Grady Hendrix - Horrorstör


  • Das Buch hatte schon bei Erscheinen mein Interesse geweckt, ist dann aus unerfindlichen Gründen aber nie in meinem Einkaufswagen gelandet und irgendwann in Vergessenheit geraten. Erst dieses Forum hat mir Grady Hendrix wieder ins Gedächtnis gerufen und nun habe ich mir endlich mal seinen „Debütroman“ vorgenommen.


    Worum geht’s:

    Im stilechten Look eines Möbelkatalogs führt Horrorstör in die Untiefen eines ganz besonderen Spukhauses: des Möbelladens ORSK in Cleveland, wo die Angestellten Morgen für Morgen auf zerstörte Ware und Schmierereien an den Wänden treffen. In Ermangelung brauchbaren Materials von den Überwachungskameras werden drei Mitarbeiter dazu verdonnert, eine Nacht im ORSK-Store zu verbringen. Während sie einsam ihre Runden drehen, entwickelt der Laden mehr und mehr ein Eigenleben…“


    Meine Meinung:

    Das Setting von „Horrorstör“ trifft bei mir schon mal sofort einen Nerv, denn Ikea-Märkte sind für mich ein absoluter Alptraum. Nach Betreten eines solchen, fühle ich mich jedes Mal augenblicklich in Jim Hensons „Labyrinth“ versetzt und bin sicher, dass die geknechteten und seelenlosen Mitarbeiter heimlich die Regale verschieben und Pfeilmarkierungen verändern, sobald mein Blick von irgendeinem Angebot abgelenkt wird. Zudem habe ich ständig Angst in einem Gang versehentlich falsch abzubiegen und plötzlich von einem Minotaurus angegriffen zu werden... Viel Aufwand muss man für mich also eigentlich gar nicht mehr betreiben, um den berühmten Möbelmarkt in einen Ort des Horrors zu verwandeln. Soll heißen: Hendrix, I feel you. In der Hölle gibt es Hotdogs für einen Euro.

    (Eigentlich seltsam, dass vorher niemand auf die extrem naheliegende Idee gekommen ist, einen Horrorroman in einem Ikea spielen zu lassen. Andererseits: Als George A. Romero sein „Dawn of the Dead“ drehte, gab es die Kette in den USA noch gar nicht.)

    Zum Stil des Romans: „Humor + Horror“ sind bei mir ja immer so eine Sache, hier funktioniert die Kombination aber erstaunlich gut. Die Gags wirkten nie aufgesetzt, geraten im Verlauf des Romans zunehmend in den Hintergrund und stehen der creepy Atmosphäre daher nie im Weg – Und creepy wird es hier durchaus. Hendrix lässt sich damit viel Zeit, dreht ab der Mitte der Geschichte aber kontinuierlich an der Terrorschraube und lässt schlussendlich die absolute Hölle über die Protagonisten hereinbrechen. Dabei bedient er zwar jede Menge Klischees (u.a. was den Grund für den Spuk angeht), macht dies durch das ungewöhnliche Setting und ein paar wirklich originelle Ideen aber wieder wett: Die Kapitel sind beispielsweise nach fiktiven Möbelstücken benannt, die im besten Werbesprech angepriesen werden und im Verlauf der Handlung immer groteskere Formen annehmen (siehe Bild unten). Passenderweise ist der Roman dann auch in Sachen Layout und Format wie einen Ikea-Kataloge gestaltet.

    Generell gelingen Hendrix diese Spielereien und der satirische Part, der sich mit der Arbeitswelt der Figuren bzw. der Seelenlosigkeit von Franchise-Unternehmen auseinandersetzt wesentlich besser, als das große Horror-Spektakel. Hendrix verknüpft dieses zwar ziemlich plausibel mit der vorhergegangenen Kapitalismuskritik (Stichwort: „Arbeitszombies“, Bienenstock), tut dies stellenweise aber doch etwas plump.



    Mein Fazit:

    Nette Popcorn-Unterhaltung. Wer einen Haunted-House-Roman, der etwas anderen Art sucht, das Ganze nicht allzu ernst nimmt und auch mit ein bisschen Trash klarkommt, kann hier durchaus seinen Spaß haben. Man darf nur kein neues Hill House oder Bly Manor erwarten, denn wenn man mal das ganze Drumherum abzieht, ist „Horrorstör“ ein eher mäßiger Vertreter seines Genres. Ich hab das Buch aufgrund seiner kreativen Einfälle und des originellen Handlungsort trotzdem gemocht.

  • Danke für die Einschätzung; ich fand die Idee des Romans beim Lesen hervorragend, die Durchführung aber ebenfalls eher mäßig bis abgedroschen. Es ist in erster Linie die (wirklich sehr kreative) Aufmachung, die dem Buch Leben einhaucht; guter Haunted House-Flavor kam für meinen Geschmack zu kurz.

  • und bin sicher, dass die geknechteten und seelenlosen Mitarbeiter heimlich die Regale verschieben und Pfeilmarkierungen verändern, sobald mein Blick von irgendeinem Angebot abgelenkt wird.

    ^^

    Lieben Dank für die ausführliche und sehr unterhaltsame Besprechung. Wie du finde ich Ikea so schlimm, dass ich nicht sicher bin, ob das oder das Haunted mehr Grauen auslöst - ingesamt also vielleicht etwas too close for comfort.