Manuela Draeger (A. Volodine): Eleven Sooty Dreams

  • Manuela Draeger: Eleven Sooty Dreams

    Open Letter / University of Rochester

    Rochester, USA 2021

    Übersetzung: J. T. Mahany

    140 Seiten


    Manuela Draeger ist nicht nur eines der Alias' von Antoine Volodine, sondern auch eine seiner literarischen Figuren (was eines der Merkmale seines selbstkreierten Genres ist), z.B. in Post-Exoticism in Ten Lessons. Lesson Eleven. Zusammen mit Lutz Bassmann (das Alias, unter dem er mein Favourite We Monks & Soldiers schrieb) sitzt sie in einem GULAG-ähnlichen Gefängnis ein und unterrichtet dort eine Art literarischer revolutionärer Kommunikation, die für die Gruppe realer wie fiktiver Figuren quasi lebenserhaltend ist.

    Unter Draeger schrieb Volodine bislang Kinderbücher, dies ist das erste für Erwachsene. Und das Buch hat es wirklich in sich. Vorgestern Nacht - ein paar Wochen, nachdem ich das Buch las - hatte ich einen ausführlichen, wirklich fiesen Alptraum davon. Dabei erinnere ich mich seit meinem Umzug kaum noch an Träume und wenn, sind das keine gruseligen.


    Die Motive sind allerdings auch echt hart: der gesamte Plot besteht darin, dass elf miteinander befreundete Kids (alle aus einem revolutionären Umfeld) in einem Haus verbrennen. Während sie in den Flammen sterben - jedes in einem anderen Zimmer bzw. einer anderen Raumecke - blitzen durch die Todeserfahrung Flashbacks auf: Erinnerungen an eine Großmutter (Granny Holgolde, die an die Baba-Jaga-ähnliche Gramma Udgul in Volodines Radiant Terminus erinnert), an kommunistische Demonstrationen bzw. eine Revolution mit Straßenkampf, eine traditionelle Folksängerin, die zu einer verfolgten ethnischen Minderheit gehört und die schon bekannten Vogelmenschen (oder -frauen). Immer wieder mit dem Ausblick in Volodines an das buddhistische Bardo angelehnte Totenwelt, in der bei ihm aber alles schiefgeht, sinnlos ist, weder zu Reinkarnation noch einem endgültigen Tod führt.


    Die Kapitel haben Titel, die sarkastische Parodien von viktorianischen Kinderbüchern oder Märchen sein könnten: Even the Nursing Home Is in the Line of Fire, Eve of Battle After the Defeat, Never Without My Embers, Good-Bye to Death, Fire Stories, oder Terminal Childhoods.


    Meine Meinung zu dem Episodenroman ist recht durchwachsen. Der Stil jeweils zu beginn der einzelnen Kapitel ist wunderbar, reißt einen in einem hypnotischen Sog mit. Draeger spielt mit spiralförmigen Satzkonstruktionen, wobei immer der Anfang wiederholt wird, dann mit einem Zusatz versehen und alles wieder in die Schleife aufgenommen wird, dies wiederholt sich mit unterschiedlichen Biographien und Settings für jedes Kind:

    Zitat

    Your name is Imayo Özbeg. You are burning. I go to you. My memories are yours.

    Your name is Imayo Özbeg. We were raised in the same barracks. You are burning. I go to you. In this moment we are all moving toward you. My memories are yours.

    Your name is Imayo Özbeg, and we have always considered each other members of the same family. We share in our heads images of the same street, with its barbed-wire-covered doors and its corridors open sometimes to darkness, sometimes to the silent pain of the poor, sometimes to nothing. We went to the same school. We were raised by the same grandmothers, the same uncles and aunts, and, for several years, we slept in the same barracks. In the company of adults, we regularly marched in the Bolshevik Pride parade. This year things went poorly. You are burning. I go to you. In this moment, we are with you. We are all moving toward you. We are exchanging our last breaths. Your memory trickles from your eyes. My memories are yours.

    Your name is Imayo Özbeg, and, if one wishes to meet you, one must wander for a bit in the Amaniyak Kree district, in the center of the Negrini Bloc.

    Das hat mir irre gut gefallen, obwohl ich genrell kein Freund von 2.Person-Erzählern bin. (Hier ist es okay, weil es sich nicht an den Leser direkt richtet, sondern mir den Eindruck gibt, es sei eines der Kinder, eine anonyme zusätzliche Figur dort.)


    Danach folgen Erinnerungen, die aber vom Erzähler, nicht den Figuren vorgetragen werden, diese sind in einem weniger spiraligen / wiederholenden Stil. Und dabei fand ich die Themen teils zu banal, teils zu ausführlich / mäandernd: Ellenlange Demonstrationen bzw. Paraden, deren Thema mich nicht so interessiert wie Volodines Stalinismuskritik und die ich teils unangemessen unkritisch nostalgisch empfand. Die Passagen mit der Folk-Sängerin waren - weil ich Musik höre, die dem ähnlich sein könnte - spannender, aber die Handlung dabei kam mir irgendwie irrelevant und arbiträr vor.

    Auch wenn mein bisheriges Favourite, We Monks & Soldiers, ähnlich funktioniert - nämlich Sterbende bzw. Geister, die den Weg durchs Totenreich nicht finden und dabei immer wieder Episoden aus ihrem Leben erzählt werden - erkenne ich hier keine kluge Metaverknüpfung, mit der Monks endet. Da musste ich mich zwingen, nicht alles querzulesen.


    Was das Buch ausmacht, ist letztlich diese Radikalität der Bilder und die bedingungslose Grausamkeit, die aber weniger berechnend als einfach wie ein natürlicher Fakt des Sterbens wirkt. Das ist nicht nur enorm gekonnt, sondern auch wirklich innovativ. Draegers (bzw. Volodines) ständige Kommunismusthema finde ich allerdings auf die Dauer ermüdend, weil er es auf eine erstaunlich altbackene, an die DDR gemahnende Weise beschreibt. Das ist jedenfalls eine Nostalgie, die ich so aus verschiedenen Gründen nicht teile und auch innerhalb der fiktionalen Welt da nicht nachvollziehen kann.


    Dieses ist - obwohl mir die dem Zitat ähnlichen Passagen und das Setting ganz außerordentlich gut gefielen - bislang das Buch des Autors, das mich in der Gesamtheit am wenigsten überzeugen konnte.


    Sehr positiv dagegen - obwohl der Alptraum wirklich fies war und mir erstaunlicherweise immer noch in den Knochen steckt - ist die Nachwirkung, diese Idee von einem brennenden Haus und einem hundertvierzigseitenlangen Sterbeprozeß. Wäre Draeger nicht ständig so abgeschweift, sondern wie Bassmanns Monks näher am Thema geblieben, wäre dies ein sehr beeindruckendes Buch.


    Fazit fällt mir sehr schwer, weil der Autor so schlecht mit anderen zu vergleichen ist. Vielleicht 6,5 von 10.