Eduard Mörike – Maler Nolten (1832)


  • Worum es geht, Teil 1

    Der 16-jährige Theobald Nolten besucht gemeinsam mit seiner Schwester Adelheid eine Burgruine. Es ist ein grauer, wehmütiger Tag, der als Stimmungsbild der nun folgenden schicksalhaften Begegnung dient. Im Inneren des Gemäuers vernimmt Theobald einen betörenden Gesang – schnell ist die Quelle ausgemacht: „eine Jungfrau, deren fremdartiges, aber keineswegs unangenehmes Aussehen auf den ersten Blick eine Zigeunerin zu verraten schien.“

    Der Junge und seine Schwester nehmen das Mädchen – Elisabeth – mit ins elterliche Pfarrhaus, wo ihr Vater (die Mutter lebt nicht mehr) alles andere als begeistert ist über den Gast. Tatsächlich ist ihm Elisabeth keine Unbekannte. Ihr Anblick erinnert ihn an eine tragische Familiengeschichte, in die sich einst sein eigener Bruder verstrickte … und die sich mit Elisabeths Auftauchen fortzusetzen scheint. Freilich nicht unmittelbar, denn sie verschwindet kurz darauf wieder, „ohne auch nachher, als man sie vermisste, wieder aufgefunden werden zu können.“


    Worum es geht, Teil 2

    Jahre später malt Nolten das Bild einer „nächtlichen Versammlung musikliebender Gespenster“, in dem er Elisabeth die Rolle einer Organistin verleiht. Mit ihr – zu der er seit jenen Jugendtagen gar keinen Kontakt mehr hatte – wird zuerst eine von insgesamt drei Frauen eingeführt, denen Nolten in Liebesglück und Liebesunglück verbunden ist. Denn eigentlich wartet in der alten Heimat seine Verlobte Agnes auf ihn, von der er sich aber entfremdet hat. Statt ihrer gilt seine Aufmerksamkeit neuerdings der Gräfin Konstanze von Armond.

    An dieser Stelle meint Noltens Freund, der Schauspieler Larkens, eingreifen zu müssen. Um die Beziehung zu Agnes zu retten, beginnt Larkens mit ihr einen Briefverkehr in Noltens Namen und täuscht eitel Sonnenschein vor. Dieser fingierte Briefwechsel fliegt natürlich eines Tages auf; mit fatalen Folgen für alle Beteiligten.


    Zwischen allen Stühlen

    Eduard Mörikes 1832 erschienener „Maler Nolten, eine sogenannte „Novelle in zwei Teilen“, kann ebenso unter dem Aspekt der Gespenstergeschichte als auch unter dem des Künstler- oder Bildungsromans betrachtet werden. Auch von einem psychologischen oder Entwicklungsroman ist die Rede … je nachdem, welche Sekundärliteratur man konsultiert. Schön hat es Volker Hoffmann in seinem Eintrag in „Kindlers Literaturlexikon“ ausgedrückt: „Mit der Gattungszuordnung beginnen die Probleme des Malter Nolten.“

    Ohne Zweifel gibt das zu Beginn des Buchs beschriebene Gemälde eines Totentanzes den Takt vor. Denn die rätselhafte Zigeunerin Elisabeth, von welcher der 16-jährige Nolten verkündet „Und lass es ein Gespenst sein!“, greift immer wieder aus zwielichtigen, abgründigen Regionen in sein Leben ein. Sagen und gespenstische Geschichten, die zwischen den Handelnden kursieren, bilden einen durchgängigen Untergrund des Buchs. Dessen Erzähltechnik erreicht mit „Der letzte König von Orplid“ einen ersten Höhepunkt. In dieses „phantasmagorische Zwischenspiel“ eingeflochten (und davon unabhängig bekannt geworden) ist Mörikes Ballade „Die Geister am Mummelsee“.


    Fazit

    Ich habe den „Malter Nolten“ gerne gelesen, auch wenn die Lektüre zwischenzeitlich ins Stocken geriet. Das liegt zum einen an der Länge des Buchs, meiner Ausgabe mit kleinem Schriftbild und, wie das bei einem fast 200 Jahre alten Werk natürlich ist, an der altertümlichen Sprache, in die es sich ja immer wieder „einzuarbeiten“ gilt.

    „Maler Nolten“ fußt sicher noch irgendwo auf dem Schauerroman. Der geringe zeitliche Abstand zum Werk E. T. A. Hoffmanns ist bedenkenswert, ebenso die Unterfütterung durch die Gespensterballade: ein Feld, auf dem sich Mörike ohnehin betätigte. Dennoch überwiegt die menschliche Tragik des Geschehens – ein Geflecht aus Intrige und Gegenintrige – den gruseligen Effekt.

    Interessanterweise bleibt der „Titelheld“ selbst relativ blass gezeichnet. Seine Gefühle und Absichten kommen vielmehr in der Darstellung seiner drei „Gespielinnen“ zum Ausdruck. Sie erscheinen denn auch als Repräsentantinnen verschiedener gesellschaftlicher Sphären. Mit Agnes strebt Nolten ein geregeltes Bürgerleben an, mit der feinsinnige Konstanze von Armond verkehrt er in Adelskreisen und Elisabeth mag für eine ungeordnete, umherirrende Existenz stehen, – nicht zuletzt, so hat es Gero von Wilpert ausgedrückt, für die „dunkle Dämonie des Künstlertums“.

  • Herzlichen Dank für diese Vorstellung. Ich hatte tatsächlich mal einen Schuber mit Gesammelten Werken Mörikes, er vermochte mich aber nie zur Lektüre zu reizen. Aus deiner Besprechung schließe ich, dass der "Malter Nolten" nicht unbedingt dazu angetan ist, mich den Verlust bedauern zu lassen.


    Es scheint mir hier ein wenig so zu sein wie bei manchen Hochromantikern oder Autoren wie Hawthorne, die oft phantastische Elemente inkorporieren oder darauf anspielen, letztlich aber überwiegend doch in anderen Literaturen verbleiben, sodass die Lektüre für den Adepten des Grauens eher Arbeit als Freude darstellt. Dennoch bleibt es nicht ohne Reiz zur Absteckung des Feldes, diese "Grenzfälle" auf dem Schirm zu haben. Letztlich scheint mir Mörike hier aber doch diverse zeitgeistige Fäden aufgenommen zu haben, was natürlich auf handwerklicher Ebene Respekt abnötigt.

  • Nils Deine analytische Reaktion stimmt in allen Punkten, so dass ich ihr kaum mehr etwas hinzufügen kann.


    Nur zu einer Sache:


    sodass die Lektüre für den Adepten des Grauens eher Arbeit als Freude darstellt.

    Ein vielleicht bekanntes Phänomen: manchmal erwächst die Freude aus der Arbeit; je größer diese, desto größer fällt auch jene aus. Ich hatte den Ehrgeiz, das Buch auszulesen und die abgeschlossene Lektüre empfinde ich durchaus als Gewinn.


    Inkorporiert im "Maler Nolten" ist übrigens auch eines der bekanntesten jahreszeitlichen Gedichte, das unter dem Titel "Er ist's" bekannt wurde und gerade ausgezeichnet passt:


    Frühling läßt sein blaues Band

    Wieder flattern durch die Lüfte;

    Süße, wohlbekannte Düfte

    Streifen ahnungsvoll das Land.

    Veilchen träumen schon,

    Wollen balde kommen.

    - Horch, von fern ein leiser Harfenton!

    Frühling, ja du bist's!

    Dich hab' ich vernommen!

  • Super Vorstellung!

    Meyers Volksbücher muss mit mehreren hundert Bänden damals eine immens erfolgreiche Reihe gewesen sein und zeichnen sich durch eine große inhaltliche Breite aus. Neben Belletristik und Lyrik erschien dort auch wissenschaftliche Sachlitertur.


    Aus bibliophiler Sicht interessanter sind Meyers Klassiker-Ausgaben beim gleichen Verlag, in luxuriöser Ausstattung.

  • Ich vermute, es ist jener Verlag, welcher auch den Brockhaus-Konkurrenten Meyers Konversationslexikon herausbrachte?