbesserlicher Bad-Taste-Leser und stehe dazu. Dass Stoker in Teilen nur ein sehr gewöhnlicher Autor war, wird klar.


    Die Erstveröffentlichung dieser Sammlung stammt ja von 1990 (bzw. ich las auch 1992): da war man in den angesprochenen Punkten noch deutlich unkritischer. Das Anbordholen von Peter Haining und Christopher Lee ist wohl im Zuge der damals noch anhaltenden Vampir-Begeisterung zu sehen – und das ist denn wohl auch das Prokrustesbett, in das Stoker gequetscht werden sollte: als der Dracula-Verfasser, dessen restliches Werk ebenso beachtenswert sei.


    Ich las zuletzt von Stoker die im mare Verlag erschienene Novelle Der Zorn des Meeres. Ohne ein Meisterwerk zu sein, handelt es sich immerhin um eine gut gemachte Erzählung, freilich mit allen Tugenden und Mängeln der viktorianischen Epoche behaftet. Einige der hier gefallenen Vorwürfe lassen sich wohl auch dort finden … wobei man ebenso ihre Vorzüge ins Feld führen könnte.


    Mich würde interessieren, ob es weitere Stimmen gibt, die mit Stoker ähnlich hart ins Gericht gehen.

  • Die Novelle habe ich auch gelesen Arkham Insider Axel .


    Insgesamt kenne ich von Stoker eben Dracula, besagte Novelle und die Kurzgeschichtensammlung "Draculas Gast", aus der ich lediglich die Geschichte "Rattenbegräbnis" in Erinnerung behalten habe (die gefiel mir aber sehr gut, auch wenn von Katla angemahnte Töne dort auch zu hören sind). Ansonsten habe ich glaube ich hier und da mal eine Geschichte von Stoker gelesen, alles in allem denke ich nicht schlecht von seiner Autorentätigkeit, ich halte ihn einfach für insgesamt nicht lesenswert und bin mir ziemlich sicher, hätte er nicht Dracula verfasst, würde er heute auch nicht mehr verlegt.

  • Arkham Insider Axel Ach, wirklich nix gegen Trash oder Bad-Taste reading (ich hab grad zum Frühstück im TV War on Everyone geschaut, soviel dazu *gn*), das mache ich auch mal gern. Was mich bei Stoker dabei so gegen den Strich gebürstet hat, ist, dass er das alles aus so einer unironischen (oder besser: wenig selbstironischen) Sicht schrieb.


    Und klar, Christopher Lee soll das adeln, das an sich ist ja auch okay, es klingt nur so lustlos (wozu ja der Verleger / Herausgeber nix kann - Haining schätze ich eigentlich ganz außerordentlich und seine Anthologien im Fischer Verlag lese ich heute noch mit größtem Genuß.)


    Und ehrlich gesagt ist mir das Erscheinungsdatum bei der Einschätzung auch egal, ich würde ja nie verlangen, dass das Buch verboten oder zensiert gehört. Wem Stoker Spaß macht - ist doch super. Das verbuche ich echt unter 'verschiedenen Geschmäckern'.


    ich halte ihn einfach für insgesamt nicht lesenswert und bin mir ziemlich sicher, hätte er nicht Dracula verfasst, würde er heute auch nicht mehr verlegt.

    Die Ratten sind hier auch drin, und wohl auch "Dracula's Guest" - im Vorwort steht, dass die Titel genommen wurden, die Stoker und nicht die Verleger wollten, also sind da einige quasi incognito enthalten.


    Ja, deinem Zitat stimme ich zu. Wobei: Dracula war wohl der erste Schauerroman, den ich als junge Teenie las (nach mehreren Anthologien mit Gothic Tales / Klassischen Gespenstergeschichten), und den Anfang fand ich auch toll. Als es dann aber nach London geht, zwischendurch noch diese Bedlam-Episoden und dann diese stocksteife Moral, das hat mich sogar damals schon enttäuscht. Meine Mutter hatte ich als Kind sogar mal gefragt, warum in den Hammer-Filmen immr Dracula sterben muss, und nicht mal Van Helsing, das wär doch total ungerecht. Ich fand (und finde) Van Helsing hat im Vergleich doch weniger zu bieten - alles, das er bringt, ist eine enggefasste Moral und 'Erlösung vom Bösen' ... aber eben auch keine wirkliche Selbstbestimmtheit.


    Letztlich hat Stoker mit dem Buch den Nerv einiger Generationen getroffen, über diesen Gewalt/Sex (oder leisen BDSM)Kontext, und daraus hat sich das Genre wunderbar weiterentwickelt. Das Buch hat schon schöne Motive - die Kutschfahrt in der Bucovina, das Schloss, all dieses Dräuen, aber heute wirkt der Roman eben so verknöchert/verspießt, wie ihn Stoker konzipierte, inzwischen haben wir aber Anderes, Freieres, zur Vampirunterhaltung.


    Just my 5 cent, natürlich.


    P.S.

    Ich würde das Buch verschenken, allerdings gegen Porto (das dürfte so bei € 5,70 liegen, ich könnte es aber gern mal wiegen, wenn jemand Interesse hat.) Einfach PM schreiben.

    :S

  • Ein Verriss nach allen Regeln der Kunst. :)

    Dem kann ich nur beipflichten: Ein durchaus handfester Rant gegen puritanische Bigotterie und chauvinistische Viktorianer. :)


    Zu Stoker kann ich gar nicht viel sagen. Dracula fand ich im ersten Teil sehr gut, im zweiten Teil zunehmend langweilig. Einige Stories mochte ich - Das Haus des Richters, Die Squaw, Das Schloss des weißen Lindwurms, Das Teufelsloch - es sind aus meiner Sicht auf den Effekt hin geschriebene, wenig innovative, aber unterhaltsame Werke. Ich kenne sie aber nur als Hörspiele. Was die expliziten -ismen anbelangt, so hat er dich offenbar unvorbereitet erwischt, aber er dürfte da keineswegs der einzige unter seinen Zeitgenossen gewesen sein, der Derartiges verzapfte. Der weiße, heterosexuelle Mittelschichtsmann kannte ja damals drei Quellen der Angst, mit denen sich prächtig Schau machen ließ in der Literatur: Fremde, Frauen und Arme.


    Was hier jedoch en passant geäußert wird...

    wie der genauso spießige und dazu noch homophobe M. R. James, der imA auch nur eine gute Geschichte verfasste

    ... ist ja wohl eine derbe Provokation! ;) :D


    James war gewiss ein von Penetrationsangst durchwirkter Spießer und noch viel mehr als das, aber ein schlechter Autor seines Genres? Dem muss ich mich doch entschieden entgegen stellen. :)

  • Hallo Nils ,


    ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass die Geschichten als Hörspiel besser wirken. Lustigerweise hab ich als Kind auch Dracula als (extrem zusammengefasste) Hörspielkassette gehabt, einige Jahre, bevor ich den Roman in die Hand nahm. Ich 'höre' davon noch einzelne Passagen aus der Erinnerung, gerade vom Anfang. Das sind vielleicht Geschichten, die besser - wortwörtlich - erzählt werden sollten.

    Der weiße, heterosexuelle Mittelschichtsmann kannte ja damals drei Quellen der Angst, mit denen sich prächtig Schau machen ließ in der Literatur: Fremde, Frauen und Arme.

    Ach, so hart sehe ich das gar nicht. Zumal die Viktorianische Zeit (was du ja sicher auch weißt, also nicht als Korrektur gemeint!) ja gar nicht so verklemmt und einengend war, wie sich später als Klischee in den Köpfen festsetzte. Ich denke schon, da gibt es massig Erzählungen, die sich um relevante Ängste und Befürchtungen drehen.


    Und viele der -isms stören mich wie gesagt auch überhaupt nicht.

    Das allerdings im Zusammenhang mit solchen sich-selbst-überhöhenden, arroganten Erzählern (also: ein Autor, der das als Erzählhaltung verwendet) fand ich in dieser geballten Ladung doch bissl heftig.

    James war gewiss ein von Penetrationsangst durchwirkter Spießer und noch viel mehr als das, aber ein schlechter Autor seines Genres?

    Hrhr, ja das ist natürlich frech. Aber ja nur mein Geschmack. Ich sage nicht, James schriebe schlecht, weil ich ihn nicht mag (ich mag Mark Samuels private Haltungen auch nicht, lese aber seine Geschichten gern). Das ist meine Meinung, nachdem ich mich durch seine gesammelten Werke gequält hab, wirklich erstaunt, weil ich mich extrem auf das Buch gefreut hatte. Ich kann das jetzt nicht näher belegen, sorry, hatte das Buch inzwischen im Tauschregal einer Bibliothek ausgesetzt.

  • Ach, so hart sehe ich das gar nicht. Zumal die Viktorianische Zeit (was du ja sicher auch weißt, also nicht als Korrektur gemeint!) ja gar nicht so verklemmt und einengend war, wie sich später als Klischee in den Köpfen festsetzte. Ich denke schon, da gibt es massig Erzählungen, die sich um relevante Ängste und Befürchtungen drehen.

    Korrigier mich ruhig, wenn ich fehlerhaft argumentiere. :)


    Da wäre jetzt die Frage, was "relevante Ängste" sind. Allgemeine Zeitdiagnosen, die subjektive Faktoren zum Prinzip abstrahieren, sind ohnehin nicht zu machen, dafür ist spätestens ab dem 18. Jahrhundert Gesellschaft immer zu heterogen. Jedoch sind ja Ergebnisse im literaturwissenschaftlichen Bereich recht eindeutig, Stichwort feministische Forschung, Stichwort Yellow Peril, Stichwort klassistische und kolonialistische Narrative und vieles mehr. Müsste man sich ggf. nochmal genauer anschauen, wenn da ein Dissens besteht. Inwiefern das dann für "die Zeit" repräsentativ stehen kann, muss sowieso in Frage gestellt werden.


    Hrhr, ja das ist natürlich frech. Aber ja nur mein Geschmack. Ich sage nicht, James schriebe schlecht, weil ich ihn nicht mag

    Das wäre eine interessante Debatte für einen künftigen James-Thread. Aber eine Nachfrage konnte ich mir doch bei einer solch ikonoklastischen Attacke nicht verkneifen. ^^

  • Mich würde interessieren, ob es weitere Stimmen gibt, die mit Stoker ähnlich hart ins Gericht gehen.

    Der Thread ist zwar schon etwas älter, da bei Festa aber gerade der zweite Band mit Stokers Horrorgeschichten erschienen ist, arbeite/quäle (?) ich mich aktuell durch die fantastischen Werke des Autors. "Dracula" habe ich dabei ausgelassen, denn den Roman habe ich (wie sicher die Meisten hier im Forum) schon mal vor Ewigkeiten gelesen. Generell stimme ich Katla aber zu: Der Anfang in Transsilvanien ist absolut brillant, die Fahrt der Demeter noch recht unterhaltsam, aber spätestens wenn die Handlung nach London verlegt wird (was, wenn ich mich richtig erinnere, leider schon sehr, sehr früh geschieht) verliert der Roman extrem viel von seiner Faszination und ergeht sich seitenweise in unerträglichem Liebesgeplänkel. Wer dem "Twilight"-Franchise vorwirft, es hätte das Vampirgenre verkitscht, hat den Urvater "Dracula" wahrscheinlich noch nie gelesen. Außerdem wirkt der Roman, selbst unter Berücksichtigung seines Veröffentlichungsjahres (1897) extrem antiquiert, bieder und in seiner Verkrampftheit oft auch unfreiwillig komisch. Man vergleiche das Ganze beispielsweise nur mal mit Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" oder den Werken von Wells ("Die Zeitmaschine", "Die Insel des Dr. Moreau", "Krieg der Welten", "Der Unsichtbare") die alle etwa zum gleichen Zeitpunkt erschienen sind. Sogar "Frankenstein" (immerhin 80 Jahre früher veröffentlicht) wirkt verglichen mit Stoker wie ein moderner Pageturner. Was Katla mit "Stock im Arsch" meint, kann ich also gut nachvollziehen. Dennoch ist "Dracula" zweifelsfrei der beste Roman, den Stoker verfasst hat und ich habe es damals nicht bereut ihn gelesen zu haben. Was ich von seinem restlichen Output leider nur bedingt behaupten kann:

    Beim Schreiben seines letzten Buchs "Das Schloss der Schlange" war der Autor gesundheitlich ja schon stark angeschlagen (mehrere Schlaganfälle) und das merkt man dem Werk mMn auch deutlich an. Es werden unzählige Handlungsstränge aufgemacht, die dann jedoch irgendwann einfach fallen gelassen werden. Das Ganze ist größtenteils reines Stückwerk. Auch wenn mich Lord Caswall mit seinem albernen Drachen irgendwie noch amüsiert hat - Für Die Handlung ist das Ganze absolut pointless. Negativ ist mir hier auch der extreme Rassismus aufgefallen, der den Roman für mich dann endgültig ungenießbar werden lassen hat. Die Verfilmung reizt mich aber dennoch, weil es mich schon interessiert, wie man aus dieser Pampe eine stringente Handlung gebastelt hat.

    "Die sieben Finger des Todes" und "Das Geheimnis des schwimmenden Sarges" fand ich dann extrem langweilig und hab sie irgendwann genervt abgebrochen. Zugegebenermaßen war meine Frustrationstoleranz in Sachen Stoker zu diesem Zeitpunkt aber auch schon sehr gering. (Im ansonsten gelungenen Vorwort von "Schöpfer der Schatten" wird übrigens fälschlicherweise behauptet, dass "The Lady of the Shroud" nicht ins Deutsche übersetzt wurde.)

    Wie schon im "Ich lese gerade..."-Thread geschrieben, halte ich seine Kurzgeschichten aber für wesentlich gelungener. Auch wenn die zwei bei Festa erschienenen Bände definitiv ziemlich durchwachsen sind und Stoker sicher nicht mit M.R. James, Algernon Blackwood & Co. mithalten kann. Band 1 war dennoch ganz nett. Mit den darin enthaltenen dunklen Märchen, die Stoker für seinen Sohn geschrieben hat, konnte ich jedoch nichts anfangen und hab sie größtenteils nur überflogen. Gerade die letzte Geschichte "Das Haus des Richters" fand ich aber wirklich gut.

    Mit dem zweiten Band ("Das Begräbnis der Ratte") bin ich zwar erst zur Hälfte durch, wirklich gefallen hat mir bisher aber nur "Das Geheimnis des sprießenden Goldes" (nette und atmosphärische Rachegeist-Geschichte). Der Rest war dann doch eher belanglos oder ärgerlich ("Die Squaw"). Auf die Titelgeschichte und "Draculas Gast" (welche, wenn ich das richtig verstanden habe, ein paar Bezüge zu Le Fanus großartiger Vampirnovelle "Carmilla" enthalten soll) bin ich trotzdem gespannt.

  • Mit dem zweiten Band ("Das Begräbnis der Ratte") bin ich zwar erst zur Hälfte durch, wirklich gefallen hat mir bisher aber nur "Das Geheimnis des sprießenden Goldes" (nette und atmosphärische Rachegeist-Geschichte). Der Rest war dann doch eher belanglos oder ärgerlich ("Die Squaw"). Auf die Titelgeschichte und "Draculas Gast" (welche, wenn ich das richtig verstanden habe, ein paar Bezüge zu Le Fanus großartigen Vampirnovelle "Carmilla" enthalten soll) bin ich trotzdem gespannt.

    Vielen Dank für die umfangreichen Eindrücke! Ich versprach mir bisher immer viel von "Das Schloss der Schlange", weil ich ein Fan der Verfilmung von Ken Russell bin. Diese scheint wohl interessanter zu sein als die literarische Vorlage … Jedenfalls bin ich gespannt, was du zu "Draculas Gast" zu sagen hast – ich oute mich als Fan dieser Story.


    "Das Begräbnis der Ratten" lernte ich als Jugendlicher kennen und zwar unter dem Titel "Flucht aus der Müllstadt" in der Anthologie Das verschluckte Gespenst (Hrsg. Klaus Seehafer). Diese Geschichte fand ich damals sehr beunruhigend – und das ist wohl auch ihre Intention. Mittlerweile würde ich die daraus abgeleitete Message wohl kritischer betrachten; aber immerhin war es eine frühe Leseerfahrung mit einer unheimlichen Story, die frei ist von phantastischen Elementen.


    "Das Geheimnis des sprießenden Goldes" las ich vor nicht allzu langer Zeit und habe in diesem Thread meine Gedanken dazu festgehalten: Gänsehaut garantiert


    Ich bin so frei und wiederhole mich an dieser Stelle:

    Bram Stoker: Das Geheimnis des wachsenden Goldes (The Secret of Growing Gold)

    Zwei alteingesessene Familien drohen auszusterben. Da tut sich die Frau der einen Familie mit dem Mann der anderen zusammen. Sie leben in einem eheähnlichen Zustand, allerdings nicht besonders friedlich. Schließlich verschwindet die Frau unter mysteriösen Umständen, der Mann heiratet kurz darauf eine Andere. Der Bruder der Verschwundenen sinnt auf Rache. Doch hat er die Rechnung ohne seine Schwester gemacht … Die Schauermär aus der Feder des Dracula-Autoren verzichtet weitgehend auf Dialoge und wirkt dadurch recht statisch. Das hier zugrunde liegende Rache-Thema mag nicht weltbewegend neu sein; was es aber mit dem „wachsenden Gold“ auf sich hat, ist allemal der Lektüre wert.

  • Ich versprach mir bisher immer viel von "Das Schloss der Schlange", weil ich ein Fan der Verfilmung von Ken Russell bin.

    Ach, die Verfilmung ist von Ken Russell? Dann nehm' ich das mit der stringenten Handlung natürlich wieder zurück :D.

    Aber ernsthaft: Russells "Altered States" aka "Der Höllentrip" mag ich ja und bin daher jetzt doppelt auf die Umsetzung gespannt. Muss mal schauen, ob es den Film irgendwo zu streamen gibt.

    Diese scheint wohl interessanter zu sein als die literarische Vorlage

    Zumindest Michael Drewniok bestätigt diesen Eindruck in seiner Kritik auf phantastik-couch.de:

    "...der Film, wird wahlweise als geniale, ehrfurchtsfreie Interpretation einer lange als unverfilmbar geltenden Vorlage oder als ";Meisterwerk"; des Schund- und Trashfilms gewertet. Letztlich darf man wohl feststellen, dass Russell noch das Beste aus einer literarischen Vorlage gemacht hat, die primär den hartgesottenen Horrorfreund interessiert."

    Der Roman bekommt von ihm übrigens gerade mal 45% und ich kann ihm da nur schwer widersprechen. Auf deine Meinug wäre ich aber trotzdem gespannt.

    "Das Geheimnis des sprießenden Goldes" las ich vor nicht allzu langer Zeit

    Danke für dein Feedback. Hatte deine Rezension vorher gar nicht gelesen.

    Vom "Begräbnis" und vom "Gast" werde ich berichten, sobald ich mit dem Buch durch bin.

  • Bin jetzt mit dem Band durch. Auch die zweite Hälfte besteht mMn größtenteils aus ziemlich misslungenen Geschichten. Als Ausnahme möchte ich hier jedoch "Draculas Gast" nennen. Ich kann zwar verstehen, warum Stoker die "Szene", die wohl mal als Einleitung seines Vampirromans gedacht war, herausgestrichen hat (denn sie nimmt zuviel vorweg und gleicht zu sehr Harkers Kutschfahrt zum Schloss des Grafen) - Als eigenständige Veröffentlichung ist sie aber nicht ganz reizlos.


    Noch ein paar Worte zu den zwei Festa-Bänden: Ich finde sie optisch ganz schick, die Einführung von Andreas Fliedner ist gelungen, der "Bericht über die Cholera in Irland 1832" von Stokers Mutter ein netter Bonus und es sind sogar ein paar Fotos bzw. Cover der Magazine enthalten, in denen die Geschichten ursprünglich erschienen sind. Generell freue ich mich auch auf die weiteren Veröffentlichungen in der Weird-Fiction-Reihe. U.a. ist ein Band von Le Fanu und das Gesamtwerk von Robert Aickman geplant. Inhaltlich haben mich die zwei Stoker-Bände aber nicht wirklich überzeugt. Ich finde auch die Bezeichnung "Fantastische Erzählungen" etwas irritierend, denn im zweiten Band enthalten außer "Das Geheimnis des sprießenden Goldes" und "Draculas Gast" keine der Geschichten fantastische Elemente. Interessanterweise sind das dann auch die einzigen Storys, die ich als lesenswert empfunden habe.

    Ich muss aber gestehen, dass ich "Der Shorrox-Mann" nicht zu Ende gelesen habe, da mich der Dialekt extrem genervt hat. Könnte also sein, dass mir dort etwas entgangen ist... und darüber ob "Die Squaw" zum Genre der Phantastik gezählt werden kann, kann man meinetwegen auch noch streiten. Gelesen haben muss man sie aber so oder so nicht.