Vielleicht eine ungewöhnliche Wahl für die Kategorie „Ein Werk der phantastischen Literatur aus dem Zeitraum vor 1946“. Nun, Eliots Langgedicht stammt aus dem Jahre 1922, das passt schon mal, aber ist es auch „phantastisch“? Immerhin stellt es in seinen fragmentarischen Szenen ja nur das moderne Leben dar. Aber eben mit einer Methode, die Eliot auch an James Joyce, mit dem er befreundet war, bewunderte. Wie der Ulysses stellt auch The Waste Land die moderne Welt durch die mythologische Brille dar, und hier ist es vor allem die Gralssage, auf die sich das Werk am stärksten bezieht. Immer wieder bezieht Eliot sich auf den Fischerkönig und auf magische Rituale, mit denen das sterbende Land wieder zum Leben erweckt werden könnte, er verweist auf die Bearbeitung des Stoffes durch Richard Wagner und andere, lässt den blinden Seher Tiresias auftreten, der beide Geschlechter kennt und das moderne Sexualleben inhaltsleer und ohne den notwendigen Zauber empfindet, steigt mit Dante in die Hölle oder empfindet das Leben an den Flüssen Babylons (an Londons Themse) nach, um letzten Endes mit buddhistischer Mystik zu schließen.
Ich habe zum Lesen die Ausgabe der „Norton Critical Editions“ verwendet, und diese ist mit Fußnoten gespickt, um möglichst viele Verweise und Anspielungen Eliots aufzuzeigen. Außerdem enthält sie den Kontext, also großzügige Auszüge aus den Texten, auf die sich Eliot am meisten bezieht. Das sind etwa Frazers Golden Bough oder From ritual to romance von Jessie L. Weston über die Gralssage, aber auch Texte von Huxley, Beaudelaire, Dante, Ovid oder Buddha.
Wahrscheinlich sind diese Ausführungen eher geeignet, von dem Werk abzuschrecken. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, einfach die Verse und makabren Anspielungen zu genießen, ohne ihren mythologischen Hintergrund zu kennen:
“That corpse you planted last year in your garden,
“Has it begun to sprout? Will it bloom this year?
“Or has the sudden frost disturbed its bed?
“Oh keep the Dog far hence, that’s friend to men,
“Or with his nails he’ll dig it up again!
Science Fiction-Leser werden eher diesen Vers wiedererkennen:
O you who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as you.
Es gibt m.W. drei Übertragungen des Gedichts ins Deutsche, 1927 versuchte sich Ernst Robert Curtius daran, 1972 Eva Hesse und dann 2008 Norbert Hummelt. Ich habe mir die von Eva Hesse angesehen und fand sie schon sehr weit weg vom Original. Über die neueste Übersetzung von Hummelt habe ich gelesen, dass sie manch damalige zeitgenössische Anspielung in heutige zeitgenössische Anspielungen überträgt: „Wenn Pretty Woman sich getäuscht hat“, „Tippse“ oder „Body“ für eine bestimmte Art Unterwäsche. Das muss man mögen. Ich würde mein Glück dann doch eher mit der Curtius-Übersetzung versuchen. Die Phlebas-Stelle klingt etwa bei ihm so:
IV. TOD DURCH WASSER
Phlebas der Phönizier, zwei Wochen tot,
Vergaß der Möwen
Schrei, und das Rollen der See
Und Gewinn und Verlust.
Eine Tiefsee-Strömung
Pickte seine Knochen murmelnd.
Wie er stieg und sank
Durchlief er die Stufen von Alter und
Jugend
Und trieb in den Wirbel.
Heide oder Jude
O du, der das Rad dreht und windwärts
lugt,
Bedenke Phlebas, der einst schön und stark wie du.