Carnal Machines - Steampunk Erotica

  • Carnal Machines - Steampunk Erotica

    ed. D. L. King

    Cleis Press, San Francisco 2011

    227 Seiten (eBook pdf Version)


    Das Buch war eines der Dutzend Steampunk-Anthologien bzw. Romane, die ich im Laufe de vergangenen zwei Jahre abgebrochen hab, aber weil hier die Zeit knapp wird und ich wegen der Rubrik nun nicht gleich die ganze Challange verhauen will, hab ich mich noch mal rangesetzt und es durchgelesen mich durchgequält.

    That said: Ich bin absoluter Steampunk-Fan (was die Idee, Mode, Theorien / Themen und Motive angeht), war im quasi-Cosplay-Outfit in unserer helsinkier Steampunk Bar Stammkundin, mag davon Filme (Doctor Who 10th Doctor hat viel davon) und einige wenige Romane, z.B. sogar die okkulte Teenieschmonzette Clockwork Prince von Cassandra Clare oder selbstverständich die Mutter allen erotischen Steampunks, Angela Carters skurril-zurückgenommenen The Infernal Desire Machines of Doctor Hoffmann, worauf auch in dieser Anthologie ganz offensichtlich immer wieder Bezug genommen wird. Auch Emilie Autumns The Asylum For Wayward Victorian Girls schrammt am Genre vorbei, und das Buch mag ich sehr.


    Steampunk und noch viel stärker das erotische Subgenre davon leidet imA aber stark unter einem peinlichen Mary Sue-artigen Fanfiction Stil, unter sinn- aber dafür endlosen Dialogen, schlechter Recherche, Klischeefiguren jeder Art (auch solche im Sinne von 1990er gender politics), Adjektiv-/Adverb- & Füllsel-Overkill und allgemein extrem unreifer Schreibe.


    Bei den meisten Geschichten nicht nur dieses Buches möchte ich analog zu 'putting the science back into Science Fiction' sagen: "Wenn ihr schon Steampunk schreiben wollt, dann tut es bitte auch!" Das Genre sollte mehr sein, als ein "Automaton" hier und ein "Machine-Puppet" dort, wenn alles andere so wirkt, als wäre die jeweilige Geschichte eine Blanko-Blaupause, die für jede Themenausschreibung angeglichen werden könnte: Der sexy Automaton könnte in anderem Setting eine Piratin, Hexe, Vampirin sein, ohne, dass sich irgendetwas am Plot ändern müsste.


    Was mir ebenfalls massiv fehlt - ein häufiges Problem in Erotica / porn fiction - sind Konfikte, ohne die ein fiktiver Text eigentlich keine echte Kurzgeschichte ist. Und wenn es einen Konflikt gibt, liest der sich an den Haaren herbeigezogen.

    Umso erstaunter bin ich, die Probleme in dieser Anthologie zu sehen, weil Cleis Press eine der wenigen guten Erotikanthologie-Verlage ist (bzw. bis 2014 war) und auch Autorinnen verlegt, die dies als Hauptgenre schreiben.


    Die erste beiden Geschichten "Human Powered" und "The Servant Question" sind die langweiligsten von allen und sich zudem sehr ähnlich: Es geht gleich in medias res, zentrales Motiv ist der Sexroboter bzw. eine 'Befriedigungsmaschine' und alles plätschert so vor sich hin, mit einigen "drawers" (langen Spitzenunterhosen) hier und einigen Korsetts dort, verschämten Damen, denen die Begierde beigebracht wird etc. pp.

    Zitat

    “Oh, yes, oh, yes!” cried Mrs. Petherton, most gratifyingly.

    Ist das da überhaupt ein Wort? Herrje ...

    Zitat

    “I cannot reach the climactic state I desire!” she wailed. “Please, Mr. Tulliver! You cannot imagine my frustration. Act swiftly, I implore you!”

    ... meinte auch ich, immer wieder während dieser nicht besonders süßen Lesetortur ausrufen zu müssen. :rolleyes:


    Zwischendurch gibt es - endlich mal ein anderes Setting als Boudoir oder Labor - eine Meuterei auf der Danika Blue, was wenig Steam, aber umso mehr Punk hat (der neue Captain ordnet sich privat seiner Kapitänin unter, ganz süß, aber ewig lang und stellenweise zu aufdringlich derb hergeleitet) und eine vielversprechende Story um eine Diebin, die die Dampfeisenbahnen unsicher macht und dort eine gewisse Desire Machine, allerdings auch ihren adeligen Ex entdeckt. Die anfangs noch dichte Geschichte, die sich ein bisschen Zeit für eine anständige Exposition nimmt und einen Konfikt beeinhaltet, ufert dann zu unsäglich peinlichem dom/sub-Geplänkel aus und hätte locker um 50% gekürzt werden können.


    Zwei Geschichten haben mir - zumindest im Vergleich mit dem katastrophalen Rest - ganz gut gefallen:

    Lisabet Sarai: "Her Own Devices"

    Hier kommt China Town / Tea Trade Stimmung auf, es wird auch mal Bezug auf damalige (Handels)Politik genommen, ein bisschen name dropping, das die Geschichte glaubhaft verankert und nicht so teenagehaft unbedarft wirken lässt wie den Rest. Es geht - selbstverständlich! - schon wieder um eine Victorian sex machine, aber unvorhergesehen entpuppt sich der Geschäftsmann als eine Lady, und als die beiden herausfinden, wie gut es mit einer anderen Frau läuft, beschließen sie, aus der ad hoc Affäre eine Gentleman & His Secretary-Beziehung zu machen und als zwei Männer verkleidet durch die Welt zu reisen. Fand ich ein schönes, leichtfüßiges Ende.


    Mit großem Abstand am besten fand ich Kathleen Bradean: "Lair of the Red Countess".

    Nicht die einzige Geschichte, in der eine dominante Frau und ein unterwürfiger Mann vorkommt (es ist also nicht - wie die beiden Einstiegsbeiträge vermuten ließen - alles eine damsel in sexual distress), aber die einzige, die den Mann dabei nicht zur Lachnummer verkommen lässt. Auch hier gibt es ein sauber ausgebautes Setting, Zeitbezüge, die Gräfin ist Russin und ist am dortigen Hof bei Rasputin in die Lehre gegangen, Steampunk wird mit Okkultismus und Boheme verknüpft, und das ist schon ein schön dichter Teppich, auf dem dann die Story stattfindet. Nachdem der submissive Gentleman mithilfe der etwas geisterhaften Maschine ganz neue Seiten der Befriedigung erlebt, erwächst aus dem Ganzen keine romantische Beziehung, sondern er verlässt gestärkt den Herrenclub, mit einem angenehm unsentimentalen offenen Ende:

    Zitat

    Archie reluctantly took the steps down to the street as the door shut behind him. He glanced at the Adventurer’s Club, shook his head and strode off into the London night.

    Und nur in dieser Geschichte kommt eine Maschine vor, die auch tatsächlich ein bisschen Technik zeigt (Elektrizität, die der Dampftechnologie nämlich voranging) und als einzige dem Steampunk als Genre gerecht wird, zudem an aktuelle eStim-Erotica anknüpft.


    Unverständlich finde ich, dass die technischen Details im Buch so platt / oberflächlich verwendet werden, dass es kaum Abenteuerlust bei den Settings gibt (fast immer ein Zimmer mit eben einer 'neuartigen' Maschine) und wenig Recherche verrät: meist sind es verklemmte, naive Protas, dabei gab es in der Viktorianischen Zeit eine Unmenge relativ frei zugänglicher hardcore Pornographie, die im Vergleich mit aktueller durchaus als 'extrem' einzustufen ist: non-con BDSM, Kliniksex, Scat, erotisierte Prügelstafen. Zu gleichen Zeit waren 70% des britischen Königshauses - Männer wie Frauen - tätowiert, teils mit vollständigen Bodysuits. Lesbische Beziehungen Verheirateter waren - im Gegensatz zu schwulen - salonfähig und öffentlich, von den Gatten respektiert und unterstützt. Dem hätte mal die eine oder andere Beitragende dieser Anthologie Rechnung tragen können, anstatt uralte, ahistorische Klischees aufzuwärmen, die schon ab der Nachkriegszeit durch Soziologie und Literaturwissenschaft widerlegt wurden.


    Ach ja: jeder Autorin, die in ihrer Story das Mieder über die Hüften ausziehen lässt, empfehle ich, mal ein solches zu tragen. Die Hüften sind ja wohl offensichtlich der breiteste Teil weiblicher Anatomie und um ein Mieder weit genug zu öffnen, müssten die Schnüre entweder ewig lang sein oder man müsste die fast ganz rausziehen, was völlig idiotisch wäre. Das würde wohl keine anders als über den Kopf ausziehen, wenn nicht - und das war hier nicht - eine zusätzliche Art der Öffnung möglich ist. Solche Nachlässigkeit ärgert mich einfach, weil das ja ohne großen Aufwand zu recherchieren / probieren wäre.


    Fazit in Punkten 1 von 10, wobei der eine nur letztgenannter Geschichte zu verdanken ist.