"Die Verehrung Dagons", sagt er, "sei in Amerika immer noch verbreitet. Die Eigenschaften, die diesen Gott für die Menschen anziehend gemacht hätten, seien auch in der heutigen Gesellschaft überall deutlich zu erkennen".
Fred Chappell:
Dagon
Blitz-Verlag, 2000, 174 Seiten
Nach Dumont’s Bibliothek des Phantastischen (1990-1992) bekam Herausgeber Frank Rainer Scheck zur Jahrtausendwende erneut die Gelegenheit eine einschlägige Reihe zu betreuen. Meisterwerke der Phantastik bei Blitz war allerdings eine noch kürzere Lebensdauer beschieden und dürfte den Querelen zwischen Blitz und Festa zum Opfer gefallen. Gerade einmal zwei Bände erschienen bevor – statt weiterer bereits angekündigter und beworbener Titel – das abrupte Ende erfolgte. Band 1 war Der Puppenmacher von Sarban (Pseudonym von John William Wall), Band 2 Dagon von Fred Chappell. Eines der ungewöhnlichsten Werke, die im Lovecraft-Kontext stehen.
"Hast du auch schon mal deine Hand ins Feuer gesteckt, weil es so hübsch und heiß aussah?"
Das Buch handelt vom Methodisten-Pastor Peter Leland, der die Farm seiner Großeltern in North Carolina erbt. Dort gedenkt er gemeinsam mit seiner Frau Sheila den Sommer zu verbringen, um in aller Ruhe an einer theologischen Monographie über Spuren von Heidentum im amerikanischen Puritanismus arbeiten zu können. So viel kann verraten werden, daraus wird natürlich nichts.
"Mit der Farm hatte er Mina geerbt, mit dem Haus hatte er Ketten geerbt."
Der Roman ist in zwei Abschnitte geteilt. Teil 1 beschreibt den Versuch sich auf der Farm einzuleben, Peters Vergangenheit und verschwommene Kindheitserinnerungen. Im Teil 2 gerät Peter in den Bann der gleichermaßen abstoßenden wie faszinierenden Mina, die mit ihren Eltern in einer Wellblechhütte auf dem Gelände wohnt. Ab dem Punkt rutscht die Geschichte steil ins Abgründige, der zuvor angedeutete Absturz setzt sich endgültig in Gang. Der zweite Teil skizziert eine zutiefst verstörende Chronik einer Entmenschlichung. Chappell vermengt Existenzialismus mit Lovecrafts kosmischer Gleichgültigkeit und suggestiven Stimmungsbildern (Hitze, Dreck, Verfall) zu philosophischem Horror, der wahrscheinlich keinen Leser kalt lässt. Man mag an Peters indifferenter Haltung verzweifeln, vergessen wird man die Lektüre so schnell bestimmt nicht mehr.
"Wie weit konnte ein Mensch in die Sturzflut der Dunkelheit vordringen? Wenn sein Herz verzehrt war, was würde die Maschine dann noch antreiben? An welchem Punkt würde diese Maschine nicht mehr als er selbst zu erkennen sein?"
Scheck bezeichnet Dagon im gewohnt ausführlichen Nachwort als Melange aus Southern Gothic und New England Gothic. Auf den ersten Blick sind die Gemeinsamkeiten mit H. P. Lovecraft marginal. Das Motto, ein paar Verweise und natürlich der Titel. Dagon kennt man ja auch von Lovecraft. Nur bezieht sich Chappell primär auf die alte vorderasiatische Fisch-/Fruchtbarkeitsgottheit als Symbol für zügellose Sexualität. Das Verbindende bleibt hintergründig und liegt eher in der philosophischen Haltung. Das Buch bietet jedenfalls keine typische Mythoskost, sondern bis heute einen der wirklich wenigen eigenständigen Beiträge in der Nachfolge Lovecrafts, der sich auch gleichzeitig von ihm abgrenzt.
"Nur durch Leiden gelangt man dazu, das zu erkennen. […] Nur über die reinste, stärkste Form von Leiden."