Martina Stemberger - Homer meets Harry Potter. Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur

  • Autorin: Martina Stemberger


    Verlag: narr/francke/attempto


    Zitat von Verlagstext

    Mit Millionen online publizierter Texte stellt die Fanfiction ein oft unterschätztes literarisches Massenphänomen unserer Zeit dar; zu einer Expedition in diese bunte Parallelwelt, in der nicht nur Harry Potter & Co., sondern auch Homer und Shakespeare, Goethe und Tolstoj, ja selbst die Bibel spielerisch fort- und umgeschrieben werden, lädt dieser neue Dialoge-Band ein.




    Zitat von literaturkritik.de

    Grundsätzlich unterminiere Fanfiction die „etablierten Konzepte von Autorschaft, Werk und Text“. Nicht immer sei sie von Adaptionen eines Werks oder „Mash-up-Romanen“ zu unterscheiden. Auszuschließen sei nicht, dass ein*e Autor*in von Fanfiction sich aus der Anonymität erhebe. Als berühmtes Beispiel für das Avancieren von der „Subkultur zum Mainstream“ führt Stemberger E. L. James an, deren Roman Fifty Shades of Grey ursprünglich als Fanfiction zu Twilight konzipiert gewesen sei. Dabei stelle sich die Frage, ob „die professionelle Vermarktung von Fanfiction“ und so auch ihre „Anerkennung als eigenständige, seriöse Gattung“ zu wünschen sei oder dies eher das „subversive Potential“ zersprenge.


    Unter „juristischen, soziologischen und didaktischen Aspekten“ sei Fanfiction bereits analysiert worden, die Literaturwissenschaft behandle sie aber stiefmütterlich, obschon das Genre in einem „dynamischen Interaktionsprozess zwischen Autor*in, Text und Leser*in“ Fragen nach „Bedeutungskonstitution“ und ästhetischer Wertigkeit aufwerfe. Ebenso sei das Genre als Spannungsfeld „zwischen Hoch- und Populärkultur“ von besonderer Relevanz.


    In „bildungsbürgerlichen und akademischen“ Kontexten, so verdeutlicht Stemberger, stehe „der emotional, oft auch erotisch investierte, fröhlich anachronistisch projizierende und selbst-inserierende Fan“ unter Generalverdacht. Er sei „der Prototyp des schlechten Lesers – bzw. der schlechten Leserin“. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass Fans nicht selten „Expert*innen“ ihrer Werke seien und mit einer der akademischen Kritik überlegenen Detailkenntnis glänzen könnten.


    https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=27931

  • Sehr interessant, Nils, danke für den Tipp! :*


    Ich hab vor längerer Zeit massig (englischsprachige) Fanfiction gelesen, genauer gesagt Uruk-Hai / LotR und 10th Doctor / Doctor Who 18+ Slash.

    Das Gros ist auf Fremdschäm-Level, aber einige wenige Texte sind sicherlich auf oder sogar weit über dem Niveau von dem, was man in Anthologien findet. Und lobenswert ist dort auch diese Beta-Leser-Kultur, also kritische peer reviews und Textarbeit, die bezogen auf Printmedien auch als Vorstufe vor dem Verlags-/Herausgeberlektorat sehr sinnvoll ist. Da wird ja bereits ein Versuch deutlich, mehr als nur Tagebuchniveau / Gebrauchsprosa zu produzieren.


    Zitat

    In „bildungsbürgerlichen und akademischen“ Kontexten, so verdeutlicht Stemberger, stehe „der emotional, oft auch erotisch investierte, fröhlich anachronistisch projizierende und selbst-inserierende Fan“ unter Generalverdacht. Er sei „der Prototyp des schlechten Lesers – bzw. der schlechten Leserin“. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass Fans nicht selten „Expert*innen“ ihrer Werke seien und mit einer der akademischen Kritik überlegenen Detailkenntnis glänzen könnten.


    Ja ja, immer druff aufs Bildungsbürgertum. :rolleyes: Als würden die bösen Akademiker mit ihrem überzogenen Anspruch unnötige Hürden aufbauen, die die Wertschätzung von Fan Art unmöglich machte. Ich denke, der Ansatz greift zu kurz. Zum einen sehe ich diesen "Verdacht" nicht. Fanfiction ist eher Gebrauchsliteratur, wie ein unliterarischer Porno (das gilt auch - wenn nicht noch mehr - für die jugendverträglichen Stories, in denen es nur um Emotionen und nicht noch zusätzlich um Sex geht). Es ist eben ein Austausch unter Fans über das Medium der Fiktion. Keiner kritisiert die Fans wegen ihres Expertentums oder ihrem Engagement.


    Vielleicht wird das im Buch ja auch angesprochen, aber ich denke, der Grund weswegen Fanfiction nicht automatisch Literatur ist, liegt woanders:

    - Die Texte haben nur in den seltensten Fällen einen eigenständigen literarischen Konflikt. Die verwendeten Konflikte sind entweder direkt aus dem Quellen-Franchise übernommen oder aus dem eigenen Alltag gedoppelt (die gefürchtete Mary Sue, die oft einfach viel zu offensichtlich ist). Oft liest sich FF wie Selbsttherapie, nämlich über Psychodrama.


    - Setting, Figuren und oft auch Handlung sind nicht eigenständig: z.B. Charakerisierungen sind oft eher Stichworte, die dann das Original-Franchise triggern. Dabei leistet die Vorlage alle Arbeit, die eigentlich die Schreibenden leisten sollten. Das Franchise bietet eine Blaupause, über die dann (möglicherweise eigene) Alltagsprobleme gelegt werden. Legolas + Selbstverletzung, z.B., ohne, dass das sinnvoll / werkimmanent verknüpft würde.


    - Oft fehlt ein Spannungsbogen, was durch das Episodenhafte der Texte verstärkt wird: FF ist oft eher eine Textcollage als eine literarisch aufgebaute KG oder Novelle. Durch die Bekanntheit der Vorlagen entfällt Weltenbau, Charakterisierung und ein Zusammenhang zwischen den einzlenen Szenen. Viele Geschichten lesen sich so, als würde man sich durch einen Film skippen und nur die Actionszenen schauen.


    Allerdings gibt es durchaus FF, die jeweils einen neuen, psychologischen Hintergrund, neue innere (und äußere) Konflikte entwirft und diese in einem ganz eigenen Spannungsfeld erzählt - und dennoch so, dass es sich in die Haltung, den Stil etc. der Vorlagen gut einfügt. Und dann kann man das sicher duchaus als eigenständiges Pastiche, nicht nur als reine Fanfiction lesen.


    Note to the margin:

    Hochspannend fand ich, dass im Erotiksegment homosexuelle (vor allem schwule) Beziehungen / Begegnungen einen ausgesprochen hohen Anteil ausmachen, aber nahezu alle schwule FF von Mädchen geschrieben wird, die sich heterosexuell identifizieren. Und das, obwohl das jeweilige Franchise auch heterosexuelle oder lesbische FF möglich machen würde. Fand ich ganz lustig, weil das wie ein weibliches Gegenstück zu den kommerziellen "Lesben"-Pornos ist, die so gern von Heteromännern konsumiert werden.


    Das alles ist auf jeden Fall ein sehr spannender Bereich, der nicht allein über dieses totgerittene Pferd "elitäre Hochliteratur vs anarchistische Fan Art" betrachtet werden sollte.

    [Gh2]