Fred Chappell: Dagon (1968)


  • "Die Verehrung Dagons", sagt er, "sei in Amerika immer noch verbreitet. Die Eigenschaften, die diesen Gott für die Menschen anziehend gemacht hätten, seien auch in der heutigen Gesellschaft überall deutlich zu erkennen".





    Fred Chappell:

    Dagon

    Blitz-Verlag, 2000, 174 Seiten




    Nach Dumont’s Bibliothek des Phantastischen (1990-1992) bekam Herausgeber Frank Rainer Scheck zur Jahrtausendwende erneut die Gelegenheit eine einschlägige Reihe zu betreuen. Meisterwerke der Phantastik bei Blitz war allerdings eine noch kürzere Lebensdauer beschieden und dürfte den Querelen zwischen Blitz und Festa zum Opfer gefallen. Gerade einmal zwei Bände erschienen bevor – statt weiterer bereits angekündigter und beworbener Titel – das abrupte Ende erfolgte. Band 1 war Der Puppenmacher von Sarban (Pseudonym von John William Wall), Band 2 Dagon von Fred Chappell. Eines der ungewöhnlichsten Werke, die im Lovecraft-Kontext stehen.



    "Hast du auch schon mal deine Hand ins Feuer gesteckt, weil es so hübsch und heiß aussah?"



    Das Buch handelt vom Methodisten-Pastor Peter Leland, der die Farm seiner Großeltern in North Carolina erbt. Dort gedenkt er gemeinsam mit seiner Frau Sheila den Sommer zu verbringen, um in aller Ruhe an einer theologischen Monographie über Spuren von Heidentum im amerikanischen Puritanismus arbeiten zu können. So viel kann verraten werden, daraus wird natürlich nichts.



    "Mit der Farm hatte er Mina geerbt, mit dem Haus hatte er Ketten geerbt."



    Der Roman ist in zwei Abschnitte geteilt. Teil 1 beschreibt den Versuch sich auf der Farm einzuleben, Peters Vergangenheit und verschwommene Kindheitserinnerungen. Im Teil 2 gerät Peter in den Bann der gleichermaßen abstoßenden wie faszinierenden Mina, die mit ihren Eltern in einer Wellblechhütte auf dem Gelände wohnt. Ab dem Punkt rutscht die Geschichte steil ins Abgründige, der zuvor angedeutete Absturz setzt sich endgültig in Gang. Der zweite Teil skizziert eine zutiefst verstörende Chronik einer Entmenschlichung. Chappell vermengt Existenzialismus mit Lovecrafts kosmischer Gleichgültigkeit und suggestiven Stimmungsbildern (Hitze, Dreck, Verfall) zu philosophischem Horror, der wahrscheinlich keinen Leser kalt lässt. Man mag an Peters indifferenter Haltung verzweifeln, vergessen wird man die Lektüre so schnell bestimmt nicht mehr.



    "Wie weit konnte ein Mensch in die Sturzflut der Dunkelheit vordringen? Wenn sein Herz verzehrt war, was würde die Maschine dann noch antreiben? An welchem Punkt würde diese Maschine nicht mehr als er selbst zu erkennen sein?"








    Scheck bezeichnet Dagon im gewohnt ausführlichen Nachwort als Melange aus Southern Gothic und New England Gothic. Auf den ersten Blick sind die Gemeinsamkeiten mit H. P. Lovecraft marginal. Das Motto, ein paar Verweise und natürlich der Titel. Dagon kennt man ja auch von Lovecraft. Nur bezieht sich Chappell primär auf die alte vorderasiatische Fisch-/Fruchtbarkeitsgottheit als Symbol für zügellose Sexualität. Das Verbindende bleibt hintergründig und liegt eher in der philosophischen Haltung. Das Buch bietet jedenfalls keine typische Mythoskost, sondern bis heute einen der wirklich wenigen eigenständigen Beiträge in der Nachfolge Lovecrafts, der sich auch gleichzeitig von ihm abgrenzt.



    "Nur durch Leiden gelangt man dazu, das zu erkennen. […] Nur über die reinste, stärkste Form von Leiden."

  • Danke für die Vorstellung, col.race. Nie von dem Buch gehört, aber es klingt ziemlich interessant. Leider scheint es nicht so einfach zu sein, an den Blitz-Band heranzukommen. Zumindest habe ich bei Amazon, Booklooker, Ebay & Co. kein Exemplar gefunden.

    “It is sometimes an appropriate response to reality to go insane.” (Philip K. Dick)

  • Auch von mir ein Dank für die Vorstellung. Ich für meinen Teil habe das Buch seit ewigen Jahren im Regal stehen, bisher aber nie Lust zur Lektüre gehabt.

    "The amount of weird material I have not read is appalling"


    HPL to CAS, 1925

    • Offizieller Beitrag

    Wunderbare Vorstellung, col.race . Muss das Buch mal wieder raus kramen.


    Könnte es sich um diese beiden Titel handeln, die später im Festa Verlag in einem Buch mit Der Puppenmacher veröffentlicht wurden?



  • Cheddar Goblin

    Ja, wie so oft lassen sich die frühen Blitz- und Festa-Titel leider nur schwer auftreiben und wenn, nicht gerade billig. Das günstigstere von zwei Online-Angeboten liegt aktuell bei 49,95€. Am Marketplace von Amazon.

    Ich hatte Glück. Ich hab beide Bände der Reihe letztes Jahr in einem Comicshop entdeckt, wo sie angestaubt seit 20 Jahren zum Einführungspreis im Regal standen.



    Spooky





    Die nächsten Bände wären die Anthologie Berührungen der Nacht und der Roman Ein Neffe aus venezianischem Glas von Elinor Wylie gewesen. Ersterer erschien 2002 bei Festa, Letzterer erst 2016 in Schecks späterer Blitz-Reihe Meisterwerke der dunklen Phantastik.



    edit: Shadowman


    Nein, aber interessantes Buch! Burn, witch, burn! will ich schon lange endlich mal lesen...

  • Das günstigstere von zwei Online-Angeboten liegt aktuell bei 49,95€. Am Marketplace von Amazon.

    Danke. Das Angebot hatte ich irgendwie übersehen. Ist mir aber auch deutlich zu teuer.

    Du kannst Jörg Kaegelmann direkt anschreiben und nachfragen. Würde ich Dir raten, so bin ich selbst schon an komplett Vergriffenes zum vernünftigen Preis gekommen.

    Guter Tipp. Ich werd's mal versuchen.

    “It is sometimes an appropriate response to reality to go insane.” (Philip K. Dick)

  • Ich habe DAGON auch direkt sehr am Anfang gelesen, als ich auf die Kleinverlagsszene und damit auch auf BLITZ gestoßen bin. Mit dem Buch verbinde ich eine eine sehr schwüle, drückende Atmosphäre und einen beeindruckenden eigenständigen Umgang mit Lovecraft-Motiven, keine Nacherzählung. Hat mir sehr gut gefallen und ich hatte mich gewundert, dass der Roman nicht in "Lovecrafts Bibliothek ..." erschienen ist. Die gab es damals schon.


    Die nächsten Bände wären die Anthologie Berührungen der Nacht und der Roman Ein Neffe aus venezianischem Glas von Elinor Wylie gewesen. Ersterer erschien 2002 bei Festa, Letzterer erst 2016 in Schecks späterer Blitz-Reihe Meisterwerke der dunklen Phantastik.

    Genau. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Frank Festa damals "Lovecrafts Bibliothek ...", diese Klassiker-Reihe und "Necroscope" aus dem BLITZ-Verlag in den Festa-Verlag mitgenommen. Damit kann "Die bizarre Bibliothek" des Festa-Verlags, wo "Berührungen der Nacht" als Band 2 erschien, als Fortsetzung dieser kurzlebigen BLITZ-Reihe "Meisterwerke der Phantastik" angesehen werden.

  • Was für eine traurige Nachricht :(

    Vor ein paar wenigen Jahren erst hatte ich einen Mail-Kontakt mit ihm und er schrieb mir eine tolle Widmung in mein DAGON. Er war äusserst liebenswürdig. Rest in Peace.