Michael Siefener:
Das Reliquiar / Die Wächter - Zwei Novellen
Edition Metzengerstein (Band 3), 1997, 134 Seiten
Die Edition Metzengerstein (1996-2002) zählt zu Frank Festas ersten publizistischen Gehversuchen. Mit der Reihe wollte man im deutschsprachigen Raum noch wenig bis unbekannten internationalen Autoren, aber auch heimischen Talenten des Horrorgenres (im weiteren Sinn), die von der etablierten Verlagswelt weitgehend ignoriert wurden, eine Plattform zu bieten. Nach Malte S. Sembten und Henry S. Whitehead folgte mit Band 3 Michael Siefener.
Die Sammlung enthält die beiden titelgebenden Novellen sowie ein Nachwort von Franz Rottensteiner.
"Manchmal glaube ich wirklich, diese Kirche ist des Teufels."
Das Reliquiar ist in Tagebuchform verfasst. Der namenlose Ich-Erzähler besucht seinen Schulfreund Ulrich in dessen abgelegener Pfarre in der Eifel. Er hofft dort, der nach der Trennung von seiner Frau in der Stadtwohnung herrschenden Leere zu entkommen und ein paar entspannte Wochen am Land verbringen zu können. Im Dörfchen Dernig gerät er allerdings in den Bann der örtlichen Kirche St. Leodegar, neben dem Pfarrhof das letzte verbliebene Relikt einer früheren Nonnenabtei, die vor Jahrhunderten in einer Feuersbrunst fast vollständig abbrannte. Groteske Fresken um einen Teufelspakt ver(un)zieren die Wände der Kirche und statt der erwarteten Reliquie des Heiligen Leodegar fand sich vor einigen Jahren bei Renovierungsarbeiten im Altar nur ein in lateinischer Sprache bekritzelter Zettel...
"Ich schaute zum Kreuz auf und war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob der richtige Weg auch der rechte ist."
Die Wächter spielt ebenfalls im kirchlichen Umfeld. Kommissar Glaub muss darin den Tod eines Benediktinermönchs aufklären. Bruder Hieronymus ertrank unter rätselhaften Umständen in der Nacht nach seinem ewigen Gelübde im klostereigenen Fischteich. Glaub quartiert sich im Kloster ein und stößt zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Beharrlich setzt er seine Ermittlungen fort und erfährt so, dass Hieronymus als Vorsteher der beeindruckend ausgestatteten Bibliothek vorgesehen war...
"Wer Glück sucht, wird Unglück finden. Wer Gott sucht, findet den Teufel."
Wer mit dem Werk des Autors einigermaßen vertraut ist, merkt gleich, das ist typischer Siefener-Stoff. Kein anderer Autor im deutschsprachigen Raum versteht es so geschickt wie er, Elemente des Katholizismus mit Versatzstücken aus der Phantastik-Tradition und nerdigem Bücherantiquariatswissen zu ausgefeilten unheimlichen Erzählungen zu verbinden. Auch wenn es sich hier um frühe Arbeiten Siefeners handelt, zeigen sie doch bereits den für ihn charakteristischen behutsamen Stimmungsaufbau. Mit Das Reliquiar bewegt sich Siefener in der Nachfolge M. R. James‘. Die mit kulturhistorischen Ausführungen gespickte Novelle erinnert stark an Geschichten wie Das Vermächtnis des Kanonikus Alberic oder Ibi cubavit Lamia des britischen godfather of ghost stories. In Die Wächter gesellt sich H. P. Lovecraft dazu. Die Geschichte funktioniert anfangs als Krimi bis der Einfluss von Lovecrafts verderblichen Mächten jenseits von Raum und Zeit das Geschehen schließlich Richtung Cthulhu-Mythos zieht.
"Es ist der lebende Hohn all dessen, was wir als unsere Realität begreifen, es ist die Antithese einer jeden Weltordnung, es ist das, was durch die Dimensionen gekrochen ist und durch seine bloße Existenz nicht nur unser armseliges Leben, sondern das Prinzip, das Gefüge jeden Lebens zerstört."
Das Buch erschien zu einem Zeitpunkt, als Michael Siefener gerade dabei war, sich unter den führenden hiesigen Phantastik-Autoren zu etablieren. So gesehen verwunderlich, dass für diese Veröffentlichung keine damals neuen Texte ausgewählt wurden. Das Reliquiar erschien ursprünglich unter dem Titel Die Reliquie und Die Wächter als Das Geheimnis. Wo bleibt offen. Denn der Band enthält keine entsprechenden Nachweise. Nur aus Franz Rottensteiners Nachwort erfährt man, dass die Arbeiten schon zuvor veröffentlicht worden waren, ohne dass jedoch die Publikationsform genannt wird. Vielleicht besitzt jemand aus dem Forum Robert N. Blochs Siefener-Bibliographie und kann die Information nachreichen.
Zumindest die ersten Titel der Edition Metzengerstein gab es sowohl als Hardcover in lächerlich kleiner Anzahl (um die 20 Exemplare) und als Paperback. Letztere waren mit 300 Stück beim vorliegenden Siefener-Band auch nicht gerade üppig bemessen. Später folgte zwar ein Nachdruck aller(?) frühen Titel beim Blitz-Verlag mit leicht abweichender Covergestaltung, die Auflage dürfte aber auch hier nicht sehr hoch gewesen sein. Denn die Bücher der Reihe tauchen heute leider kaum mehr auf.