Antoine Volodine: Mevlidos Träume

  • Arkham Insider Axel Oh, wie schön, ich bin sehr gespannt, wie es dir gefällt. Radiant Terminus finde ich übrigens noch um Längen besser als die Träume. Das tritt auch nicht so arg auf der Stelle, sondern hat eine tatsächlich merklich fortschreitende Handlung und besser erkennbare Figuren-Referenzen (Baba Jaga, Koschei ...).


    That said, sind die Träume natürlich auch toll.


    Cheddar Goblin Ich freue mich sehr, dann kann ich endlich mal etwas ans Forum zurückgeben, nachdem sich bei mir über all die Besprechungen hier so circa ein ganzes Bücherregal gefüllt hat.

  • Heute Morgen wieder einige Seite von Mevlidos Träume geschafft.


    Ich bin jetzt ca. bei der Hälfte des Buchs angelangt: Mevlido ist auf dem Weg zu seiner Reinkarnation. Und war es bis dahin so, dass sich meine Begeisterung in Grenzen hielt, finde ich diesen Prozess doch sehr interessant. Ich habe das erste Mal das Gefühl, etwas Neues zu lesen. Wie oft hat man das schon?


    Der erste Teil ist für mich eine recht zähe Agentengeschichte; ja, manchmal ertappe ich mich bei der Frage, ob es sich nicht um ein Slipstream-Buch handelt. Das Stilmittel der Wiederholung sowie die Vorliebe des Autors für Listenpunkte erscheinen mir etwas artifiziell. Nach dem Motto: Eigentlich möchte ich einen SF-Roman schreiben, aber das Ganze soll doch auch bitteschön "literarisch" sein.


    Zur Weirdness: sicher, das Ghetto Hühnerhof Vier, die Herrschaft der Vögel (fiel schon der Name Bruno Schulz?) … das ist ja ganz interessant – wiegt aber für mich nicht die bis dahin recht dürftige Geschichte um einen etwas schwermütigen, ziellos mäandernden Großstadt-Cop auf. Ich schließe mich auf jeden Fall meinen Vorrednerinnen an: da hätte gestrafft werden können!


    Ich bleibe jedenfalls dran. Wie gesagt, diese Sache mit der Reinkarnation finde ich höchst originell.

  • Und war es bis dahin so, dass sich meine Begeisterung in Grenzen hielt, finde ich diesen Prozess doch sehr interessant. Ich habe das erste Mal das Gefühl, etwas Neues zu lesen. Wie oft hat man das schon?

    Hallo Axel, schön, deine Eindrücke zu hören. Ich gehe da mit, auch wenn mich das Buch durchaus 'geflasht' hat, und ich da nicht vornehmlich nach einem durchgehenden Plot suchte bzw. darauf wartete. Ich mache das bei Volodine mehr so go with the flow und schaue, wo mich das hintreibt. Dabei halten mich einige Dinge aber ebenso auf wie dich.

    manchmal ertappe ich mich bei der Frage, ob es sich nicht um ein Slipstream-Buch handelt. Das Stilmittel der Wiederholung sowie die Vorliebe des Autors für Listenpunkte erscheinen mir etwas artifiziell.

    Genau, diese nämlich. Slipstream ist ja ein sehr interessanter Gedanke. Die Wiederholungen sind mit Sicherheit nicht Nachlässigkeit. Ich fand, das trägt ganz gut zu diesem alp/traumartigen durch-die-Welt-Taumlen des Protas, der nie genau weiß, wo er ist und ob er das vielleicht alles schon mal erlebt hat (oder es eine Art erlebter Flashback in die Zukunft ist). Andereseits ist es über die Strecke auch bissl nervig.


    Haha, ja die Listen fand ich nun wieder klasse. Ausnahmsweise gefällt mir, wie frech Volodine hier die Grenzen zwischen Protagonist, Erzähler und sogar Autor einreisst. Das mag ich nur, wenn ich den Eindruck habe, das sei genau so geplant gewesen. Interessant, ich bin sehr gespannt, wie später dein Fazit aussehen wird. [Cof]

  • Als kleiner nerdiger Einwurf: Nachdem ich einige Interviews und Artikel gelesen hab, ging mir auf, warum das immer so ulkige Namen sind. Darauf hätte man auch kommen können ...


    Volodine hat für sich den Post-Exoticism erfunden. Das heißt, es gibt nur noch eine (postapokalyptische) Kultur, aber keine fremden, die man durch Fernreisen erkunden würde. Also: es existiert keine Exotik mehr, keine landestypischen Merkmale. Um eine Verortung der Settings und Figuren zu erschweren (obwohl ja alles eindeutig vor einem diktatorischen, stalinistisch-sowjetischen Hintergrund erzählt wird), werden Orte mit unpassenden Straßennamen und Vor- mit unpassenden Nachnamen kombiniert. Das - so hab ich inzwischen gemerkt - trifft nicht immer nur weibliche Figuren. (In Mevlido und Terminus ist es so, in Bardo aber nicht.)

  • Das Buch habe ich letzten Sommer zum Ende des Urlaubs hin begonnen und ließ es nach unserer Rückkehr erstmal liegen, bis ich es fast vergessen hatte. Dabei hatten mir die ersten 50 bis 100 Seitennach erster Orientierungslosigkeit erstaunlich gut gefallen. Als ich für diesen Sommerurlaub erneut meine Lektüre zusammenstellte, fiel mir Mevlidos Träume wieder in die Hände und ich kann sagen, dass das erste Viertel des Romans mir Nahe der polnischen Grenze ebenso gefallen hat wie in der Bretagne. Darüber hinaus bin ich mir aber sicher, dass ich das Buch außerhalb eines Urlaubs niemals zu Ende gelesen hätte. Es ist ebenso so toll wie viel zu lang (ich stimme hier Katlas Eingansposting in jedem Wort zu), und diese Länge konnte ich eigentlich erst rehct ertragen, als ich verstand, wie sehr es in dem ganzen Buch um den schleichenden Tod bzw. eher das schleichende Sterben geht. Erstaulich ist, dass auch mir es schwer fällt, zu sagen, was mir an "Mevlidos Träume" gut gefallen hat und ich trotzdem gleich geschaut habe, was ich mir von dem Autor, wie auch immer er sich nennen mag, auf deutsch beschaffen kann.

  • Dabei hatten mir die ersten 50 bis 100 Seiten nach erster Orientierungslosigkeit erstaunlich gut gefallen.

    <3 Klasse, das freut mich sehr!

    Inzwischen hab ich ja ein Dutzend oder so Bücher von ihm gelesen und sehe rückblickend, dass Mevlido eventuell das ungünstigste Erstlese-Werk darstellt. Es ist wiederholt wirklich ungewöhnlich viel und zerfällt auch ziemlich in ... wie soll man das sagen? ... isolierte Handlungssegmente oder Motive (diese ganze Sache mit der Psychiaterin und den Anschlägen z. B.). Möglich selbstverständlich, dass man das so im Nachhinein zu jedem Buch sagen würde *gn*.

    Erstaunlich ist, dass auch mir es schwer fällt, zu sagen, was mir an "Mevlidos Träume" gut gefallen hat und ich trotzdem gleich geschaut habe, was ich mir von dem Autor, wie auch immer er sich nennen mag, auf deutsch beschaffen kann.

    Das freut mich auch total.

    Dann rate ich zu Dondog, es ist zudem ein haptisch schönes Buch, gebunden, mattglänzender Einband, festes Papier und schönes bauhaus-artiges Coverdesign (Suhrkamp). Hier ist die Struktur - auch, wenn es wie immer sehr kaleidoskop-artig aufgebaut ist - nachvollziehbarer, weil der Prota/Erzähler gleich am Anfang einen ganz konkreten Plan hat, fast sowas wie einen Quest. Dass das nicht so läuft wie vorgestellt, ist klar. Auch ist es von der Erzählhaltung spannend, weil sich der Autor direkt einmischt und die Figuren außerdem über Orts- und Zeitgrenzen hinweg miteinander (und mit dem Erzähler, der da nicht körperlich anwesend war) kommunizieren lässt. Das Buch gefällt mir - neben Radiant Terminus und Bassmanns We Monks & Soldiers - vom Stil her am besten.


    Alto Solo (eher eine Novelle) beginnt imA recht schleppend und sogar bissl langweilig, da entfaltet sich alles auf den letzten Seiten.


    Am ehesten klassischer "Roman", der größtenteils auch mal chronologisch läuft und fast ein dystopisches Epos darstellt, wäre Radiant Terminus, aber das gibt es bislang leider nicht in deutscher Übersetzung, andere Länder sind da flotter.


    Und um mal ein bissl Schleichwerbung zu machen:

    In Das Science Fiction Jahr 2022 versuche ich, Volodine und einige seiner bislang 45 post-exotischen Werke, Motive und Hintergründe in einem längeren Feature auf 16 Buchseiten vorzustellen: "Post-Exotizismus: Antoine Volodines Dystopie einer Zweiten Sowjetunion". Illustration: Standbild aus Andrey Iskanovs bislang unveröffentlichtem Film Breaking Uroboros.

    Erscheint am 15. September, bereits vorbestellbar.