Henry Rider Haggard: Sie

  • einem (vorgeblichen) archäologischen Fund aus den südamerikanischen Hochkulturen

    Damit sind schon einmal 2 wichtige Bedingungen für eine Lost Race/Lost World-Story erfüllt. Wie auch immer – gutes Gelingen bei der Niederschrift!


    Für den anglo-amerikanischen Raum ist sicher noch Edgar Rice Burroughs (Tarzan, Pellucidar u. a.) wichtig. Dieser hatte schon Vorläufer: z. Bsp. Bulwer-Lytton mit "The Coming Race" (1871). Daneben fällt mir noch Abraham Merritt ein mit "Das Gesicht im Abgrund" ("The Face in the Abyss") u. a.


    Deutschsprachige Autoren gab es natürlich auch, etwa Robert Kraft mit "Die Nihilit-Expedition". Und Conan Doyles "Lost World" hat eine russische Entsprechung: "Plutonien" von Wladimir Afanassjewitsch Obrutschew aus dem Jahr 1924 (diesen Titel sollte man noch in einer günstigen DDR-Ausgabe erstehen können).


    Ich würde übrigens auch nicht davor zurückschrecken, Lovecrafts "Berge des Wahnsinns" in diesen Bereich einzuordnen. Mit einer Forschungsexpedition und der Entdeckung einer untergegangenen Hochkultur sowie deren Metropole sind auch hier wesentliche Bausteine der Gattung vorhanden.


  • Liebe Leute,


    das ist eine enorm spannende Diskussion um ein Buch, das ich bisher als belanglosen Trash ansah und komplett ignorierte. Wie einige Prosa dieser Zeit scheint es aber unter kulturhistorischen Aspekten doch absolut einen Blick wert zu sein (es gibt ja viele Bücher, bei denen die Sekundärliteratur tausend Mal spannender ist, als das jeweilige Primärwerk).


    Ich hab mir mal das eBook aus der Penguin Classic Reihe besorgt, das ein extrem interessantes, kritisches Vorwort hat. Hoffe, ich komme im Sommer dazu, es zu lesen.

    Dort wird Hollys Instrospektion mit den Worten verglichen, die Shelley ihrem Frankensteins Monster in den Mund legt. Zudem ist das ein interessantes Figurenkonzept, denn das rassistische Bild war ja, dass Schwarze mit Affen in Verbindung gebracht wurden - in She ist es aber auch ein weißer Europäer, auf den dieser Blick angewandt wird. Das mag eine bewusste Brechung des Konzepts sein. Im Vorwort wird ebenfalls gesagt, dass Holly als Erzähler die Norm gegen den Strich bürstet, eben weil er nicht der sportlich-attraktive "ableist" Idealmann ist, der die narrative Macht besitzt.

    Helena Petrovna Blavatsky hatte einige Jahre zuvor mit „Isis entschleiert“ (1877) ein Programm vorgelegt, das – so interpretiere ich es – Haggard mit seinem Roman profaniert.

    Sehr guter Punkt, Axel. Letztlich griff sie auf ein Konzept aus der Antike zurück: "Das verschleierte Bild zu Sais". Goethe, Schiller, Humboldt und weitere Romantiker hatten sich gerade mal 100 Jahre zuvor intensiv damit beschäftigt. War ja auch ein recht großer Einfluß auf die britische Schauerliteratur.

    Für mich besteht der Unterhaltungswert bei einem solchen Buch in den ausgesprochenen und unausgesprochenen Implikationen.

    Ja, so sehe ich das auch.

    Auf alle Falle hat das Lesen und die Diskussion hier dazu geführt, dass die Lektüre bei mir nachgewirkt hat und die antike Stadt Kôr eine kleinen Platz in der Geschichte, an der ich aktuell schreibe, erhalten hat.

    Oh, Felix, magst du die Geschichte hier vorstellen, wenn sie herauskommt? Das würde ich super gern lesen.

    "Plutonien" von Wladimir Afanassjewitsch Obrutschew aus dem Jahr 1924 (diesen Titel sollte man noch in einer günstigen DDR-Ausgabe erstehen können).

    Danke! Ich hab mir grad die weniger günstige Ausgabe aus den 50ern gegriffen, mit Dinosaurierkampf-Schutzumschlag. <3

    Erinnert mich sehr an meine ersten Kinoerlebnisse als Kind: Caprona - Das vergessene Land, Godzilla ...


    "Mountains of Madness" - da stimme ich dir ebenfalls zu. Obrutschew wähte mit Das Sannikow-Land auch ein polares Setting, nur die Arktis und da evt. ohne eine Lost Race. Da ist wohl nur das Land selbst untergegangen, wortwörtlich. Scheint mir auch einen Blick wert, wenn nicht reine Jugendliteratur.


    Ich hab den Plot nicht mehr ganz präsent, aber könnte man nicht auch Anne Rices Queen of the Damned als eine postkoloniale, feministische Neuinterpretation Haggards sehen? Dazu eben doppelt spannend, weil es - zumindest im Film so schön von Aaliyah dargestellt - eine schwarze Göttin ist (ich kenne das Buch nicht, keine Ahnung, ob das schon in der Vorlage so war). Die Idee, dass Akasha auf ihren göttlichen Geliebten wartet, ihn in einem Vampir erkennt und dann selbst stirbt / ihre Form wandelt scheint mir recht ähnlich.

  • Ich hab mir grad die weniger günstige Ausgabe aus den 50ern gegriffen, mit Dinosaurierkampf-Schutzumschlag.

    Schöne Sache, ich habe auch so eine alte Ausgabe, gefällt mir jedenfalls besser als die Version aus den 80ern … Das Buch ist nicht schlecht, aber längst nicht so schmissig wie "The Lost World".

    Ich hab mir mal das eBook aus der Penguin Classic Reihe besorgt, das ein extrem interessantes, kritisches Vorwort hat. Hoffe, ich komme im Sommer dazu, es zu lesen.

    Ich bin gespannt, wie dir das Buch gefällt. Ob Haggard wirklich bewusst ein Konzept brechen wollte, weiß ich nicht. Er hat jedenfalls einige Jahre in Südafrika gelebt und sich mit der Zulu-Kultur beschäftigt – auch darüber hat er dann geschrieben, soll heißen: nicht nur vom fernen Desktop aus.


    Haggard hat es jedenfalls bestimmten Leuten angetan, ich zitiere aus dem Eintrag der dt. Wikipedia:


    Zitat

    Zu seinen Bewunderern zählt auch Carl Gustav Jung, für den die Figur der Königin Ayesha, einer jahrtausendalten Zauberin und Herrscherin über einen afrikanischen Stamm, in She ein Modell für sein Anima-Konzept war. Einen psychoanalytischen Blick auf das Werk Haggards wirft auch Arno Schmidt in seinem letzten, Fragment gebliebenen Roman Julia, oder die Gemälde.

  • Ich eröffne mal einen weiteren Thread, damit wir hier über Haggards "Sie" reden können und dort andere Lost World, Lost Race-Romane zusammentragen und ggf. kommentieren können. Dann bleibt die Diskussion übersichtlicher.

  • Neben den vier Romanen von H. Rider Haggard selbst gibt es auch noch eine Fortsetzung von Peter Tremayne, "The Vengeance of She". Im Original von 1978, auf Deutsch ein paar Jahre später in der Reihe Bibliothek der phantastischen Abenteuer von Fischer erschienen. Tremayne transportiert die Handlung in die Gegenwart. Der Psychiater Hugh Strickland behandelt in seinem Sanatorium die bildhübsche, aber charakterlich recht blasse Noreen Pemberton, die neuerdings unter einer gespaltenen Persönlichkeit zu leiden scheint. Natürlich ist es SIE, die durch das Mädchen zurück in die Welt zu gelangen versucht. Das ewige Spiel um die (verlorene) Liebe startet erneut.

    Interessant ist, dass in der Welt dieses Romans die Bücher von Haggard auch existieren, sich also das im Originalroman präsentierte aufgefundene Manuskript nicht als literarischer Kniff des Autors, sondern als Wiedergabe tatsächlicher Vorgänge erweist.


    Zitat

    Und nun bist du hier, mein Kallikrates, verkleidet als Sterblicher, und ich bin hier. Endlich ist die Zeit gekommen, ein Siegel auf diese unsere Geschichte zu drücken, die vor so langer Zeit begann. Jetzt werden wir sie beenden, auf die eine oder andere Weise.



    Tremayne_SIE.jpg

  • Neben den vier Romanen von H. Rider Haggard selbst gibt es auch noch eine Fortsetzung von Peter Tremayne, "The Vengeance of She". Im Original von 1978, auf Deutsch ein paar Jahre später in der Reihe Bibliothek der phantastischen Abenteuer von Fischer erschienen.

    Danke für den Hinweis. Wird (bei Gelegenheit) auch einmal angetestet!