William Hope Hodgson - Die Geisterpiraten

  • Hodgsons dritter Roman. Nachdem er in „Das Haus an der Grenze“ sämtliche Dimensionsgrenzen hinter sich ließ und damit quasi das Genre des kosmischen Horrors begründete, kehrte er hier nun wieder in bekanntere Gewässer zurück. Die 1909 veröffentliche Geschichte spielt nämlich komplett auf dem Meer.



    Inhalt:

    Jessop betritt die Mortzestus mit gemischten Gefühlen. Dem „Unglücksschiff“ wird immerhin nachgesagt, dass es vom Pech verfolgt wird. Außerdem soll es auf „dem alten Kasten“ spuken. Einmal in See gestochen, dauert es auch nicht lange bis die Mannschaft erste seltsame Beobachtungen macht - In den dunklen Ecken des Schiffs verbergen sich schattenhafte Wesen, die direkt aus dem Meer zu kommen scheinen. Und dann taucht auch noch plötzlich ein seltsamer Nebel auf, der schon bald das ganze Schiff umhüllt und in dem etwas Böses lauert.


    Meinung:

    Er kam ohne Umschweife zur Sache“ lautet der erste Satz des Romans - Und das tut Hodgson dann auch. Genau wie schon in „Die Boote der Glen Carrig“ hält er sich nicht lange mit Exposition auf. Die erste Geistererscheinung gibt’s bereits auf Seite 3: „Es war die Gestalt eines Mannes, der soeben über die Steuerbordrehling an Bord stieg.“ Und in diesem Tempo geht es dann weiter.

    Über den Protagonist und die restliche Besatzung erfährt man im weiteren Verlauf der Handlung hingegen so gut wie nichts. Sie bleiben nur Statisten, denen Hodgson jedoch auch gar keine Zeit für zwischenmenschliches Geplänkel oder das gegenseitige Ausloten biographischer Daten gönnt. Er konfrontiert sie stattdessen lieber mit einem paranormalen Ereignis nach dem nächsten.

    Diese fallen übrigens weniger pulpig oder trashig aus, als der Titel „Die Geisterpraten“ vielleicht vermuten lässt. Im Prinzip handelt es sich bei erwähnten „Piraten“ nämlich um „verschwommene und unwirkliche“ Schatten und eben nicht um säbelschwingende Seeräuber mit Augenklappe und Hakenhand.

    Generell verzichtet der Roman größtenteils auf Action. Die Schatten stehen meist nur bewegungslos da und starren die Besatzung an. Und wenn es doch mal zu einem Angriff kommt, findet dieser aus dem Hinterhalt und in absoluter Finsternis statt. Interessant.

    Zudem dürfte es sich bei „Die Geisterpiraten“ zweifelsfrei um Hodgsons stringentesten Roman handeln. Er beinhaltet keine seltsamen Brüche oder 180 Grad-Drehungen und bleibt auch bis zum Ende voll und ganz in der Phantastik verhaftet. Aber gerade der Verzicht auf das woran die anderen Romane (um Axel zu zitieren) so „großartig gescheitert“ sind - nennen wir es Überambition - lässt diese Spukgeschichte dann auch etwas zahm und berechenbar wirken. Hodgson deutet zwar an, dass die Schattenwesen aus einer anderen Dimension stammen könnten und die Mortzestus wohl so etwas wie ein Knotenpunkt bzw. Übergang darstellt (also quasi ein "Schiff an der Grenze" ist), belässt es diesbezüglich dann aber nur bei ein paar vagen Bemerkungen und Nebensätzen. Da ist man von ihm mehr Experimentierfreude gewohnt.

    Eine große Stärke des Romans ist aber sicher seine authentische Atmosphäre und die glaubhaften (gelegentlich recht derben) Dialoge. Man merkt einfach auf jeder Seite, dass Hodgson große Erfahrungen als Seemann gesammelt hat und weiß, wovon er spricht. Der Leser tut dies dafür aber leider nicht immer:

    "Meinst du die Zeising ist unten weggehangen, oder meinst du sie war übergeschlagen? ...Natürlich war sie übergeschlagen und ausserdem bauschte sich das Fußliek des Segels über die Hinterseite der Rah." - Zeising? Fußliek? Rah? Der übermäßige Gebrauch von nautischen Fachbegriffen, die durch die gelegentlichen Fußnoten leider eher unzureichend erklärt werden, sorgt mitunter schon mal dazu, dass man sich fragt, wovon zum (See)Teufel die Crew da gerade mal wieder spricht. (Ich hätte mir jedenfalls öfters mal gewünscht auf Katlapedia zurückgreifen zu können :D).

    Zudem drehen sich die Gespräche der Besatzung häufig im Kreis: Irgendjemand beobachtet eine seltsame Begebenheit, schildert sie den Anderen, wird daraufhin für verrückt erklärt... und dann kommt es auch schon zur nächsten Erscheinung, Schilderung und Verurteilung eines vermeintlichen Verrückten. Ein Lerneffekt will sich dabei nicht einstellen. Generell ignoriert die Crew unzählige gefährliche Vorzeichen und leugnet selbst völlig eindeutig unnatürliche Situationen. (Heute würde man da wohl von toxischer Männlichkeit sprechen.)

    Dafür fällt der kurze Epilog wieder ziemlich interessant aus: Er schildert die Ereignisse auf der Mortzestus aus der Sicht eines anderen Schiffes, welches sich außerhalb des mysteriösen Nebels befindet und liefert somit eine etwas andere Perspektive auf das Ganze.


    Fazit:

    Sicher nicht Hodgsons bester oder bahnbrechendster Roman, aber dennoch eine äußerst atmosphärische und unterhaltsame Geistergeschichte. Wer aber noch nichts von ihm gelesen hat, sollte lieber zu „Die Boote der Glen Carrig“ und besonders zu seinem Meisterwerk „Das Haus an der Grenze“ greifen.

  • Cheddar Goblin Wie fix du immer die Bücher liest – und dich dann auch noch kompetent dazu äußern kannst. Behaupte ich jetzt einfach mal aus der Lamäng, denn dein Text stimmt größtenteils mit meiner (erinnerten) Lektüreerfahrung von ca. 2015 überein.


    Allein dieser Sache mit dem Schnittpunkt der Dimensionen, der würde ich – heute – vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit widmen. Das Vertrackte ist ja, dass WHH seine "großen" phantastischen Romane in irgendeinen Zusammenhang gestellt hat.


    Auf jeden Fall mal wieder so ein Roman, der alles andere als perfekt ist. Der aber gerade aufgrund dieser Tatsache:

    Sie bleiben nur Statisten, denen Hodgson jedoch auch gar keine Zeit für zwischenmenschliches Geplänkel oder das gegenseitige Ausloten biographischer Daten gönnt.

    diese reine und intensive Weird Fiction bietet, die ich am liebsten lese.

  • Wie fix du immer die Bücher liest...

    Abgesehen von "The Night Land" sind die Romane von Hodgson ja nie besonders lang und bleiben stets unter 200 Seiten. Gerade "Die Geisterpiraten" ist ja eigentlich eher eine Novelle. Kann man bequem an einem Tag lesen.

    Das Vertrackte ist ja, dass WHH seine "großen" phantastischen Romane in irgendeinen Zusammenhang gestellt hat.

    Ja. Gerade gestern wieder in "Supernatural Horror" gelesen: "The Ghost Pirates soll laut Mr Hodgson zusammen mit den zwei oben erwähnten Werken [Die Boote der Glen Carrig, Das Haus an der Grenze] eine Trilogie bilden...". War mir gar nicht mehr so bewusst. Ich würde die Zusammenhänge jedoch auch eher als lose erachten. Auch wenn z.B. Geisterpiraten und Schweinemenschen später noch in seinen Kurzgeschichten aufgetaucht sind und scheinbar alles in einer großen Welt spielt.

    diese reine und intensive Weird Fiction bietet, die ich am liebsten lese.

    Dito.