Stanisław Lem: Der Unbesiegbare

  • Stanisław Lem: Der Unbesiegbare. Utopischer Roman

    Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1971 (Nachdruck von: Volk und Welt, Berlin 1969), Original von 1964

    158 Seiten



    Von dem Titel her hatte ich mir bislang falsche Vorstellungen gemacht, mir neulich das Buch aber endlich wegen dieses wunderschönen Covers gekauft. Der Titel bezieht sich entgegen meiner Erwartung, dass es sich um einen Protagonisten / Thema handelte, auf den Namen eines Sternenkreuzers, der auf dem unbewohnten Planeten Regis III sein vor wenigen Jahren verschollenes Schwesternschiff Kondor suchen soll. Das Titelbild ist übrigens - anders als bei vielen anderen Phantastikbüchern - tatsächlich eine Szene aus dem Buch. Auch wenn Lem ein SF-Autor war, ist dieser kurze Roman ein Horror-Crossover mit einigen sehr gruseligen, fiesen Momenten.


    Es beginnt mit dem Anflug auf Regis III, dem 'Erwachen' der Systeme, das die Sinne anspricht: wie auf einem Rundgang werden Gerüche, Geräusche und Temperaturen beschrieben, jeweils mit den Funktionen der Geräte. Absolut toll und sehr sinnlich, so geht es ein paar Seiten, und man hat den Eindruck, mit dem Raumschiff bereits enger vertraut zu sein als mit der menschlichen Mannschaft, die als letzte erwacht. Alien hat das ja genauso gehandhabt, und ich mag es einfach grundsätzlich, wenn einem nicht gleich irgendwelche redenden Figuren vorgesetzt werden, sondern man Ruhe hat, das Setting zu genießen.


    Wie zu erwarten, ist der Planet nicht ganz so unbelebt wie es schien, aber was dort eigentlich vor sich geht, ist eine wirklich grandiose und wunderschöne Idee mit spannenden philosophischen Implikationen, ähnlich wie z. B. Cixin Lius The Dark Forest - Zivilisationen müssen von ihrem Planeten fliehen und das hat Implikationen für die Zielplaneten; oder wie bei Picknick am Wegesrand der Brüder Strugatzki, in dem Überreste einer fremdartigen Technologie tödliche Folgen für die Menschen haben, die sich in ihre Nähe wagen.


    Die kurze Synopsis auf dem Buchrücken umreißt schon perfekt, was das Buch auch einlöst, allerdings werden da locker 80% der Handlung gespoilert, die eigentlich auf Spannung & Geheimnis ausgelegt ist, daher so:


    Das Rätsel dessen, was die Besatzung des Kondors auslöschte und die des Unbesiegbaren dezimiert, wird nach und nach geklärt, und läuft auf alles andere als einen literarischen 'Mann im Gummianzug' heraus. Lem versteht es wunderbar, Fährten zu legen, die immer wieder aufgenommen werden, und Tatsachen zu präsentieren, die nichts von dem Unheimlichen, Phantastischen nehmen. Arkham Insider Axel , Nils und ich hatten uns neulich über ein 'sense of wonder' unterhalten, das sich in aktueller Phantastik so selten finden lässt, und eben das Gefühl hat bei mir von der ersten bis zur letzten Zeile angehalten. Ich hatte tatsächlich Herzklopfen und das ist sehr selten.


    Der Unbesiegbare ist in hohem Tempo mit einiger Action und einem ziemlich hohen Bodycount erzählt, aber auch durch die feinen psychologischen und emotionalen Auswirkungen auf die Mannschaft, und mit einer philosophsichen Fragestellung, was Intelligenz / Willen / Planung und letztlich Leben und Evolution ausmacht. Hier sehe ich - auf der Meta-Ebene - auch große Ähnlichkeiten mit Gluchowskis Metro 2033 (aber keinem anderen Metro-Roman).


    So ein Plot ist natürlich ein idealer Horror, den auch Alien und Event Horizon ausspielen, wobei Lem wie Ridley Scott ohne das Konzept des 'Bösen' auskommt. Und gerade die Abwesenheit einer grausamen Intention machen diese Geschichten so extrem gruselig.

    Ich merke mal wieder, wie wenig ich mit der Idee von einem 'Bösen' anfangen kann, weder in Bezug auf menschliche Täter noch auf Paranormales wie Satan, Dämonen oder die Hölle. Das 'Böse' ist eigentlich nur eine Kapitulation vor dem, was uns ängstigt, bei realen Tätern auch ein Nicht-sehen-wollen von der Ursache von Psychopathologien und unserer eigenen Verantwortung (z.B. bei Erziehung, sozialen Miteinanders) und bei paranormalen / spekulativen Figuren ein Scheitern, unsere Ängste zu erforschen. Dann ist etwas eben 'böse', das erspart jegliches Nachdenken.


    Lem entwirft einen ähnlichen Antagonisten wie Ridley Scott: etwas Unzerstörbares, das gar keinen Willen - und damit keine Grausamkeit - besitzt, sondern nur einer evolutionsbedingten Funktion folgt. Zudem gibt es wirklich wunderbare psychologische Konflikte / Drehs, sehr sinnliche, 'haptische' Beschreibungen von Angst und Panik, äußerst spannende psychische / emotionale Entwicklungen und eine große Bandbreite verschiedener Charakere. Durch den - für heutige Zeit eher unüblichen - fast rein auktorialen (aber nicht allwissenden) Erzähler bleibt auch bis zum Schluß spannend, wer überlebt und wer nicht. Ich hatte auf ein sehr harsches, pessimistisches Ende gehofft, das dann doch so nicht eintrat. Allerdings ist auch das tatsächliche Ende nach dem kleinen Cliffhanger sehr passend.


    Der Roman hat weder Längen noch zu viel Action, weder deus ex-Momente noch unaufgelöste Nebenlinien. Und zudem ein grandioses Setting, das auch etwas für Liebhaber der Mountains of Madness sein sollte.


    Auffällig übrigens, dass Rainer Zuchs Planet des dunklen Horizonts einen identischen Plot mit einem identischen Setting hat. Die wirklich einzige Ausnahme ist, dass Zuch sehr viel weniger echte SF (im Sinne vom Science -Verständnis /-Details) hat und seine Auflösung eher magisch-paranomal als technisch-philosophisch ist. Beide Bücher haben ungefähr die gleiche Seitenzahl (wobei Lems einen kleineren Font hat), aber Der Unbesiegbare erzählt all das in Details aus, was Zuch nur andeutet oder streift, und doch nie in die Tiefe geht. Also hab ich genau das bei Lem bekommen, was ich bei Zuch vergebens erwartete.


    Für mich das perfekte Stück Literatur, in Punkten fette 10 von 10.

  • 10 von 10 unterschreibe ich sofort. Der Unbesiegebare ist wahrscheinlich Lems bester Roman. Diese starken Horror-Elemente sind mir Jahre nach der Lektüre allerdings nicht mehr so präsent. Für mich ist es einfach ein irrsinnig guter SF-Roman.


    Anatoli Dneprow hat das Thema mit seiner Insel der Krebse ein paar Jahre vor Lem auf verspieltere, aber nicht weniger eindringliche Weise behandelt.

  • Vincent Voss Schön, wenn das vielleicht sogar als Challenge-Buch dienen würde!


    col.race Ich hab Lem zwar sehr früh angefangen zu lesen, aber nicht so konsequent wie z.B die Strugatzkis, von denen ich nur ein oder zwei Sachen nicht kenne. Das hole ich jetzt nach, ich hab auch noch seit Ewigkeiten Ungelesenes von ihm im Regal.


    Lieben Dank für den Tipp, ich bin sicher, dass ich das gelesen hatte, ist aber sehr lange her. Ich meine sogar, es gäbe einen alten, nicht animierten Film davon, aber vllt. waren das andere Robotkrabben (am Strand, meine ich). Von dem Autor hab ich allerdings nix im Regal, danke für die Erinnerung, das werde ich auch ändern. [Cof]

  • Ich merke mal wieder, wie wenig ich mit der Idee von einem 'Bösen' anfangen kann, weder in Bezug auf menschliche Täter noch auf Paranormales wie Satan, Dämonen oder die Hölle. Das 'Böse' ist eigentlich nur eine Kapitulation vor dem, was uns ängstigt

    Besten Dank für diese gelungene Vorstellung! Das Buch ist mir schon mal in die Hände gekommen, da ich ich aber nie wusste, ob es das rechte ist, um in den Lem-Kosmos einzusteigen, habe ich mich nicht weiter darum gekümmert. Deine Verortung hier im Forum sowie der angesprochene Grusel-Faktor sind natürlich schlagende Argumente für eine Lektüre.


    Zum Zitat: Das ist wohl eine der primären Problematiken der (unheimlichen) Phantastik, wahrscheinlich hier noch viel mehr als in der Science Fiction. Und bestimmt ließe sich das Forum in der Hinsicht zweiteilen: Das Böse – pro und contra. Hier geht es zur Abstimmung …


    Die Frage, die das Konzept des Bösen, das wir so sehr gewohnt sind mit einer christlichen Moral zu verbinden, hervorbringt, berührt ja noch einen anderen Punkt. Der hier im Forum sogar schon Streitpunkt war: nämlich, ob der Roman oder die kurze Form besser geeignet sind fürs Unheimliche. Mein Argument gegen den Roman ist häufig, dass er aufgrund der menschelnden Figurenentwürfe zu aufgebläht ist und mich alltägliche menschliche Probleme in der Literatur eher kalt lassen. Gerade damit aber manipulieren ja Autoren die Leserschaft: sie zeichnen Charaktere so, dass sie einem ans Herz wachsen oder als verabscheuungswürdig dastehen. Und danach richten wir dann unser literarisches Gerechtigkeitsempfinden, das ja doch, so meine Vermutung, maßgeblich vom Konzept gut/böse beeinflusst ist.


    Aber ich gerate auf Nebengleise. Wenn ich jedenfalls das hier lese:

    Der Roman hat weder Längen noch zu viel Action, weder deus ex-Momente noch unaufgelöste Nebenlinien. Und zudem ein grandioses Setting, das auch etwas für Liebhaber der Mountains of Madness sein sollte.

    So werte ich das als persönliche Empfehlung und würde mich nach einer erfolgreichen Lektüre wieder zu Wort melden (den Spoiler habe ich ernst- und wahrgenommen!).

  • Zum Zitat: Das ist wohl eine der primären Problematiken der (unheimlichen) Phantastik, wahrscheinlich hier noch viel mehr als in der Science Fiction. Und bestimmt ließe sich das Forum in der Hinsicht zweiteilen: Das Böse – pro und contra. Hier geht es zur Abstimmung …


    Die Frage, die das Konzept des Bösen, das wir so sehr gewohnt sind mit einer christlichen Moral zu verbinden, hervorbringt, berührt ja noch einen anderen Punkt. Der hier im Forum sogar schon Streitpunkt war: nämlich, ob der Roman oder die kurze Form besser geeignet sind fürs Unheimliche. Mein Argument gegen den Roman ist häufig, dass er aufgrund der menschelnden Figurenentwürfe zu aufgebläht ist und mich alltägliche menschliche Probleme in der Literatur eher kalt lassen. Gerade damit aber manipulieren ja Autoren die Leserschaft: sie zeichnen Charaktere so, dass sie einem ans Herz wachsen oder als verabscheuungswürdig dastehen. Und danach richten wir dann unser literarisches Gerechtigkeitsempfinden, das ja doch, so meine Vermutung, maßgeblich vom Konzept gut/böse beeinflusst ist.



    Einer Diskussion würde ich mich hier überhaupt nicht verschließen. Sehr spannend!

  • Danke für die Vorstellung, Katla !


    Mir geht es wie Axel: Um Lem bin ich immer eher herumgegangen, zu wenig reizt mich seine SF. Aber anhand der Beschreibung hier muss auch ich nach diesem Roman wohl Ausschau halten.


    Zur avisierten Debatte: Dabei!