Totenschein
Hrsg. von den Autoren Carsten Schmitt & Tanja Karmann
No. 1 - März 2020
8 DIN A 3 Seiten, illustriert
Preis: € 4,50 incl. Porto
Bestellung per Email an: carsten[ät]carstenschmitt.com
Das ist eine wirklich außergewöhnlich charmante Zeitung im Stil der Penny Sheets, mit Überschriften in gotischem Font und prä-ausgeblichener Optik.
Enthalten ist ein längeres Gedicht ("Die Braut von Corinth") von Goethe, sowie jeweils eine Kurzgeschichte des Herausgeberteams. Beide - das finde ich eine sehr schöne Idee - beginnen auf der Titelseite.
Die Geschichten sind im spekulativen Jetzt angesiedelt, wobei Tanja Karmanns "Die drei Blutstropfen" vom Tonfall her sehr viel postmoderner klingt, während Carsten Schmitt eine ganz wunderbare Balance zwischen dem Stil der Gothic Tales bzw. des 19. Jahrhunderts und der Kaffeehauswelt von heute findet. Gleichzeitig Postapokalypse und Märchen (erinnert sicher nicht zufällig an Andersons "Das Mädchen mit den Zündhölzern"), sehr dezente Moralparabel und ein Schuß Spannung.
Ebenfalls beide Geschichten drehen sich auch um Geschriebenes bzw. Zeitungen, gerade Carstens Text ist dabei ein schönes Spiel mit der Haptik (denn man hält ja eine solche Zeitung beim Lesen selbst in den Händen).
Die letzte gesamte Seite wird von ... ironischer Kunst (?) oder einem Photo-Wortwitz eingenommen, aus dem ich ehrlich gesagt nicht ganz schlau werde (ich kenne Memes mit entsprechendem Text, dachte aber immer, die würden sich auf einen Horrorfilm, wohl The Shining, beziehen). Da hätte ich es nicht schlecht gefunden, wäre auch auf dieser Seite noch Text gewesen.
Insgesamt - was sich wohl herauslesen lässt - hat mich Carstens Geschichte hunderprozentig überzeugt und ich hab sie mit ausgesprochenem Vergnügen gelesen. Zudem eine wirklich smoothe Vermischung der Epochen, glaubwürdig und vom Vokabular und Tonfall her perfekt gemixt.
Tanja hat mit ihrer Geistergeschichte zwar ein spannend-klassisches Thema / Setting gewählt, aber da bin ich immer wieder über Formulierungen gestolpert, wie z.B. "wand" statt "wendete / wandte" und eine Vielzahl "es schien / scheinbar", wogegen ich einfach eine kleine Allergie habe. (Einmal drei davon in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen.)
Das sind aber nur Details - es ist ein wirklich tolles, ungewöhnliches Projekt, und ich hoffe sehr, dass noch viele weitere phantastische Totenscheine aus Saarbrücken/Zweibrücken folgen werden.