Was wir im Feuer verloren, Mariana Enriquez

  • Eine der besten übersetzten Geschichtensammlungen, die ich gelesen habe. Die Autorin spielt geschickt mit Wahrnehmung, Trauma, Krankheit, Verwirrung und Schwäche, etc., um "realistische Phantastik" zu evozieren, so wie sie selbst uns hinter jeder Ecke, am Ende jeder verstreichenden Minute und auf unseren alltäglichen Wegen durchs Leben erwarten könnte. Dabei sind die Situationen auf eine Art bedrohlich und dunkel, die man angesichts der literarischen Schublade, in die man sie anfangs eventuell gerne stecken täte, gar nicht erwarten würde. Sie bedient sich starker, emanzipierter Frauen als Erzählerinnen, ohne davor zurückzuschrecken, sie auch als Opfer von erschreckender Gewalt, Mißbrauch und auch nur Langeweile eines von Männern aufgezwungenen Lebens darzustellen. Die Figuren sind dabei nicht immer sympathisch, ganz im Gegenteil, aber gerade das macht nur den weiteren Charme dieser Sammlung aus.

    Seit "Ihr Körper und andere Teilhaber" von C.M. Machado und "Die Wahrheit über die Zukunft" von S. Schweblin war ich, wie eingangs bereits angeklungen, schon lange von keiner ins Deutsche übersetzten Geschichtensammlung mehr so begeistert (anmerkenswert hier, dass das alles Sammlungen von südamerikanischen Autorinnen sind). Von mir gibt's nur die wärmste Empfehlung dafür.


    Zum Inhalt:

    Argentinien ist ein Land, das heute den viel beschworenen Untergang der Mittelschicht erlebt. Gewalt zieht in den Alltag ein. Traditionen verlieren ihre Gültigkeit und die Gegenwart wird zur Zumutung. Mariana Enríquez schreibt über den Zerfall der Familien, erzählt von Freunden, die sich im Alltag bekriegen, von Häusern, in denen es spukt und in denen Menschen verschwinden. Sie erzählt von Mädchen, die sich selbst verbrennen, von einem Mann, der sich in den dunklen Seiten des Internets verirrt hat und für die Welt verloren ist. Enríquez’ Stimme ist ruhig, gelassen — als sei dies alles ganz normal. Und so erzeugt die Autorin eine enorme Wirkung, entwirft das Zerrbild einer Gesellschaft kurz vor dem Kollaps, einer Demokratie am Abgrund. Mariana Enríquez steht in der Erzähltradition von Borges und Cortázar und doch sind ihre Erzählungen ganz gegenwärtig. Sie gehört zu den wichtigsten Stimmen der jungen lateinamerikanischen Literatur.


    Zum Buch:

    • nternationale Literatur
    • Ullstein Hardcover
    • Hardcover mit Schutzumschlag
    • 240 Seiten
    • Las cosas que perdimos en el fuego
    • Aus dem Argentinischen übersetzt von Kirsten Brandt.
    • ISBN: 9783550081606

    Erschienen: 07.04.2017


    Zum Verlag: https://www.ullstein-buchverla…rloren-9783550081606.html


    Cover:

  • Das Buch klingt ohne Frage spannend und deine Lobhudelei macht es noch einmal interessanter auf mich. Nur habe ich es gestern, als ich es mal in die Hand nehmen und hineinblättern wollte, leider nicht bei meinem Buchhändler finden können. Auf der Liste steht es aber schon!

  • So, ich habe die Geschichtensammlung zu Ende gelesen und mir gleich den anderen Erzählband der Autorin "Als wir mit den Toten sprachen" bestellt.


    Der Autorin muss man wirklich Respekt zollen, sie schafft es, die Phantastik in den Alltag gleiten zu lassen und bedient (aus der Sicht ausschließlich von Protagonistinnen) die ganze Palette von Mystery mit kleinem Schauer bis hin zu Schlag in die Magengrube, sogar eine Mythosgeschichte hat es in den Band geschafft. [CTHu][CTHu][CTHu]


    Erik R. Andara

    Vielen Dank für diesen Tipp, auf die Autorin wäre ich wahrscheinlich ohne deinen Hinweis niemals gestoßen und hätte viel verpasst. :)