Sputnik
Regie, Creature Design: Egor Abramenko
Russland / Estland 2020, Länge: 113'
Drehbuch: Oleg Malovichko & Andrey Zolotarev nach Abramenkos zehnminütigem Kurzfilm Passazhir / The Passenger (2017, Trailer)
Mit: Oksana Akinshina (Lilja 4 Ever, Volkodav - Rise of the Wolfhound), Fedor Bondarchuk (auch Co-Produzent), Pyotr Fyodorov
Der Film stand mit Engl. UT auf Sowjet Movies Online, dort z.Zt. noch gelistet, aber seltsamerweise offline.
Deutsch synchronisiert (hoffentlich besser als die bescheuerte Titelwahl befürchten lässt) als Sputnik - Es wächst in dir, auf DVD/BluRay erhältlich seit 4.12.2020
Sehr geiler Teaser OV mit Engl. UT (Die Kreatur wird gespoilert)
Über 160 schöne Szenenphotos auf imdb (Spoiler)
Sputnik lässt sich sehr passend zusammenfassen mit: Alien meets Arrival (with a twist).
Und bis zehn Minuten vor Schluss dachte ich, es gäbe einen neuen Film unter meinen all time favs Top 10.
Sputnik wendet diesen 'Monster-in-the-Dark / je weniger man sieht, desto besser' -Kniff zwar sehr schön an, jedoch nur in den ersten Szenen. Dann wird die Kreatur voll gezeigt bzw. wird zum gleichwertigen Protagonisten. Es ist unmöglich, viel zum Film zu sagen, ohne ständig 'Vorsicht, Spoiler!' zu schreiben.
Ungespoilert geht es um einen Astronauten, der zu Sowjetzeiten in den 1980ern auf die Erde zurückkehrt und dabei unfreiwillig einen Passagier mitgebracht hat. Sein einzig anderer Co-Pilot hat ein blutiges Ende gefunden. Eine Psychotherapeutin, die tatsächlich zum Wohle der Patienten im Mainstream umstrittene Methoden anwendet, wird nun beauftragt, den überlebenden "Helden der Sowjetunion" zu retten.
Der Film hat eine zum Niederknien schöne Kameraführung, Schnitt, Set Design / Optik (sehr stark angelehnt an Nordic Noir TV Serien, und mit einem schönen Colour Code) und ein absolut tolles Pacing. Anders als in unzähligen SF Filmen aus den USA wird sich nicht damit aufgehalten, 40-70 quälende Minuten lang das Familien- und Liebesleben der einzelnen Figuren auszuleuchten und dann den Aliens nur im Finale eine kleine Rolle zuzugestehen. Sputnik handelt sein Intro in dicht-persönlich erzählten 10 Minuten ab, die Hauptfigur Tatyana bekommt ein paar weitere, und dann fängt nach max. 15 Minuten sofort die Haupthandlung an. Alles sehr intelligent, es gibt 'eklige' und blutige Szenen, später einige Action.
Alles ab jetzt Spoiler (wobei der Film nicht verliert, wenn man die kennt).
Konstantin, der überlebende Astronaut, ist ein einer militärischen Forschungsstation eingesperrt. Schnell wird klar, dass der fremde Passagier sich in seinem Körper eingenistet hat, den es nachts verlässt, um zu fressen. Dabei betäubt es seinen Wirt, um seine Muskeln zu entspannen, Stress zu vermeiden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Konstantin in dieser Zeit komatös ist. Tatyana fällt in den ersten Evaluations-Sessions auf, dass dies unwahrscheinlich ist: sie ist überzeugt, das Alien sei kein Parasit, sondern ein Symbiot.
Sie gewinnt mit ihrer harschen, realistischen no-nonsense Art Konstantins Vertrauen und er bestätigt ihren Verdacht: Das Alien und er bleiben permanent in bewusster Verbindung, beeinflussen sich emotional, sind aber unabhängige Persönlichkeiten. Tatyana ist überzeugt, dass der Plan des Militärs, Wirt und Alien gewaltsam zu trennen, zum Tod beider führen würde. Sie beschließt, Konstantin zu befreien und eine sanfte Entwöhnung zu probieren ...
In kurzen Rückblenden wird eine zweite Geschichte eingeschoben: die eines Mädchens in einem Waisenhaus. Sie ist Konstantins sechsjährige Tochter, von der er erst am Tag des Abfluges erfahren hatte. Sein Plan war, diese Tochter anzunehmen und ihr ein Zuhause zu bieten.
Der Film endet damit, dass Tatyana diese Rolle übernimmt. Und eben das hat mir Sputnik ganz zum Schluss arg verleidet. Es ist das, was in vierten und fünften Staffeln von Nordic Noir / Britischen TV Serien als Plotline verwendet wird, wenn die Luft ausgeht: Eine der Ermittlerinnen wird schwanger, Fragen um Abtreibung vs Kinderkriegen blablabla. Danach werden die Serien meist eingestellt. Es ist ein wahnsinnig sexistisches, langweiliges und ärgerliches Klischee, dass 'Frau' scheinbar automatisch mit 'Mutter' zu tun hat. Dies hat mir Scott & Bailey, Bron | Broen (The Bridge) und unzählige andere an sich gute Filme mit ungewöhnlichen, starken Frauenfiguren versaut. Ebenso Sputnik. Allerdings sind das dort zum Glück nur die letzten Minuten.
Ich erwartete, dass eine emotional-intelligente Entwicklung des Aliens erzählt würde, nicht, dass auf ein menschliches Kind geschwenkt wird - das widerspricht völlig dem Aufbau des Films, der Art, wie das Alien etabliert und entwickelt wird.
Tatyana wird von einer stark unterschätzten Schaupielerin sehr subtil, komplex und individiuell dargestellt - Oksana Akinshina ist Filmenthusiasten sicher aus Lilja 4 Ever in guter Erinnerung. Ihre Rolle hier ist ungewöhnlich selbst für die SF: harsch, selbstbewusst, realistisch, intelligent, aber auch empathisch und zudem ganz ohne Klischee-Aussehen sehr angenehm fürs Auge.
Das Alien wird fast von Anfang an voll gezeigt, oft gut ausgeleuchtet. Ein bisschen mit der Kamera Versteck spielen darf es auch, sodass man sich dennoch überrascht fühlt, die Fremdheit bleibt. Abramenko sagt in Interviews, er habe in seiner spekulativen Welt die Existenz des Aliens und des Predators vorausgesetzt - es geht nicht darum, diese Figuren zu toppen, sondern, ein eigenständiges Konzept neben ihnen aufzubauen, und mit der Persönlichkeit des Aliens, das ähnlich wie die Besucher in Arrival auch eine Kommunikation anstrebt, ist ihm dies auch wunderbar gelungen. Dabei sieht es auch aus, als hätte sein Körperbau wirklich eine sinnvolle biologische Logik. Am Anfang noch sehr individuell, tritt es später in den Actionszenen eher generisch-bedrohlich auf.
Zum Creature Design:
Interview 1 mit dem Regisseur auf Moveable Fest
Interview 2 auf Nightmarish Conjurings
Mein Fazit: Ohne den Adoptions-Subplot 10/10, ansonsten 8/10.